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Laufberichte

Zurück zu den Wurzeln - oder: wie es früher einmal war.

01.12.07

Fotos: Klaus und Margot Duwe  

Arolsen. Wenn dieses Wort fällt, zuckt unser Lauftreffleiter, Peter Lehnert, noch heute zusammen. Hier gab er im Jahr 1990 gemeinsam mit Kurt Thamm, Dieter Weber und Josef Hoß sein Marathondebut. War den anderen dreien das Ankommen noch vergönnt, mußte er ausgezehrt, auch von großer Kälte und starkem Wind und gebeutelt von kalten Getränken leider bei km 35 aussteigen. Das schmerzt ihn noch heute, auch wenn er später viele Läufe erfolgreich absolviert hat. Arolsen. Hessisch Sibirien eben.

Getreu dem Motto: „Gelobt sei, was hart macht!“ gebe ich in diesem Jahr meinem Heimatlauf Siebengebirgsmarathon einen Korb, fliege NICHT ins Warme nach Florenz und wage mich in die nordhessische Wildnis. Mer mööt jo emol jet aaneret maache! Zarte Erinnerungen aus meiner aktiven Zeit als Panzeroffizier kommen hoch: Fritzlar und Arolsen, die Panzerbataillone 63 und 64 - lang, lang ist’s her. Allerdings habe ich es damals von Stadtallendorf (PzBtl 144) aus nicht geschafft, diese Standorte zu besuchen. Zumindest landschaftlich ein Fehler, wie sich mir schnell zeigt, aber ich habe ja neben der Anreise noch 42 km Zeit, dieses Versäumnis auszubügeln.

In Anbetracht der späten, für mich aber günstigen Startzeit um 11.00 Uhr beschließe ich, erst am Morgen anzureisen. Wobei die Anfahrt über 270 km im Vorfeld sicher kein Pappenstiel ist. Ich starte um 6 Uhr und bin über die Autobahnen 3, 1, und 44 um kurz vor 9 Uhr vor Ort in Arolsen, Entschuldigung, BAD Arolsen, der ehemaligen Residenzstadt der Fürsten von Waldeck-Pyrmont mit heute rund 8.300 Einwohnern, 45 km westlich von Kassel gelegen. Nach kurzem Suchen finde ich im Stadtteil Wetterburg die Twisteseehalle, wo die Startnummernausgabe stattfindet und treffe, als hätten wir uns verabredet, vor der Tür sofort Klaus und Margot Duwe. Drinnen ist dann mit den beiden Kurzweil garantiert.


Das Ganze in der Halle wirkt schon etwas anders, als ich es sonst gewohnt bin. Wer wie ich marathonmäßig mit Bib- und ChampionChip, umfangreicher Marathonmesse und viel Gedöns aufwachsen ist, bekommt hier gezeigt, daß es früher einmal anders, nämlich so wie hier, gewesen sein muß. Und daß es auch bei über 500 Startern (516 Finisher) wunderbar funktioniert. Und zwar nach wie vor.

Alles strahlt sehr viel Gelassenheit aus, ein kleiner Verkaufsstand, es gibt belegte Brötchen, Kuchen und Kaffee zu kaufen. Viele Läufer/innen kennen sich und nutzen die (zweite?) Frühstücksgelegenheit weidlich aus. Den Organisator, Heinrich Kuhhaupt sehe ich auch sehr schnell und bin auf das Weitere gespannt. Arolsen, so habe ich im Vorfeld gelernt, ist berühmt/berüchtigt für zwei Dinge: erstens für Heinrichs legendäre Rede und zweitens für eiskalte Duschen. Beides habe ich erleben dürfen.

Pünktlich um 10 Uhr hat der Endsechziger Heinrich für zunächst 35 Minuten ein Mikro in der Hand und vor dem Mund, um seine Rede anschließend am Start fortzusetzen. Er wettert gegen die heutigen Marathonveranstalter, die, von Sponsoren mit dicken Summen geködert, ihren Marathon mit Parallelwettbewerben wie Halbmarathon,  Staffeln und gefährlichen Stocktechniken verwässern. So etwas gäb’s bei ihm nicht. „Sprach mich doch so ein Theken-Franz an, 90 Kilo, dicke Wampe: He , Heinrich, haste schon mal den Swiss Alpin (Anmerkung: harter Bergmarathon) gemacht? Und haut mir seine Medaille um die Ohren. ??? Das hat mir keine Ruhe gelassen, ich die Ergebnislisten durchforstet und was finde ich? Teilnahme am 8 km-Staffelwandern!“ Brüllendes Gelächter im Saal...

Informationen: Waldmarathon
Veranstalter-WebsiteErgebnislisteHotelangeboteOnlinewetterGoogle/Routenplaner

Kurz nach halb elf geht’s dann prozessionsmäßig einen knappen Kilometer zum Start auf der Staumauer des Twistesees. Sehr schöne Geste von Heinrich: er ließ die „Alten und Gebrechlichen“ (O-Ton Volker Berka vor Ort) schon eine Stunde vorher starten, damit auch sie das Zeitziel packen. Ein ganz toller Service, denn unter diesen Bedingungen kann auch der 81jährige Werner Sonntag dabei sein und seinen 389. Marathon absolvieren. Das ist genau das Maß an Respekt, das diese großen Altersläufer verdient haben. Für mich sind sie absolute Vorbilder und ich wäre glücklich, mich in diesem läuferisch biblischen Alter noch derart bewegen zu können.


Der Startschuß erfolgt pünktlich um 11 Uhr. Die ersten zwei Kilometer führen auf einem schmalen Asphaltweg auf der westlichen Seite um den See herum, bevor der Stausee parallel zur B 450 überquert wird. Nach einem Kilometer sehe ich den blinden Didi, der von einem Zweiten an einem Seil geführt wird. Beide sind gut gekennzeichnet. Mit dem Ausdruck höchsten Respekts, der dankbar angenommen wird, schlüpfe ich vorbei. Auch wenn ich heute bestimmt keine Bäume ausreißen will, kann ich doch erst nach ca. 3 km einigermaßen frei mein Wohlfühltempo laufen.

Mit dem Wohlfühlen ist es untergrundmäßig allerdings schnell vorbei, denn schon sehr bald laufen wir auf extrem matschigem Untergrund oder abwechslungsweise auf frischem Schotter, dem die Festigkeit noch fehlt. Am Ende sahen alle wie richtige Crossläufer aus. Das einzig Trockene im Ziel waren meine Schuhe, ich hatte mich richtigerweise für meine Trailschuhe (Gore Tex) entschieden.


Nach 3 km wendet sich die Strecke etwas abseits des Ostufers wieder in Richtung Norden, die erste Steigung, vor der gewarnt wurde, nehme ich kaum zur Kenntnis. Petrus scheint ein Langstreckler zu sein: hatte es zuvor tagelang geregnet, riß nach kaum einer halben Stunde Laufzeit der Himmel auf und machte bald wolkenlosem Sonnenschein Platz. Sagenhaftes Glück gehabt! Wellig geht es, wie fast überall, weiter. Die Höhenmeter summieren sich insgesamt auf rund 550.


Die erste Videokontrolle erfolgt bei km 7. Hier steht doch tatsächlich Heinrich und bietet den Läufern an, ihre Jacken bei ihm abzugeben und im Ziel wieder zu empfangen. Wenn das kein tolles Angebot ist! Ich traue allerdings der Wetterlage nicht und beschließe zu unrecht, die Jacke anzubehalten. Hier befindet sich auch die erste Verpflegungsstelle am nördlichsten Punkt der Strecke. Es gibt Wasser, Tee und Iso. Und zwar WARM! Auch das Iso. Das ist sehr angenehm und wäre für unseren Lauftreffleiter im Jahre des Heils 1990 sicherlich die Rettung gewesen. Der Weg führt anschließend in einem scharfen Knick nach Süden weiter. Auch die zweite angekündigte Steigung empfinde ich als harmlos.


Bei Km 10 erfolgt die Überquerung der B 450 und in großem Bogen geht es westlich um Landau herum. Das KM 14-Schild steht, wie ich später feststelle, bestimmt 500 m zu früh. Das bestätigen mir andere Läufer später. Aber das sei hier an dieser Stelle immer so. Aha, also wieder solch  eine Tradition! Hier befinden sich die zweite Verpflegungsstelle und auch eine erneute Kontrollstation. Ja, das ist leider erforderlich, wie ich auf manchem Wettbewerb mit eigenen Augen erfahren mußte, es gibt immer wieder Abkürzer. Wie kann man auf eine solche „Leistung“ stolz sein? Das wird mir für immer verborgen bleiben. Lieber kämpfe ich mich doch, zur Not gehend, durch und kann mich am Ende zumindest in meinem erfolgreichen Durchhaltewillen sonnen.

Vor mir sehe ich eine Läuferin mit energischem Laufstil, die erblondeten Haare wippen auf blauem Trikot hin und her. Moment, dieses Bild kenne ich doch! Oder? Ich pirsche mich an sie heran. „Sag mal, Du bist nicht zufällig im Sommer beim Wyker Stadtlauf auf Föhr gestartet?“. Doch, ist sie. Wie klein ist doch die (Läufer-)Welt! Sie hatte es damals doch tatsächlich gewagt, sich bis ins Ziel zu weigern, von mir überholt zu werden! Wir laufen zwei Kilometer zusammen und quatschen schön einträchtig, bei der Steigung ab km 17 muß Anke Rohwer vom Ostroher SC dann leider Ischias-geplagt abreißen lassen. Vor dieser Steigung waren wir besonders gewarnt worden, aber auch diese empfand ich, der ich es gewohnt bin, in profiliertem Gelände zu trainieren, als nicht wirklich dramatisch. Auch wenn ich hier sicherheitshalber eine kleine Strecke gehe.

An der Südspitze von Landau geht es dann in Richtung Süden weiter, bei km 21 erfolgt die dritte Verpflegung und zweite Überquerung der B 450, sehr gut gesichert von unseren Freunden und Helfern sowie der Feuerwehr. Auf dem km 22 bzw. 25 befindet sich eine Begegnungsstrecke, hier klatsche ich den Klaus ab, der mir entgegenkommt und die dritte Videokontrolle erfolgt bei km 26. Schön, daß nicht nur hier viele Läufer mit ihren Namen begrüßt werden. Von der folgenden vierten Verpflegungsstelle (und den weiteren) bin ich begeistert: es gibt zusätzlich Kuchen! Lecker, lecker. Kurz nach km 30 haben wir den höchsten Punkt der Strecke erreicht und ich stelle dankbar fest, daß es jetzt kontinuierlich abwärts geht.


Wir laufen dann westlich an Volkhardinghausen vorbei, bei km 34,5 passieren wir die Waldschmiede, hier gibt’s zum fünften Mal Verpflegung. Klasse, es ist noch Kuchen da! Die sechste und letzte Verpflegung (Kuchen!) erfolgt bei km 37.

Mann, bin ich kaputt! Schon kurz nach der Halbzeit fing es an zu zwicken. Aber mental bin ich ja top vorbereitet. In den letzten Wochen habe ich nämlich Schneggis Bericht vom diesjährigen Deutschlandlauf gelesen. Von Kap Arkona auf Rügen in 17 Tagesetappen zwischen 52 und 92 km über insgesamt 1.205 km bis Lörrach, so mal grade eben quer durch Deutschland. Meine Güte, welch eine sensationelle Leistung haben diese Leute erbracht! Und wie erbärmlich wenig ist dagegen solch ein schlapper Marathon, wie wir ihn eben hinter uns bringen.

Diese Gedanken gehen mir jetzt durch den Kopf. Nein, Leute, lasst die Kirche im Dorf. Nicht diese Super-Ultras sind der Maßstab für uns Normalos, sondern die 90% unserer Altersgenossen, die als Couch-Potatoes ihr sportlich-trauriges Leben fristen. Das rückt die Maßstäbe gerade und richtet mich mental wieder auf. Trotzdem hatte ich die 42,195 km irgendwie nicht als so lang in Erinnerung...


Ich werfe das Powergel ein, das ich für den Notfall, den ich hiermit erkläre, dabei habe. Klasse, die Soße schwappt über die Finger, es klebt fürchterlich. Bäääh. Ob Psychologie oder nicht: es geht direkt wieder besser. Nachdem vorher meist nur die 5 km-Abstände ausgeschildert waren, ist jetzt jeder km angezeigt und ich stelle befriedigt fest, daß ich wenigstens noch um die 5:20 bis 5:30 min laufen kann. Ich wollte ja schon unter 4 Stunden bleiben, das wird aber heute ein hartes Stück Arbeit werden.

Ein raderfahrener Marathonnovize hängt sich an meine Fersen. Ob wir die 4 Stunden noch packen? Wenn wir nicht abk... ja. Er hätte ja auf dem Rad schon viele Langstrecken absolviert, aber das hier sei ja echt härter als erwartet. Ach nee. Mann, wird das knapp mit den 4 Stunden! In Braunsen geht’s über die Twiste und am westlichen Stauseeufer dann in Richtung Ziel. Dean Karnazes (der vielleicht beste Ultraläufer) geht mir durch den Kopf: „Renne, wenn Du kannst. Gehe, wenn Du es nötig hast. Krieche, wenn Du musst. Aber gib niemals auf.“

Solchermaßen motiviert begebe ich mich auf die letzten drei km, die mit den ersten drei identisch sind. Schon von weitem höre ich den Zieleinlauf, überschlage die Zeit, stelle fest, daß es reichen wird und bin in 3:58:31 Std. (manuelle Zeitmessung) „zuhause“. Wie schrieb mir der Klaus heute morgen so zutreffend? „Ich war lange nicht mehr so kaputt“. Wie wahr.


Als letzten Höhepunkt genieße ich die wirklich eiskalte Dusche und das Wehgeschrei meiner Leidensgenossen. Auch das hat etwas für sich, jedenfalls wurde viel gelacht. Ein trotz der Anstrengung schöner Tag ist zu Ende. Ich benötige geschlagene vier Stunden nach Hause, denn die Westumgehung von Köln ist gesperrt. Vor dem prasselnden Kamin lasse ich mich von meiner Frau pflegen. Von ihr aus natürlich völlig uneigennützig. Denn am nächsten Tag durfte ich sie noch bei einem kleinen Crosslauf, wo die gesamte fünfköpfige Familie startete, „ziehen“. Man gönnt sich ja sonst nichts!

Siegerliste:

Männer

1 Rolfes Volkmar TUS Eintracht Bielefeld 02:48:06
2 Francet Sven FCHA Leopoldsburg Belg. 02:50:08
3 Rechsteiner Stefan 3athlon org 02:51:34

Frauen

1 Walter Iris TV Meisenheim 03:16:40
2 Staubach, Astrid LG Vogelsberg 3:17:58
3 Neinhüs-Janssen Annette TSV Weeze 03:27:20 

Streckenbeschreibung
Rundkurs mit zahlreichen Steigungen und Gefällen, insgesamt rund 550 Höhenmeter. Insbesondere in Anbetracht von Jahreszeit und Streckenprofil entgegen der Ausschreibung weniger geeignet für Marathonanfänger. Hier sind flache und zuschauerintensive Stadtmarathons (z. B. Hamburg, Berlin, Köln) eher empfehlenswert (aber auch deutlich kostspieliger).

Auszeichnung
Urkunde, die am Veranstaltungstag mitgenommen werden kann, Medaille (3 €) und T-Shirt (10 €).

Verpflegung
6 Verpflegungsstellen mit Wasser, Iso und Tee, teilweise Bananen und Kuchen.

Logistik
Die Twisteseehalle in Wetterburg ist das Veranstaltungszentrum. Dort gibt es die Startunterlagen am Vor- und Veranstaltungstag bis 10.30 Uhr. Zum Start auf der Staumauer ist es ein knapper Kilometer, vom Ziel zur Halle 200 Meter (bergauf...). Parkplätze sind in der Nähe. Duschen in der Halle (saukalt) und beim nahe gelegenen Sportplatz.

Wer will, kann kostenlos im Welcome Hotel Bad Arolsen das Hallenbad mit allem was dazu gehört nutzen. Das Vier-Sterne-Hotel bietet übrigens jedes Jahr zum Advent Waldmarathon günstige Wochenend-Arrangements an.

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