Vor über hundertzwanzig Jahren zog ein frommer Schweizer namens Fridolin Steiner nach Beuron und trat dort ins Kloster ein. Als Schüler von Jakob Wüger folgte er seinem Lehrmeister, der zusammen mit seinem Freund aus Studienzeiten, dem Architekten und Bildhauer Peter Lenz, die Beuroner Kunstschule begründete. Diese Erneuerungsbewegung sakraler Kunst verfügte bis in die dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts über eine bedeutende Ausstrahlung.
Heute zieht es einen anderen Schweizer namens Steiner ins Donautal. Statt in wallender Soutane kreuze ich im knallorangen Singlet eines m4you-Berichterstatters in Tuttlingen, der Hauptstadt der Medizinaltechnik auf. Das Rating meiner Frömmigkeit sei der obersten Instanz überlassen; meine Fitness ist hingegen gut genug, um eine Woche nach dem LGT-Alpin Marathon Liechtenstein einen vorwiegend flachen Marathon anzugehen. Zumindest was sie Beine betrifft – die Wettervorhersage bereitet mich auf einen Klimaschock vor, den ich auch überstehen muss. Aber wer die nasse Kälte in den Bergen wegstecken kann, sollte auch mit der Hitze klarkommen.
Sechs Jahre gibt es nun schon „runundfun“ in Tuttlingen. Übers Wochenende verteilt werden acht verschiedene Bewerbe angeboten, am Samstag unter anderem ein Halbmarathon auf einer Rundstrecke und ein 10km-Lauf. Am Sonntag stehen dann zum vierten Mal der Marathon, der Staffelmarathon sowie die Inline-Rennen und der Walking-Wettbewerb auf dem Programm.
Früh am Morgen gibt es in Tuttlingen am Hauptbahnhof eine Ansammlung von Leuten, vorwiegend Männern, in nicht ganz alltäglicher Kleidung. Über ihnen schwebt eine Duftwolke von Wintergrün und Franzbranntwein. Bahnhöfe haben bekanntlich die Eigenart, gewisse soziale Schichten anzuziehen, hier handelt es sich aber nicht um eine Randgruppe, die sich zusammenrottet, auch wenn laufabstinente Kollegen mir das immer wieder weismachen wollen. Keiner will am Bahnhof rumhängen, alle wollen um 06.45 Uhr den Sonderzug nehmen, der durch den Naturpark Obere Donau nach Hausen im Tal fährt und uns zum Start dieses Punkt-zu-Punkt-Kurses bringt.
Auf dem Bahnsteig komme ich mit Florian ins Gespräch, einem jungen Studenten, der die Behauptung widerlegt, dass Marathon ausschließlich eine unter Umständen nicht enden wollende Episode der Midlife Crisis sei. Einem Marathonneuling könnte es schon ein bisschen mulmig werden, wenn er sich beim Blick aus dem Fenster bewusst wird, dass er diese ganze Strecke auf dem Rückweg zu Fuß zurücklegen wird. Aber Florian kennt die Gegend und weiß, worauf er sich bei seinem Debut einlässt.
Obwohl die Fahrt nur knapp fünfundzwanzig Minuten dauert und somit noch viel Zeit bis zum Start bleibt, bringen uns Pendelbusse vom Bahnhof ins nicht entfernte Tobelhaus, wo sich die Startnummernausgabe befindet und man sich noch nachmelden kann.
Ganz gemütlich genehmige ich mir noch einen Kaffee und schiebe mir noch etwas Brot ein, was sich später als weiser Entschluss herausstellen wird. Zudem appliziere ich eine gehörige Portion Sonnenschutz der wasserfesten Sorte.
Der Start ist auf der Hauptstraße unten aufgebaut und unweit davon parken die Pendelbusse von vorher, in welchen das Gepäck ans Ziel gebracht wird. Die Morgensonne lässt die Szenerie in leuchtenden Farben erstrahlen, dazu tragen auch die bunten Luftballons bei, welche den Startenden überreicht werden. Nach den Klängen der Blaskapelle gibt es zu der angenehmen und gekonnten Platzmoderation Konservenmusik, darunter ein fetziges, eigens für „runundfun“ komponiertes Lied.
Für den Synchron-Startschuss ist die (Polit-)Prominenz zuständig, zwei Landräte, welche ich als Zugereister nicht kenne (Was nicht ist, kann noch werden – oder, Herr Steinbrück?). Flankiert werden die beiden von Daniel Unger, Triathlonweltmeister 2007, Olympiateilnehmer in Peking und heute Mitglied der VIP-Staffel.
Während die Ballons in das satte Blau des Morgenhimmels entschweben, entschwindet das Feld talabwärts, bereits nach wenigen Metern hinaus ins saftige Grün des Tals.