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Laufberichte

Inselkinds Kyffhäuser-Abenteuer

13.04.08

Inselkind steht in Bad Frankenhausen zum dritten Mal am Start, wundert sich, dass kurz vor neun Uhr so rein niemand sich um die begehrten Plätze in der ersten Startreihe rankt. Wahrscheinlich will keiner auf dem gewässerten Rasen des Schlossplatzes vorzeitig nasse Füße bekommen. Regen, nichts als Regen weichte unter der Woche Naturwege des Kyffhäusers auf. Zaghaft stellen sich gut 300 Starter nach Aufruf in letzter Minute hinter dem Köstritzerbanner neben der Kyffhäuser Therme auf, beklatschen den in Thüringen hinlänglich bekannten Marathondoppelolympiasieger Waldemar Cierpinski auf der Tribüne und schon geht es ohne Hast los.

Feuchter Dunst steigt vom Boden auf, klarer blauer Himmel verspricht sonnigen Laufvormittag. Das hebt die Euphorie, doch im recht kleinen Feld ist es merkwürdig ruhig. Angespannte Sorge, wie dieser Lauf wohl wird, dominiert wippende Köpfe.

Zuvor radeln Moutainbiker über gleiche Strecke. Diese folgt zuerst Baustellen bedingter Umleitung aus der Stadt. Somit ist die Distanz, wenn sonst unverändert, wohl etwas länger. Aber das schert Inselkind nicht, Hauptsache es läuft - zunächst durch Wohnbausiedlung. An den Einfahrten Feuerwehrmänner. Auf dem Bürgersteig älterer Herr, Karren mit Kiste Sternburger Bier vor sich, starrt Läufer ungläubig an.

Dann zurück auf der Straße Richtung Rottleben, angenehmes Einlaufen auf ebenen Asphalt. Links glitzern im aufsteigenden Sonnenlicht nebligweiß dampfende Wiesen und Auen. Rechts grüßen karststeinige Hänge des Kyffhäuser Gebirges. Schon zerbricht das Feld in lang gezogene Riege. Überholen und überholt werden – Suche nach dem richtigen Schritt. Keine Hektik, keine Enge, jeder kann sich einzig auf das konzentrieren was er jetzt will, auf das, warum er heute da ist: auf das Laufen. Vor Rottleben geht es mäßig ansteigende Hänge auf alt gepflasterten Wirtschaftswegen hinauf, kleiner Vorgeschmack auf das, was noch kommt. Dort das erste Kilometerschild: noch 37 km. Richtig, nach vorn wird gedacht. Schon wird die Tropfsteinhöhle des Barbarossa in Rottleben passiert. Heute ist Kaiser Rotbart wahrhaftig erwacht und erschienen. Mit Dreizack und Krone steht Barbarossa am Streckenrand und wünscht guten Lauf.

Schild: Noch 100 Meter bis Getränkestelle – gut, Inselkinds Mund wird gerade trocken. Einen Becher Wasser und weiter geht’s, auf der Straße bis nach Steinthaleben. Eben am Tal der Steine, wie treffend, denn bald wird es aus dem ebenen Tal hinauf in die Steine gehen. Doch zunächst Anfeuerungsrufe und Verpflegungsstelle im Ort: Wasser, Tee, Apfel – nette Frau ermuntert Inselkind von den Bananen zu nehmen: „Die machen satt.“ Wer kann da widerstehen?

Bestens versorgt geht es erst den Huflargrund, dann den Huflarweg kilometerweit steil hinauf. Inselkind überholt mutig. Zwei Läufer unterhalten sich. 

Der jüngere: „Ich laufe, weil ich 103 Jahre alt werden will.“ 
Der ältere: „Ich möchte mit 70 noch einen Marathon laufen.“

Inselkind kennt den älteren noch vom Marathonlauf 2005 vor Ort. Mit Klaus Hartmann vom LT Gutsmuths Berlin ist er damals längere Zeit zusammengelaufen. Klaus war bergab schneller, Inselkind bergauf. Aber ständig begegneten sie und unterhielten sie sich. Zunächst zieht Inselkind vorbei, ahnend, dass es auch heute mit Klaus zur Begegnung kommen wird. 

Oben bei Huflar endlich in den Wald. Doch Schnauf, immer steiler führt es hinauf. Keine Ahnung, warum sich der Berg hier nur Halber Berg und schon gar nicht, warum sich der Weg Rennweg nennt? Von 100 ging es auf immerhin 400 Höhenmeter hoch. Zwei Kilometer nun in permanenten Auf und Ab über glitschigen Waldesgrund. Dann gehen einige den steilen Anstieg zum Kulpenberg hinauf. Inselkind läuft langsam, aber es läuft und befindet sich am Fernsehturm 470 Meter hoch. Soldaten reichen Tee und Wasser, beides ist willkommen. 

Nur noch 25 km bis ins Ziel. Ahnungslos biegt Inselkind links in neuerlichen schmalen Waldweg und muss sich entscheiden: welchen Fuß macht es nass? Breite Wasserlache zieht sich über den Weg. Links und rechts nur abschüssiger Schlamm und noch mehr Wasser. Der rechte Fuß taucht ein und bringt es hinüber, denn am großen Zeh des linken Fußes kündigt sich eine Blase an.
Hinter ihm flucht jemand: „Mist, mein Fuß ist völlig nass.“

„Ließ sich nicht vermeiden“, entgegnet Inselkind und wendet sich um. Hinter ihm ist plötzlich Klaus Hartmann. Sie kommen ins Gespräch. „Ist echt witzig“, sagt Inselkind. „Genau von hier an liefen wir vor drei Jahren ein gutes Stück zusammen.“

Klaus ist fast immer hier dabei, in zwei Wochen läuft er die 51 km lange Harzquerung, in fünf Wochen den 72 km langen Supermarathon am Rennsteig. Heute hält sich der 57 jährige Lockenkopf zurück.

Doch zunächst tut er es nicht wirklich, keiner kann das. Denn die Wasserlache war Vorankündigung nur. Nächste fünf Kilometer geht es an Sittendorfer Köpfen auf abschüssig schmalen, dermaßen schlammig aufgeweichten Wegen entlang, dass Lauf waghalsige Schlitter- und Rutschpartie wird. Wer ausrutscht, kann meterweit hinabstürzen. Gutes Schuhprofil ist wertvoll, schützt aber nicht. Inselkinds Füße klatschen tief in den Schlamm, schlittern einige Zentimeter, finden Halt, stoßen sich ab. Feucht rotfarbiger Karstschlamm spritzt nur so. Fast verzweifeln ob der endlos anmutenden Tortur. Doch Inselkind stellt sich ihr - kamikazeartig geht es hindurch. Und Klaus bleibt wie damals hinter ihm.

„Wir tun es freiwillig“, hatte Klaus vor drei Jahren hier gesagt.
Recht hat er. „Des Abenteuer Willens sind wir hier“, sagt Inselkind.

Geschafft, fester Untergrund ist erreicht, doch sogleich geht es beschwerlich zum Kyffhäuser Denkmal hinauf. Vereinzelter Applaus treibt Läufer zum aus Kupfer getriebenen Reiterstandbild Kaiser Wilhelms I. und zur sandsteinernen im Schlaf da sitzenden Barbarossafigur erneut auf 450 Höhenmeter. Hier gibt’s Kontrollstempel auf Startnummern und guten Imbiss. Inselkind greift, was es fassen kann: Haferschleim, Apfel, Tee, Butterbrot. Erst ordentlich im Gehen essen, dann den Weg wieder ein gutes Stück hinab. Klaus hat bergan ein wenig abreißen lassen, doch sicher überholt er sogleich bergab. Scharf rechts ins Langes Tal hinab laufen. An seinem Grund auf 300 Höhenmetern sind es noch 17 km bis ins Ziel. Eine gute Trainingsdistanz, wenn sie nicht im Kyffhäuser wäre.    
            
Klaus hat nicht aufgeschlossen. Hält er sich tatsächlich zurück? Nun grüßen wieder wirklich sehr, sehr schlammige Pfade. Inselkind wundert sich, was Läuferfüße aushalten. An steilen, schon so unwegsamen Hängen geht es durch glitschigen Schlamm über drei Kilometer hinauf. Nur die Nerven nicht verlieren! Einfach nur laufen, egal was kommt, alle müssen da durch. Eine Kontrollstelle wird nochmals angekündigt. DRK-Männer stehen neben Krankenwagen und fixieren hinaufhechelnde Läufer mit kritischem Blick. Inselkind darf ungestört passieren, gottlob.

Dann auf dem Dreiforststein, wieder cirka 430 Meter hoch, kommen Inselkind breitere festere Wege wie Erlösung vor. Ruhe kehrt ein, Laufrhythmus wird gesucht. Inselkind findet sich mit recht forsch laufendem Sportsfreund, Mitte 50, zusammen. Ziehen Seite an Seite an einigen vorbei. Kopfhörer tragender Däne hört dänische Rockmusik, sicherlich. Läuferriegen werden immer lichter. Erste sind bald im Ziel, andere laufen noch zum Kyffhäuser Denkmal hinauf.

„Gleich kommt der Panoramablick“, sagt Nebenmann.
Und wirklich. Gebannt sehen wir durch gerodeten Wald zur monumental anmutenden rotsteinigen Kyffhäuser Reichsburg mit dem Turmdenkmal, Luftlinie 2-3 Kilometer entfernt, hinüber.


„Extra für uns haben sie den Wald niedergemacht“, sagt Inselkind, auf  zahlreich lagernde Baumstämme am Wegesrand anspielend. Nebenmann lacht bitter auf.

Dann wieder eintauchen in Biotop feucht duftenden Mischwald. Frühlingshaft kitzeln Sonnenstrahlen durch Geäst über Rennweg Läufernasen. Bächen gleich rinnen Wasserläufe den Weg hinab. Nein, Inselkind trachtet nicht wirklich, ihnen auszuweichen. Plötzlich strömen Glückshormone aus. Noch 13 Km zwar, aber Inselkind weiß, den Rest schafft es respektabel. Dabei beginnt nun seine kritischste Passage: 5 Km recht steil bergab - Oberschenkeltortur.

Inselkind lässt Nebenmann ziehen. Auch andere überholen, enteilen jedoch nicht weit. In der Mittagsstunde dann 200 Meter tief unten, in Udersleben. Junge Leute applaudieren strapazierten Läufern Mut gebend. Nach zwei Getränkestellen ist nun Verpflegung angesagt. 

„Cola oder Bier?“, ruft junge Frau Inselkind fragend an.
„Cola!“, verlangt Inselkind irritiert auf zwei gleichfarbige Flüssigkeiten in Plastikbechern starrend. 

Aber sie reicht ihm richtig. Nach dem Imbiss der Kick. Euphorisch setzt Inselkind überholend die 4 km bergauf: zunächst sehr steil auf Asphalt, dann mäßiger steil aber stramm im Wind auf feuchter Wiese vom Naturflughafen, zuletzt noch Mal arg schnaufend auf schlammigen Waldwegen bis zum Jägers Kreuz. Nun 3 km bergab.

Panoramamuseum, mit einzigartigem Rundgemälde über Münzers Bauernaufstand, passierend, schüttet Inselkind letzten gereichten Becher Wasser in sich, läuft dann steilen Schlachtberg hinunter.

 


In Bad Frankenhausen den Blick auf die Turmuhr der schiefen, 4 Meter aus dem Lot stehenden Oberkirche vermeiden. Zeit ist nebensächlich. Einfach nur laufen, ohne Stress auf den letzten Metern. Inselkind grüßt dankbar ins applaudierende Publikum. Großzügige Runde um Schlossplatz, dort winkt Inselkinds Frau Gabi. Dann begrüßt der Zielsprecher den Läufer mit der Startnummer 6223 …  

 

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