Was haben die hier in Bad Frankenhausen? Einen Laufkönig? So zumindest verkündet es die Sprecherin am Start. Und tatsächlich, oben auf der Tribüne steht er, mit Krone und edlem Gewand. Den muss ich natürlich fotografieren. Als dabei mein Blick auf seine Schärpe fällt, denke ich mir: Schmidt, du solltest vielleicht mal einen Termin beim Ohrenarzt ausmachen. Das ist nicht der Laufkönig, das ist der Laubkönig! Aus Udersleben, einem Ortsteil von Bad Frankenhausen. Der wird jedes Jahr zum Lindenblütenfest gewählt.
Der König wird gleich den Startschuss abfeuern - erzählt die Sprecherin. Und danach wird er sich ausziehen… Also doch zum Ohrenarzt. Wir sind hier nicht auf der Bikerparty! Doch diesmal habe ich richtig gehört, der König wird Krone, Mantel und Schärpe in die Ecke schmeißen und sich wie wir auf die Marathonstrecke begeben. Also doch ein Laufkönig!
202 Läufer und 44 Läuferinnen machen sich zu fast nachtschlafender Zeit – 8.30 Uhr - auf den Weg. Zuerst durch das beschauliche Städtchen Bad Frankenhausen. Wer nur wegen dem Marathon gekommen ist, hat eigentlich etwas falsch gemacht. Barbarossahöhle, Rothenburg, Kyffhäuserdenkmal, Bauernkriegspanorama - wer schlau ist, nutzt den Marathon für einen Kurzurlaub.
Die ersten Kilometer hat man Zeit, über die Hochstapelei der Veranstalter nachzudenken. Wie nennen die das? Bergmarathon? Das ist ein Hügellauf, größtenteils auf Asphalt. Zumindest bis etwa Kilometer 10, wo wir von der Straße abbiegen und vor uns Marathonis sehen – wandernde… Hier endet der Hügellauf! Wir müssen jetzt hinauf bis zum Fernsehturm und uns dabei insgesamt an 700 Höhenmetern abarbeiten.
Für mich ist der landschaftlich schönste Abschnitt des Laufes das Stück zwischen Fernsehturm und Kyffhäuserdenkmal. Schöne Waldwege, schöne Blicke ins weite Land. Wenn dann nur nicht dieser Anstieg zum Denkmal wäre. Ich gebe zu, da wandere ich auch. Aber nur bis wir zur Straße kommen. Bei bestem Ausflugswetter sind dort viele Touristen unterwegs. Also wird wieder ein Zahn zugelegt, ich will schließlich was darstellen und nicht als Loser erscheinen. Ich will, aber irgendwann geht das nicht mehr. Egal, denn auch für Loser gibt es hier Applaus.
Am Kyffhäuserdenkmal haben wir die Hälfte der Strecke zurückgelegt. Da gibt es einen Stempel. Ja, liebe potentielle Betrüger, wegen euch… Für mich gibt es gleich drei Stempel auf den Unterarm. Der erste gelingt nicht so richtig, der zweite schon, aber da brauche ich ja noch den dritten fürs Foto. Vielleicht bekomme ich dafür im Ziel auch drei Urkunden?
Am Denkmal kräftige ich mich mit einem Becher Schleim für den Abstieg. Und genehmige mir noch eine Cola. Aber da habe ich wohl was falsch gemacht. Als ich den Becher an den Mund setze, denke ich nur noch: Sch… - das ist Schwarzbier. Ich trinke nie Bier beim Lauf! Aber zum Wegschütten ist es mir auch zu schade…
Man sollte nicht glauben, nun war man oben, nun kann es nur noch bergab gehen. Es warten noch zwei langgezogene „Hügelchen“ bis zum Ziel. Der erste nachdem man vom Denkmal ins Tal läuft und denkt: So kann es weiter gehen! Der zweite etwa sieben Kilometer vor dem Ziel, wo man eigentlich schon denkt: Es ist geschafft! Aber meist geht es doch bergab und das ist schön, das haben wir uns verdient!
Etwa sieben Kilometer vor dem Ziel liegt das Dörfchen Udersleben. Wer es nicht kennt, dem muss man nicht unbedingt eine Bildungslücke vorwerfen. Aber wer beim Bergmarathon dieses Dorf passiert hat, der kennt es. Da geht vielleicht die Post ab – auf der Fanmeile! Ich dachte, so etwas gibt es nur in großen Städten. Und nur bei Weltmeisterschaften. Nein, gibt es auch in Udersleben. Aber wie schon erwähnt, die haben ja auch einen König. Einen Laubkönig…
Was mir vor Ort gar nicht auffiel, sondern erst beim Betrachten der Bilder: In Udersleben gibt es Geschlechtertrennung! Auf der einen Straßenseite jubelnde Männer, auf der anderen jubelnde Frauen. Da muss ich nächstes Jahr mal nachfragen…
Die Begeisterung im Königreich Udersleben hat in mir ungeahnte Kräfte freigesetzt. Den Anstieg zum Flugplatz - nicht lang, aber steil – gehe ich noch. Aber dann, als ich wieder zum Laufen ansetze, sehe ich ihn vor mir – einen Läufer, er geht, er schwächelt anscheinend. Und in mir erwacht etwas, wovon ich gar nicht wusste, dass ich es habe. Der Jagdtrieb! Der Andere ist fast einen halben Kilometer vor mir, aber hat keine Chance. Ich glaube, ich muss im nächsten Jahr auch nachfragen, was die mir am Fanmeilen-Verpflegungsstand in die Cola geschüttet haben…
„Jetzt habe ich dich - und den vor uns holen wir uns auch noch!“ Mit diesen Worten begrüße ich Mathias Worm aus Weimar. Dass das etwas hochgestapelt ist, weiß ich selbst, die Aufholjagd hat an den Kräften gezehrt. Und der vor uns ist nicht so nett, auf diese Tatsche Rücksicht zu nehmen. Mir nichts, dir nichts verschwindet er im Wald und ist auch auf längeren Geraden nicht mehr zu sehen. Eigentlich gemein von ihm.
Dann sind es nur noch 1,7 Kilometer bis zum Ziel. So steht es zumindest auf einem Wegweiser, oder auch nicht. Denn da ist zu lesen: 1,7 Kilometer bis zum Kurpark. Aber was schlussfolgert da ein schon viele Kilometer das Ziel herbeisehnendes und unter den Strapazen gelittenes Hirn? Genau - du hast es gleich geschafft…
Liebe Veranstalter! Es gibt Läufer, denen es gar nicht gefallen hat, dass es auf der Strecke keine Kilometerschilder gibt. Aber auch auf die Gefahr hin, dass die mich nächstes Jahr irgendwo im dunklen Wald von der Strecke schubsen - mir haben die Schilder nicht gefehlt. Nicht zu wissen, wie viele Kilometer noch vor einem liegen, kann sehr beruhigend sein. Aber musstet ihr ausgerechnet unmittelbar nach der Stelle, wo mir der Wanderwegweiser sagt, es sind nur noch 1,7 Kilometer bis zum Kurpark, ein Schild aufstellen, auf dem zu lesen ist: Ziel 3 Kilometer! Labile Läufer kann das in den Wahnsinn treiben…
Uns natürlich nicht. Es geht nur noch bergab. Mathias bleibt etwas zurück, ich erreiche die ersten Häuser von Bad Frankenhausen und was sehe ich da vor mir um die Kurve verschwinden? Genau, den Läufer, den ich schon aufgegeben hatte. Gegen mich hat der natürlich keine Chance. Wenn ich mich erst einmal festgebissen habe, lasse ich nicht mehr locker! Heute zumindest…
Gemeinsam mit Thomas Schmidt aus Meiningen, den ich vorher gar nicht kannte, überquere ich den Zielstrich. Zwei mit dem gleichen Familiennamen erreichen Sekundengleich das Ziel. Wenn das kein Zufall ist! Na gut, wenn zwei Schmidt heißen ist die Chance für solch einen Zufall auch etwas größer…
Übrigens, bevor ich es vergesse: Der Laubkönig ist 4:14:17 Stunden gelaufen. Also ist er doch ein Laufkönig!
Ergebnisse Marathon
Sieger Männer
1 Baldauf, Marcus Rennsteiglaufverein 2:58:33
2 Müller, Holger Braunschweig 3:05:33
3 Pfluegner, Uwe Tatortzeit Lauffreunde 3:10:19
Sieger Frauen
1 Beerbaum, Sonja Hamburg 3:23:28
2 Müller, Antje LFV Oberhof 3: 32:23
3 Langhinrichs, Anna Berlin 3:38:42