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Laufberichte

100 Km del Passatore: Una notte Italiana

30.05.15 Special Event
 


Nicht mehr allein auf der Straße


Da taucht gerade zur rechten Zeit ein weiterer “Wasserwerfer” auf. Danke für den Service. Wir kommen an eine Straßenkreuzung und stoßen auf die SR 302. Der Lauf führt übrigens ausschließlich über Asphalt. Bislang hatten wir Läufer den Asphalt auch nur für uns. Das soll sich aber nach dem Einbiegen auf die SR 302 ändern.

Die Straße ist ab jetzt nicht mehr für den Verkehr gesperrt. Andauernd kommen Autos, Busse, LKWs, Motorräder und Vespas von vorne und hinten an uns vorbei und machen Lärm und verbreiten Gestank. Entspanntes Laufen auf der Straße stelle ich mir anders vor. Es kommt zwar zu keinen für mich erkennbaren gefährlichen Situationen, aber mehrmals zu Beeinträchtigungen beim Laufen. Echt unangenehm.

Dazu kommen viele Begleiter von Läufern oder Läufergruppen, die mit Autos, ja sogar großen Wohnmobilen, unterwegs sind. Ich sehe im Verlaufe des Passatore immer wieder die gleichen Autos/Wohnmobile am Straßenrand stehen oder an uns vorbeifahren. Noch nie habe ich so viele Läufer sich bei einem Lauf unterwegs umziehen oder die Schuhe wechseln gesehen, wie hier.

Es ist eine Zumutung für die anderen Läufer. Eine verkehrsfreie Straße ist ganz einfach etwas, was ich bei so einem Lauf erwarte.


Abwärts zum nächsten Aufstieg


Bei Vetta le Croci (Km 16,5) ist fürs erste Schluss mit aufwärts. Es geht von 518 m hinunter bis nach Borgo San Lorenzo (195 m, Km 31,5). Unterwegs fällt mir Nicola auf. Er hat seine Haarpracht mittels Perücke seiner Begleiterin angepasst.
Die Schatten werden länger. Die Dämmerung kündigt sich langsam an. Ich sehne die damit verbundene Abkühlung herbei. Ich habe noch immer das Gefühl, wie gelähmt zu laufen.

In Borgo San Lorenzo ist wieder richtig Stimmung. Eine Zeitmessmatte ist zu überlaufen. In den Startunterlagen gibt es übrigens auch einen  Leihchip. Und der muss an diesen Matten piepsen, sonst wird man disqualifiziert.

Das Durchlaufen des Ortes hat was und ist eine schöne Abwechslung nach den vielen Landschaftskilometern. Am Ortsende steht ein Hinweisschild: Nur noch 68 Km bis nach Faenza. Ich denke positiv. Fast ein Drittel ist schon geschafft.
Neben dem Verkehr nervt mich ein Läufer. Ein Schwätzer läuft mit blankem

Oberkörper und quatscht jeden an. Dafür bin ich im Moment nicht zu haben. Der Kerl nervt. Ich gebe Gas.

Ein Holländer spricht mich auf meine Trailschuhe an. Ob die für den Lauf auf der Straße richtig seien? Klar sage ich. Die sind bestens eingelaufen. Fakt ist, ich hab in den Tretern einen guten Grip auf dem Asphalt. Der Holländer ist bereits zum siebenten Male beim Passatore dabei.


Auf zum Colle di Casaglia

 

Jetzt kommt der zweite, längere Aufstieg. Und der hat es in sich. Es geht hinauf auf 913 m. Dort oben ist bei Km 48 fast die Hälfte geschafft. Aber da müssen wir erst einmal hinauf. Das geht leichter, wenn man nette Gesprächspartner hat. So etwa Antonio aus Florenz. Auch er ist Wiederholungstäter beim Passatore. Er empfiehlt mir den Florenz Marathon Ende November. „Den musst Du laufen“. Das sagt auch Maria aus Brescia über den Marathon in ihrer Heimatstadt.

Über Panicaglia, Ronta und Razzuolo kämpfen wir uns hinauf bis zum Colle di Casaglia. Es wird dunkel und die ersehnte Abkühlung kommt. Allerdings haben wir immer noch 14, 15 Grad. Ich ziehe meine leichte Windjacke über das Shirt.
Ein Schild zeigt an, dass wir bereits die Marathondistanz gelaufen sind. Weiter geht es nach oben. Die Passhöhe kommt näher. Es ist zwar weiter ein Kampf, aber er fällt nunmehr leichter. Ich fühle mich, nachdem die Hitze endlich vorüber ist, richtig erleichtert.


Stau am Pass


Oben angekommen ist eine weitere Zeitmessmatte zu überlaufen und ein Ristoro bietet Stärkung. Klar, hier stehen Läufer und laben sich. Und schon gibt es auf der Passstraße Stau. Ein dicker Bus kommt nicht an den Läufern vorbei. Wild hupend will der Fahrer sein Durchkommen erzwingen. Prima, wegen des Staus kann man bergab eine Weile ohne Verkehr von hinten laufen.

Und ich lasse es laufen. Na, zumindest habe ich das Gefühl, mal wieder richtig zu laufen. Und es geht ja auch über etliche Km ordentlich bergab. Irgendwie kommt mir zugute, mir bei der Hitze meine Kräfte gut eingeteilt zu haben. Ich muss nicht hinuntergehen, wie einige andere Läufer, kann flott abwärts laufen und werde von niemandem überholt, tue es  aber pausenlos selber. So macht es Spaß. Mir ist aber klar, dass gerade einmal die Hälfte des Laufes vorbei ist. Und so halte ich Maß.
Bei Km 60 beschließe ich, einen Moment zu rasten. Bis dahin greife ich nur kurz bei den Ristoros zu und mache ein Foto der gelben Km-Schilder. Den angebotenen leckeren Chianti lasse an den Ristoros übrigens unbeachtet. Dafür nehme ich gerne Cola und Schnittchen mit Mortadella. Auch Eier werden angeboten. Und, und, und. Lecker …


Bankdrücker


Kurz vor Km 70 sehe ich in einem kleinen Ort rechts der Strecke eine Bank. Genau an der richtigen Stelle und zum richtigen Zeitpunkt. Einmal hinsetzen, Schuhe kurz ausziehen, Blase am rechten Fuß begutachten. Tut weh, aber sonst kein Problem. Weiter gehts.

Ab jetzt lege ich immer wieder kleine Gehpausen ein. Jeff Galloway lässt grüßen. Er propagiert den Wechsel von Laufen und Gehen schon seit Langem. Und hier hilft es mir. Ich merke, ich werde schlapper.

Irgendwie habe ich den Eindruck, die Gehpausen werden im Verhältnis zu den Laufabschnitten länger. Ich muss mich zum Laufen zwingen. Ist aber ok. So ein Lauf wird im Kopf entschieden – hatte ich vorher immer gehört. Stimmt. Ich gebe mir klare Anweisungen. Bis dahin wird gelaufen und bis dorthin gegangen. O.k., ich betuppe mich stets selber und laufe immer etwas länger als ich es mir vorgebe. Aber mit dieser Taktik komme ich Faenza immer näher.

Nur schade, dass ich von der herrlichen Landschaft um mich herum in der Dunkelheit nichts sehen kann. Dunkelheit? Was zeichnet sich da ganz hinten am Horizont ab? Da wird es langsam etwas heller und der neue Tag kündigt sich an. Und dazu gibt es Froschkonzerte am Wegrand.

Das Km-Schild 90 lässt neue Kräfte in mir erwachen. Das Ziel in Faenza beginnt eine Sogwirkung auf mich auszuüben.

Nach Km 95 ist zur Motivation jeder Km einzeln beschildert. Somit sind es insgesamt 24 gelbe Km-Schilder auf der gesamten Strecke. Ich fühle mich beflügelt. Bald habe ich es geschafft. Wir laufen in Faenza ein. Die Rotanda 100 Km del Passatore nimmt uns auf und bringt uns zum Km-Schild 98.

Was ich hier will? Ein Foto ähnlich dem meines großen 100 Km-Läufer Vorbildes Wolfgang aus Waldbreitbach bei Km 99 in Biel. Nur, ich will mein Foto bei Km 98. Da will mich aber keiner fotografieren. Gottlob erbarmt sich bei Km 99 ein Mitläufer und lichtet mich ab.

Der letzte Km ist ein einziger Genuss. Hinein ins Zentrum von Faenza und auf der Piazza del Popolo geht es beim Morgengrauen durch den Zielbogen. Nach fast 14 Stunden ist der Passatore für mich gelaufen.

Jetzt heißt es Medaille in Empfang nehmen und den Leihchip gegen drei Flaschen Wein tauschen. Das nenne ich doch mal ein wahres Finishergeschenk. Kleider abholen und Shuttlebus zu den Duschen stehen als nächstes an. Ich will mich nicht lange im Ziel aufhalten. Mir wird kalt. Schön, dass es bei den Duschen im Gymnasium weitere Getränke und Verpflegung gibt. So eine Dusche nach einem Hunderter mit dem Geschmack eines Mortadella-Schnittchens im Mund hat was.

Nun den Shuttle Bus noch einmal in Anspruch nehmen und zum Bahnhof nach Faenza, den Regionalzug nach Florenz besteigen und glücklich über den ersten Hunderter die schöne Strecke bei Tag vom Zug aus in Ruhe betrachten und dabei einige Nachzügler bemitleiden. Sie laufen in der wieder aufkommenden Hitze des neuen Tages ihre letzten Km. Bis 11 Uhr müssen sie im Ziel sein, nach 20 Stunden ist Zielschluss.

Ich möchte nicht tauschen.

Fazit: Gut organisierter Lauf. Ein empfehlenswerter Einstieg in die Hunderterszene. Allerdings beeinträchtigt durch den Verkehr auf der SR 302.

Arrivederci!

1.894 Läufer erreichen das Ziel.

Sieger
Frauen

1. Nikolina Susic  7.41,40
2. Veronika Jurisic  7.53,01
3. Marija Vragic   8,41,04

Männer
1. Giorgio Calcaterra  7.08,03
2. Dimitry Pavlov  7.17,30
3. Chad Ricklefs  7.18,19

 

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