Erfrischt geht es weiter, wieder auf die rechte Seite der Donau und durch die Natur hinein nach Beuron. Ein Schlenker führt durch und um das Dorf herum zum Kloster, wo wir wieder mit Tranksame versorgt werden und die Ablösung der Staffelläufer bereitsteht, um vom Startläufer den Chip entgegenzunehmen. Auf mein Rufen „Wo ist meine Ablösung?“ ernte ich von fragenden Blicken über lautes Lachen bis zum hämischen „Nichts da, das hast du dir selber eingebrockt“ alles, was man sich vorstellen kann.
Drei Kilometer weiter brandet mir die Welle entgegen. Weit und breit kann ich niemanden sehen, doch die Weißen Kalkwände des Tals lassen die Rufe widerhallen und leiten sie um die Biegung das Tal hinab. Etwas später sehe ich dann die Jugendlichen eines Zeltlagers, wie sie für jeden Vorbeikommenden die Welle machen. Auch in den Asklepieien war man sich bewusst, welchen wohltuenden Einfluss auf die Gesundheit die Stärkung von Seele und Geist hatte. In diesem Fall ist es insbesondere das Überraschungsmoment, dass in der so stillen Landschaft, welche ihre heilsame Wirkung hat, unser Tun so gefeiert wird. Außer den Streckenposten, einer Handvoll Wanderer und einer Gruppe Radfahrer bei der Rast gehört der Naturpark sonst uns.
Beim Weiler Ziegelhütte ist Halbzeit. Zeitmessmatten, Verpflegungsstand und ein paar Gäste der Vesperstube sind die unmittelbaren Zeichen von Zivilisation, dann geht es weiter, wieder ans linke Ufer und in einem nicht ganz so ausschweifenden Bogen, wie ihn die Donau beschreibt, nach Fridingen.
Die Anwohner stehen in lockeren Gruppen Spalier und geleiten uns ins Zentrum, wo am Kirchplatz gefeiert wird. Für uns Marathonis gibt es statt Festbänken Versorgungstische und für die Staffelläufer Ablösung. In den Asklepieien wusste man, welche positive Wirkung Kultur auf das Wohlbefinden hat und ließ die Patienten an Theateraufführungen teilnehmen. Vor dem Fridinger Rathaus gibt es für uns Musik einer Bläser- und Tambourengruppe.
Nach einem weiteren Kilometer sind wir schon wieder draußen in der Natur. Fast sechs Kilometer weit gibt es, abgesehen von einem Ausblick auf eine schöne Eisenbahnbrücke und unterbrochen von einer Verpflegungsstelle, Natur pur zu sehen. Eine Schar Raben fliegt über unsere Köpfe. Nachfahren des wunderschönen weißen Singvogels, den Asklepios Vater zur Bewachung seiner Geliebten Koronis abstellte? Als ihn diese mit einem Sterblichen betrog, meldete dies der Vogel sofort seinem Herrn, worauf ihn das typische Pech des Überbringers einer schlechten Nachricht traf: Er musst als Sündenbock herhalten. Apollon bestrafte ihn mit einem radikalen Farbwechsel des Federkleids und statt zu singen soll er nur noch krächzen und bevorstehendes Unheil ankünden. Nein, wir sprechen nicht von Dieter Bohlen, sondern von dem Corvus corone, der Rabenkrähe.
Erst bei der Galluskirche kommen wir wieder in die Nähe einer Ortschaft. In Mülheim ist bei der Grundschule wieder einiges los, denn vor und nach der Verpflegung warten die Staffelläufer ihren Einsatz über die letzten knapp elf Kilometer ab.
Keine zwei Kilometer später – eine Ortschaft folgt der nächsten – gibt es in Stetten schon wieder Tranksame und eine Dusche. Ausgerechnet auf diesem Abschnitt, wo die Bäume vorwiegend in gebührlichem Abstand zur Laufstrecke sind, heizt langsam aber sicher die Sonne ordentlich ein. Mir ist es so lieber als umgekehrt. Zuerst Sonne und dann aufziehende Wolken, das würde nach Gewitter riechen. Bekanntlich wurde Asklepios von einem Blitz getötet. Eine Überlieferung sieht seine Eliminierung als Strafe für seine Geldgier, eine andere geht von einer Intervention von Hades aus, da die in den Asklepieien zu Gesundheit Gekommenen der Unterwelt als Nachschub fehlten. Von mir aus kann es also warm und sonnig bleiben, ich kann mich anpassen. Das mache ich auch und lasse mir nach einem Fotohalt sehr lange Zeit, bevor ich wieder in den Laufschritt wechsle.
Diesen kann ich auf den folgenden zwei Kilometern bis Nendingen auch gut halten, denn an dieser
Stelle verengt sich der Weg zu einem Singletrail und liegt mehrheitlich im Schatten. Am Ortseingang werden wir von Zuschauern begeistert begrüßt und bei der Kapelle gleich von der Feuerwehr für eine Abkühlung erwartet. Die Kamera drücke ich einem Zuschauer in die Hand, dann stelle ich mich vor den Schlauch. Hat man in den Asklepieien auch schon gekneippt? Jedenfalls tut das gut. Auch die erneute Verpflegung.
Durch das gepflegte Wohngebiet geht es weiter zu Kilometer 35, wo Festwirtschaft und Stimmung sind. Das muss für den Rest reichen. Bis hierher war es Kür, jetzt kommt noch ein bisschen Pflicht. Mit Tuttlingen in Sichtweite wird es ganz herausfordernd. Die kommenden Kilometer sind an der prallen Sonne zu laufen. Als ich das Kreuz am Wegrand fotografiere meint ein Zuschauer: „Nein, noch nicht.“ Seine Geste deutet, dass sich seine Aussage auf die Inschrift „Es ist vollbracht“ bezieht.
Ich versuche es zwischendurch mit Gehpausen und schließe für eine Weile die Augen. Das ist meine aktuelle Variante des asklepischen Heilschlafs, während dessen einen in den Träumen die Offenbarungen zuteilwerden, wie man seiner Gesundheit Gutes tun soll. Meine Traumdeutung sagt mir, dass es ziemlich bescheuert wäre, mich wegen der in Reichweite liegenden ominösen 3:59 zu quälen. Wenn ich mir vorstelle, dass die Wärme und die Anstrengung mich mehr und mehr umfassen und mich wie eine Äskulapnatter durch Umschlingen und Erdrücken zur Strecke bringen, dann wäre der bisherige Aufenthalt in der marathonistischen Heilstätte ein Schuss in den Ofen. Also lass ich es bleiben und nehme den Rest gemütlich unter die Füße.
Der Abschnitt durch ein Industriegebiet bestätigt mich in der Empfindung, dass ich bereit bin, meine heutige Behandlung bald zu beenden. Die letzten knapp zwei Kilometer durch die Stadt, vorbei an einem letzten Versorgungsstand und einer Guggenmusik, der Donau entlang und hinein in die lange Zielgerade sorgen dann nochmals für Abwechslung und ein gutes Gefühl, auch wenn ich knapp über der Vierstundengrenze bleibe.
Kaum bin ich über der Ziellinie, wird mir ein Becher Wasser in die Hand gedrückt, kaum habe ich den getrunken, wird mir eine große Medaille umgehängt. Bei der Vielzahl von Bewerben können die Medaillenträger an der Farbe des Bandes unterschieden werden. Für die Königsdistanz sind die Farben von run&fun reserviert: blau und gelb. Im Zugang zum Zielbereich der Läufer werden an einem Tisch nochmals Getränke angeboten, im Zielbereich selbst gibt es aabermals Getränke, Wassermelonen, Bananen, Riegel, Hefestollen und Hefezopf.
Besonders der Hefestollen tut es mir an und ich kann ihn besonders genießen, weil ich mich erstaunlich fit fühle. Auch Bernhard fehlt nichts – er ist einfach am „Chillen“. Seinen Waden geht es gut, denn mit genügend Training und dem richtigen Schuhwerk ist barfuß Laufen ein erfolgreiches Konzept für die Gesundheit. Ganz so weit bin ich aber noch nicht.
Nach dem Verlassen des abgesperrten Bereichs ist mein Besuch in einem der längsten Asklepieion noch nicht zu Ende. Durch das Festgewühl auf dem Rathausplatz begebe ich mich zum Gepäckbus, dann mit der Tasche wieder quer durch die Festivitäten zurück ans andere Donauufer. Dort im TuWass erfrische ich mich unter der warmen Dusche, verzichte aber auf weitere inbegriffene Heilbehandlungen wie Sprudelbad und Wasserrutsche. Man muss ja nicht übertreiben mit dem Asklepieion XXL. Lieber mäßig, dafür regelmäßig. Zum Beispiel eine Behandlung mit Bergluft am kommenden Samstag beim Graubünden Marathon.
Marathonsieger
Männer
1 Müller, Kay Uwe (DEU) TSV Crailsheim 02:43:30
2 Schur, Andreas (DEU) gemeinsamfit Sigmaringen 02:46:29
3 Heim, Ralf (DEU) Team Loga / TV Spaichingen 02:53:23
Frauen
1 Schmitz, Sylke (DEU) Team Bahnhofsapotheke 03:17:54
2 Seyfried, Andrea (DEU) TSF Tuttlingen 03:25:23
3 Dr. Robben-Bathe, Petra (DEU) SV Kirchzarten 03:28:08
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