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Laufberichte

In vino varietas – Im Wein liegt Abwechslung

19.10.08
Autor: Lisa Metz

"Wer den Startschuss überlebt, überlebt auch den Rest."

Weil ich es mag, wenn die Dinge, die ich tue, zwar abwechslungsreich aber dennoch miteinander verbunden und ineinander verwoben sind, stellte ich meine diesjährigen zwei Marathonläufe unter einen gemeinsamen Nenner:

Den Wein!

Im Frühjahr hatte ich mich mit ungebrochen guter Laune und weinseliger Verpflegung bei backofengleicher Hitze über die Marathonstrecke im Elsass gefeiert. Im Herbst sollte ein ebenfalls von Winzern ausgerichteter Marathon allerdings mit ein wenig mehr Ernst im Bottwartal angeganen werden.

Wir – das sind mein Mann Volker und ich – reisten am Vortag an, hatten mit Glück ein Zimmer im empfehlenswerten Hotel-Bruker ergattert, das sich nur wenige hundert Meter vom Startbereich des Marathon befindet. So konnten wir gelassen und gemütlich zunächst die Startunterlagen abholen.

Im Veranstaltungsbereich war die Hölle los. Unglaublich viele Menschen knubbelten sich, organisierten, beklatschten und betrubelten die diversen schon am Samstag gestarteten Distanzen und Kinderläufe. Dennoch verlief alles glatt und wohlorganisiert, es entstanden keine Wartezeiten und wir konnten uns noch in aller Ruhe einen Rundgang durch das Örtchen „Großbottwar“ gönnen, das allerdings alles andere als groß ist.

Hübsche Fachwerkbauten, wärmeliebende Pflanzen und die örtlichen Lokale zeigten deutlich: Hier dominiert der Wein. Insbesondere um diese Jahreszeit, in der die Weinlese im vollen Gange ist.

Als marathonale Vorabendverpflegung war für mich nicht die von den Veranstaltern vorgesehene Maultaschen-Party eingeplant, daher kann ich darüber nichts berichten. In einem schwäbischen Weinanbauort zu sein war für mich zu verlockend und daher gönnte ich mir – Lauf hin oder her – zum schwäbischen Essen in einem örtlichen Restaurant ein „Viertele“ Riesling. Die Laufmoral hob dies nicht wirklich und so fühlte ich mich mehr urlaubend als laufend unterwegs, verdrängte die Gedanken an den Folgetag halbwegs erfolgreich und schlenderte am Sonntag erst  15 Minuten vor erstem Startschuss zum Ort des Geschehens.

Auch heute wieder: eine ungeheure Menschenmenge. Mit meiner gelben Startnummer war für mich der hintere und letzte Bereich des Startfeldes vorgesehen: für Läufer mit einer Zielzeit von über 4:30 h im Marathon bzw. ca. 2:15 h für den Halbmarathon. Fast alle der mehreren tausend Läufer hatten für den Halbmarathon gemeldet. Nur ca. 500 wollten sich auf die Volldistanz begeben und um mich herum – im langsamen gelben Feld – fanden sich nur extrem wenige gelbe „M“s, die ihre Träger als Marathoni auswiesen. Ob ich wohl letzte werden würde?

Zielzeit für den Marathon sind beim Bottwartal-Marathon 5 ½ Stunden, ich selber rechnete mit einer Zeit zwischen 4:30 h und 5 Stunden. Mein Training war in den vergangenen Wochen nur eher grob auf einen Marathon ausgerichtet, meine Bestzeit aus 2006 beträgt 4:43 h, damals war ich ein wenig dünner (BMI damals ca. 26 gegen heute BMI zwischen 28 und 29 schwankend), habe in den vergangenen Jahren jegliches Tempotraining vermieden, jünger werde ich auch nicht. So konnte ich – noch dazu auf welliger Strecke – von keinen Ruhmestaten ausgehen und plante das, was so gerne als „Genusslauf“ bezeichnet wird, mit Fotos zu garnieren und gelassen anzugehen.

Die Startblöcke wurden zeitversetzt gestartet und jeder mit einem derartig erschütternden Kanonenböller, dass er mich beim ersten und unerwarteten Schlag fast von den Füßen riss. Druck auf den Ohren, Vibrieren im Bauch, entsetzte Schreckensblicke rundum ... bei den folgenden Donnerkrachern hielten die noch Verbliebenen sich allesamt ängstlich die Ohren zu und ich konstatierte zu einer Mitläuferin: "Das ist der Herztest und Ersatz für ärztliche Bescheinigungen. Wer den Startschuss überlebt, überlebt auch den Rest."

Die relativ umfangreiche Läuferschar startete in die erste Schleife nach Norden. Schön ist das Bottwartal. Insbesondere an einem klaren, sonnengefluteten Tag im Herbst. Die durchgehend asphaltierte Strecke verläuft über meist Radwege entlang hügeliger Weinberge mit Burgen, Türmchen und Weingütern. Maisfelder und andere Äcker sowie viele kleine Ortschaften säumen den Weg.

In den vielen Ortschaften war publikumsmäßig die Hölle los und ich gestehe, dass ich mir manchmal weniger Lärm gewünscht hätte. Auf den Fotos kann man es nicht wirklich erahnen, was für einen unglaublichen Krach die mitunter über lange Strecken Spalier stehenden Anwohner verbreitet haben: Riesenratschen, Trillerpfeifen und Getrommel auf alte Blechwannen – vermutlich trifft das den Geschmack des größten Teils der Läuferschar.  Daher ist dies keine Kritik, aber ich als relativ geräuschempfindliches Wesen bin an diesen Passagen schnellstmöglich vorbeigezogen. Bespannte Trommeln, ein virtuoser Schlagzeuger und Musikgruppen, die "richtige" Musik machten, auch die gab es. Das finde ich okay und manchmal sogar schön. Aber diese schrillen, ohrenschmerzenden Folterinstrumente, mit denen die Läufer mancherorts regelrecht aggressiv angetrieben wurden ... die waren mir schon recht lästig. Mir ist auch nicht klar, ob ich da wirklich so einen Ausnahmegeschmack habe und ob die anderen Läufer das wirklich richtig mögen, wenn sich schon beim Nähern direkt in Hörgangnähe Trillerpfeifen und schnarrende Ratschen in Aktion begeben und so lange hinter einem herschrillen, bis man außer Sichtweite ist. ... ? Manchmal -  insbesondere auf den letzten 10 Kilometern – war mir danach, um Gnade zu flehen.

Bei der Halbmarathon-Marke, wieder im Start und Zielbereich an Ausgangsposition (die Strecke bildet zwei Schleifen. Erste Hälfte nach Norden, zweite Schleife nach Passage des Start- und Zielbereichs für die "ganzen Marathonis" nach Süden) war es psychisch mehr als nur ein bisschen schwierig, nicht in den jubelumtosten Zielkanal für die Halbmarathonis einzubiegen, sondern sich einsam und unbeachtet - weit und breit kein Mensch mehr zu sehen - auf die volle Distanz zu begeben.

Hart war das. Wirklich hart. Zumal mein Gefühl signalisierte: "Eigentlich könnt' ich jetzt auch aufhören. Wär' genug für heute!" Überhaupt scheint sich alles an Organisation und auch der Publikumsgeschmack mehr an den Halbmarathonläufern auszurichten. Es ist die meist gewählte, meist bejubelte und auch am stärksten beachtete Distanz des Tages.

Die Hälfte passierte ich mit 2:16 h, wusste aber schon hier, dass ich das bisherige Tempo - obwohl es sich eigentlich ganz gemütlich und locker angefühlt hatte - nicht mehr lange würde halten können. Denn es machten sich zwei "Meckerstellen" bemerkbar. Beim Bergablaufen zwickte der hintere Oberschenkelmuskel bzw. ein dortiger Nerv? von der rechten Arschbacke abwärts gelegentlich so massiv, dass ich diese abschüssigen Passagen nicht auslaufen, sondern extra vorsichtig angehen musste. Und auch der rechte Fuß reichte alle paar Kilometer immer für eine Weile Beschwerde ein in Form eines Ziehens am Innenspann und Einschlafgefühls in den Außenzehen.

So wirklich richtig "rund" lief es also trotz moderater und moderater werdendem Tempo nicht. Die Strecke anschließend war ca. 10 Kilometer einsam und verlassen, nur selten traf ich mit-Marathonis meines Geschwindigkeitsbereichs. Allerdings war die zweite Schleife größtenteils eine Wendestrecke, so dass ich mir die Zeit damit vertreiben konnte, die schnellen Läufer und Läuferinnen und auch die Spitzengruppe beim Entgegenlaufen zu beobachten. Was den kleinen Nachteil beinhaltet, sich sehr darüber bewusst zu werden, wenn man sich ganz hinten am LäuferfeldEnde befindet.

In den Ortschaften harrte das Publikum wirklich tapfer und unbeirrt jedem Läufer aus und feuerte an. Es gab offizielle "Ansage- und Begrüßungsstellen", wo ein Moderator über Lautsprecher jeden namentlich und mit Herkunft ankündigte. Bei mir allerdings hatte sich ein Fehler beim "Verein" eingeschlichen und ich wurde immer angekündigt als "für das Bottwartal-Kellereiteam laufend", mehrmals mit dem erstaunten Zusatz: "Wie kommt jemand aus München zum Bottwartal-Kellereiteam?". Einmal hab' ich geantwortet: "Durch einen Fehler in der blöden Liste - München stimmt, der Rest ist vermutlich ein Zeilen-Verrutscher". Aber immer kannste das auch nicht machen: Anhalten und Erläuterungen der ausführlicheren Art abgeben ... und so arrangierte ich mich mit meiner angeblichen Kellerei-Zugehörigkeit, die übrigens auch in der Urkunde auftaucht ...

Die Streckenversorgung fand ich ein bisschen trostlos: zu Essen ausschließlich Bananen. Nix als Bananen. Kein anderes Obst, keine Kekse, kein gar nix. Außer: Bananen. Naja ... steh' ich nicht so drauf - aber ein Drama ist auch das nicht. Zu trinken erst nur Wasser, dann später auch Iso-Plörre. Als es beim HM immer noch nur Wasser und Isogetränk gab, wurde ich unruhig. Ausschließlich Bananen, Wasser und Isoplörre über den ganzen Marathon ... das wäre für eine Gourmet-Läuferin wie mich ;-) doch ein bisschen vernichtend. Aber immerhin kamen ab Kilometer 25 drei Versorgungsstellen, die außerdem noch Cola im Angebot hatten. Für mich echte Lichtblicke in der Versorgungs-Eintönigkeit.

Wie schon geschrieben: es wurde einsam auf der Strecke und die Streckenposten fieberten vermutlich gelangweilt dem Ende der Veranstaltung entgegen. Ich übrigens auch. Kilometer 30 passierte ich nach 3:20 h und dann wurde es so richtig zäh. Immer mal wieder denke ich mir: "Ob ich es jemals erleben werde, auch die letzten 10 Kilometer eines Marathons so relativ 'locker' weiter durchhalten zu können wie die ersten 30? Werde ich es irgendwann dahin bringen, dass meine Form für gleichmäßige 42 reicht?"

Gestern jedenfalls hat's wieder nicht gereicht. Zwar bin ich komplett alles gelaufen. Aber ab ca. Kilometer 32 in absolutem Schnarchsacktempo. Richtig schweres Leiden war nicht dabei, nie ein Zweifel, wohlbehalten und unter 5 Stunden im Ziel anzukommen. Aber weiter schneller laufen, das ging irgendwie überhaupt nicht.

Meine Bruttozeit lautete jedenfalls 4:53:50 h und ist unter den genannten Bedingungen für mich persönlich recht zufriedenstellend. Kleine persönliche Statistik zwischendurch:
meine Zeit: 4:53:50 h
Platz gesamt: 487 von 511
Platz Frauen: 53 von 59
W45: Platz 5 von 5

Wobei ich es doch nochmal erleben möchte, beide Hälften zumindest in ähnlichem Tempo laufen zu können.

Später - irgendwo bei Kilometer 35? - tauchten plötzlich massenhaft Walker auf. Einige vor mir, andere hinter mir, ich wurde überholt und überholte ... ja, wo kamen die jetzt her und wieso sind die so unterschiedlich schnell? Ich erfuhr, dass sie unterschiedliche Distanzen walkten und weil sie mit mir gleichzeitig im Ziel ankamen, wäre ich von der Marathon-Medaillen verteilenden Frau fast übersehen worden. Es brachte den ruhigen "Flow", der sich irgendwann eingestellt hatte, wieder gewaltig durcheinander, dass da so unterschiedliche Geschwindigkeiten und Stöcke etc. auf der Strecke auftauchten. Nicht behindernd. Aber für meinen Geschmack oder bei meiner Stimmung des Tages war dieses Hin- und Her mühsam und verwirrend.

Auf der ersten Hälfte unterwegs mit Halbmarathonis aus dem eher hinteren Feld. Dadurch auch viele Geher und Fehleinschätzer überholend, überholt werdend von Zielsprintern ... dann über 10 Kilometer einsames Nichts und plötzlich wieder klackernde Walkerscharen um mich herum. Ja, als'n bisschen störend habe ich das empfunden.

Im Ziel taten mir dann doch die Beine verflixt weh. Wie gut, dass ich es zum ersten Mal erlebt habe, dass just bei meinem Erscheinen vor dem Massagezelt eine Massageliege frei wurde. Und auch noch diejenige, an der zwei ausgesprochen wohlgeratene junge (knackige) Masseure arbeiteten. Das hatte ich noch nie: Massage nach dem Marathon. Und dann auch noch von Profis. Das Therapie & Reha-Zentrum Bottwartal stellte gegen eine freiwillige Spende für die Mukoviszedose-Hilfe Massagen in einem Massagezelt mit Top-Leuten zur Verfügung. Die Beine dankten es mir mit schnell wiederkehrender relativer Lockerheit, die Beschwerdestellen schwiegen befriedet und ich fuhr schon bald danach zufrieden nach Hause.

Mein persönliches Fazit:

Der Bottwartal-Marathon ist ganz sicher ein gut durchorganisierter, empfehlenswerter Lauf in herrlicher Landschaft. Vermutlich aber ein Quäntchen interessanter für Halbmarathonis. Aber auch für mich als Marathonnin aus dem hinteren Feld war es ein gelungener Tag im Bottwartal.

Marathonsieger

Männer

1 Diehl, Marco (GER)  02:40:21 
2 Himmelsbach, Ralf (GER) 02:40:53
3 Müller, Kay-Uwe (GER)   02:42:58 

Frauen

1 Zipse, Manuela (GER)  02:58:06 
2 Dieterle, Barbara (GER) 03:06:08 
3 Nel, Linda (USA)    03:08:29

 

Informationen: Bottwartal-Marathon
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