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Die Geschäfte laufen

11.02.05
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Wer in der von schnellen Kenianern dominierten Szene alles mitverdient

 

Von Frank Hellmann,
erschienen in der Frankfurter Rundschau

 

Die Hatz nach Ruhm und Wohlstand hätte Ondoro Osoro beinahe das Leben gekostet. Gerade war der Ausnahmeläufer im Juli 2000 für den olympischen Marathon in Sydney nominiert, da überfielen ihn auf dem Heimweg bewaffnete Männer in seinem neuen Auto: Eine Kugel durchschlug die Schulter, verletzte Hals und Arm. Dass er heute wieder als Zugpferd einer Marathon-Veranstaltung taugt, ist ein Wunder - Osoro kann bis heute keinen Stift in der Hand halten.

 

Der schreckliche Vorfall war Osoro eine Lehre: Das schicke Gefährt hat er damals sofort verkauft. "Die Kenianer dürfen ihren Wohlstand nicht zeigen - der Neidfaktor ruft sofort Kriminelle auf den Plan", erklärt Christoph Kopp, Frankfurts Sportlicher Leiter, der Osoro diesmal unter Vertrag nahm. Auch weil sich die Lebensgeschichte des 34-Jährigen abhebt von einer scheinbar profillosen Armada, die die Marathon-Szene dominiert. Das Reservoir ist schier unerschöpflich; die Landsleute Osoros sind omnipräsent in Rang-, Best- und Siegerlisten. Kenianer haben von den 150 größeren Marathonläufen des vergangenen Jahres 59 Prozent gewonnen. Vier führen die Jahresweltbestenliste an, sie haben in Chicago (Evans Rutto) oder Berlin (Felix Limo), in Köln (James Rotich) oder Boston (Timothy Cherigat) triumphiert. Aller Idol ist Paul Tergat, der 2003 in Berlin die Weltbestzeit lief: 2:04:55 Stunden.

 

Für sie alle gibt es zum Laufen keine Alternative. Offiziell beträgt die Arbeitslosenquote in dem Land mit 32 Millionen Einwohnern 40 Prozent, doch in Wahrheit ist sie viel höher. Im Hochland sprechen die Bewohner selbst von 80, 90 Prozent Erwerbslosenquote. Die meisten Marathonläufer kommen aus diesen Regionen: Ihre Eltern sind einfache Bauern, die ohne Strom und fließendes Wasser leben, sich von Maisbrei ernähren und deren Kinder täglich bis zu 30 Kilometer laufen, um zur Schule zu kommen. "Wer als erster daheim ist, bekommt das beste zu essen", erzählt Sieger Boaz Kimaiyo , der auch schon 2003 in Frankfurt gewann.

 

Leichtathletik steht in seiner Heimat höher im Kurs als andere Sportarten - zumal es kein Geld gibt , um Sporthallen zu bauen, selbst die Infrastruktur für den Fußball fehlt. Der einzige Ausweg: laufen, laufen, laufen. Der einstige Rückstand in Sachen Methodik und Diagnostik ist längst wettgemacht, Trainingspläne sind auf dem neuesten Stand. Auch Kimaiyo spult seine mehrmonatige Vorbereitung nach einem gut ausgeklügelten Plan ab: 200 Kilometer die Woche, verteilt auf Intervalle, Kraft- und Schnelligkeitsübungen oder Ausdauerläufe bis 38 Kilometer. Alles, um ein-, zweimal im Jahr für den Zeitpunkt x fit zu sein.


Der 27-Jährige trainiert in der Höhe von 3000 Metern im Camp Kapsait – einem der zwei kenianischen Trainingszentren des Gabriele Rosa. Der italienische Trainer, in Branchenkreisen nur als Dottore aus Brescia bekannt, hat so viele Läufer hervorgebracht wie kein Zweiter, betreut und managt 150 Topathleten auf der Langstrecke - ein florierendes Geschäft. "Zwei-, dreimal im Jahr besucht mich Dr. Rosa in meinem Camp", erzählt Kimaiyo, "dann gibt er mir die Trainingspläne, und wir sprechen viel." Vor allem auch darüber, wie viel der Supervisor von den Einkünften abzweigt. 15 Prozent sind es beim Preisgeld, von dem ohnehin vorab 21 Prozent an Steuern einbehalten werden.

 

"Generell läuft noch einiges schief: Manche werden regelrecht über den Tisch gezogen und schlecht betreut", beklagt ein Branchen-Experte. "Und viele durchschauen einfach nicht, was mit ihrem Geld angestellt wird." Enge persönliche Bande zwischen Läufern und den Vertretern der großen Management-Gruppen wie Rosas Fila-Team sind selten. Zum Frankfurt-Marathon, international die zweite Kategorie, erschien der italienische Mentor mit dem Rauschebart erneut nicht selbst. Auch sein Sohn Frederico, ein beleibter, wortkarger Mann, war in diesem Jahr nicht vor Ort. Stattdessen übernahm die italienische Agentin Elena Parolini die Betreuung. Nur hinter vorgehaltener Hand beklagen Rosas Kunden die Geschäftspraktiken. Etwa den knallharten Umgang in den kenianischen Trainingscamps. "Wir bekommen nur Ein-Jahres-Verträge. Die Auslese ist rücksichtslos", erzählt ein Spitzenläufer. Wer nicht spurt, der fliegt.

 

Die Veranstalter mögen diese Diskussion nicht. "Wir arbeiten nur mit seriösen Anbietern zusammen", betont Frankfurts Sportchef Kopp, Insider der Szene, weil lange Beauftragter für den Berlin-Marathon. "Wenn wir in den Verdacht kämen, Menschenhandel zu betreiben, hätten wir ein Problem." Aber er weiß: Von den rund 150 000 Euro, die in Frankfurt an Antrittsgage und Preisgeld unters (weitgehend afrikanische) Laufvolk gestreut werden, bleibt ein Gutteil bei den Agenten hängen. Es trifft sich, wenn Veranstalter, Sportartikelfirmen und Manager gemeinsame Sache machen. Ein Beispiel in Frankfurt: Eric Kiptoon und Samson Loywapet gingen nur deshalb an den Start, weil die Botschaft in Nairobi nicht rechtzeitig die Visa für den in der Vorwoche avisierten Auftritt in Venedig erteilte. Beide starteten gestern ohne die üblichen 3000, 4000 Euro Antrittsgage am Main. Beseelt von dem Ziel, in die acht Geldränge zu rennen.

 

Die anspruchslosen Afrikaner sind bei der europäischen Konkurrenz nicht gern gesehen. Deutschlands Spitzenläufer Carsten Eich beklagt "die Schwemme aus Afrika, die die Preise versaut und die Preisgelder abräumt". Gleichwohl verdienen deutsche Manager munter mit. Seit Jahren ist etwa der Detmolder Volker Wagner etabliert, auch wenn seine Namensnennung in Frankfurt wieder zu verächtlichen Kommentaren führte. "Moderne Sklavenhalterei" werfen ihm Kritiker vor, zu denen auch Eich zu zählen ist. Wagner führt im ostwestfälischen Diestelbruch, einem unscheinbaren Örtchen, einen Ferienpark mit zwölf Holzhäusern. Einfachste Verhältnisse, Domizil für Dutzende Kenianer. Rodgers Rop bereitete sich hier auf Boston oder Tegla Loroupe auf Olympische Spiele vor. Wagner, Sportlehrer, Betreuer und Manager in Personalunion, preist seine Läufer als "unheimlich leistungswillige und - fähige Athleten", sieht eine "einzigartige Bereitschaft sich zu quälen". Für Wagner sind die Erfolge der austauschbaren afrikanischen Highlander gegen das ausgedünnte Häuflein germanischer Langstreckler nur logische Konsequenz gegensätzlicher gesellschaftlicher Entwicklungen: "In Deutschland verlernen gerade große Teile der Generationen das Laufen. Die Kinder werden behütet und verhätschelt - und beim ersten Regen in die Schule oder zum Sport gefahren. Wenn die Bewegungsarmut hier noch zunimmt, werden uns auch Russen oder Türken für immer weglaufen." Die Kenianer sowieso.

 

Informationen: Mainova Frankfurt Marathon
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