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Laufberichte

Übermut – Hochmut - Demut

 

Alles hat einen Grund, auch der Titel dieses Laufberichtes. Ich fange ganz von vorne an.

Seit 2007 wandere ich mit einigen Vereinskollegen in den Alpen. Von Hütte  zu Hütte, ohne Talaufenthalt in der Woche, so können wir abschalten und den Stress hinter uns liegen lassen. Wir feiern Jubiläum, das zehnjährige, ein Grund für eine besondere Tour, die uns in diesem Jahr wieder an den Hauptkamm der Alpen führt.

Erst spät in meiner Planung stelle ich fest, dass nach der Rückkehr vom Berg die Bayerischen Marathonmeisterschaften just in die Fränkische Schweiz vergeben wurden. Einmal in Jahr ohne Kamera und Schnickschnack auf die Strecke, quasi back to the roots. Es gibt nur ein Gas, so ein Vereinsfreund, und das ist Vollgas. Und das will ich geben. Vielleicht reicht es wieder aufs Podium, wo die ersten acht der Klasse aufgerufen und geehrt werden. Aber geht das überhaupt, nach sieben intensiven Tagen und unzähligen Höhenmetern bei nur einem Ruhetag (am Samstag) einen Angriff auf eine gute Marathonzeit zu versuchen? Aber wer es nicht wagt, hat schon verloren, heißt es doch.

2015 hat man beim FSM, so die Kurzbezeichnung für den Fränkische Schweiz Marathon, die Strecken ein wenig geändert. So gibt es nur mehr einen Startort, und der ist Ebermannstadt, ein kleines Städtchen inmitten der Berge der Fränkischen Schweiz. Am Wettkampftag kann man zehn Kilometer laufen, beim Halbmarathon oder beim Ganzen teilnehmen. Es sich auch noch Staffelrennen vorgesehen, wo sich Vereins- und Freizeitmannschaften finden können. Inliner und Handbiker können sich ebenfalls auf der für den öffentlichen Verkehr gesperrten B 470 austoben. Am Samstag wird der Nachwuchs auf die Strecke geschickt und Freizeitläufer können beim 1/10-Marathon erste Wettkampfluft schnuppern. Überhaupt, entlang der Bundesstraße können sich nach den Rennen alle mittels Rad, Inliner oder zu Fuß vergnügen. Verhungern und verdursten braucht an diesem Tag auch keiner, denn viele Vereine haben Streckenfeste organisiert.

Man sollte nur bis 07.00 Uhr Ebermannstadt auf der B470 erreichen, denn danach wird man von der Fernstraße abgeleitet und kann sich nur noch auf Nebenstraßen dem Startort nähern. So wie ich. Mir gelingt es aber sogar, noch einen Parkplatz unmittelbar beim Landratsamt am Oberen Tor zu finden. Der Empfang der Startunterlagen geht ohne Hektik vonstatten, die Startertüten sich bereits vorbereitet und das Gros der Läufer, die Halbmarathonis starten, erst gut zwei Stunden nach den Marathonis. Überhaupt, die zeitliche Abfolge der Läufe ist klasse geregelt. Die Handbiker und Inliner starten um 08.30 Uhr, 10 Minuten später die Marathonis. 30 Minuten später sind die 10-Kilometer-Läufer dran und um 10.45 Uhr die Halbmarathons. So ist gewährleistet, dass immer etwas auf der Strecke und im Ziel geboten ist.

 

 

Unser Kurs verläuft auf der B470 fünf Kilometer Richtung Forchheim, dort wird gewendet und zurückgelaufen, das ist auch die Strecke des Zehn-Kilometer-Bewerb. Die Marathonis laufen dann rund 16 Kilometer weiter im Wiesenttal Richtung Weiden bis Behringersmühle, wo gewendet wird. Die Halbmarathonis sind auf der gleichen Strecke, nur wenden sie einige Kilometer früher. So müssen die Marathonis nicht unbedingt viele einsame Kilometer abspulen, denn die letzten zehn Kilometer bist du dann als Langstreckler im Hauptfeld der Halbmarathonis unterwegs und kannst dich von denen ziehen lassen.

Pünktlich werden die wenigen Handbiker und die über 200 Inlinerfreunde auf ihre Strecke geschickt. Und dann sind wir an der Reihe. Die Meisterschaftsteilnehmer werden in den vorderen Block gebeten. Mein Plan ist das nicht, ich will lieber erst im Windschatten des 3.30 Stunden-Pacers laufen und dann mal schauen, was geht.

Startschuss, das Feld der 250 Marathonis setzt sich in Richtung Forchheim in Bewegung. Es ist trocken, die Sonne steht noch tief und wärmt noch kaum. Etwa 1,5 Kilometer laufen wir durch Ebermannstadt und dann geht es in die Natur. Rund 7000 Einwohner zählt die „heimliche Hauptstadt der Fränkischen Schweiz“, so nennt man sich aufgrund der Lage inmitten des Naturparks Fränkische Schweiz-Veldensteiner Forst. Von den Thüringern wurde der Ort 531 gegründet, die erste Erwähnung geht auf das Jahr 981 als kaiserliches „villa Ebermastadt“ zurück.

Schon am Ortsausgang hänge ich mich an den 3.30-Stunden-Zeitläufer dran, der mir aber ein wenig zu langsam unterwegs ist, ich laufe schließlich vorbei. Die Burger-Brüder Frank und Rüdiger quasseln in ihrem oberfränkischen Slang, dass sie ihr Rennen heute langsamer gestalten wollen, gehen sie doch noch in diesem Monat zum Spartathlon nach Griechenland.

Ich rolle gut dahin bis kurz vor dem Ort Weilersbach, dort wenden wir nach genau fünf Kilometer. Es geht zurück. Beim Blick nach Süden können wir den Hausberg Forchheims, das Walberla, sehen. Die richtige Bezeichnung des 531 Meter hohen Zeugenberges lautet eigentlich Ehrenbürg. Wie das Walberla zum Namen gekommen ist, ist nicht ganz sicher. Vermutlich stammt es aber vom Namen der heiligen Walburga. Eine Kapelle mit gleichem Namen steht auch da oben. Zeitnahme an der Wende, der Pacer ist etwa 200 Meter hinter mir.

Viele Zuschauer stehen nicht an der Strecke, jetzt dominieren noch die Radfahrer auf dem Radweg. Wir blicken nach Norden und können im Wald die Vexierkapelle sehen. Nach nur wenigen Minuten sehen wir dann schon die Silhouette von Ebermannstadt. Ich bin noch nicht lange unterwegs, da kommt auf der anderen Seite die Spitze des 10 Kilometer-Rennens entgegen. Gut 300 Sprinter haben sich für diesen Bewerb eingeschrieben. Unter den Läufern sehe ich auch Henriette. Ich rufe ihr hinterher, nicht zu lange einzulaufen, denn sie will ja den Halben meistern.

Als man noch in Forchheim startete, gab es die Strecke über 16 Kilometer, die in Ebermannstadt endete. Mit der Hereinnahme der 10 und 21 Kilometer hat man sich mehr Teilnehmer versprochen und das ist aufgegangen. Gleichzeitig hat sich der Organisationaufwand verringert, denn der Bustransport nach Forchheim und die aufwändige Streckenführung dort sind weggefallen.

Nach gut 45 Minuten laufe ich am Startgelände vorbei, es geht Richtung zweiter Wendepunkt in das idyllischer werdende Wiesenttal hinein. Schon am Ortsausgang kommen die ersten Steigungen, die zwar nicht übermäßig steil sind, doch ich spüre sie bereits deutlich. Auch die Temperatur ist angestiegen, es wird leicht schwül. Abkühlen können wir an den vielen Verpflegungsstellen, die auf der zweiten Schleife im Abstand von drei bis vier Kilometer kommen. Ich habe zwar den Schwamm in der Startertüte liegen lassen, doch das Wasser kann man sich ja auch mit dem Trinkbecher über Kopf und Körper schütten. Als Getränke werden Iso und Wasser, zum Ende hin auch Cola gereicht, als feste Nahrung liegen Bananen bereit.

Es ist jetzt etwas ruhiger auf der Strecke geworden, das Feld hat sich schon ordentlich auseinandergezogen. Aber schon kommen auf der anderen Seite die Handbiker, später dann auch die Inliner zurück. Die Gefällestücke rasen die mit einem Affenzahn hinunter. Dass es dabei kaum Stürze gibt, verwundert mich doch.

Etwas fürs Auge gibt es in Streitberg (Kilometer 14). Schöne, rassige Sambatänzerinnen, dazu passende Musik. Und viele Zuschauer. Sind die jetzt wegen uns gekommen oder wegen der Madln? Oder einfach wegen Bier, Wurst und Steak zum Sonntagsfrühschoppen? Ein Fernsehteam filmt offenbar ausschließlich die Tänzerinnen. Ich merke mittlerweile meine Beine und muss mein Tempo verringern. Habe ich zu schnell begonnen? Das frage ich mich, als die Burgerbrüder an mir vorbeiziehen, weiterhin quatschend.

Kilometer 15, ich blicke nach Süden auf das Wahrzeichen der Fränkischen Schweiz, die Burgruine Neideck, die auf einem Sporn oberhalb des Tales thront. Bereits im 12. Jahrhundert wurde die Vorgängerburg errichtet. Die Anlage wurde nach den Bauernkriegen im Zweiten Markgrafenkrieg in Brand gesteckt. Erst spät im 20. Jahrhundert begannen erste Erhaltungsmaßnahmen.

Hinter mir wir das Gerede lauter und dann muss ich die Gruppe um den 3.30 Stunden-Zeitläufer passieren lassen. Ich kann nichts entgegensetzen. Das wird noch lustig, ich habe noch nicht die halbe Strecke abgespult und muss abermals mein Tempo reduzieren. Das ist heute nicht mein Tag.

Hinter Muggendorf (Kilometer 18) beginnt der landschaftlich reizvollste Streckenabschnitt des Laufes. Neben uns plätschert die Wiesent vor sich hin, links und rechts der Straße sind immer wieder Felsformationen zu sehen. Das Fernsehteam hat mittlerweile die Dampfbahn Fränkische Schweiz ins Visier genommen. Im Sommerhalbjahr verkehrt diese zwischen Ebermannstadt und Behringersmühle. Schwer schnauft die Lok mit den vier, fünf Waggons am Haken flussaufwärts.

Etwa bei Kilometer 20,5 werden in Kürze die Halbmarathonis wenden, von denen ist noch nichts zusehen. Ich muss noch weitere sechs Kilometer im Wiesenttal weiter vorbei an der Sachsenmühle, wo früher der Wendepunkt für die Marathonis war.

Das Tal wird immer enger, wir laufen an der Stempfermühle vorbei, man könnte hier einkehren. Noch einen Kilometer bis zur Wende. An der Endstation der Dampfbahn steigen gerade die Bahnfahrer aus, eine Lok wird an den vorderen Zugteil angekoppelt. Und dann hören wir bereits die Musik vom Wendepunkt. Noch 500 Meter, noch 300, noch 100 und dann ist die Wende an einer Kreuzung nach Waischenfeld da. Moderation, Musik, jeder Läufer wird namentlich genannt. Verpflegung, es geht zurück.

Ich hoffe, dass ich mich fangen kann, denn bisher ging es fast nur bergauf, so mein Glaube. Was ich vergessen habe, sind die vielen Wellen, ich  natürlich auch auf dem Rückweg habe. Zwar geht es tendenziell bergab, doch die kleinen Gegenanstiege machen mich mürbe und kaputt. Übermut und Hochmut haben mich längst verlassen.

Jens Körner kommt von hinten, sieht, dass ich leide. In Görlitz habe ich ihn hinter mir gelassen. Jetzt hilft er mir und steckt mir ein Gel zu. „Nimm“, sagt er mir, und:  „Mach langsam weiter, nicht mehr mit Gewalt und später gut regenerieren“. Er geht nach vorne. Danke für deine Unterstützung. Der Zucker tut dem Körper gut.

Es dauert nicht lange, dann kommt abermals eine Gruppe von hinten, der 3.45er-Zeitläufer. Bei der ersten Wende ist mir aufgefallen, dass sie nur einen geringen Abstand zur 3.30er Gruppe haben. Sind sie zu schnell unterwegs? Das würde bedeuten, ich habe noch Puffer. Aber mein Bemühen, mich an die Gruppe dranzuhängen, ist erfolglos. Die Strecke zieht sich mittlerweile.

Nun muss ich bereits bei den V-Stellen stehenbleiben für eine gescheite Nahrungsaufnahme. Der Wendepunkt der Halbmarathonis kommt, noch 10,5 Kilometer. Die schnellsten Halbmarathonis sind bereits am Wenden. Auch dort gibt es Pacer, den mit 1.30 Stunden sehe ich auf der anderen Seite und nach wenigen Minuten werde ich von ihm überholt, rund 15 Leute im Gefolge.

Das Tal der Wiesent wird wieder weiter, die Ruine Neideck erscheint zu meiner Linken. Mittlerweile ist die Sonne von den Wolken verdeckt, die Temperatur ist angenehm und ich spüre leichte Regentropfen auf meiner Birne. Die Dampfbahn fährt zurück nach Ebermannstadt und lässt mich genauso stehen wie die schnellen Halbmarathonis. Mit fast 600 Läufern auf dieser Distanz ist das das der teilnehmerstärkste Bewerb.

Streitberg, noch gut vier Kilometer. Die Sambaband und die zwei Sambagirls unterhalten weiterhin die Besucher des Streckenfestes. Dort sind fast alle Plätze belegt. Bier fließt in Strömen, die Leute laben sich am Schweinernen mit Klöß. Die Kilometer sind jetzt länger als am Anfang, so kommt es mir vor. Der Hans-Peter wird mich für diese Bemerkung an den Ohren ziehen, denn er ist offizieller Streckenvermesser und übt seinen Job mit Akribie und Gründlichkeit aus. Lange Kilometer gibt es nicht.

Ich muss  an den V-Stellen Gehpausen einlegen und merke dabei, dass der Kreislauf runterfährt. Also wieder antraben nach 20 Meter, nicht dass mich der Schwindel umhaut.

Der letzte Anstieg nach dem Kilometerschild 40 tut weh. Die Zeit ist mir mittlerweile egal. Im Marschiertempo komme ich auch da noch hoch und gehe den letzten Kilometer nach Ebermannstadt an. Kurz vorher läuft jetzt auch noch der 4.00 Pacer auf und davon. Roland Blumensaat versucht mich mitzunehmen, vergeblich.

Der 42. Kilometer geht leicht bergab, die letzten Meter sind ausgeschildert. Noch 500 Meter. Noch 300 Meter. Ich höre den Moderator. Und dann durchlaufe ich das Ziel. Geschafft habe ich den Marathon (auf der letzten Rille) – aber ich bin total geschafft. Ich bleibe stehen, sofort geht der Kreislauf runter.  Tief durchatmen. Dann sehe ich im Augenwinkel auf der anderen Seite eine Bierbank bei den Sanitätern. Ich wanke hinüber, setze mich, werde Gottseidank von denen nicht beachtet. Die hätten mich sonst verräumt und mitgenommen. Aber vielleicht schaue ich doch nicht so schlecht aus. Ein paar Becher Cola stehen auf der Bank, ich schütte mir das schwarze Getränk hinunter und spüre, wie ich langsam wieder zu Kräften komme.

Eigentlich wollte ich mir die Kamera holen, doch ich kann mich nicht aufraffen. Henny müsste auch gleich kommen. Mittlerweile beginnt es zu regnen, sofort wird mir kalt, zumal auch der Wind auffrischt. Ich sitze keine zehn Minuten, da kündigt Moderator Michael Cipura Henny an. Ja, Hans-Peter hat es genau gesehen, sie ist die zehn Kilometer eingelaufen und dann den Halben „scharf“. „Die Henriette kriegt den Hals nicht voll“, so der Laufwart des BLV zu seinen Beobachtungen. Ein gutes Training zu ihren Marathonplänen.

Im Zielbereich erhalten wir Iso, Cola, Riegel und mein Lieblingsgetränk, ein alk-freies Weizen aus Bayreuth. Ja, Biergenuss gehört schon dazu, schließlich befinden wir uns in der Gegend mit der höchsten Brauereidichte.

Das nächste Mal laufe ich beim FSM wieder mit der Kamera, das ist weniger heftig. Heute bin ich mit meinem Übermut und Hochmut zum Ende hin sehr demütig geworden. „Du steckst das sicher weg, und das nächste Mal hilfst du mir“, sagt Jens schon frisch geduscht. Ja, versprochen. Zur Siegerehrung bei den Bayerischen habe ich es nicht pünktlich geschafft. Ich wäre als Fünfter der Klasse auf Podium gerufen worden. Die Urkunde und den Händedruck erhalte ich von Hans-Peter Schneider nachträglich.

Tipps für ein langes Wochenende:
Da empfehle ich eine Einkehr in einem gemütlichen fränkischen Wirtshaus. Jetzt gibt es wieder frischen Fisch. Der wird serviert in den Monaten mit einem „R“, also von September bis April. Und wer keinen Fisch mag, die Portionen mit Schäuferla mit Klöß oder Wildgerichten sind lecker und reichlich. Gleich am Marktplatz besteht die Möglichkeit dazu. Dazu ein einheimisches Bier aus einer der vielen kleinen Brauereien. Vielleicht ist auch ein Besuch in einer Höhle oder eine Schnapsverkostung drin.


Marathon (Nettozeit)
Männer

1. Addisu Tulu Wodajo, TV 1848 Coburg, 2.29.35
2. Berhanu Diro, CAV Quelle Fürth, 2.31.06
3. Sven Ehrhard, Team Memmert, 2.36.06

Frauen
1. Marija Vrajic, Maksimir Zagreb, 2.56.12
2. Maria Magdalena Veliscu, - 3.00.44
3. Eva Scheu, Team Finishline, 3.02.22

Bayerische Marathonmeisterschaft (Bruttozeit)
Männer

1. Addisu Tulu Wodajo, TV 1848 Coburg, 2.29.37
2. Sven Ehrhard, Team Memmert, 2.36.08
3. Timo Gieck, TV 1848 Coburg, 2.37.35

47. Anton Lautner, TSV 1862 Neuburg, 4.05.53 (5. in M55)

Frauen
1. Kristina Sendel, Team Icehause, 3.06.17
2. Tanja Dietrich, TSV Hollstadt, 3.18.18
3. Monika Stefan, LG Lkr Aschaffenburg, 3.27.38

 

Informationen: Fränkische Schweiz Marathon
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