Am fünften August um 18 Uhr standen 186 Starter unter dem blauen Banner von Rostocker Bier an dem Stadthafen in der Haedgehalbinsel für die zum zwanzigsten Mal ausgetragenen Hella Marathon Nacht bereit. Im Gegensatz zu den Tagen davor war es mit 21 Grad nicht zu warm und es wehte auch nur eine leichte Brise. Also insgesamt recht gute Bedingungen.
Mir gefiel die Idee, den Start in die Abendstunden zu verlegen und die Strecke machte auch einen vielversprechenden Eindruck. Also habe ich mich kurz entschlossen angemeldet. Ein kleines Problem bestand darin, eine bezahlbare Unterkunft zu finden. In Rostock selbst war keine Übernachtung unter 200 Euro pro Nacht zu bekommen, da ein paar Tage später die Hanse Sail bereits ihre Schatten voraus warf.
Letztendlich habe ich in dem 50 Kilometer entfernten Güstrow Quartier bezogen und bin zum Start eine Station mit dem Regionalzug 5 angereist. Eine kleine Herausforderung war, dass der letzte Zug zurück um 23.32 am Hauptbahnhof abfuhr. Es war also klar, dass ich nach vier Stunden wieder da sein sollte, um noch in den Genuss einer Massage zu kommen und mit der Straßenbahn wieder zum Hauptbahnhof zu fahren.
Bei der Anreise wurde mir am Bahnhof gesagt, dass die Straßenbahnlinien 2 und 3 derzeit nicht fahren und somit nur die Linie 5 vom Kröpeliner Tor übrig blieb. Das erinnerte mich an ein früher im Schwäbischen bekanntes Lied, bei dem es auch darum geht, die Straßenbahn der Linie 5 noch zu bekommen.
Da man mit süddeutschem Akzent erfahrungsgemäß im Norden nicht immer verstanden wird, habe ich bei der Abholung der Startunterlagen statt meinem Nachnamen meine Startnummer, die 1193 angegeben. Die freundliche Helferin teilte mir mit, dass sie in Rostock auch jemanden kennt, der den Nachnamen Weippert hat. Ich habe ihr dann erzählt, dass dieser Name von einem böhmischen Dorf – heute Viperty – in der Nähe von Oberwiesental kommt. Als ich vor Jahren während meiner Zeit in Johannesburg mich in ein Wählerverzeichnis eingetragen habe gab es dort auch schon einige Weipperts. Da sieht man doch mal, wie sich die Menschen über Generationen hinweg so verteilen.
Da ich noch recht früh dran war, machte ich erst mal von einer der vor der Bühne in der Sonne aufgestellten Liegen Gebrauch und schaute dem Treiben auf dem sich langsam füllenden Platz zu. Auch wenn es für mich die erste Teilnahme war, sehe ich die Entscheidung, den Start vom Neuen Markt in den Stadthafen zu verlegen, als sehr gelungen an. So konnte man vor dem Rennen und später die lange Start- und Zielgerade am Wasser entlang richtiggehend genießen.
Pünktlich um 18 Uhr wurden wir also auf die Strecke geschickt. Zunächst immer der Wasserlinie entlang, bevor die erste Querung der Warnow anstand. Insgesamt sah der Streckenverlauf vor, sechsmal die Warnow zu queren. Nach einer kleinen Runde auf der anderen Seite ging es also wieder zurück zum Startbereich an den Stadthafen um nach der dritten Querung durch den Stadtteil Gehlsdorf flussaufwärts Richtung Ostsee zu laufen. Bei Gehlsdorf wurde mit mehr als sieben Metern über dem Meeresspiegel bereits der höchste Punkt der Strecke erreicht. Der Anstieg dorthin war sowohl bei km 4 und bei km 11 gleich zweimal zu bewältigen. Fast schon alpine Verhältnisse.
Zudem wehte den Läufern eine leichte Brise entgegen. Nun denn, längst nicht so schlimm, wie von mir im Vorfeld befürchtet und von der Richtung her sehr vorteilhaft, da auf dem Rückweg sogar etwas Rückenwind zu erwarten war. Von der Anhöhe aus hatte man eine schöne Aussicht auf die Stadtsilhouette auf der anderen Flussseite. Der Untergrund wechselte nun für ein paar Kilometer von Asphalt auf einen befestigten Schotterweg. Es wurde im Vorfeld darauf aufmerksam gemacht, dass nach Einbruch der Dunkelheit bei dem Rückweg insbesondere dieser Abschnitt Probleme machen könnte.
Ich lief einige Zeit mit dem Pulk um die beiden 03:45 Paceläufer in der Hoffnung, vielleicht etwas Windschatten zu ergattern. Bei der Kilometermarkierung 12 herrschte etwas Konfusion, da unsere Laufuhren bereits etwa 500 Meter mehr anzeigten. Vielleicht ist uns irgendwo auf dem anfangs etwas verwinkelten Weg ein kleiner Fehler unterlaufen.
Nun war die Frage für die beiden Paceläufer, ob man das Tempo von etwa 5:20 pro km beibehalten, oder etwas schneller laufen sollte, um die 3:45 Zielzeit zu gewährleisten. Letztendlich hat man sich darauf geeinigt, die Gruppe aufzuteilen, wobei Linda Kays den hinteren Teil übernahm und Kevin Wolf die vordere Untergruppe anführte. Insgesamt gab es für Zielzeiten von 3:30 bis 4:30 Paceläufer. Ein sehr besonderer Service, den man in Anbetracht der bislang noch nicht so hohen Teilnehmerzahlen sehr hoch anrechnen muss. Meine Bewunderung gilt auch diesen Athleten, die oftmals von sehr weit her anreisen, eigentlich viel schneller laufen könnten, sich aber in den Dienst von Hobbyläufern wie mir stellen.
Da ich mich nicht wirklich entscheiden konnte, lief ich fortan zwischen diesen beiden Gruppen und ließ mir den leichten Gegenwind ins Gesicht wehen. Frische Seeluft soll ja sehr gesund sein. An den Verpflegungsständen wurde man reichlich mit Wasser, ISO-Getränk und Bananen versorgt. Darüber hinaus habe ich an einem der zahlreichen Schlehenbüsche eine blaue Frucht gepflückt um den Kern für die nächsten Kilometer im Mund zu behalten. Dies soll – so habe ich das mal irgendwo aufgeschnappt – das Durstgefühl unterdrücken und den Speichelfluss etwas fördern. Unvergessen, wie ich einmal vor einigen Jahren beim Schwarzwaldmarathon bei Kilometer 27 auf einem Stück Weißbrot herum gekaut habe, nur um es bei Kilometer 29 wieder ausspucken zu müssen, da mein Mund zu trocken war, um es herunterschlucken zu können. Vielleicht wäre das damals nicht passiert, wenn ich rechtzeitig einen Schlehenkern zu mir genommen hätte.
Anders als bei vielen anderen Marathons begleiteten uns die Teilnehmer vom Halbmarathon erst auf der zweiten Streckenhälfte, sodass man bis hin zu der Halbmarathonmarke weitgehend für sich alleine laufen konnte. Vor der Einfahrt in den Warnowtunnel standen dann mehr als 600 Läufer zum Start für ihr Rennen bereit. Viele von ihnen würde ich sehr bald wiedersehen.
Doch zunächst stand die Unterquerung der laut Wikipedia ersten privatwirtschaftlich betriebenen Fahrstrecke Deutschlands im Durchgangsverkehr an. Es ging runter bis 26 Meter unter den Meeresspiegel und war damit möglicherweise der niedrigste Punkt, den ich bislang rennend passiert habe. Der Schlehenkern entfaltete langsam seine Geschmackswirkung und ich war noch immer recht guter Dinge.
Auf der anderen Tunnelseite wartete eine kleine Schleife durch das Gelände der internationalen Gartenbauaustellung von 2003 bis hin zum Schifffahrtsmuseum Warnemünde. Auf dem Rückweg begannen mich die schnellsten Halbmarathonis nach und nach zu überholen und wir liefen abermals durch den Tunnel. Vielleicht sollte ich mich nachher bei dem Veranstalter wegen der vielen Höhenmeter beschweren. Schließlich bin ich ja eigens aus dem Süden angereist, um mal – anders als bei meinem Wohnort am Fuße der Schwäbischen Alb – nicht dauernd bergauf oder bergab zu laufen.
Dies ist natürlich scherzhaft gemeint. Meine Hochachtung gilt den Organisatoren, die diese tolle Veranstaltung möglich gemacht haben. Auch wenn manches etwas ungewohnt war, so überwiegen doch die tollen Eindrücke, die man auf der Strecke haben durfte und das maritime Flair, das diesen Lauf so einzigartig macht.
Der Weg zurück in den Stadthafen wurde dann doch etwas beschwerlicher als gedacht. Zunächst verlor ich aus Versehen bei der Aufnahme von einem Gel den Schlehenkern, der mich so lange treu begleitet hatte und dann tauchte bei Km 35 tatsächlich eine weitere leichte Steigung auf.
Ich entschied mich dafür, eine kurze Gehpause einzulegen. Schließlich musste ich mir ja noch etwas Kraft aufsparen für die Straßenbahnaktion. Am Ende von dem langen Straßenabschnittes nach Gehlsdorf war eine Wasserdusche installiert. Aber so heiß war mir dann doch nicht.
Zusammen mit den 01:45 Halbmarathonis ging es wieder in Richtung Stadthafen. Den Aufstieg zu der Brücke für die letzte Warnowquerung musste ich abermals gehend bewältigen. Fairerweise sollte man vielleicht erwähnen, dass dies weniger an den topografischen Gegebenheiten lag, sondern eher an den von mir zu wenig im Vorfeld getätigten langen Vorbereitungsläufen. Die letzten beiden Kilometer waren dann – wenn auch etwas langsamer als gewohnt – Vergnügen pur an der Wasserkante! Gegen 21:48 kam ich im Ziel an und hatte noch reichlich Zeit für die Rückreise. Auf Duschen und eine Massage habe ich trotzdem verzichtet und mich dafür der üppig bereit gestellten Zielverpflegung gewidmet.
Insgesamt kann dieser Lauf für mich als ein herausragendes Ereignis verbucht werden. Da ich mir sicher bin, dass diese Veranstaltung einen festen Platz in den Marathonkalendern der kommenden Jahre haben, und die Teilnehmerzahl ansteigen wird, empfehle ich Nicht-Einheimischen, sich vielleicht frühzeitig um eine Übernachtung zu kümmern.
Für mich stand aber dieses Mal die Rückfahrt nach Güstrow an, die noch recht interessant wurde. Die Straßenbahn vom Kröpeliner Tor habe ich weitgehend problemlos bekommen und es war sogar noch etwas Zeit, um in einem Späti beim Bahnhof noch ein Rostocker Bier für die Heimfahrt zu kaufen. Am Abend hatte der FC Hansa Rostock sein Heimspiel gegen Arminia Bielefeld gewonnen und so fuhren sehr viele gut gelaunte Anhänger auch im Zug. Als einer der Fans fragte, ob ich Bier bei mir habe, reichte ich ihm bereitwillig die Flasche mit dem blauen Etikett. Nach einiger Überlegung wurde mir das Bier wieder zurückgegeben. Über den Grund hierfür kann ich natürlich nur spekulieren. Entweder war mein insgesamt etwas ramponiertes Erscheinungsbild doch etwas mitleidserregend, oder aber ist es mit dem Ruf von dem Rostocker Bier nicht allzu weit her. Ich habe das Bier dann eben selbst getrunken und fand es recht annehmlich.
Ziemlich pünktlich kamen wir kurz vor Mitternacht in Güstrow an. Ein paar der Fans boten mir netterweise an, mich vom Bahnhof zum Hotel zu fahren. Ich bin dann aber doch zu Fuß gegangen. So konnte ich noch in Ruhe das Bier austrinken und den Abend gemütlich mit einem kleinen Regenerationsspaziergang ausklingen lassen.