marathon4you.de

 

Laufberichte

100 Km del Passatore: Una notte Italiana

30.05.15 Special Event
 

Einmal muss es sein: Nach 90 Marathons und Ultras steht mein erster Hunderter an. Es gibt einige interessante Angebote. Der Klassiker in Biel zum Beispiel. Aufgrund meiner Vorliebe für Läufe in Italien ist es nicht verwunderlich, dass die Auswahl auf einen Lauf in der Toskana fällt. Der “Passatore” führt von Florenz über den Apennin nach Faenza.

Ich reise schon am Mittwoch an und erkunde Donnerstag und Freitag Florenz. Kultur und Sehenswürdigkeiten vom Feinsten. Unbedingt empfehlenswert. Bloß nicht nur zum Lauf anreisen und sofort wieder weg. Allerdings ist man in Florenz selten allein – zumindest nicht an den Hauptsehenswürdigkeiten in der Altstadt wie dem Dom, dem Palazzo Vecchio und Ponte Vecchio. Oder wie im Gedränge in den weltberühmten Uffizien. Unvorstellbar schön – aber total überlaufen.

Großen Zuspruch hat auch der Passatore. Ich kann es kaum glauben, aber mehr als 2.200 Läufer werden am Start inmitten der Florentiner Altstadt stehen. Und das bei einem Hunderter. Ich bin beeindruckt.

Die Startunterlagen kann man sich schon an den Vortagen in Faenza, dem Sitz des ausrichtenden Vereins, abholen. Ich mache es weniger aufwändig und hole sie mir erst kurz vor dem Start am Samstag an der Piazza della Repubblica in der Nähe des Starts ab.

Der Start ist um 15 Uhr. Den Kleiderbeutel fürs Ziel in Faenza gebe ich bei LKW Nr. 1 in der Nähe ab. Die LKW's 2 und 3 transportieren Wechselkleidung nach Borgo San Lorenzo (Km 31,5) bzw. zum Passo della Colla (Km 48). Ich bleibe autark und führe wieder im Trinkrucksack eine leichte Windjacke für die Nacht mit. Das reicht. Unterwegs wird nix gewechselt.

Neben dem Zelt mit den Startunterlagen steht ein finster drein blickender Bursche mit Hut und Gewehr. Es ist der “Il Passatore”, der Namensgeber des Laufes. Stefano Pilloni (1824-1851) war Fährschiffer und dann ein berühmter Bandit. Er wurde gefasst und tot durch die Straßen geschleift.

Wie die Zeiten sich ändern. Il Passatore wurde vom Banditen zum Namensgeber für regionale Produkte und des 100 Km-Laufes – und viele Läufer lassen sich mit ihm fotografieren.


Lähmende Hitze


Die Minuten bis zum Start bleibe ich im Schatten. Es ist drückend heiß. Die Temperatur liegt bei 30 Grad, dazu ist es windstill. Blauer Himmel ist gut fürs Fotografieren, aber die Hitze ist wenig läuferfreundlich.

Der Start erfolgt beim Dom in der Via Calzaiuoli. Die schmale Straße ist dicht bevölkert mit Läufern. In den Eingängen der Geschäfte links und rechts stehen Verkäufer und Zuschauer. Die Athmosphäre hat schon was.

Und dann fällt pünktlich der Startschuss. Ich habe großen Respekt vor dem Lauf. Einhundert Km wollen erst einmal gelaufen sein. Dazu hat es fast 1.300 Höhenmeter rauf und runter. Aber: Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Auf gehts!

Nach wenigen Metern ist der Dom und der unmittelbar neben ihm stehende Campanile erreicht. Vorgestern hatte ich beide bestiegen und so ein letztes Höhentraining. Ob das wirklich gut war? Ich fühle mich absolut schlapp. Die schwüle Hitze macht mir mächtig zu schaffen.

Die Stimmung in der Altstadt ist riesig. Der Start ist für mich nur vergleichbar mit dem in Rom am Forum Romanum. Am Dom stehen dichtgedrängt die Zuschauer und feuern uns an. Rechts sehe ich die Schlange zum Aufstieg auf die Kuppel des Domes. Es lohnt sich.

Die Straßen durch die Altstadt sind voll mit Läufern. Gut 2.200 Läufer wollen hier durch. Das bringt eine gewisse Enge mit sich. Ich will aber wie alle um mich herum eh nicht schnell los laufen. Alle gehen den Lauf ruhig an. Es liegen noch genug Km vor uns. Kein Grund zur Eile.

Ein Läufer mit einer Fahne fällt mir auf. In Fiesole werde ich ihn noch einmal sehen. Am Rande sitzen Touristen in den Cafes und Restaurants und essen Eis und Kuchen, trinken Kaffee und feuern uns an. Vorbei geht es an schönen Plätzen, Kirchen und Palazzi. Das Feld ist noch dicht beisammen.


Es geht aufwärts


Laut Höhendiagramm geht es erst nach der ersten Verpflegungsstelle (VS) an der Piazza Edison bei Km 4 aufwärts. Aber schon vorher steigt die Straße leicht an. An der VS, italienisch Ristoro, lasse ich ob des Gedränges die Getränke unbeachtet, ich bin ja Selbstversorger mit Trinkrucksack. Aber meine Kappe tauche ich in Wasser ein. Kühlung ist angesichts der Hitze unbedingt notwendig.

Ich fühle mich bleiern, irgendwie gelähmt. So richtig im Lauf bin ich trotz der guten Stimmung und des herrlichen Sonnenwetters noch nicht. Und dazu geht es nun richtig hoch.

Fiesole ist unser nächstes Ziel. Das kleine sehenswerte Städtchen thront oberhalb von Florenz. Schon die alten Etrusker waren hier. Na klar, die Römer auch. Es geht ordentlich bergauf. Ich gehe. Nur wenige Unerschrockene laufen hier noch.

Km 5 wird passiert. Alle 5 Km tauchen die gelben Schilder am rechten Streckenrand auf. Nur noch 19 weitere Km-schilder denke ich. 19 kann eine ganz schön große Zahl sein werde ich noch feststellen.

Ich nutze jeden mir bietenden Wasserhahn oder Wasserschlauch. Und derer gibt es einige. Immer heißt es, Kopf unter Wasser und Kappe wässern. In der Hitze aufwärts zu streben, erfordert schon eine gewisses Maß an Masochismus. Mir fällt Kollege Georg ein mit seiner Bemerkung: “Was, 100 Km? Da muss man nicht bekloppt für sein. Aber wenn man es ist, hilf es ungemein!” Georg, du hast Recht.

Ein Läufer mit einem Foto auf seinem Shirt und bunter Kopfbedeckung fällt mir auf. Es ist der Onkel des kleinen Addo, steht so auf dem Shirt mit dem Foto des Säuglings. Und was sehe und rieche ich am Rande der Strecke kurz vor Fiesole? Einen prächtigen Ziegenbock.


Durchs Mittelalter


Unter uns wird Florenz immer kleiner. Der Blick hinunter ist fantastisch. Sieht gut aus, die Silhouette der Stadt mit der markanten Kuppel des Doms und dem Turm des Palazzo Vecchio.

Uns erwartet in Fiesole neben einer guten Stimmung an der Piazza Mino da Fiesole viel Mittalter und sonstiges geschichtsträchtiges. Prächtig liegt er da vor uns, der romanische Dom Santo Romolo, 1208 begonnen mit seinem 43 m hohen Glockenturm. An der Piazza sind die Cafes gut besucht. Wir erfahren viel Zuspruch.

Der Fahnenträger hat seine Fahne immer noch tapfer geschultert. Respekt.
Im Ort ist die zweite VS. Klasse, was uns an den Ristoros so alles geboten wird. Keiner braucht hier zu hungern oder zu dursten. Etwa alle 5 Km sind Ristoros und bieten alles, was der Läufer begehrt. Ich greife gerne zu. Bei solch einem langen Lauf braucht man Nachschub.

Weiter geht es stetig aufwärts. Vom Start in Florenz auf einer Höhe von 65 m haben wir erst gut 200 Hm bewältigt. Da liegt noch was vor uns. Leider bleibt es drückend schwül. Ich hatte gehofft, dass es mit zunehmender Höhe etwas angenehmer wird, aber dem ist noch nicht so. Ich muss auf die Nacht hoffen.

Tempomäßig halte ich mich  zurück. Ich will hier keine bestimmte Zeit laufen, nur in Würde ankommen. Das zweite gelbe Km-Schild wird oberhalb von Fiesole passiert. Ein Zehntel ist rum, denke ich und trabe weiter durch die herrliche Hügellandschaft der Toskana. Die Landschaft ist beeindruckend. Ein Kuckuck grüßt. Wenn nur die Hitze nicht wäre.

12
 
 

 
NEWS MAGAZIN bestellen
Das marathon4you.de Jahrbuch 2024