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Laufberichte

Die mit dem Schießprügel laufen

20.11.05
Autor: Klaus Duwe

Nach dem „Zmorgebuffet" geht's mit Marschmusik zum Startplatz

 

Unser liebenswerter Nachbar Schweiz hat so seine Eigenheiten und Spezialitäten. Manche machen ihn beliebt und begehrt (Käse, Berge und Uhren), manche reich (Bankgeheimnis) und andere sind gar nicht so bekannt. Dazu zähle ich mal die Waffenläufe.

 

Läufe mit Waffen gab es schon in der Antike. Auch andere Länder schicken ihre Soldaten „bewaffnet“ zu Laufwettkämpfen. Doch der Waffenlauf an sich, mit Meisterschaften und allem Drum und Dran, das ist eine rein Schweizer Angelegenheit. Allerdings dürfen heute auch Angehörige von Armeen anderer Länder daran teilnehmen. Jahrelang war das verboten.  Seit 1986 sind auch Frauen zugelassen.

 

1934 gelang dem Waffenlauf in der Schweiz mit dem ersten Frauenfelder Militärwettmarsch der Durchbruch. Noch heute gilt der „Frauenfelder“ als der König der Waffenläufe. Auch, weil er als einziger über die Marathondistanz von 42,195 Kilometer geht. Alle anderen Läufe haben eine Länge von 11 bis 27 Kilometern.

 

Das Reglement schreibt als Ausrüstung Bluse und Hose des Tarnanzuges vor. Der Rucksack (schweizerisch: Packung) und das Gewehr müssen zusammen mindestens 6,2 Kilogramm (bei Frauen 5 kg) wiegen. Längst sind zivile Laufschuhe zugelassen und die Schießeinlagen, die es früher gab, sind weggefallen. Seit 1967 gibt es die Schweizer Meisterschaft im Waffenlauf.

 

Am Sonntag in aller Früh stehe ich auf dem Hof der Frauenfelder Stadtkaserne. Es ist kalt, Zürich Flughafen meldet Minus 10 Grad. Vereinzelt treffen die ersten Läufer ein. Manche in Zivil, manche schon in Uniform. Alle haben sie einen merkwürdigen Rucksack dabei, in dem entweder das Sturmgewehr (das sind die Soldaten, die noch aktiv an Schießübungen teilnehmen und ihre Waffe zu Hause verwahren) oder ein altertümlicher Karabiner verstaut ist.

 

In der Kaserne ist alles gerichtet, Nachmeldungen gehen schnell und in der Kantine gibt es für 5 Franken ein spezielles „Zmorgebuffet“. Dafür kriegt man eine Schüssel Kaffee, Marmelade, Butter, Käse und Brötchen.

 

Zu meiner Zeit bei der Bundeswehr war es absolut verboten, zur Uniform zivile Kleidungsstücke zu tragen. Als sich die Waffenläufer eine halbe Stunde vor dem Start im Kasernenhof zum Appell versammeln, muss ich lachen. Richtig lustig sehen sie aus, die Waffenläufer in ihrem Mix aus Uniform und Laufdress. Dann heißt es „stillgestanden!“und die Jubilare werden für ihren 10, 20 oder 50. Waffenlauf geehrt.

 

Mit Blasmusik geht es dann von der Kaserne durch die Stadt zum Marktplatz. Drei Offiziere mit der Schweizer Fahne führen den Zug an. Quer über den großen Marktplatz ist aus Sägespänen eine Linie gezogen. Die 241 Waffenläufer und 21 Waffenläuferinnen stellen sich nebeneinander entlang der Linie auf.  Etliche Bewohner haben sich auf dem Marktplatz versammelt.

 

Dann ist es 10 Uhr, eine Riesen-Stichflamme und ein lauter Knall aus der Kanone. Die Läuferinnen und Läufer rennen unter dem Gejohle der Zuschauer wie verrückt pfeilförmig auf die Straße am Ende des Marktplatzes zu, die wie durch ein Wunder auch alle unfallfrei erreichen. Ein Schauspiel, wie ich es noch nie erlebt habe.

 

Die Musikkapelle spielt Marschmusik. Es ist zu kalt, um rum zu stehen. Jeder ist irgendwie in Bewegung. 30 Minuten nach den Waffenläufern startet der „Marathon der Zivilläufer“ dann nicht ganz so spektakulär.

 

Jeder ist froh, dass es losgeht. Ich habe eiskalte Hände und Füße. Zeit zum Einlaufen bleibt nicht, es geht gleich bergauf. Nach vier Kilometer ist die Wohlfühltemperatur erreicht und ich könnte meine Handschuhe verschenken. Einen guten Kilometer geht es jetzt abwärts nach Matzingen, wo bei km 5 die erste Verpflegungsstelle eingerichtet ist. Ich laufe einen Schnitt von 6,5 Minuten für den Kilometer und bin Drittletzter. Mir ist das Wurscht. Um 12.45 Uhr startet  in Wil der Halbmarathon und ich will unter gar keinen Umständen wieder von über 1.000 Läuferinnen und Läufern „überrollt“ werden, wie letzte Woche beim Maratona Ticino.


Meine Zielzeit für den Halbmarathon liegt also über 2:15 Stunden. Die Strecke geht immer rauf und runter, längere flache Passagen gibt es auf der ersten Hälfte nicht. Die Anstiege, es sind auch einige recht giftige dabei, addieren sich auf 520 Meter, davon sind 370 auf der ersten Hälfte. Langeweile gibt es nicht. Es geht durch Felder, Wiesen und Obstplantagen, immer wieder werden schmucke Bauernhöfe passiert und in der Ferne sieht man im Dunst schemenhaft die Berge.

 

Die Sonne hat sich zunächst gegen den Nebel durchgesetzt.  Trotz der Kälte stehen an jedem Hof und in jedem Ort ein paar Leute, beklatschen die Läuferinnen und Läufer und feuern sie an.

 

Rechts unten liegt Wängi, deutlich zu erkennen an den zwei Kirchtürmen, der eine schlank der andere breit und wuchtig. Kilometer 9 ist erreicht und es beginnt ein ungefähr 3 Kilometer langer Abschnitt mit 150 Metern Anstieg. Die A 1 wird überquert und nach ungefähr 14 Kilometern wird Eschlikon erreicht und die zweite Verpflegungsstelle. Kurz darauf überhole ich den ersten Waffenläufer. Es ist ein älterer, zäher Kämpfer, der unbeirrt und routiniert die Kilometer abspult.

 

Bei Kilometer 15, noch in Eschlikon, geht es zuerst unter der Bahnlinie durch, dann steil bergauf und schließlich parallel zur Bahn im ständigem Auf und Ab weiter. Wir kommen durch Sirnach und dann zur Abwechslung auch mal durch ein Stück Wald. Immer öfters überhole ich einzelne Waffenläufer. Rechts kann ich einige Schnee bedeckte Alpengipfel sehen. Wieder überqueren wir die Autobahn.

 

Mein Timing stimmt. Gegen 12.50 Uhr erreiche ich die ersten Häuser von Wil, komme in die schon weihnachtlich geschmückte Fußgängerzone. Es ist viel Betrieb und man könnte denken, es sei verkaufsoffener Sonntag. Aber es ist Waffenlauf und Wil spielt da eine wichtige Rolle. Viele feuern die Läuferinnen und Läufer an und wollen dann beim Start des Halbmarathon dabei sein.

 

Als ich nach einer Schleife durch das Schnetztor zum Hofplatz komme, ist das meiste vorbei und ich kann diesen prachtvollen Platz mit den vielen historischen Gebäuden auf mich wirken lassen. Beim Lauf durch die enge Straße hinunter zur Fußgängerzone muss ich immer wieder die herrlichen Laubengänge und Fachwerke bewundern. 

 

Es geht wieder ein Stück aufwärts und oben, mitten auf der Wiese ist die nächste Getränkestelle. Jetzt gibt es zu den sonst üblichen Getränken (Tee, Rivella, Marathon, Boullion) auch noch Cola und Red Bull. Nach einem kurzen Cross-Lauf die Wiese abwärts sind wir auf dem guten, geteerten Weg, auf dem wir es ungefähr 4 Kilometer meist mit leichtem Gefälle einfach rollen lassen.


Ich laufe schon eine ganze Zeit mit Sigune, die mir Renate schon vor dem Start vorgestellt hat. Nach ein paar Kilometern habe sie eingeholt. Seither ist sie immer in Sichtweite, mal vor, mal hinter mir. Und zwischendrin gibt es immer wieder nette Gespräche. Zuerst erklärt sie mir den germanischen Ursprung ihres Namens und dann ihr Hobby: Bergsteigen. Aber nicht so, wie ich das auch gerne mache, sondern richtig. Ihr größtes Abenteuer war ein 8.000er mit einer Expedition von Ralf Dujmovits, der ganz in meiner Nähe, in Bühl, wohnt. Die 4.000er der Alpen sammelt sie regelrecht und hat die 64 bald voll. Der Marathon hier gehört zu ihrem Vorbereitungsprogramm zur Expedition auf den knapp 7.000 Meter hohen Cerro Aconcagua in Argentinien, dem höchsten Berg Amerikas. Ich kann gar nicht genug davon hören.

 

Auf dem zweiten Streckenabschnitt fallen mir verschiedene Dinge auf. Die Verpflegungsstellen sind zahlreicher und sehr abwechslungsreich bestückt. Es gibt Süßigkeiten, Gebäck, Kuchen und Brot. Die nicht mehr ganz so beschwerliche Strecke ist noch abwechslungsreicher und hat auch längere Waldpassagen, wie jetzt nach St. Margarethen (km 28). Wir kommen nach Lommis (km 30) und gleich darauf erfahren wir, dass es ganz ohne Steigungen doch nicht geht. Bei Weingarten geht es einen Stich ganz kräftig hoch. Ich lass mich hängen und gehe die 100 Meter. An der Getränkestelle gibt es unter anderem auch Zucker- und Schnaps-Wasser. Auf Wunsch gibt’s den Schnaps auch unverdünnt. Ist aber nichts für Sigune und mich, wir traben weiter. Die verrückten, schneebedeckten Bergpyramiden am Horizont sind die „Sieben Kurfürsten“, erklärt mir Sigune.

 

Ich muss mich immer wieder wundern, dass in den Siedlungen und Ortschaften auch jetzt noch  ein paar Leute stehen, die die Läufer anfeuern. Irgendwo bei km 33 haben sie vor einer Kneipe sogar einen Grill und ein paar Festbänke aufgestellt. Neben Waffenläufern können wir auch ein paar Marathonis überholen, und sogar der eine oder andere Halbmarathonläufer hat gegen unser gleichmäßiges Tempo das Nachsehen. Wir kommen nach Stettfurt und dann zu einem weiteren Anstieg, den wir aber problemlos im Laufschritt nehmen. Dann sind wir für kurze Zeit auf dem Streckenabschnitt, den wir vom Hinweg kennen. Deshalb weiß ich, dass bei Kilometer 38 noch einmal ein kräftiger Anstieg kommt.

 

Dann ist es aber geschafft, es geht fast nur noch eben oder abwärts. Wir erreichen den  Stadtrand von Frauenfeld und laufen durch ein kleines Waldstück. Trotz des trüben Wetters sind hier viele Spaziergänger unterwegs. Alle haben sie ein „Bravo“ oder „Hopp, hopp, hopp“ für die Läufer übrig. Wir kommen in ein bestimmt sehr teures Wohngebiet mit schönen Villen und großen Gartenanlagen. Auch hier feuern uns immer wieder Gruppen von  5 – 10 Leuten an. Letzter Kilometer. Ein paar Mal noch  rechts und links, dann ist das Ziel auf dem Platz hinter der Kaserne erreicht. Ein paar Leute sind noch da und klatschen Beifall.

 

In der Halle gibt es zu trinken und die Auszeichnung. Ich kann wählen: Medaille, Pramiengutschein oder ein Glas Honig. Ich bin ein praktischer Mensch und nehme den Honig.


Gleich bin ich in der Kaserne, wo warme Duschen und Umkleiden für Männer und Frauen zur Verfügung stehen.

 

Streckenbeschreibung

Sehr abwechslungsreicher und landschaftlich schöner Rundkurs durch Felder, Wiesen und kleine Ortschaften. Insgesamt 520 HM, davon 370 auf der ersten Hälfte. Höhepunkt sind die Startplätze Frauenfeld (Waffenlauf und Zivil-Marathon) und Wil (Halbmarathon).

 

Verpflegung

Auf der ersten Hälfte etwas dürftig, dann aber ausreichend Getränke und Verpflegung (Rivella, Marathon, Tee, Bouillon, Wasser, Bananen, Kuchen, Schokolade, Brot)


Logistik

Stadtkaserne ist gleich beim Bahnhof. Parkmöglichkeiten in der Nähe. In der Kaserne Startunterlagen, Duschen und Kleiderdepot.

 

Zeitnahme

Manuell

 

Informationen: Frauenfelder Marathon
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