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Laufberichte

Zeitenwende

 

Günstige Gelegenheiten sollte man beim Schopf ergreifen: Die Gattin ist sonntags beim Seniorenkarneval engagiert, der Gatte folglich unbeaufsichtigt. Und wenn der Hummeln im Hintern hat, konsultiert er unseren Laufkalender und findet, ohne großen Aufwand erreichbar, die Straßenläufe in Bertlich. Gesagt, getan.

Warum Straßenläufe? Der ausrichtende SuS Bertlich inne Pütt (Ruhrgebiet) hat ein ganzes Lauf-Portfolio im Köcher: Zwischen Strecken von 5, 7,5, 10, 15, 21,1, 30 und 42,2 km Länge dürfen sich die Läufer entscheiden, und das stolze dreimal jährlich. Hauptstrecke ist eine Runde von 13,8 km Länge, die inkl. Hin- und Rückweg, die beim Marathon dreimal zu absolvieren ist. Wenig überraschend ist meine Wahl auf die Königsdisziplin gefallen.

Nach zwei Stunden Anfahrt treffe ich nicht nur nahe Herten ein, sondern auch einen der hiesigen Serientäter, Christian Mai. Der Spruch „Der Mai ist gekommen“ ist inzwischen derart abgenutzt, daß er konsequenterweise auch nicht mehr strapaziert wird. Einige aufgrund Dauerquatschens kurzweilige gemeinsame Läufe haben wir bereits hinter uns, daher freuen wir uns auf einen weiteren und werden dabei durch Markus unterstützt, der erfreulicherweise auch (s)ein Stelldichein gibt, das Trio komplettiert und das Fotografieren übernimmt. Er und Christian, das stellen sie schnell fest, haben jeder sämtliche Ausgaben des Münster-Marathons erfolgreich hinter sich gebracht, aber nie kennengelernt. Man sieht, auch dafür ist Bertlich prädestiniert. Aber erst einmal genießen wir die komfortablen Bedingungen der Logistik und spielen unseren Erfahrungsschatz aus, indem wir den Kuchen für hinterher bereits reservieren. Nach dem Lauf werden wir glücklich über diese Entscheidung sein.

Auch wenn grundsätzlich alles so zu sein scheint, wie noch bei meinem letzten Einsatz vor vier Jahren, hat sich doch eines diametral geändert. War zu dieser handgemachten Traditionsveranstaltung bisher ausschließlich eine Vor-Ort-Anmeldung möglich gewesen, ist die Moderne mittlerweile auch hier angekommen: Neben der Möglichkeit, sich (noch) am Austragungstag anzumelden, ist jetzt die Voranmeldung in den Vordergrund getreten. Manche würden dies im Sinne des Kanzlers als Zeitenwende bezeichnen. Und, um in seiner Terminologie zu bleiben, werden wir uns gleich zum Dreifach-Wumms auf den Weg machen

 

 

Die Zeitenwende macht sich jedoch nicht nur beim Anmeldeprozedere bemerkbar, auch der Start wirft den Bertlich-Serientäter schier aus der Bahn. Wer kommt besser als Christian in Frage, die neue Situation zu beleuchten?

„Dann gehen wir zum neuen Startpunkt. Denn es gibt eine Weltpremiere bei der Streckenführung. Da, wo früher der Realmarkt war, ist die Laufstrecke gerade eine Baustelle, weswegen wir ein paar Meter später abbiegen. Bei drei Runden vielleicht 50 Meter mehr, um die der Start nun nach vorne verlegt wurde. Alles ist anders. ‚Mein‘ Startplatz ganz vorne rechts, genau im Eck der äußersten Markierung ist ja jetzt nicht mehr da. Ja klar, es gibt jetzt auch ein rechts vorne, ganz außen. Aber schon der Straßenbelag unter den Füßen ist doch ganz anders, andere Luftströmung, andere Lichtverhältnisse. Nee, also wenn das mal nicht auch 'ne gute Ausrede ist.“

Und doch erweisen wir uns der völlig veränderten Lage psychisch und physisch gewachsen, werden nicht zurückgepfiffen, der Start gelingt schon im ersten Versuch.

 

 

Zunächst kommen wir durch einige ruhige Anliegerstraßen einer Zechensiedlung mit teils arg heruntergekommen Häusern, die schon vor vier Jahren bei mir einen trostlosen Eindruck hinterlassen hatten. Wenige aufgehübschte Einheiten ändern an dem eher traurigen  Gesamtbild nichts. Die ersten km gesellt sich Dirk Theisges zu uns und beteiligt sich an unserem munteren Geplauder. Wir verlassen Bertlich auf einer Allee mit hohen Bäumen auf leicht ansteigendem Kurs. Mit etwas Wehmut erinnere ich mich an 2019, als uns ein strahlend blauer Himmel und mittags 15 Grad beglückten. Aber es gibt keinen wirklichen Grund zu meckern, denn es ist trocken und zehn Grad wird es wohl auch haben. Wir biegen auf freies Feld ab, die Truppe ist schon weit auseinandergezogen. Am Horizont erkenne ich eine lange Baumreihe, rechts und links sind Äcker in unterschiedlichsten Zuständen. An das Kruzifix kann ich mich noch gut erinnern. Nach zwei km haben wir noch keine zwölf Minuten auf dem Tacho, das ist mir etwas zu schnell, denn unsere vereinbarte Zielzeit von viereinhalb Stunden erlaubt langsamere Schnitte. Mir erscheint das heute angebracht zu sein, Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste und läuferisch kaum etwas ätzender, als auf dem Zahnfleisch anzukommen.

Über die erste Kreuzung hinweg kommen wir über eine zweite Allee an einigen landwirtschaftlichen Anwesen vorbei. Ein hübsches Wohnhaus im von mir sehr geschätzten Jugendstil erfreut das Auge. Die Polizei, Dein Freund und Helfer: Den Übergang über die Marler Straße sichern sie, ein artiges „Dankeschön für Eure Unterstützung!“ erscheint mir bei drei eigenen Bullen zuhause angebracht zu sein. Man weiß ja um ihre dienstliche Belastung. Den jetzt schon zweiten VP lasse ich aus, der wird, da in der Mitte der liegenden 8 der Strecke liegend, auf dem Rückweg erneut angelaufen werden. Für die Marathonis geht’s links ab entlang einer Baumschule, eine willkommene Ecke zum Abbiegen, um Wichtiges zu erledigen. Selbstverständlich ist das für Christian eine Steilvorlage, denn er vermutet einen Hund unter meinen Vorfahren, sonst würde ich ja nicht dauernd mein Revier markieren. Ja, der morgendliche Kaffee rächt sich und Steilvorlagen nehme ich ja selber gerne mit.

 

 

Über die erneut polizeigesicherte Hertener Straße durchqueren wir ein Wäldchen. Leider fehlt mir ein passendes Behältnis, sonst hätte ich am nächsten Bauernhof gerne ein paar Produkte der glücklichen, freilaufenden Hühner mitgenommen. Zweimal rechts abgebogen sind wir schon auf dem Rückweg der Runde. Für den angepriesenen Spargel und erst recht die Erdbeeren sind wir leider definitiv zu früh dran. Bald darauf sind zehn km geschafft, gerade einmal 61 Minuten vergangen. Wieder an ein paar Häusern vorbei, müssen wir uns auf dem folgenden Radweg entlang des Waldrandes mit den Zweiradfahrern einig werden. Es bleibt friedlich, diese rücksichtsvoll, wie auch ausnahmslos alle Autofahrer auf den nicht gesperrten Strecken, man kennt die Aktion nach 116 Ausgaben.

Der finale Abschnitt ist mir tatsächlich noch vertraut, der Rollrasenhersteller kommt in unser Blickfeld, ebenso die Familie aus großen Strohballen. Nur noch ein paar hundert Meter misst die Runde, da bricht schon wieder die Zeitenwende über uns herein: Rechts sollen wir abbiegen, das gab's ja noch nie. Wer könnte das besser beschreiben als unser Serientäter? Zitat Nr. 2 folgt:

„Dann kommen wir an die neue Streckenführung; ihr erinnert euch: an einer Stelle ein paar Meter später abbiegen. Einer fragt den Streckenposten, ob dieser Streckenverlauf von jetzt an so bleibt. ‚Ja, ihr müsst hier durch‘  ‚OK, aber bleibt das so, dass wir auch zukünftig hier herlaufen?‘ ‚Jaja, ihr müsst alle hier lang.‘ ‚Aäh nee, wird der Weg dahinten wieder aufgemacht? Oder bleibt jetzt die Streckenführung auch die nächsten Male so?‘ ‚Ja, egal ob Marathon, Halbmarathon oder 5 Kilometer; alle müssen hier entlang.‘ Ich liebe eine konstruktive Gesprächsführung.“

 

 

Nachdem wir dieses schwierige Problem gelöst haben, laufen wir über die übliche Straße auf das Stadion zu, an dem wir unter Nennung unserer Personen die ersten beiden Male nach rechts auf die nächsten Runden komplimentiert werden. Ein Drittel ist geschafft! Bald auch das zweite Mal, und nach einem weiteren km haben wir nach genau drei Stunden exakt 29 km hinter uns. Nele, die Gesamtsiegerin (!), wird dieses Rennen drei Minuten später gerockt haben. Eine gute halbe Stunde vor meiner Lauffreundin Sigrid, die im zarten Alter von 58 Jahren nochmal eine Berufung in die 24 h-Nationalmannschaft erhalten hat. Wenige km vor Schluss beginnt Markus aufs Tempo zu drücken. Christian und ich halten tapfer dagegen, was unseren Gesprächsfluss endgültig zum Versiegen bringt. Wir dürfen diesmal nach links ab- und kurz darauf ins Stadion abbiegen. Noch eine Dreiviertelrunde, dann ist es nach 4:23 Std. geschafft.

Die Transponder geben wir ab, sie werden wiederverwendet, die Startnummern dürfen wir behalten. Ich werde einen Blick in die Bananenkiste der Zielverpflegung. „Nimm zwei davon, falls die erste nicht schmeckt!“, meint der Spaßvogel, der zum Orga-Team gehört. Ich gehorche.

Die wunderbar warme Dusche bringt die Lebensgeister zurück und die Kuchensicherung vor dem Rennen zahlt sich aus: Vier traurige Stückchen sind noch im Verkauf, unsere schönen Tortenstücke warten wohlverpackt auf uns. Die Siegerehrung des Marathons nehmen wir noch mit, dann trennen sich unsere Wege wieder. Eine schöne, unkomplizierte Sache war das wieder mal, jederzeit einen Besuch wert. Nachdenklich machen nur die Helfer. Nicht, dass sie nicht engagiert wären, nein, ganz im Gegenteil. Aber viele von ihnen erscheinen uns noch deutlich älter zu sein als wir es sind. Hoffentlich wird es gelingen, sie rechtzeitig zu ergänzen, damit auch der 200. Ausgabe nichts im Wege steht.

 

Fotos: Markus Pitz

 

 

Streckenbeschreibung:
Vermesser und damit bestzeitentauglicher Dreirundenkurs von 13,8 km mit 800 m An- und Zieleinlauf.

Startgebühr:
25 € für den Marathon

Weitere Veranstaltungen:
30 km, Halbmarathon, 15 km, 10 km, 7,5 km, 5 km, 850 m (Kinderlauf).

Leistungen/Auszeichnung:
Urkunde, Pokale für die Schnellsten.

Logistik:
Das Sportzentrum mit großen Trainings- und Veranstaltungshallen ist optimal geeignet.

Verpflegung:
6 VP mit Wasser, Iso und Bananen.

Zuschauer:
Sehr überschaubar.

 

Informationen: Bertlicher Straßenläufe
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