"Wir haben seit mehr als 10 Monaten an der Veranstaltung mit viel Engagement und Energie gearbeitet. Gemeinsam mit unseren Sportlerinnen und Sportlern wollten wir als der veranstaltende Tangermünder Elbdeichmarathon e.V. wieder ein Lauf-Fest für Tangermünde und die Region Altmark auf die Beine stellen.
Genau wie unsere Teilnehmer haben sich unsere Vereinsmitglieder sowie zahlreiche freiwillige Helfer auf die Ausrichtung vorbereitet, um besondere Momente zu schaffen. In den letzten Wochen waren wir in enger Abstimmung mit den zuständigen Behörden der Stadt Tangermünde und des Landkreises Stendal.
Die Gesamtsituation hat sich aktuell erheblich verändert, daher bringen wir der getroffenen Entscheidung zur Untersagung des 13. Tangermünder Elbdeichmarathhon durch die Behörden vollstes Verständnis entgegen und setzen diese verantwortungsvoll um."
Mit diesen Worten informieren die Veranstalter auf ihrer Website die Absage der Veranstaltung wegen des Coronavirus.
Wer im unfangreichen M4Y-Archiv stöbert, findet vom Tangermünder Elbdeichmarathon unter anderem das hier (Fotos Anton Lautner und Mario Bartkowski):
Sonntagfrüh besuchen wir um 09.00 Uhr die Läuferandacht in der Stephanskirche. Die Pastoren wünschen uns mit Handschlag bereits an der Kirchentüre einen guten Morgen und einen guten Lauf. Erstaunlich, dass das kirchliche Personal bereits in Laufklamotten die Andacht hält.
Die Stephanskirche in der heutigen Form wurde im späten Mittelalter (ab 14. Jahrhundert) im Stil der norddeutschen Backsteingotik erbaut. Während viele Kirchen hier Doppeltürme haben, blieb in diesem Fall der Südturm unvollendet. Besondere Bedeutung hat in der Kirche die Scherer-Orgel. Wir bekommen bei zwei Kirchenliedern eine eindrucksvolle Kostprobe. Nach der Andacht geht die Kirchengemeinde gemeinsam hinunter zum Hafen.
Im Freigelände herrscht schon Trubel. Die Läufer machen sich fertig für ihre Strecken, die Kleider werden in einem eigenen Zelt abgegeben. Zeit für letzte Fotos, nochmals für einen Ratsch oder für eine Phase der Konzentration bei denen, die heute vorne mitmischen wollen. Ganz gleich, welche Pläne jeder hat, gemein ist allen, dass heute Petrus die kalte Luft vertrieben hat. Der Planet strahlt nämlich vom Himmel.
Punkt 10.00 Uhr wird das Marathonfeld, fünf Minuten später die Halbmarathonis, weitere zehn Minuten später die Zehner auf die Strecke geschossen. An der Hafenpromenade applaudieren viele Leute, dann geht es auf grobem Kopfsteinpflaster hoch zum Klosterberg. Über das rustikale Stück werden einige Läufer bestimmt fluchen. Gut 10.000 Einwohner hat die Stadt, die bereits im Jahr 1009 erwähnt wurde. Die Blütezeit der Hansestadt war das 15. Jahrhundert. Aus dieser Zeit stammen die Stadttore und das Rathaus. Der 16. September 1617 war ein schwarzer Tag für die Stadt, denn ein gewaltiger Brand vernichtete den größten Teil der Häuser. Als Brandstifter wurde die Waise Grete Minde beschuldigt, die angeblich aus Rache für ein nicht erhaltenes Erbe so gehandelt haben soll. Sie wurde auf dem Scheiterhaufen hingerichtet. Später stellte sich heraus, dass Grete sich am Tag des Brandes rund 80 Kilometer entfernt aufgehalten hat. Eine Skulptur von ihr kann man vor dem Rathaus besichtigen.
Mit Kilometer zwei verlassen wir die Stadt. Frühzeitig können wir die erste Tankstelle benutzen. Wasser, Apfelschorle und Cola stehen im Angebot. Bananen gibt es als feste Verpflegung. Weit ist der Blick, eine Brücke über den Tanger erweitert noch unseren Horizont. Frühzeitig kommen die ersten Halbmarathonis von hinten herangerauscht. Die haben den Abstand der fünf Minuten in drei, vier Kilometer hereingelaufen.
Nach fünf Kilometer laufen wir in die erste Ortschaft hinein, Bölsdorf. Ich seh nicht gut und lese Bölkstoff. Gibt es vielleicht da etwas für einen durstigen Bayern bei der nächsten Tanke?
Gut 300 Einwohner hat der Ort und ich bin überrascht, dass an vielen Häusern Wimpel und Fahnen aufgehängt sind. Einige der Bewohner schauen aus ihren Fenstern und klatschen. Am Ortsende können wir abermals verpflegen. Dort findet ein kleines Ortsfest mit Moderation statt. Kurz nach der V-Stelle verlassen wir Bölsdorf auf einem „ungehobelten“ Pflasterweg. Links und rechts können wir auf dem ebenen Sandboden gemütlicher laufen. Die schnellen Halbmarathonis dürfen über das grobe Pflaster holpern, sie sind ja auch eher fertig.
Zwei, drei Kilometer laufen wir danach auf asphaltieren Feldwegen. Im Vorfeld wurde ich informiert, dass die Strecke windanfällig wäre. Das stimmt tatsächlich, doch heute ist es relativ ruhig. Perfekte Bedingungen. Den nächsten Ort, Buch an der Elbe, können wir bereits an der Silhouette der Kirche erkennen.
Blühende Obstbäume zeigen den Fortschritt des Frühlings. Ein großes Banner quer über der Straße gespannt begrüßt die Läufer. Cheerleaders winken mit ihren Puscheln, ein Moderator begrüßt uns namentlich. Bei der folgenden V-Stelle wird wieder eifrig zugegriffen. Auf der Querstraße verlassen wir den Ort. Das Feld der Halbmarathonläufer wird dichter.
Wir laufen auf der Straße weiter bis in die nächste Ortschaft, nach Schelldorf, einem kleinen Ort mit nur 120 Einwohnern, der nach Tangerhütte eingemeindet wurde. Unweit der Kirche können wir abermals verpflegen und wenden dann.
Kurz ist der Feldweg, der uns an den Deich heranführt. Ein paar Meter müssen wir uns nach oben kämpfen, dann sind wir auf dem Unterhaltungsweg angelangt. Wie hier sind an vielen Stellen Streckenposten, darunter auffällig viele Jugendliche. Toll, dass man den Nachwuchs gleich einbindet. Meist sind sie zu zweit oder zu dritt, so wird Ihnen nicht langweilig. Manchmal sehe ich sie picknicken. Recht haben sie.
Der Weg ist gepflastert und nicht ganz eben. Ich sehe einen Läufer, der sich vom Boden aufrappelt, weil er über eine Wurzel stolperte und ins Gras gepurzelt ist. Er schüttelt sich und rennt weiter.
Kilometer 15, der Druck der auflaufenden Halbmarathonis lässt nach, manche müssen gehen, weil sie zu schnell begonnen haben. Dazu sind die Temperaturen deutlich gestiegen. Kurz nach Kilometer 16 führt uns der Elbradweg auf den Damm. Weit in der Ferne sehen wir im Dunst die Kirche St. Stephan, noch vier Kilometer weg. Die Strecke wird jetzt durch einige Bäume links und rechts ein wenig schattiger.
Blühende Büsche und Waldblumen sorgen für bunte Tupfer in der Natur. Mir geht es gut. Die erste Runde neigt sich langsam dem Ende zu. Kilometer 20, ich sehe am Kiesloch und der Großen Lanke, so heißen beide Gewässer links und rechts des Deiches, und die Bebauung des Hafens. Das verdammt grobe Kopfsteinpflaster ärgert meine Füße und dann geht es die Hafenpromenade entlang. Der letzte Streckenposten ist an einem Kreisverkehr, die Zuschauerdichte nimmt zu. Wir wenden auf in die zweite Runde.
Ich verlasse Tangermünde auf der breiten Kreisstraße. Mist, ich sehe keinen vor mir laufen. Kann denn das sein? Ich nehme Tempo auf, auch wenn ich dann zum Schluss eingehen sollte. So vergeht Kilometer um Kilometer. In Bölsdorf kann ich am Ortsausgang wieder einige vor mir sehen und später einholen.
Einige Fans halten mir ein selbstgebasteltes Transparent entgegen. Respekt, lese ich. Die Leute motivieren, also nicht nachlassen. Kilometer 33, Wende. Auf den letzten paar Kilometer ist etwas Wind aufgekommen, der jetzt von hinten schiebt. Ein Mädchen liegt auf einer Bierbank und ist in der Sonne weggenickt. Es ist warm geworden, jeder kleine Windhauch sorgt für ein wenig Kühlung.
Letzte V-Stelle. „Bitte ein Bier für einen durstigen Bayern“, ich werde endlich erhört. Dder Helfer rödelt. Das kühle, frisch gezapfte Radeberger sorgt zwar ein paar Minuten lang für schwache Beine, doch dann nehme ich wieder Fahrt auf. Eine Radlerin eiert mit ihrem Gefährt vor meinen Füßen umher, dann biege ich auf die Promenade ein und laufe erhobenen Hauptes durch das Ziel.
Ein Mädel hängt mir die Medaille um, ein anderes bindet den Chip aus dem Schuh und kann sogar noch ein Bier für mich auftreiben.
Später sehe ich, wie der 22jährige Alexander ins Ziel läuft, geplagt von einem Muskelkrampf. Augenblicke später wird er von Freunden betreut. Er weint vor Glück, es ist sein erster Marathon. Solche Bilder erlebt man nur beim Marathon. Auch meine Augen werden feucht.
Auf Wiedersehen in Tangermünde am 18. April 2021