Auf diesen Tag habe ich zwei Jahre gewartet. Vor zwei Jahren wollte ich hier meinen gesamt 40. Marathon laufen, welcher sogleich mein 10. Marathon beim Kyffhäuser-Berglauf (KBL) sein sollte. Aber Corona und später auch ein paar Verletzungen hatten mich ausgebremst, bis jetzt. Heute endlich will ich meine persönlichen Jubiläen verwirklichen.
Und ich weiß, dass ich im Läuferfeld nicht der Einzige bin, der etwas nachzuholen hat. Denn wir leben nicht in normalen Zeiten. Traurig, aber halbwegs normal ist, dass meine Lauffreundin Sonja heute nicht laufen kann, da sie verletzt ist. Weniger normal ist, dass mein Studienfreund Sven heute nicht dabei sein kann, da er in Quarantäne ist. Ein Krieg in Europa aber ist unnormal. Jeder Krieg ist ein Verbrechen an den betroffenen Menschen. Kein normaler Mensch wünscht sich Krieg. Wir wünschen uns Frieden als Normalität. Und der Kyffhäuser Berglauf im April, der gehört zu dieser Normalität.
Schön, dass es den KBL auch in diesem Jahr gibt. Ganz so wie früher ist der Berglauf aber nicht. Es fehlt die kleine Sportmesse, es fehlen einige Imbissbuden und es fehlt die Party am Abend im Festzelt. Dennoch zeigt sich der Veranstalter Kyffhäuser Berglauf e.V. zufrieden. Denn sie sind da, die Läufer und Walker und Mountainbiker. Die knapp 2000 Starter knüpfen fast an das Niveau der Vor-Coronazeit an. Und auch die zahlreichen Helfer und Organisationen von den Feuerwehren, dem DRK bis hin zur Bundeswehr stehen wieder parat.
Über 150 Läufer sind pünktlich um 8:30 in der frischen Aprilkühle am Marathonstart. Das sind weniger als vor Corona, aber mehr als in den letzten beiden Coronajahren. Bei einigen Teilnehmern, die wiederholt dabei sind, hatte es im Vorfeld Verwirrung gegeben. Denn der auch mir vertraute Streckenverlauf wurde verändert. Schon im letzten Jahr wurde anders gelaufen. Der Streckenplan war auf der Homepage einzusehen, aber nicht ganz so einfach von jedermann herunterzuladen. Aber spätestens kurz nach dem Start ist klar, es läuft anders lang und andersherum.
Andersherum heißt gegen den Uhrzeigersinn. Vom Schlosspatz aus laufen wir an der Kyffhäuser-Therme vorbei die Bornstraße hinauf und haben das Wahrzeichen von Bad Frankenhausen im Blick: die schiefe Oberkirche. Wir biegen rechts in die Frauenstraße und dann in den Uderslebener Weg. Neu gegenüber früher ist, dass es gleich zu Beginn des Marathons ordentlich bergan läuft. Das Geläuf wechselt von Asphalt auf natürlichen Feld- und Wiesenweg. Nach gut drei Kilometern haben wir die ersten 140 Höhenmeter bezwungen. Wir sind am Flugplatzberg angekommen, nur laufen wir den nicht wie früher kurz vor Ende des Marathons hinauf, sondern zu Beginn herunter. Das ist auf jeden Fall angenehmer.
Im Dorf Udersleben die erste Getränkestation. Nur das wir nicht wie früher mit „Cola oder Bier?“, sondern mit „Cola oder Tee?“ angerufen werden. Auf der Straße läuft es weiter am Kyffhäuser Bach entlang nach Ichstedt, wo es nach gut 9 Kilometern neben Getränken auch Obstportionen gibt. Weiter auf neuer Strecke laufen wir westwärts nach Tilleda. Westwärts ist insofern blöd, da uns der kräftige Wind auf dem nur von spärlichen Obstbäumen und Büschen gesäumten Ichstedter Weg entgegenweht. Die recht vielen Asphaltpassagen in der Ebene erfreuen den waschechten Trailläufer nicht, aber auch auf der alten Strecke verlief es anfangs meist flach auf festgeteertem Untergrund.
Für mich hat die Szenerie auch etwas Malerisches. Die kräftig wiesengrünen bis hellbraunen Felder bilden einen hübschen Kontrast zu dem gräulich dunklen Kyffhäuser Gebirge, von dem sich schon bald das spitzauslaufende Kyffhäuser Denkmal abhebt. Marion aus Genthin fragt mich: „Müssen wir da etwa hinauf?“ Eine Frage, die ich mit „Ja“ beantworten kann. „Oh Gott“, entgegnet Marion. So erfüllt das Bild die einen mit Schaudern, die anderen mit Vorfreude. Nach einem kurzen Regenschauer zeigt sich ein Regenbogen am pittoresken Himmel schräg vor dem Gebirge und über Tilleda auf. Das alles sorgt für beschauliche Abwechslung.
In Tilleda haben wir 15 Kilometer geschafft und laufen plötzlich einen kurzen aber knackigen Anstieg hinauf. Dann stehen wir auf dem Pfingstberg zwei mittelalterlichen Wächtern gegenüber. Doch sie lassen uns nicht nur in die Königspfalz hinein, sondern weisen uns auch freundlich den Weg zur Verpflegungsstation. Keine Frage, der Besuch in der mittelalterlich rekonstruierten Königspfalz Tilleda ist ein neues Highlight beim Kyffhäuser Berglauf. Nach einem Imbiss und einigen Rundumblicken brechen wir problemlos durch das nordwestlich gelegene Fangtor aus der Königspfalz aus.
Jetzt geht es los. Auf dem Weg Langes Tal laufen wir auf natürlichem oder geschottertem Untergrund bergan. Und Marion fragt: „Wie lang geht es hinauf?“ Ich antworte: „So fünf Kilometer.“ Marion schweigt. Tatsächlich ist der ununterbrochene Anstieg zum Kyffhäuser Denkmal sechs Kilometer lang. Und wir erklimmen dabei fast 300 Höhenmeter. Einige Passagen weisen mehr als 10 Prozent Steigung auf. Als es bei Kilometer 20 vom Hauptweg ab auf einen Bergpfad führt wird es endlich ein Trail. Und wir sind auf altbekanntem Pfad. Diesen ging es in der alten Version des Kyffhäuser Marathons hinab. Jetzt also hinauf. Beim Kyffhäuser Denkmal befinden wir uns 430 Meter über dem Meeresspiegel hoch.
Hier wieder die altvertraute Verpflegungsstation mit dem berühmten Haferschleim und netter Bewirtung, wie überall an den Stationen. Bei manchem Plausch könnte man glatt das Weiterlaufen vergessen. Wir genießen den Imbiss, schauen uns in der Burgkulisse um, grüßen den in Stein geschlagenen Kaiser Barbarossa. Dann ermahnen wir uns zum Weiterlaufen. Über die Hälfte ist geschafft. Noch 20 Kilometer bis ins Ziel. So wie immer übrigens werden die Kilometerangaben auf deutlichen Schildern mit der noch zu laufenden Kilometeranzahl angeben.
Verlockend aber auch gemein ist das Vorbeilaufen am duftenden Rostgrill mit Thüringer Bratwurst. Aber schon biegen wir auf den Hangweg, den viele Freunde des KBLs als den schönsten Teil der Marathonstrecke bezeichnen. Es läuft ohne größere Steigungen oder Gefälle auf teils vom Regen aufgeweichten Matschweg durch den Wald mit Ausblicken in die nördlich vom Kyffhäuser gelegene Ebene. Leider ist die Passage nur vier Kilometer lang. Dann wird es wieder heftig. Dort, wo es früher flugs bergab lief, läuft es jetzt empfindlich bergan. Das zwar nur einen Kilometer lang, dafür aber mit bis zu 15 Prozent Steigung.
Dabei kommt mit dem Fernsehturm der nächste markante Punkt beim KBL in Sicht. Wer hier wie früher eine Verpflegungsstation erwartet, sieht sich getäuscht. Die Strecke führt am Fernsehturm vorbei rechts ab. Wir haben den höchsten Streckenpunkt mit knapp 450 Metern überm Meer erreicht. Es läuft auf befestigtem Schotterweg über drei Kilometer angenehm wieder 100 Höhenmeter abwärts. Endlich der nächste Getränkestand der Bundeswehr. Cola und eine Prise Salz sind bei mir angesagt. Es gibt auch Krombacher Pils oder Radler. Aber ich fürchte, wenn ich das jetzt trinke, laufe ich kein Stück mehr weiter.
Ich laufe heute viele Teilabschnitte wie im Training mit meiner Lauffreundin Anna aus Walsrode. Sie trainiert wie viele Teilnehmer am KBL für den Supermarathon beim Rennsteig. Für die Ultraläufer ist ja normal, dass die schwierigen Anstiege gegangen werden. Für mich war der KBL bisher immer durchlaufbar gewesen. Das ändert sich heute. Es ist der berüchtigte Marathonknackpunkt bei Kilometer 32. Ja, in der alten Version des Kyffhäuser Marathon verlief die Strecke an diesem Punkt nicht steil oder lang bergauf. In der neuen Version macht mir der mit bis zu 10 Prozent ansteigende 33. Kilometer zu schaffen und ich gehe ein gutes Stück.
Die letzten 8 Kilometer sind weniger brutal. Naja, die bekannte Steigung hinterm Ententeich mit bis 20 Prozent gehen Anna und ich noch. Der Rest führt mit kurzen Ausnahmen überwiegend bergab. Aber das ist auch nicht ohne, 20 Prozent Gefälle stauchen vor allem die Oberschenkel durch. Die letzte Verpflegungsstation am Wanderwegpunkt Tilledaer Tor teilen wir uns dann mit ein paar an der Veranstaltung teilnehmenden Wanderern.
Wir laufen aus dem Wald heraus und erblicken das weltbekannte Panoramamuseum, ein Rundgebäude mit dem Rundgemälde über den Bauernkrieg um Thomas Münzer. Die letzten drei- zwei Kilometer verlaufen genauso wie auf der alten Strecke. Wieder kommt die schiefe Oberkirche in den Blick. Nur ist Vorsicht geboten, denn es führt nochmal auf karstigem Steinweg gefährlich bergab. Am Hausmannsturm vorbei erreichen wir Bad Frankenhausener Stadtgebiet. Die Thomas Münzer Straße runter, links in die Goethestraße, dann den letzten Kilometer am Solewasser Vitalpark vorbei und durch den Kurpark, kurz das Zentrum frequentiert und auf den Schlossplatz direkt ins Ziel.
Geschafft. Erleichtert. Stolz. Mein 10. Marathon hier, bei meiner 13. Teilnahme. Bei meinem ersten Start im Jahr 2002 war der lange Kanten 38 Kilometer lang. Dann bin ich mal den Halbmarathon und mal die 14,9 Kilometer gerannt. Die 6 Kilometerstrecke hebe ich mir für zuletzt auf. Der erste Marathon wurde 2003 organisiert. Der KBL feiert bei seiner 44. Auflage also auch ein Jubiläum: seinen 20. Marathon.
Am Tresen der Zielverpflegung spreche ich einen Mann an, der mir von meinen vergangenen Teilnahmen bekannt ist. Kein Wunder. Der Lauffreund heißt Roland Schlüter und ist alle 20 Marathons beim KBL mitgelaufen. Chapeau! Wer weiß, würde mich nicht wundern, wenn es da noch weitere Protagonisten gibt?
Die Frage, ob die alte oder die neue Marathonstrecke die schönere ist, muss individuell beantwortet werden. Am besten: Ausprobieren! Früher lief es anfangs entspannt am Südhang des Kyffhäusers entlang. Jetzt läuft es nach geschmackvollen Bergbeginn durch das ländlich geprägte nördliche Vorland des Kyffhäuser Gebirges.
Für mich war der Besuch der Königpfalz Tilleda genial. Und auch der lange Anstieg zum Kyffhäuser Denkmal ist eine anspruchsvolle Neuerung, die als läuferisches Schmankerl Kult werden könnte. Das es in der heißen Marathonphase von Kilometer 32 bis 35 anspruchsvolle Steigungen gibt wertet den Lauf nochmal auf. Okay, sechs-sieben Kilometer vor dem Ziel hatte es bei der alten Version den oft mit Gegenwind ausgestatten Anstieg am Flugplatz hinter Udersleben gegeben. Der fehlt jetzt schon irgendwie. Immerhin läuft es den Flugplatzberg jetzt noch hinab.
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Gesamt weist die neue Strecke einige Höhenmeter mehr auf als die alte. Meine Uhr zeigte 786 Höhenmeter an, frühere Angaben lagen bei 700 Höhenmetern. Mein Fazit: Der Marathon beim KBL ist einen Tick anspruchsvoller geworden. Das sollte Lust aufs Trainieren im Winter machen, damit der Kyffhäuser Marathon und/oder später der Supermarathon am Rennsteig nicht in die Hose gehen.
Im Marathonziel konnte sogar ein neuer Streckenrekord gefeiert werden. Der Belgier Kristof Decleck siegte in einer Zeit von 2h58min14sec. Bei den Frauen hatte Paula Wulff aus Olpe nicht mit ihrem Sieg gerechnet. Sie erreichte nach 3h55min32sec das Ziel und freute sich neben dem Siegerpokal auch über ein 5 Liter Fass Bier, das der Sponsor Krombacher allen drei Erstplatzierten bei jedem Rennen spendierte. Alle Teilnehmer erhielten eine Getränkemarke mit in den Startumschlag. Dafür gab es eine Flasche Krombacher alkoholfrei. Na dann, Prost!