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Laufberichte

Potsdamer Drittelmarathon: Running Gag

29.04.12

Deutschlands einziger Drittelmarathon in Potsdam: 14,065 Kilometer nicht mehr - aber auch nicht weniger. Für Marathon- oder Ultraläufer schon eher ein „Running Gag“. Für andere ist diese Distanz bereits eine Herausforderung. Und seien wir ehrlich, 14 Kilometer waren für jeden von uns auch mal eine lange, lange Strecke.

„Pack die Badehose ein, nimm dein kleines Töchterlein und dann nix wie raus an Wannsee“. Meine Tochter Natascha und ihr Freund Christian, haben mich zu dieser „Stippvisite“ eingeladen. Jetzt stehen wir hier am Wannsee und warten auf den Shuttle Bus, der uns an den Start des „9. rbb-Lauf Potsdamer Drittelmarathon" befördert.

Auf der „Brücke der Spione“ herrscht Volksfeststimmung. Die Glienicker Brücke verbindet seit 1660 die Städte Potsdam und Berlin miteinander. Während des Kalten Krieges fand auf ihr der Austausch von US-amerikanischen und sowjetischen Agenten statt. Ich bin erstaunt über die Menschenmasse, die sich – einem Großevent nichts nachstehend – vor dem Startbogen versammelt. Wenn ich es nicht besser wüsste, könnte ich meinen, es handle sich um einen großen Stadtmarathon.

Der Startschuss fällt, die Läufer und Zuschauer jubeln und klatschen. Und als ob es nicht schon warm genug wäre, heizt ein Moderator des Rundfunks Berlin-Brandenburg, der Meute nochmal ein. Hier ist jeder am Start: Der Einzelkämpfer für den Gesamtsieg, der M70 in den Schuhen von 1987, weil er jeden Lauf in der Region mit nimmt und die Walkergruppe um Tante Ilse, weil heute Sonntag ist und die Sonne so schön scheint und Vater und Sohn wollen das Rennen unter sich entscheiden. Für Christian ist es ein Trainingslauf auf dem langen Weg bis zu seinem ersten Marathon in Berlin. Stellvertretend für Kay übernimmt er auch gleich die Kamera.

Zunächst laufen wir in Richtung Potsdam knappe 2 Kilometer die Berliner Straße entlang. Wir erreichen das Nauener Tor. Als eines der drei Stadttore Potsdams gilt es als erster neogotischer Bau Europas. Und wo noch vor 250 Jahren Kaufleute Handel betrieben, traben heute über 5000 Läuferbeine über das historisch nachgemachte Pflaster.

Potsdam -  die Berliner sagen, es sei lediglich ein Vorort mit Schlössern und Seen - steht der Bundeshauptstadt in nichts nach. Schon gar nicht in der Fülle historisch bedeutsamer Bauwerke und Plätze. Und so erreicht das Läuferfeld bei Kilometer 3,5, getragen von Sambabands und Cheerleadern, das Brandenburger Tor. Und wer jetzt glaubt, wir hätten uns bereits verlaufen, der irrt, denn auch Potsdam hat ein Brandenburger Tor. 1770/71 fertiggestellt ist es sogar 20 Jahre älter als sein bekannteres Gegenstück am Pariser Platz in Berlin. Während dieses von Friedrich Wilhelm II. in Auftrag gegeben wurde, geht das Potsdamer „Original“ auf seinen Onkel Friedrich II. zurück.

Der „Alte Fritz“ wird in diesem Jahr 300 Jahre jung und während man in Berlin und Potsdam in Museen und auf Bühnen das politische und philosophische Erbe des deutschen Monarchen gedenkt, erinnert man sich an seinen Neffen als den „Dicken Lüderjahn“.

Füllige Taugenichtse sind heute nicht auf der Strecke. Im Gegenteil, mag man den heute gestarteten Läuferinnen und Läufern  (in Anbetracht der kurzen Distanz) auch das Vielläufertum absprechen.  Wenigstens gaben sie sich nicht den Gelüsten des verkaufsoffenen Sonntags in den Berliner Shoppingcentern hin.

Am Neuen Markt bei Kilometer 5 wird das Läuferfeld von einer Marschkapelle auf einem der am besten erhaltenen Barockplätze Deutschlands begrüßt. Unter dem Alten Fritz entstanden hier Bürgerhäuser für die wohlhabenden Potsdamer. Und so wurde 1767 im Kabinetthaus am Neuen Markt 1 einer der bekanntesten Söhne der Stadt, Wilhelm von Humboldt, geboren. „Glücklich sein ist eine Gabe des Schicksals und kommt nicht von außen, man muss es sich selbst erkämpfen“,  hat nicht nur Humboldt schon gewusst, sondern das erfahren an diesem schwül warmen Sonntag auch alle Läuferinnen und Läufer.

Gerade diese Kurzwettkämpfe können einen Gelegenheitsläufer zum Vielläufer werden lassen. Meine läuferischen Anfänge begannen auf einer nur 5,6 Kilometer Strecke, dem J.P. Morgen Corporate Challenge, in Frankfurt am Main. Ich hatte mich geirrt, als ich glaubte unvorbereitet diese kurze Strecke laufen zu können und das hat sich natürlich gerächt. Nur dank der Motivationshilfe eines Arbeitskollegen erreichte ich mit hochrotem Kopf doch noch das Ziel. Dafür bin ich ihm heute noch dankbar und wenn ich damals schon geahnt hätte, was man zu Fuß alles erleben kann...

Nach der ersten Wasserstelle überqueren wir die Havel über die Lange Brücke. Am Potsdamer Hauptbahnhof vorbei und durch das östliche Zentrum der Stadt fühlt man sich wie durch den Time Tunnel gezogen: Vorbei an Wohnhäusern, die den Mauerfall scheinbar verpasst haben und an „Konsum“-Geschäften, die nostalgisch an gerade diese Zeit zu erinnern versuchen. Stärker könnte der Kontrast läuferischer Herausforderungen nicht sein, denn immer wieder verläuft die Strecke auf Abschnitten des Berliner Mauerweges. Der rund 160 Kilometer lange Rad- und Wanderweg entlang der ehemaligen DDR-Grenzanlagen ist mittlerweile für Ultraläufer ein ganz besonderer Lauf. Joe berichtete sehr eindrucksvoll auf marathon4you.

Bei Kilometer 8 erreichen wir Potsdams größten Stadtteil Babelsberg. Bereits in den 1920er Jahren entstehen in den Babelsberger Filmstudios Klassiker der Kinogeschichte, rund 90 Jahre später sogar mehrere Hollywoodproduktionen. Am ehemaligen Babelsberger Rathaus Nowawes, dem heutigen Kulturhaus Babelsberg, geht es auf der Rudolf-Breitscheid-Straße bis zur Karl-Marx-Straße. Immer mehr Läuferinnen und Läufer brauchen eine (Geh-)pause oder müssen bereits am Straßenrand von Sanitätern mittels Infusionen wieder auf die Beine geholfen bekommen.

Auch auf 14 Kilometern, oder vielleicht gerade auf der Kurzstrecke, trifft man die Übermotivierten, die sich nach vermeintlich durchzechter Nacht nicht die „Blöße“ vor den Mitstreitern geben wollen oder ihre Wette einlösen müssen und sich dabei übernehmen. Zu warm, zu wenig, zu viel, oder das Falsche getrunken? Vielleicht aber auch einfach nur zu wenig trainiert? Diese Diagnose wird man bei manchen Laufneulingen stellen können. Übrigens, in der Karl-Marx-Straße 42 befindet sich das Narkose-Schmerztherapie Museum.

Die letzten Laufkilometer führen über die Karl-Marx-Straße parallel zum Griebnitzsee zurück an die Glienicker Brücke. Wir passieren große und noch größere Villen. Während die Läuferinnen und Läufer mit Gartenschlauchduschen unterstützt werden, baut manch eine Familie, neben den offiziellen Getränkestellen, ihre eigene ganz persönliche Verpflegungsstelle kurzerhand vor dem eigenen Haus auf.

Bei Kilometer 14 ist die Glienicker Brücke dann auch erreicht und wir laufen die letzten 65 Meter hinein ins Ziel. Liegt es an unseren sonnig strahlenden knallorangefarbenen m4you-T-Shirts oder an unseren strahlenden Gesichtern? Kaum über die Ziellinie, spricht uns eine Redakteurin von Radio BerlinBrandenburg an. Sie fragt uns, ob wir bereit wären auf der Bühne von unseren Eindrücken während des Laufes zu erzählen. Dies machen wir natürlich sehr gerne, ist es doch eine gut platzierte Werbung.

Aber nicht nur deshalb sagen wir, dass die Strecke mit vielen schönen und interessanten Sehenswürdigkeiten gespickt ist. Natürlich sind die 14,065 Kilometer für alle Lang-, Ultra- und Vielläufer leider viel zu schnell vorüber, aber für viele Kurz- und Gelegenheitsläufer ist es schon eine große Herausforderung. Empfehlenswert für alle Läuferinnen und Läufer, ob als (Sonntags-)trainingslauf oder als Wettkampf. Und wann bekommt man für einen Trainingslauf schon eine Medaille.

 


 
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