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Laufberichte

Eine Seefahrt, die ist lustig ... (2)

19.01.14 Special Event
 

Zum zweiten Male komme ich bei einem öffentlichen Gebäude vorbei, das in den Nationalfarben Grenadas geschmückt ist. Inga erklärt, dass am 7. Februar 2014 der 40. Jahrestag der Unabhängigkeit Grenadas von Großbritannien groß gefeiert werden wird. Die wechselvolle Geschichte dieser westindischen Insel, um die sich die Engländer und die Franzosen stritten, steht im Mittelpunkt der Gedenkfeiern. Christoph Kolumbus soll bereits 1498 Grenada gesichtet haben.

Ein Werbeplakat entlang der Laufstrecke fällt auf,  auf dem Kirani James abgebildet ist. Inga hat diesen jungen Sprinter, der bei der Olympiade 2012 in London Gold im 400 m-Lauf gewann, bei einer Veranstaltung persönlich kennengelernt. Er sei sehr nett, überhaupt nicht abgehoben und noch so jung, dass ihm weitere Erfolge zuzutrauen sind. Inga plant vielleicht heuer oder spätestens nächstes Jahr wieder nach Europa zu fliegen, um ihre Verwandten in Prag zu besuchen. Ich biete ihr an, wenn sie möchte, bei uns Quartier zu beziehen und einige Trainingsrunden gemeinsam zu laufen.

Je mehr wir reden, desto rascher vergeht die Zeit. Ich kann mich ad hoc nicht erinnern, für 21,1 km je knapp an die 3 Stunden gebraucht zu haben. Doch gegen 11 Uhr ist es so heiß geworden, dass meine Haare unter der Kappe klitschnass sind. Ab Kilometer 15 ist an ein konstantes Laufen nicht mehr zu denken. Auch Inga schwitzt. Sie ist zwar in der Verfassung, 10 km in 50-55 Minuten zu schaffen, aber nicht um diese Tageszeit. Dazu kommt, dass mein luftiges Singlet, das ich in Funchal bei Sport Zone gekauft habe, keinen Sonnenschutz bietet und schon nach einer Stunde meine Schultern sonnenverbrannt sind. Es gibt nirgends entlang der Strecke Passagen, die Schatten spenden. Aber die Devise lautet ja ‚Durchhalten‘.

Auf der 3. Runde begleiten mich Adam, der jüngere Bruder von Marc, Liz, die Mutter der beiden Brüder, Cathy, eine rot-blonde, sehr hübsche junge Amerikanerin, die schon Marathonerfahrung hat. Cathy lief zweimal in New York City, einmal knapp über 3:30, das andere Mal 4:10.  Adam ist auch Triathlet, aber wie er sagt kein fleißiger Trainierer. Wir reden über Woodoo-Zauber, Telepathie, dem Glauben an ein Jenseits.

Ich berichte, dass ich in den 1970er Jahren an der TU Wien an Experimenten  zur Tonbandstimmenforschung teilgenommen habe, die dokumentieren sollen, dass Tote über Trägerwellen zu uns Kontakt aufnehmen. Später als Gymnasiallehrer habe ich in den offenen Lernwochen knapp vor Schulschluss derartige Seancen angeboten, die bei den knapp vor der Matura stehenden Schüler/innen großes Interesse hervorgerufen haben. Adam erklärt, dass zwar 80% der Menschen auf Grenada römisch-katholisch seien, dass es aber dennoch auch Sekten gebe, die sich allerlei  anderen Glaubensrichtungen zuwenden, ihr Tun aber zumeist in der Öffentlichkeit verborgen  bleibe. Ob ich mit einer Hexenpuppe aus Haiti in der Hand gewisse Leute in meinem näheren Umfeld zur Mäßigung auffordern kann?

Nach knapp 32 km ist die 3. und vorletzte Runde vorbei. Mehr als 4 Stunden sind seither vergangen. Es ist bereits gegen 13 Uhr 30 Ortszeit, die drückende Hitze ist gewiss nicht leistungsfördernd. Ich bestimme das Tempo ja längst selbst. Die Begleiter sind aber insgeheim froh, dass ich meinen Einstandsmarathon auf Grenada, obwohl ich ja schon einige Male hier war, allerdings immer nur tagsüber zwischen 12 bis 14 Stunden wie bei Kreuzfahrten üblich, ruhig angehe.

George ist der letzte Laufpartner auf meiner vierten Runde. Er ist 45 Jahre alt, gut trainiert und  einverstanden, dass wir im schnelleren Gehtempo die verbliebenen 10 km bewältigen. Jetzt sieht man immer mehr Studenten auf der Laufstrecke, die in die Stadt wollen. Der Lokalbus Nr. 1 fährt bis nach St. George’s, um 1 US$, wenn man weiß, wo man zusteigen muss. Taxis verrechnen das Zwanzigfache. Viele der insgesamt 7000 Studenten zumeist im Bereich Human- und Veterinärmedizin kommen aus den USA und Kanada. Sie leben in kleinen Wohnhäusern aus Holz und halten sich mit Sport fit, erzählt George. Er kenne einige, die die 10 km in 40 Minuten laufen.

Die an einer Auslaufleine angebundenen Ziegen am Straßenrand sind auch bei der Wende nach 37 km und 5:35 Stunden immer noch da. Georg erklärt, dass sie auch in der Nacht nicht in einen Stall gebracht werden, sondern im Feien bleiben, keiner würde sie stehlen. Überhaupt sei Grenada eine sehr sichere Insel. Es werde wenig gestohlen, Rückfallstäter würden sofort wieder inhaftiert werden. Er selbst sperre seine Wohnungstür oft gar nicht zu, bisher wurde nie etwas entwendet. Hier muss man wohl einschränken, dass die weiße Bevölkerung zumeist in eigenen Wohngegenden lebt, die von farbigem Wachpersonal abgeschirmt werden.

George holt mir auf meine Bitte eine Flasche Grenada-Bier aus einem nahen Lokal und rennt mir dann nach. Er ist mit meinem Walking-Tempo, wie er sagt, sehr zufrieden, weil er aus eigener Erfahrung weiß, dass er wegen einer Verletzung im Rennen einmal für einen Halbmarathon 2:55 Stunden benötigt hat. Bei Kilometer 40 zeigt meine Uhr 6: 07, bei 42,22 km sind es 6:27:04 Stunden, noch fehlen einige Hundert Meter bis ins Ziel bei Marc‘s Cafe.  Ich finishe den Marathon nach 42,63 km (GPS-Anzeige) mit 6:30:19. Die zusätzlichen 400 m dürften sich durch geringe Abweichungen meinerseits von der Ideallinie ergeben haben.

Mark und Adam erwarten George und mich im Ziel. Liz überreicht mir eine einfache Medaille aus Glas, zwei T-Shirts von vorangegangenen Triathlonveranstaltungen und zusätzlich eine Sektflasche, die ich später an Ian im Craft & Spice-Market übergebe. Ich spüre viel Herzlichkeit, es ist nicht selbstverständlich, dass die Freunde von Marc und Mitglieder seines Triathonclubs einen Teil ihrer sonntäglichen Freizeit geopfert haben, um mich auf meinem Lauftrip zu begleiten.

George bringt mich anschließend mit seinem Geländeauto zum Market direkt am Grand Anse Beach. Meine Frau und Tochter haben Ian, den wir seit Jahren kennen, einige Geschenke überbracht. Ian verkauft selbst hergestellte Handwerkskunst. Es ist bereits 16 Uhr 15, als ich dort eintreffe. Ian erklärt mir, dass beide soeben zum Transferboot gegangen seien. Mir bleibt noch eine  gute halbe Stunde Zeit zum Schwimmen, das letzte Boot fährt um 17 Uhr. Als ich dann zum Boot komme, sitzen meine beiden Damen wider mein Erwarten drinnen, die für 16 Uhr 30 geplante vorletzte Abfahrt scheint entfallen zu sein. Gemeinsam fahren wir nun zurück.

Wäre ich zum ersten Mal in Grenada, wäre der Wahnwitz noch größer gewesen, mit Brachialgewalt vier Mal bei größter Hitze entlang einem Highway und der Küstenstraße mit vielen Anstiegen  die Marathondistanz zu laufen. So aber habe ich in den Gesprächen viel über das (bevorzugte) Leben der Weißen erfahren und einige neue Lauffreunde gefunden. Es wäre natürlich schön, ihnen eines Tages zu beweisen, dass ich im Besitze meiner vollen Kräfte besser mithalten oder ihnen sogar etwas vorlegen kann.

Heute am 20. Januar 2014 husten am Schiff mehr Passagiere denn je, auch meine Tochter hat  es erwischt. Ich jedoch bin seit der gestrigen selbst auferlegten Extra-Schwitzkur wieder fit und für neue Taten motiviert.

Vorerst  einmal bleibt keine Zeit für weitere Laufausflüge: Nach Aruba folgt  eine Bootstour zu den Islas del Rosario in der Nähe von Cartagena in Kolumbien, eine Regenwald-Tour in Puerto Limon/Costa Rica und nach der Durchfahrt durch den Panama-Kanal Delphinschwimmen in Puerto  Vallarta/Mexiko sowie eine Expedition in die Sierra Madre. In Cabo San Lucas steht ein Tauchgang auf meinem Programm.

Der nächste Marathon mit ca. 2000 Teilnehmern ist für den 2. Februar vorgesehen – der Surf City Marathon am Pacific Ocean Highway nahe der Huntington Beach in Los Angeles.

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