Fotos: Klaus und Margot Duwe
Arolsen. Wenn dieses Wort fällt, zuckt unser Lauftreffleiter, Peter Lehnert, noch heute zusammen. Hier gab er im Jahr 1990 gemeinsam mit Kurt Thamm, Dieter Weber und Josef Hoß sein Marathondebut. War den anderen dreien das Ankommen noch vergönnt, mußte er ausgezehrt, auch von großer Kälte und starkem Wind und gebeutelt von kalten Getränken leider bei km 35 aussteigen. Das schmerzt ihn noch heute, auch wenn er später viele Läufe erfolgreich absolviert hat. Arolsen. Hessisch Sibirien eben.
Getreu dem Motto: „Gelobt sei, was hart macht!“ gebe ich in diesem Jahr meinem Heimatlauf Siebengebirgsmarathon einen Korb, fliege NICHT ins Warme nach Florenz und wage mich in die nordhessische Wildnis. Mer mööt jo emol jet aaneret maache! Zarte Erinnerungen aus meiner aktiven Zeit als Panzeroffizier kommen hoch: Fritzlar und Arolsen, die Panzerbataillone 63 und 64 - lang, lang ist’s her. Allerdings habe ich es damals von Stadtallendorf (PzBtl 144) aus nicht geschafft, diese Standorte zu besuchen. Zumindest landschaftlich ein Fehler, wie sich mir schnell zeigt, aber ich habe ja neben der Anreise noch 42 km Zeit, dieses Versäumnis auszubügeln.
In Anbetracht der späten, für mich aber günstigen Startzeit um 11.00 Uhr beschließe ich, erst am Morgen anzureisen. Wobei die Anfahrt über 270 km im Vorfeld sicher kein Pappenstiel ist. Ich starte um 6 Uhr und bin über die Autobahnen 3, 1, und 44 um kurz vor 9 Uhr vor Ort in Arolsen, Entschuldigung, BAD Arolsen, der ehemaligen Residenzstadt der Fürsten von Waldeck-Pyrmont mit heute rund 8.300 Einwohnern, 45 km westlich von Kassel gelegen. Nach kurzem Suchen finde ich im Stadtteil Wetterburg die Twisteseehalle, wo die Startnummernausgabe stattfindet und treffe, als hätten wir uns verabredet, vor der Tür sofort Klaus und Margot Duwe. Drinnen ist dann mit den beiden Kurzweil garantiert.
Alles strahlt sehr viel Gelassenheit aus, ein kleiner Verkaufsstand, es gibt belegte Brötchen, Kuchen und Kaffee zu kaufen. Viele Läufer/innen kennen sich und nutzen die (zweite?) Frühstücksgelegenheit weidlich aus. Den Organisator, Heinrich Kuhhaupt sehe ich auch sehr schnell und bin auf das Weitere gespannt. Arolsen, so habe ich im Vorfeld gelernt, ist berühmt/berüchtigt für zwei Dinge: erstens für Heinrichs legendäre Rede und zweitens für eiskalte Duschen. Beides habe ich erleben dürfen.
Pünktlich um 10 Uhr hat der Endsechziger Heinrich für zunächst 35 Minuten ein Mikro in der Hand und vor dem Mund, um seine Rede anschließend am Start fortzusetzen. Er wettert gegen die heutigen Marathonveranstalter, die, von Sponsoren mit dicken Summen geködert, ihren Marathon mit Parallelwettbewerben wie Halbmarathon, Staffeln und gefährlichen Stocktechniken verwässern. So etwas gäb’s bei ihm nicht. „Sprach mich doch so ein Theken-Franz an, 90 Kilo, dicke Wampe: He , Heinrich, haste schon mal den Swiss Alpin (Anmerkung: harter Bergmarathon) gemacht? Und haut mir seine Medaille um die Ohren. ??? Das hat mir keine Ruhe gelassen, ich die Ergebnislisten durchforstet und was finde ich? Teilnahme am 8 km-Staffelwandern!“ Brüllendes Gelächter im Saal...
Mit dem Wohlfühlen ist es untergrundmäßig allerdings schnell vorbei, denn schon sehr bald laufen wir auf extrem matschigem Untergrund oder abwechslungsweise auf frischem Schotter, dem die Festigkeit noch fehlt. Am Ende sahen alle wie richtige Crossläufer aus. Das einzig Trockene im Ziel waren meine Schuhe, ich hatte mich richtigerweise für meine Trailschuhe (Gore Tex) entschieden.
Vor mir sehe ich eine Läuferin mit energischem Laufstil, die erblondeten Haare wippen auf blauem Trikot hin und her. Moment, dieses Bild kenne ich doch! Oder? Ich pirsche mich an sie heran. „Sag mal, Du bist nicht zufällig im Sommer beim Wyker Stadtlauf auf Föhr gestartet?“. Doch, ist sie. Wie klein ist doch die (Läufer-)Welt! Sie hatte es damals doch tatsächlich gewagt, sich bis ins Ziel zu weigern, von mir überholt zu werden! Wir laufen zwei Kilometer zusammen und quatschen schön einträchtig, bei der Steigung ab km 17 muß Anke Rohwer vom Ostroher SC dann leider Ischias-geplagt abreißen lassen. Vor dieser Steigung waren wir besonders gewarnt worden, aber auch diese empfand ich, der ich es gewohnt bin, in profiliertem Gelände zu trainieren, als nicht wirklich dramatisch. Auch wenn ich hier sicherheitshalber eine kleine Strecke gehe.
An der Südspitze von Landau geht es dann in Richtung Süden weiter, bei km 21 erfolgt die dritte Verpflegung und zweite Überquerung der B 450, sehr gut gesichert von unseren Freunden und Helfern sowie der Feuerwehr. Auf dem km 22 bzw. 25 befindet sich eine Begegnungsstrecke, hier klatsche ich den Klaus ab, der mir entgegenkommt und die dritte Videokontrolle erfolgt bei km 26. Schön, daß nicht nur hier viele Läufer mit ihren Namen begrüßt werden. Von der folgenden vierten Verpflegungsstelle (und den weiteren) bin ich begeistert: es gibt zusätzlich Kuchen! Lecker, lecker. Kurz nach km 30 haben wir den höchsten Punkt der Strecke erreicht und ich stelle dankbar fest, daß es jetzt kontinuierlich abwärts geht.
Mann, bin ich kaputt! Schon kurz nach der Halbzeit fing es an zu zwicken. Aber mental bin ich ja top vorbereitet. In den letzten Wochen habe ich nämlich Schneggis Bericht vom diesjährigen Deutschlandlauf gelesen. Von Kap Arkona auf Rügen in 17 Tagesetappen zwischen 52 und 92 km über insgesamt 1.205 km bis Lörrach, so mal grade eben quer durch Deutschland. Meine Güte, welch eine sensationelle Leistung haben diese Leute erbracht! Und wie erbärmlich wenig ist dagegen solch ein schlapper Marathon, wie wir ihn eben hinter uns bringen.
Diese Gedanken gehen mir jetzt durch den Kopf. Nein, Leute, lasst die Kirche im Dorf. Nicht diese Super-Ultras sind der Maßstab für uns Normalos, sondern die 90% unserer Altersgenossen, die als Couch-Potatoes ihr sportlich-trauriges Leben fristen. Das rückt die Maßstäbe gerade und richtet mich mental wieder auf. Trotzdem hatte ich die 42,195 km irgendwie nicht als so lang in Erinnerung...
Ein raderfahrener Marathonnovize hängt sich an meine Fersen. Ob wir die 4 Stunden noch packen? Wenn wir nicht abk... ja. Er hätte ja auf dem Rad schon viele Langstrecken absolviert, aber das hier sei ja echt härter als erwartet. Ach nee. Mann, wird das knapp mit den 4 Stunden! In Braunsen geht’s über die Twiste und am westlichen Stauseeufer dann in Richtung Ziel. Dean Karnazes (der vielleicht beste Ultraläufer) geht mir durch den Kopf: „Renne, wenn Du kannst. Gehe, wenn Du es nötig hast. Krieche, wenn Du musst. Aber gib niemals auf.“
Solchermaßen motiviert begebe ich mich auf die letzten drei km, die mit den ersten drei identisch sind. Schon von weitem höre ich den Zieleinlauf, überschlage die Zeit, stelle fest, daß es reichen wird und bin in 3:58:31 Std. (manuelle Zeitmessung) „zuhause“. Wie schrieb mir der Klaus heute morgen so zutreffend? „Ich war lange nicht mehr so kaputt“. Wie wahr.
Männer
1 Rolfes Volkmar TUS Eintracht Bielefeld 02:48:06
2 Francet Sven FCHA Leopoldsburg Belg. 02:50:08
3 Rechsteiner Stefan 3athlon org 02:51:34
Frauen
1 Walter Iris TV Meisenheim 03:16:40
2 Staubach, Astrid LG Vogelsberg 3:17:58
3 Neinhüs-Janssen Annette TSV Weeze 03:27:20
Streckenbeschreibung
Rundkurs mit zahlreichen Steigungen und Gefällen, insgesamt rund 550 Höhenmeter. Insbesondere in Anbetracht von Jahreszeit und Streckenprofil entgegen der Ausschreibung weniger geeignet für Marathonanfänger. Hier sind flache und zuschauerintensive Stadtmarathons (z. B. Hamburg, Berlin, Köln) eher empfehlenswert (aber auch deutlich kostspieliger).
Auszeichnung
Urkunde, die am Veranstaltungstag mitgenommen werden kann, Medaille (3 €) und T-Shirt (10 €).
Verpflegung
6 Verpflegungsstellen mit Wasser, Iso und Tee, teilweise Bananen und Kuchen.
Logistik
Die Twisteseehalle in Wetterburg ist das Veranstaltungszentrum. Dort gibt es die Startunterlagen am Vor- und Veranstaltungstag bis 10.30 Uhr. Zum Start auf der Staumauer ist es ein knapper Kilometer, vom Ziel zur Halle 200 Meter (bergauf...). Parkplätze sind in der Nähe. Duschen in der Halle (saukalt) und beim nahe gelegenen Sportplatz.
Wer will, kann kostenlos im Welcome Hotel Bad Arolsen das Hallenbad mit allem was dazu gehört nutzen. Das Vier-Sterne-Hotel bietet übrigens jedes Jahr zum Advent Waldmarathon günstige Wochenend-Arrangements an.