Dies als Warnung vorab. Es ist der 05.08.2006, 11.00 Uhr. Ich sitze im Auto und fahre von Gera nach Rostock, eine Strecke, die normalerweise in 4 ½ Stunden zurückgelegt ist. Ich stelle mir vor, dass ich spätestens gegen 16.00 Uhr Marathonatmosphäre auf dem neuen Markt in Rostock erleben kann. Doch es sollte ganz anders kommen.
Bis kurz vor dem Dreieck Potsdam läuft alles nach Plan. Doch dann geht nichts mehr. Baustellen und Unfälle wechseln sich ab, nur ab und zu wenige Kilometer freie Fahrt. Aber das einzige, was mich bei diesem komfortablen Zeitpolster etwas aufhorchen lässt, sind die aus Norden angekündigten ergiebigen Niederschläge. Und tatsächlich: Aquaplaning gibt es auch für kurze Zeit. Aber so wie das Wetter dann zusehends besser wird, schmilzt der Zeitvorsprung dahin.
Um 18.00 Uhr, dem Marathonstart, sitze ich immer noch im Auto und bin gerade am Ortseingang Rostocks angekommen. Jetzt muss ich verständlicherweise - bedingt durch den Marathon - auch noch einen Stau in Rostock hinnehmen. Ich fahre weiter. Ich bin ja nicht zum ersten Mal in meinem Leben nach Rostock gefahren, um gleich wieder umzudrehen und heim zu fahren. Ich will Rostock laufend erleben. Und der Lauf beginnt, sobald ich den Wagen in einem Parkhaus abgestellt habe.
Zunächst eile ich zur Startnummernausgabe im historischen Rathaus. Die Damen dort haben schon von Staus gehört, meinen aber, ich würde den Halbmarathon laufen wollen. Aber sie sehen in meinem Gesicht, dass es mir mit dem Marathon doch ernst ist, und dann geht alles ganz schnell: Startnummer, Finisher-T-Shirt, Erklärungen, wo das Gepäck aufbewahrt wird, wo sich die Toiletten befinden und wo ich den Rennleiter sprechen kann. Perfekt. Der Lauf geht weiter.
Der Rennleiter überlegt kurz, gibt dann aber schnell das o.k., nachdem ich versprochen habe, vor 24.00 Uhr im Ziel zu sein. Allerdings weiß er nicht, ob die Straßen noch frei sind, also muss ich etwas genauer hinsehen und zur Not den Bürgersteig nutzen. Kein Problem. Aber der Computer spielt nicht mit. Er kann nur die Brutto-Zeit angeben. Egal. Jetzt habe ich nur noch eine Frage: Wie finde ich die Strecke? Immer gerade aus, und in Kurven weist eine blaue Linie den Weg. Los geht’s. Es ist 18.37 Uhr. Und Rostock erhält den ersten Bonuspunkt für Flexibilität.
Ich habe Glück. Die Straßen sind noch abgesperrt, ich habe freie Bahn. Das Wetter ist perfekt: Bewölkt, ab und zu strahlt die Sonne ein wenig, etwa 18-20 Grad C. Nach einer Schleife über die Lange Straße geht es zum Stadthafen. Allein durch Rostock. Manche schauen mich mit großen Augen an, darauf kann ich jetzt keine Rücksicht nehmen. Aus einem vor einer Ampel stehenden Auto werde ich gefragt, ob ich erster im Halbmarathon bin. Ja, richtig? Und dieser enorme Vorsprung! Nein, die Wahrheit muss raus: Ich versuche, den Besenwagen einzuholen. Halte durch! Und ob! Ich habe schon durchgehalten. Heute stand der erste Stau-Ultra auf dem Programm.
Das Hafenareal ist eine sehr attraktive Teilstrecke, die bis etwa km 6 reicht. Manchmal frage ich mich, ob ich wirklich die richtige Strecke laufe. Am Hafen wird man hin und her geschickt. Aber immer zeigt die blaue Linie zuverlässig den Weg. Verlaufen ist unmöglich. Und dann führt die Strecke direkt am Wasser vorbei und der weite Blick sorgt für eine schöne Entspannung.
Leider sind die ersten Verpflegungsstände schon abgebaut. Dabei wäre es jetzt wichtig, ein paar Kohlenhydrate aufzunehmen. Also weiter.
Irgendwann werde ich den ersten Stand schon erreichen. Und bei km 9 ist es soweit. Der THW-Wagen hat zwar schon alles eingepackt und will gerade losfahren, aber ich erlaube mir, nach der Speisekarte zu fragen. Und der Fahrer schließt den Wagen auf und drückt mir als erstes einen Apfel in die Hand. Ja, den nehme ich jetzt auch. Und dann eine Flasche Wasser. Jetzt geht es mir schon besser.
Unterwegs sehe ich einen Mann mit einem Haufen grüner Bananen. Gut gemeint, aber die sehen mir doch etwas zu unreif aus und ich laufe weiter. Man hat überhaupt nicht den Eindruck, durch Rostock zu laufen. Die Laufstrecke ist von Landschaft pur umgeben.
Der nächste Verpflegungsstand ist das Highlight überhaupt: Die Helfer aus dem THW-Wagen hatten berichtet, dass da noch einer nachkommt, und so war der Verpflegungsstand wieder aufgebaut worden, mit allem was das Läuferherz begehrt: Riegel, Gel-Chips, Obst, Getränke aller Art standen da, und ich brauchte nur noch nach Herzenslust zugreifen. Fantastisch! Auch an dieser Stelle noch einmal ein herzliches Dankeschön an alle Helfer/innen für diese Zugabe! Und bei diesem Service sollte es noch nicht einmal bleiben. Der Fahrer des THW-Wagens sagte mir unterwegs auch noch, wie viel Minuten ich ungefähr noch vom Besenwagen entfernt bin. Dreißig, zwölf, sechs Minuten - nach ca. 2 Stunden Lauf hatte ich ihn endlich eingeholt. Ein gutes Gefühl.
Die Strecke wird immer besser: Jetzt führt sie an der anderen Uferpromenade vorbei mit einer wunderbaren Aussicht auf die Stadt. Es geht dann - wieder durch Landschaft - nach Krummendorf, auch die Sonne lässt sich sehen und beschert ein schönes Abendrot. Ich laufe ein Stück mir Klaus-Rainer Martin von der DUV, der den Lauf ebenfalls genießt und aus seinem Läuferleben erzählt. Auch mit 68 Jahren lässt er nicht locker. Auch er war dieses Jahr in Biel.
Einzigartig ist auch etwa bei Km 25 der Lauf durch den Warnow-Tunnel. Wenn drei Streckenposten applaudieren, klingt das, als wären es dreißig. Langsam bricht die Dämmerung herein, und es geht zurück in die Stadt. Und immer wieder überraschen die Zuschauer. Sie stehen nicht unbedingt am Straßenrand, sondern auf den Balkonen ihrer Wohnungen – auch aus dem 11. Stock - und applaudieren für jeden einzelnen Läufer. Rostock, so gefällst Du mir.
In der Dunkelheit sieht man die blaue Linie nicht mehr so gut, aber es stehen so unglaublich viele Helfer/innen an den Straßen, dass der Läufer immer weiß, wohin er laufen muss. Und die letzten Kilometer führen wieder durch das Hafengebiet, das sich auch jetzt in der Dunkelheit eindrucksvoll präsentiert.
Bei Km 41 wird wie zu Beginn noch einmal eine Schleife über die Lange Straße gelaufen, und dann ist das Ziel erreicht. Auf dem Marktplatz herrscht eine prächtige Stimmung. Der Abend ist noch nicht vorbei. Nach dem Lauf werde ich von meinen „speziellen Unterstützer/innen“ gefragt, wie es denn war. Ich antworte kurz und knapp: Es war und ihr ward einfach Klasse!
Fazit: Der Nachtmarathon in Rostock bietet eine abwechslungsreiche, schöne Strecke und eine Veranstaltung, die ihr Geld wert ist!