Nun schon zum vierten Mal sind Norbert und ich zu Gast beim Donautal-Marathon. Trotz der moderaten Fahrzeit von eineinhalb Stunden bis Tuttlingen, wählen wir in diesem Jahr die Luxusvariante: Wir übernachten in Hausen im Tal, dem Startort des Marathons.
Die Startunterlagen holen wir am Samstag in Tuttlingen, wo um das Rathaus bereits die Schülerläufe, der 5 000er, der 10 000er und der Halbmarathon ausgetragen werden. Hier im Tuttlinger Zentrum herrscht Ausnahmezustand, der Stadtkern ist für den Straßenverkehr komplett gesperrt. Am Erlebnisbad TuWass und den Parkplätzen am Donaupark ist alles dicht. Wir quetschen unseren Bus in eine Lücke, genießen das bunte Treiben und feuern die Sportler kräftig an.
Immer die Uhr im Blick geht es dann zum Bahnhof, wo gegenüber der Hauptsponsor AESCULAP seine Parkplätze für die Läufer zur Verfügung stellt. Der Mann von der Pforte meint zwar, dass der Standort erst ab 5 Uhr am Sonntag morgen geöffnet sei, lässt aber dann Gnade vor Recht ergehen: Die Schranke öffnet sich und unser Bus erhält einen privilegierten Platz auf dem bewachten Areal.
Wir erreichen den überdachten Bahnsteig, bevor ein kräftiger Regenschauer niedergeht. Obwohl der Wetterbericht für Sonntag miesen Dauerregen angekündigt hatte, sind wir etwas irritiert. Bisher hatte es eigentlich ganz gut ausgesehen. Der Zug bringt uns nach Hausen im Tal. Inzwischen hat der Regen aufgehört. Mit der schweren Tasche ist der Kilometer vom Bahnhof zum Ort kein Vergnügen. Dafür befindet sich unser Landgasthof Murmeltier direkt an der Straße und ist somit nicht zu verfehlen. Der Start wird morgen, keine 100 m von hier entfernt, erfolgen. Bevor wir uns zum Abendessen niederlassen, genießen wir eine kleine Runde durch den Ort.
Der Rittersitz Hausen im Tal wird erstmals 1020 erwähnt. 1682 verstirbt der letzte Herr von Hausen und das Lehen fällt dadurch an den Grundherrn Österreich, der es an die Fugger weitergibt. Ab 1805 württembergisch, wurde es ab 1810 badisch. 1973 erfolgte die Eingemeindung nach Beuron. Das Rathaus und das Touristikbüro der Gemeinde Beuron befindet sich hier.
Die katholische Kirche am Ortseingang gegenüber unseres Langasthauses ist dem Heiligen Nikolaus von Myra geweiht. Sie wurde um 1275 erbaut und zeichnet sich durch einen romanischen Turm aus. Nach mehreren Umgestaltungen im 16. und 17. Jahrhundert sind Gotik- und Renaissance-Elemente dazu gekommen. Im Jahre 1732 wurde die Kirche durch einen achteckigen Kirchenanbau barockisiert. Eine neugotische Ausstattung folgte im 19. Jahrhundert. Der Chorraum enthält Gräber der Herren von Hausen.
Der 1,2 Hektar große Campingplatz „Wagenburg“ am anderen Ende von Hausen wurde 1961 eröffnet und gehört somit zu den ältesten Tourismuseinrichtungen im Donautal. Je nach Witterung kommen im Jahresdurchschnitt zwischen 11.000 und 14.000 Übernachtungen in der Saison, die von April bis Anfang Oktober läuft.
Wir verbringen den Abend in der gemütlichen Gaststätte bei gutem Essen und public viewing der desaströsen WM-Begegnung Brasilien-Mexico. Draußen toben derweil mehrere Gewitter. Weil man nicht auf frühaufstehende Läufer eingestellt ist, dürfen wir kurzerhand das Frühstück mit aufs Zimmer nehmen.
Während um 6 Uhr 45 die Läufer in Tuttlingen den Sonderzug nach Hausen besteigen, machen wir gerade die Augen auf. Dicke Wolken hängen über den Baumwipfeln. Zumindest der Regen hat aufgehört. Wir lassen uns das Frühstück schmecken. Indessen werden die Läufer mit Bussen zum Tobelhaus gebracht, wo auch Nachmeldungen möglich sind. Um kurz nach 8 Uhr verlassen wir unsere gastliche Stätte. Für einen Preis auf Jugendherbergs-Niveau hatten wir eine gemütliche Unterkunft und leckeres Essen bei einer freundlichen, kompetenten Wirtin.
Über Nacht hat sich der Ort verändert. Die Kirchstraße ist gesperrt und mit Autos zugeparkt. Läufer sind mit letzten Vorbereitungen beschäftigt. Das Startbanner dominiert die Ortsmitte. Ein Führungsfahrzeug mit Digitaluhr steht bereit. Beim Gepäckbus sind Läufer damit beschäftigt, ihre Taschen zu beschriften.
Der fetzige „run and fun“ Song ruft die Läufer in den abgesperrten Startraum. Letzte Interviews werden gegeben und die traditionellen Luftballons verteilt. Der Sprecher fordert uns auf herunter zuzählen und bei „5“ die Luftballons fliegen zulassen. Es ist ein schöner Moment, wenn der Startschuss ertönt und 150 bunte Ballons in die Luft schweben.
Dann heißt es sich aber gleich wieder zu konzentrieren. Die Startmatte will unfallfrei überquert sein und die erste scharfe Rechtskurve kommt ja auch gleich. Es geht unter der Bahnlinie hindurch und hinten gleich wieder scharf links auf den geschotterten Feldweg. Der Campingplatz ist heute ziemlich leer. Da haben sich wohl einige von den schlechten Wettervorhersagen abschrecken lassen. Zum Laufen ist das Wetter optimal. Ca. 15 °C und bewölkt.
Wir laufen zunächst in "falscher" Richtung die Donau abwärts. Nach zwei Kilometern erreichen wir die Brücke, um am anderen Ufer auf dem Donautalradweg wieder Donauaufwärts zu laufen. Erste kleinere Steigungen reißen das Feld auseinander. Hinter km 4 können wir wieder den Campingplatz mit Hausen auf der anderen Seite der Donau erkennen. Ein paar Unentwegte feuern uns an. An der Donaubrücke beim Minigolf befindet sich dann die erste Getränkestelle mit Fanmeile in der Kurve.
Vor uns liegt Schloss Werenwang auf fast senkrecht abfallendem Felsen aus Kalkgestein. Ich bewundere den Wagemut der Erbauer des frühen 12. Jahrhunderts: Wie kann der schmale Felsen das große Gebäude so lange Zeiten tragen? Aber es scheint immer noch ziemlich stabil und erdbebensicher, wie ein starkes Beben 1911 bewies. Nur der Turm und das angebaute Treppenhaus zeigten Risse; herunterfallende Steinplatten der Turmzinnen beschädigten das Dach.
Historisch zur Oberen Grafschaft Hohenberg zählend, damit dem österreichischen Hause Habsburg direkt unterstellt, ist die Werenwag heute Teil des Landkreises Sigmaringen. Das Schloss befindet sich im Eigentum des Hauses Fürstenberg; es ist bewohnt und für die Öffentlichkeit nicht zugänglich.
Wir laufen zwar immer in Sichtweite der Donau, trotzdem geht es ständig auf und ab. Mittlerweile kommen immer wieder viel schnellere Läufer von hinten. Der Staffelmarathon wurde um 8 Uhr 45 gestartet und die ganz schnellen sind schon vorbei. Hinter Kilometer 9 überqueren wir wieder den Fluss. Die Donau macht hier eine Schleife, die wir innen etwas abkürzen. Beim Blick zurück kann man nun die Burg Wildenstein oberhalb zwischen den grünen Bäumen erahnen. Die Spornburg, die zu den besterhaltenen und bekanntesten Burgen Deutschlands zählt, steht auf einem steil abfallenden Felsen gut 200 Meter über der Donau. Sie ist seit 1554 vor allem außen nahezu unverändert. Sowohl Hauptburg als auch Vorburg stehen auf künstlich abgeschrofften Felsen und sind nur über Brücken zugänglich. Die Burg Wildenstein dient seit dem Verkauf durch Prinzessin Theresa zu Fürstenberg im Jahr 1971 als Jugendherberge des Landesverbands Baden-Württemberg des DJH mit heute 156 Gästebetten.
Unterhalb der von uns aus kaum zu erkennenden Burganlage beeindrucken riesige Felsformationen. Auf einem steilen Felszahn thronen die Überreste der einstigen Oberen Burg (Hexenturm) und die der Unteren Burg. Die Burg Hexenturm ist eine hochmittelalterliche Doppelburgruine, die über eine Burghöhle verfügt. Sie gehört zu vier Burgen, die lange vor der Burg Wildenstein entstanden sind. Die einst durch die „Wilden von Wildenstein“ erbaute Burg, diente der Sage nach während der Hexenverfolgung als Gefängnis der der Hexerei bezichtigten Delinquentinnen aus der näheren Umgebung. Darf man der Sage weiterhin Glauben schenken, muss vor einer Hinrichtung die baufällige Brücke zusammengebrochen sein und die Frauen fanden den Hungertod. Weiter heißt es, dass die Burg kurz darauf von einem Blitz zerschmettert wurde.
Die Läufer haben im Moment eher die jetzt kommende Getränkestation im Auge. Wir erreichen ein bewaldetes Stück. Im weiten Linksbogen erreichen wir eine weitere Flussbrücke, um dann sofort im weiten Rechtsbogen die Bahngleise zu unterqueren. Die Donautalbahn ist die meist eingleisige und weitgehend nicht elektrifizierte, 133,8 km lange Eisenbahnstrecke von Ulm nach Immendingen. Sie stellt in Verbindung mit der Höllentalbahn und der Schwarzwaldbahn die kürzeste Bahnverbindung zwischen den beiden baden-württembergischen Großstädten Ulm und Freiburg her und hat somit überregionale Bedeutung. Dieser wichtigen Bedeutung einer überregionalen Ost-West-Verbindung wird der Verkehr auf der Donautalbahn aber bis heute nicht gerecht. Wegen der Eingleisigkeit, langen fahrplanmäßigen Wartezeiten an Knotenbahnhöfen und dem erzwungenen Halt an Kreuzungspunkten, ist die Durchschnittsgeschwindigkeit einfach zu niedrig. So stellt die Strecke über Stuttgart und Karlsruhe heute die wesentlich schnellere Alternative für Verbindungen von München und Ulm nach Freiburg dar.
Den nächsten Kilometer folgt der bewaldete Donauradweg dem Gleis bis zu einer längeren Steigung. Das Gleis führt unten weiter, während wir uns den Berg hinauf mühen. Selbst die Staffelläufer schlagen hier eine langsamere Gangart ein. Unter uns zwischen Bäumen verborgen liegt Beuron.