Schon oft zogen mich Laufveranstaltungen Richtung Kassel, aber der Kassel Marathon hatte noch nie in meinen Kalender gepasst. Da man nur gutes vom Laufwochenende aus der drittgrößten Stadt Hessens hörte, wurde es dieses Jahr mal passend gemacht.
Nach 2 Jahren Zwangspause waren viele Neuerungen angesagt, so kehrte man beispielsweise zurück zum 2 Runden Kurs. Die bergigen Etappen lässt man weg, 250 Höhenmeter sind dennoch zu erwarten. Es wäre ein leichtes den 7 km vor Kassel liegenden Herkules im Bergpark Wilhelmshöhe zu integrieren, aber der Anstieg aus der Innenstadt würde schon 360 HM bedeuten. Stattdessen führt der Kurs relativ flach durch die Stadtgebiete, was mehr Zuschauer und somit auch mehr Stimmung verspricht. Und bessere Zeiten.
Gründer und Organisator Winfried „Aufi“ Aufenanger verstarb vor fast genau einem Jahr. Dem Gründer des Laufteams Kassel und Träger des Verdienstkreuzes 1. Klasse wird dieses Jahr die Medaille gewidmet, welche eine ganz besondere in jeder Sammlung sein wird. Sein Sohn Michael übernimmt die Organisation. Es gibt den Marathon, welcher auch als 4er Staffel gelaufen werden kann. Des Weiteren den Halbmarathon und die Möglichkeit diesen als Power Walking zu bewältigen.
Nebenbei gibt es mehrere Nebenwertungen, wie z.B. den Unicup und den Polizeicup. Walking ist auf 8 km möglich und beim Bambinilauf sind 420 m zu laufen. Das mittlerweile größte Starterfeld der Veranstaltung hat sich mit dem Mini-Marathon etabliert. Hier erwartet man bereits am Samstag tausende Kids, die nach 4,219 km ins tobende Auestadion einlaufen. Im Ziel waren es 3297 Schülerinnen und Schüler.
Meine Anreise beginnt am Vortag, ich folge einer Einladung aus dem TSV Niederelsungen und erspare mir vor dem Marathon eine 2,5 Stunden Fahrt über Landstraßen. Um 9:30 Uhr ist Start für alle gleichzeitig. Wenn man seinen Marathon auf Tempo laufen möchte, hat man im Starterfeld der Staffeln und Halbmarathonis viele Pacemaker, die einen mitziehen können. Bei meinem ruhigeren Tempo und der gestrigen Vorbelastung des Rothaar Waldlaufes heißt es eher aufpassen, dass man nicht überpaced und sich mitreißen lässt.
Mit dem Auestadion hat man einen tollen Ort für eine solche Veranstaltung. Nachmeldungen werden auch noch angenommen, um die 6265 Voranmeldungen noch zu steigern. Ein Trupp Pacemaker läuft mir auf der Marathon Expo über den Weg. Gerno vom Bilstein Marathon, welcher nächsten Samstag startet, ist auch dabei. Ich werfe einen Blick in das noch leere Stadion. HR 1 ist mit Bühne und Kamera vertreten, hier wird im Livestream übertragen.
Die Startaufstellung ist in 500 m Entfernung der Damaschkestrasse, die genügend Platz für alle bietet. Vorbei am Pacecar begebe ich mich in Startposition. Michael Aufenanger führt noch Interviews mit Unterstützern und Sponsoren. Nach dem gestrigen teils heftigen Regen scheinen wir für heute Glück zu haben, bei frischen 10 Grad geht auf feuchter Straße, aber ohne Niederschlag los. Bis 16 Grad sind angekündigt, bezüglich Outfitwahl ist alles vertreten, von kurz kurz bis lang mit Jacke, Mütze und Handschuhen.
Pünktlich um 9:30 fällt der Startschuss. Der Einwegchip am Schuh nimmt die Nettozeit und es geht ohne Gedränge auf die 42,195 km lange Strecke. Einige Afrikaner haben sich auf eigene Kosten auf Bestzeitenjagd begeben. Man zahlt dieses Jahr keine Antrittsprämien, um den regionalen Sport zu stärken. Wir laufen nach wenigen Metern über die Fulda, durch die Breite der Strecke sortiert sich das Feld schnell und sauber. Wir laufen an der Fuldaaue entlang. Zusätzlich zur Straße steht jetzt auch noch ein Fahrradweg zur Verfügung. Ein Feuerwehrmann zieht an mir vorbei, neben einem Superman Luftballon trägt er vollständige Ausrüstung inklusive Sauerstoffflasche auf dem Rücken. Kann man machen!
Mit der nächsten Brücke überqueren wir Bahnschienen und nähern uns Waldau. Im Zick-Zack geht es durchs Wohngebiet, gekrönt von einer Pendelstrecke. Im Wohngebiet „Am Stege“ stehen Anwohner mit Deutschland Flagge vor einem beschrifteten Anhänger „Am Stege grüßt den Marathon“. Es wird geklatscht, getrommelt und angefeuert. Kurz dahinter liegt der erste Verpflegungspunkt, es gibt Wasser und Iso, Bananen und Äpfel. Alle 5 km folgen weitere, dazwischen kommt zusätzlich noch eine Wasserstation dazu. Die Strecke führt uns durch Bettenhausen zwischen Wohngebieten und Industriepark, die komplette Straße ist für uns abgesperrt worden. Bei Kilometer 6 kommt Gerno an mir vorbei, er läuft als Pacer im Halbmarathon auf 2:15 h und begleitet Arnt mit dem 4:30 h Fähnchen für den Marathon. Ich lasse sie kampflos ziehen, das ist heute keine Option.
Die Strecke führt durch die Unterneustadt. Der Mix aus Wohngebieten und Firmen bleibt erhalten, bis wir bei km 9 mit einer weiteren Brücke wieder die Fulda überqueren und nach Wesertor laufen. Hier mündet die Ahna, welche sich mit einer exakten Halbmarathondistanz Länge aus dem Habichtswald bis hier hin in die Fulda schlängelt. Bei der markanten Auferstehungskirche erreichen wir den nördlichsten Punkt. Es wird wuselig an der ersten Staffel Wechselzone.
Wir passieren in Rothenberg einen weiteren Zuschauer Hotspot. Es tönt Musik und ein Speaker feuert an, tolle Stimmung, die einen weiterträgt. Auch hier steht uns immer mindestens ein abgesperrter Fahrstreifen zur Verfügung. Die Kreuzungen sind mit vielen Helfern und Polizei gesichert. Läufer haben Vorrang, der Verkehr wird angehalten. Mehrere Kehrmaschinen sind im Einsatz und sorgen unermüdlich für das Verschwinden von den tausenden Pappbechern hinter den Versorgungspunkten. Ein kurzer Regen setzt ein, es ist eine willkommene Abkühlung.
In Richtung Kirchditmold kommt der längste Anstieg, wir sind rund 60 Höhenmeter über dem Start angekommen. Wie heißt es so schön: Ab jetzt nur noch bergab! Gleichzeitig ist der westlichste Punkt erreicht und wir laufen wieder stadteinwärts. Mit nur leichten Knicken und Wellen geht es 4 km lang eigentlich gerade aus. Die Zahl der Zuschauer steigt wieder stark an und es ist eine Aneinanderreihung von Hotspots, wo vor Kneipen in bester Stimmung angefeuert wird.
Vor Joes Garage geht es hoch her, Dirk van der Werf engagiert sich als Speaker, spricht die Läufer persönlich an und motiviert. Zurück in der Innenstadt biegen wir in die Fußgängerzone ab, hier hat man sogar die sonst fahrenden Straßenbahnen für heute gestoppt. Es geht vorbei am prachtvollen Rathaus, als es plötzlich hinter mir laut wird. Das Führungsfahrzeug verschafft sich Gehör und Platz, denn die beiden schnellsten Marathonis zischen auf ihrer zweiten Runde an mir vorbei. Was für ein Tempo! Ich bin bei km 18, die beiden haken gerade den 38. Km ab.
Zwei Stelzenläuferinnen applaudieren auch den langsameren und wir passieren die Spendenmatte der German Doctors am Friedrichsplatz. Hier bündeln sich das Fridericianum, Friedrichsplatz-Theater, Staatstheater und Naturkundemuseum. Nach kurzem Sightseeing biegen wir ab und es geht in die Karlaue direkt an der Orangerie entlang. Das Kopfsteinpflaster ist etwas rutschig und somit unangenehm zu laufen. Ein Stück durch den Park bringt Abwechslung und wieder besseren Untergrund.
Dann kommt etwa 1000 m vor dem Ziel die Streckentrennung: die Halbmarathonis laufen geradeaus zum wohl verdienten Zieleinlauf im Auestadion, die Marathonis und Staffeln biegen links erneut in die Karlsaue ab und dürfen zum Beginn unserer zweiten Runde einen Bypass durch den Park am Stadion vorbei genießen. Dort tobt gerade der Bär! Die ersten sind im Ziel und es hallt laut in den ruhigen Park.
Die zweite Runde ist schnell erzählt: Ich werde deutlich langsamer, die letzten Staffeln überholen mich und freundliche Rentner erinnern mich bei einer Walking Einheit, dass es doch Marathon „Lauf“ heißt. Peinlich, man bietet mir eine Bank an, aber die will ich doch nicht mitschleppen, also bleibt sie in Waldau. Es drängen sich vermehrt Fahrzeuge auf die eigentlich abgesperrte Strecke, aber das ist bei der Dichte der verbleibenden Läufer auf der zweiten Runde kein Problem. Es ist schon ein erhabenes Gefühl, wenn Autos auf Kreuzungen von mehrspurigen Straßen angehalten werden, damit man vorbeischleichen kann.
Meine Hoffnung, dass es auf der langen Distanz auch mal einen Riegel oder Gel gibt, muss ich aufgeben. Drei nette Mädels retten mich an einem der Verpflegungspunkte und teilen mir ihren Knoppers. Schade, dass ich nicht an ein Foto gedacht habe, vielen Dank euch Dreien für die Rettung.
An einem VP brennt der Grill. Darauf angesprochen, bietet man mir eine Bratwurst an, besser als jeder Riegel. Ihr seid Klasse! Die Zuschauer werden weniger, aber an den Hotspots ist überall noch Leben und man feiert bis zum letzten Läufer. Ich glaube, bei einigen geht es danach noch weiter, morgen ist ja Feiertag. Es ist toll, dass so auch die am längsten leidenden Marathonis motiviert werden. Ein junger Mann läuft neben mir her und überzeugt mich, dass ich es schaffe. Eine junge Dame hat mich auf den letzten Metern bis zum Stadion mit dem Fahrrad begleitet. Kurz vor dem Ziel warten Melanie und Marco auf mich. Melanie war schon nach 4:33 h im Ziel, Marco hat seinen Halben unter 2:15 beendet.
Zum ersten Mal laufe ich in einem Stadion dieser Größe ein. Auch wenn mittlerweile schon abgebaut wird und die Zuschauer schon fast alle weg sind, ist das ein tolles Gefühl. Noch eine dreiviertel Runde über die Bahn gedreht, dann ist der ersehnte Zielbogen erreicht. Vor der HR1 Bühne begrüßt mich Simone Reuthal freudig im Ziel. Wir laufen Hand in Hand gemeinsam über die Ziellinie. Welch Ehre.
Es gibt zur Zielverpflegung ein speziell gebrautes Marathon-Weißbier alkoholfrei der Hütt Brauerei. Ein Genuss. Die Medaille mit Aufis Portrait wird einen Ehrenplatz bekommen .
Irma und Robin sind kurz vor mir angekommen. Für Irma ist es ihr zweiter Marathon, der erste war auch Kassel vor drei Jahren. Sie hat sich um 18 Minuten verbessert. Robin hat wenige Minuten vor ihr seinen ersten gefinisht. Herzlichen Glückwunsch!
Ich erlebe noch, wie Paulina ins Ziel kommt und wie die Staffeln geehrt werden. Die Jungs vom TSV Niederelsungen haben ihr Ziel erreicht und die Staffel gewonnen. Sie bekommen gerade einen schönen Pokal überreicht. Letztendlich waren mit Nachmeldungen über 6700 Starter dabei. Den Marathon finishten 197 (158 Männer, 39 Frauen). Mir ist nicht bekannt, wie viele der Besenwagen einkassiert hat, hier ist nach 6 Stunden Zielschluss.
Die Streckenposten waren auch in der zweiten Runde sehr motiviert und hatten viele aufmunternde Worte. Habt ihr wirklich toll gemacht! Bei der Verpflegung würde ich mir für die Langdistanz eine Optimierung in der zweiten Runde wünschen. Entlang der Strecke waren mehrere Dixis geparkt. Die Streckensperrungen waren professionell und sehr sicher. Kassel hat mir sehr gut gefallen, eine schöne abwechslungsreiche Strecke, die durchaus einen zweiten Besuch wert ist.
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Frauen