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Laufberichte

Rheinsteig-Erlebnislauf: Rheingestiegen und genossen

15.04.11

Es gibt Dinge, die macht man gerne. Und solche, die macht man sehr gerne. Manche jedoch sind einem einfach ans Herz gewachsen. Dazu gehört für mich der Rheinsteig-Erlebnislauf, den die Baden-Badener R(ud)olf und Brigitte Mahlburg bereits zum sechsten Mal zugunsten der „Aktion Benny & Co.“ durchführen. Sämtliche Erlöse dieses Benefizlaufs können zugunsten der Erforschung dieser, nur Jungs befallenden und tödlich verlaufenden, Muskelerkrankung verwendet werden.

Sechsundzwanzig Ultras laufen in acht Tagesetappen den kompletten Rheinsteig-Wanderweg inkl. der Zu- und Abwege über 355,5 km mit 11.692 Höhenmetern (+/-) ab. Und spenden dabei 50 Cent pro km. Läuferisch weniger Begabte oder solche mit knapper Zeit können auch etappen- oder teiletappenweise mitmachen und so sich und den Betroffenen etwas Gutes tun. Wie in jedem Jahr bin auch ich wieder auf einer Etappe dabei und starte direkt am Anfang mit. Es stehen, natürlich wie immer ohne Zeitnahme, 53,7 km und 1.830 Höhenmeter auf dem Programm. Verpflegung ist mitzuführen, aufgefüllt wird, wenn sich die Gelegenheit bietet, unterwegs.

Zum ersten Mal ist nicht die Bonner Jugendherberge Ausgangspunkt dieser besonderen Rheinreise, sondern ein Gästehaus des Erzbistums Köln am Venusberg. Ach, alles ist trotzdem so schön wie immer: Mein Freund Gerhard liefert uns (auch Hannelore und Jochen sind dabei) brav ab, es erfolgt eine herzliche Begrüßung mit den Mahlburgs und etlichen alten Bekannten... Die Komplettläufer haben ihr Gepäck schon parat gestellt, denn dieses wird jeweils mit dem Auto zur nächsten Unterkunft gefahren.

Das Wetter verspricht heute nach dem Temperatursturz vom Dienstag, der den Frühsommer jäh beendete, wieder ganz anständig zu werden. Zwar ist es morgens mit ganzen 3° noch sehr frisch, um nicht zu sagen saukalt, aber 15° sind für den Nachmittag versprochen. Und weitestgehender Sonnenschein. Um 8.30 Uhr geht es los. Pünktlich wie immer, bei Rolf herrschen geordnete Verhältnisse. Zunächst geht es, anfangs begleitet durch eine Kindergartengruppe, im lockeren Trab bergab in die Innenstadt zum historischen Bonner Rathaus, an dem der Rheinsteig offiziell beginnt oder endet, je nachdem, von welcher Seite man sich ihm nähert. Hier wartet ein freundlicher Empfang der Stadt auf uns; eine Duchenne-betroffene Mutter hält eine bewegende Rede, die uns den guten Zweck unseres Laufs deutlich vor Augen führt. Danach gibt es noch eine weitere kleine Einlage mit Kindergartenkinder, die der WDR filmisch begleitet und dann sehen wir zu, dass wir die Stadt hinter uns lassen, denn Strecke und Lauf leben vom Naturerlebnis.

Wir überqueren den Rhein über die Kennedy-Brücke, die mittlere der 3 Bonner Brücken, die nach jahrelanger Renovierung endlich wieder frei nutzbar ist. Sie hat, das ist bisher wohl einmalig, eine durchgehende Photovoltaikanlage erhalten. Wie immer sind alle froh, als die Bebauung dünner wird und sich Möglichkeiten zur unauffälligen Erleichterung ergeben. Über die Beueler Rheinauen – frischgebackene Abiturienten machen lautstark Party und stehen Spalier - passieren wir zunächst das Hauptquartier der Telekomiker (T-Online, zugleich Startbereich des Rheinsteig-Extremlaufs über 34 km und 1.200 Höhenmeter) und kommen durch das sich von Jahr zu Jahr weiterentwickelnde Neubaugebiet von Küdinghoven. Die Vegetation in den Gärten hat in den letzten Jahren mächtige Fortschritte gemacht. Und nach der Überquerung von Straßenbahnlinie und A 59 stehen wir schon bald am Eingang des Waldgebiets „Ennert“ als Einstieg ins Siebengebirge und entern diesen über eine ganze Reihe Stufen. Hier gibt’s beim Rheinsteig-Extremlauf immer den ersten Stau.

Kaum haben wir diese hinter uns gelassen, stehen wir am Treffpunkt der früheren Bonner Studenten, dem 1820 errichteten Foveaux-Häuschen, benannt nach seinem Erbauer Heinrich Josef Foveaux. Der klassizistische Pavillon ist heute ein beliebter Rastplatz für Wanderer und wird selbstverständlich kurzerhand durch uns beschlagnahmt und zum ersten mit „Ah“ und „Oh“ begleiteten Rundumblick genutzt. Zeit auch, mal in mich hineinzuhören, denn ich bin mir wirklich nicht sicher, ob ich heute ankommen werde.

Aus Rom hatte ich mir nämlich scheinbar eine veritable Knochenhautentzündung am Schienbein mitgebracht, die ich erst über einen längeren Zeitraum im Zusammenwirken mit dem marathonlaufenden Apotheker meines Vertrauens unter Zuhilfenahme von Enzymen und mehreren Familienpackungen Voltaren in den Griff bekommen habe (dann war’s wohl doch nur eine Überlastung). An Training, geschweige denn vernünftiges Training, war lange nicht zu denken. Drei kürzere Einheiten in der Vorwoche bescherten dann heftig „Knie“ auf der anderen Seite. Von der Schonhaltung? Oder ist es doch nur das Alter?

Eine Dreiviertelstunde Behandlung bei meiner (seriösen) Wunderheilerin wirkte Wunder. Der Ausgleich körperlicher Disbalancen, die Prüfung des Energieflusses, eine Lockerung irgendwelcher Blasenbänder, Behandlung anhand von Trigger- und Akkupressurpunkten, drei wieder eingerenkte Wirbel und ein homöopathisches Mittel zur Einnahme machen aus mir wieder einen ganzen Kerl. Dank Chappi. Im Ernst, man neigt ja schon dazu, über das eine oder andere außerhalb der Schulmedizin zu grinsen, aber der Erfolg ist wirklich frappierend und schließlich ist das das einzige, was zählt.

Oberhalb der unmittelbar am Rhein verlaufenden B 42 geht es rheinaufwärts über gute Waldwege in Richtung Oberdollendorf. Das nördlichste rheinische Weinanbaugebiet gewährt jede Menge schöne Blicke über die Wingerte (Weinberge). Der markante Petersberg mit dem Steigenberger Hotel auf der Spitze (früheres Gästehaus der Bundesregierung) ist unser nächstes Ziel, das wir durch ein kleines Tor auf steilem Weg erklimmen. Von dessen Terrassenseite aus kann man einen unvergleichlichen Blick auf das gegenüberliegende Bonn genießen, wenn das Wetter stimmt, was heute endlich einmal der Fall ist. Hier machen wir, wie immer, eine kleine Rast und nutzen auch die saubere Toilettenanlage. Letztes Jahr sind wir hier noch, total verdreckt und naß, zum Kaffeetrinken und Kuchenessen auf Hochflorteppichboden eingefallen.

Den Petersberg wieder hinunter müssen wir über viele Stufen, die feucht ganz schön gefährlich sind. Jogi Löw würde sagen: Höckschte Aufmerksamkeit! Wir überwinden den vielbefahrenen Zubringer zur A 3 und sind im Gelände der traditionellen Läufe des LT Siebengebirge. Vom Geisberg lassen wir hechelnd kurz den Schweif rheinaufwärts blicken, bevor uns der Weg wieder hinabführt. Wir passieren nach einer langen Bergabpassage das sog. Milchhäuschen, ein hochbeliebtes Ausflugslokal.

Der nächste dicke Brocken, das erkennen wir nach der Unterquerung der Gleisanlage schnell, wird der Drachenfels. Zwischenziel auf dem Weg zum „höchsten Berg Hollands“ (früher fielen die Kameraden hier zu Tausenden ein) ist zunächst die Drachenburg, ein frisch renovierter Traum in Stein mit wechselvoller Geschichte. (Erst) 1882 legte Baron Stephan von Sarter, er war durch Börsenspekulationen zu großem Reichtum gelangt, den Grundstein zu seinem repräsentativen Wohnsitz, einer Mischung aus Villa, Burg und Schloss. Er wohnte hier zwar nie, hinterließ uns aber ein Kleinod, an dem vorbeizulaufen eine Freude ist.

Weiter geht es den Drachenfels steil hinauf. Früher wurden die Käsköppe – jetzt ist’s mir doch herausgerutscht! – auf Eseln hinaufbefördert. Jetzt sind wir die Esel, die teilweise im Laufschritt an Höhe gewinnen. Und das auf nur zwei Beinen. Oben angekommen überwältigt einen der Blick schlechthin. Der wird natürlich reichlich genossen, aber der restliche Weg ist noch weit und deshalb machen wir uns wieder auf die Socken. Auf dem Petersberg ist übrigens jede Menge Lärm, denn die gröbsten Bausünden aus den Siebzigerjahren werden mit Preßlufthämmern beseitigt und machen hoffentlich schönerer Bebauung Platz.

Auf der anderen Seite geht es wieder herunter Richtung Rhöndorf, der Heimat unseres ersten Bundeskanzlers, Konrad Adenauer. Wir erklimmen den Breiberg, umrunden (leider nur) die ruinöse Löwenburg und stürzen uns hinab ins Schmelztal. Seit 1753 wurde hier für rund 120 Jahre intensiver Bergbau (Kupfer, Blei, Zink und Eisen) inkl. des Schmelzens (daher der Name des Tals) betrieben werden. Wieder hinauf geht’s zum Leyberg. Das gemalte „Auge Gottes“ auf diesem Heiligenhäuschen erinnert mich an meine früheren Türkeiurlaube und eine Verpflegungsstelle beim Siebengebirgsmarathon. Selbstverständlich habe ich für Euch um die diesjährige Durchführung dieses im letzten Jahr witterungsbedingt ausgefallenen Laufs gebetet. Ich kann Euch aber zur Beruhigung sagen, daß die Veranstalter ab sofort einen „Plan B“  in der Hinterhand haben.

Der anschließende Weg führt uns vorbei an einigen interessanten Bildstöcken, die mir auf dieser Tour noch nie aufgefallen waren. Auf halber Höhe stockt der Bergabzug plötzlich. Rolf grinst sich zwar einen, es führt aber kein Weg an der Erkenntnis vorbei, daß wir uns schlicht verlaufen haben. Obwohl ich ja gelernt habe, daß Männer sichnie verlaufen, sondern nur Alternativen finden! Mist, trotzdem Abzweig verpaßt. Viele, viele Höhenmeter müssen wir wieder steil hinauf und dann fällt es mir wie Schuppen aus den Haaren: Klar, das ist das Kernstück des Drachenlaufs, der Bittweg! Irgendwann sind wir wieder auf dem Pfas der Tugend und ein Hohlweg, vorbei am Kreuz der St. Josephsberger Gewerkschaft, führt uns schließlich am Marienwallfahrtsort Bruchhausen vorbei ins heutige Etappenziel Unkel/Scheuren. Unerwähnt lasse ich mal, daß Hannelore, Roland, eine weitere Mitläuferin und ich kurz vor dem Ende noch einen Extrakilometer eingelegt haben…

Vor dem Scheurener Hof, in dem die Komplettläufer übernachten werden, gibt es – welch eine Wohltat! – erst einmal zwei Kölsch. Macht zusammen 0,4 l Bier, also „a Preissen-Hoibe“, wie der Anton so schön zu sagen pflegt. Ja, Anton, wirklich: Hier trinkst du zwoa Bier und host net amoi oa Hoibe. Sonderbares Ausland für einen Bajuwaren. Wir jedenfalls fühlen uns mit unseren „Reagenzgläsern“ sauwohl. Gerade nach der überstandenen Anstrengung.

Sehr lange waren wir unterwegs, da könnte man meinen, das sei nicht anstrengend. Eher das Gegenteil ist der Fall, meine ich. Das ständige Abstoppen, Wiederanlaufen, nie einen Rhythmus zu haben, Päuschen hier, Päuschen dort, zehren mehr an einem, als wenn man durchliefe. Und die letztlich gelaufenen 57 km mit rund 2.000 Höhenmetern sind und bleiben doch ein kerniger Ultra. So bin ich ehrlich nicht böse, daß diese Etappe meine einzige bleibt und ich mein seit dem langen Abstieg von der Löwenburg doch arg strapaziertes Knie zuhause pflegen kann. Trotzdem beneide ich den Rest, der sieben weitere tolle Etappen bei traumhaftem Wetter weiterlaufen darf.

 


 
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