Für einen Marathon nach Neuseeland? Die Anreise ist in der Tat langwierig und anstrengend, aber wenn man den Lauf in eine schöne Rundreise einbaut, dann kann das eine wirklich runde Sache werden. So erging es uns, einer etwa 15 köpfigen Reisegruppe mit Läuferinnen und Läufern aus Deutschland und der Schweiz, die sich unter der hervorragenden Leitung von Günter Bütepage (www.laufreisen.de) auf eine knapp dreiwöchige Tour nach Singapur, Neuseeland und Australien begab.
Der Marathon lag zeitlich ziemlich am Anfang unseres Aufenthalts in Neuseeland, aber wir hatten nach der Landung in Auckland immerhin noch 3 Tage Puffer bis zum Marathonstart, so dass uns ein wirklich schlimmer Jetlag (die Differenz zwischen neuseeländischer Zeit und MEZ beträgt 12 Stunden) am Marathontag erspart blieb.
Auckland ist zwar nicht die Hauptstadt Neuseelands (das ist das deutlich kleinere Wellington), aber das wirtschaftliche Zentrum des Landes und die mit Abstand größte Stadt; sie hat etwa 1,4 Millionen Einwohner, das ist ungefähr ein Drittel der Einwohner des ganzen Landes. 1840 wurde sie von britischen Kolonisatoren gegründet und benannt nach einem Lord der britischen Admiralität. Sie liegt im Norden der Nordinsel Neuseelands. Landschaftlich geprägt ist sie zum einen von der Lage am Wasser, neben einem wichtigen Hafen für Industriegüter und Kreuzfahrten gibt es viele Yachthäfen mit Tausenden von Segelbooten, die das Stadtbild prägen. Daher der Beiname „City of sails“, Stadt der Segel. Die vor den Briten von Polynesien aus nach Neuseeland gelangten Maori haben noch einen anderen Namen für Auckland gefunden: „Tāmaki Makaurau“ – „Eine junge Schönheit mit 100 Liebhabern“. Na dann …
Zum anderen ist die Gegend geprägt von über 50 inaktiven Vulkanen, zwischen denen sie sich die Stadt erstreckt, was zu einer hügeligen Topographie führt mit begrünten Vulkankegeln und –kratern und weitläufigen Parkanlagen. Das Klima ist feucht und mild: Die Temperaturen bewegen sich zwischen etwa 10°C und 23°C, die jährliche Niederschlagsmenge liegt über 1.100 mm (in Hamburg beträgt sie zwischen 700 und 800 mm).
Der Auckland Marathon findet seit 1992 regelmäßig Ende Oktober oder Anfang November, also im neuseeländischen Frühjahr, statt. Es handelt sich um die größte Laufveranstaltung Neuseelands mit fünf verschiedenen Distanzen, an denen insgesamt etwa 11.000 Läuferinnen und Läufer teilnehmen. Die namensgebende Marathondistanz trägt allerdings (wie dies auch in Deutschland oft der Fall ist) quantitativ einen eher geringen Anteil bei: Gut 1.500 sind dort mit von der Partie (überwiegend Neuseeländer). Den Löwenanteil beanspruchen der Halbmarathon und die 12 Km-Strecke, die zusammen etwa 9.000 Laufbegeisterte umfassen; die übrigen Teilnehmer entfallen auf die 5-Km-Distanz und auf einen Kinderlauf über 2,2 Km.
Gleichwohl ist der eigentliche Marathon der renommierteste in Neuseeland. Neuerdings findet er auch international mehr Beachtung: Er gehört zu den weltweit etwa 25 Marathons, die von den Abbott World Marathon Majors als mögliche Qualifikationsläufe für die jüngst von ihnen erfundene und für das Frühjahr 2020 angekündigte „Altersklassen-Weltmeisterschaft“ nominiert sind. Die Marathonstrecke ist ein Punkt-zu-Punkt-Kurs, mit Start in dem nördlich vom Zentrum gelegenen und durch das Meer getrennten, auf einer Halbinsel gelegenen Stadtteil Devonport. Das Ziel ist im Stadtzentrum im Victoria Park; dazwischen liegt die imposante Auckland Harbour Bridge, deren Überquerung ein Highlight der Strecke ist (dazu unten mehr).
Am Marathonmorgen versammeln wir uns schon um kurz nach 4.00 Uhr in der Lobby unseres Hotels, denn der Start des Marathons ist auf 6.00 Uhr terminiert, und wir müssen, um nach Devonport zu gelangen, eine etwa halbstündige Fahrt mit einer Hafenfähre einschieben; da ist eine großzügige Zeitplanung angebracht. So machen wir uns in tiefster Nacht vom Hotel aus auf den Weg zum Fährterminal am Hafen; zum Glück ist es trocken (und mild sowieso). Die Startnummer ist zugleich das Fährticket. Auf der Fähre befinden sich einige Läufer, voll ist sie nicht. Nochmal sitzend abhängen, Wasser trinken, die Haut mit Sonnenschutz versorgen (die neuseeländische Sonne ist trotz des milden Klimas kräftig und nicht zu unterschätzen).
Kurz vor 5.00 Uhr landen wir am Pier von Devonport. Direkt dahinter geht es zum nahgelegenen Startbereich. Dort tut sich schon was, aber ohne jede Hektik. Immer wieder dieselben Lautsprecher-Durchsagen mit Hinweisen zum Ablauf, eine Kaffeebude (allerdings nicht kostenlos), markierte Bereiche für die Abgabe der Kleiderbeutel (die nach dem Start zum Ziel gebracht werden), wo etwas gelangweilte Helfer auf die guten Stücke warten. Der immer noch dunkle Himmel ist relativ klar, gegenüber auf der anderen Seite vom Wasser liegt das Zentrum von Auckland, dessen Silhouette mit dem markanten Fernsehturm in bunten Farben herüberglitzert.
Wir ziehen uns um, geben die Kleiderbeutel ab und machen uns warm. Immer noch großzügig Zeit bis zum Start; da kann sich in Ruhe die Häuser an der King Edward Parade ansehen, auf der sich die Startzone befindet. Sehr schöne Häuser, eher Villen, aus Holz, mit Balkonen und Veranden. Es geht auf 6.00 Uhr zu und der Startbereich füllt sich. Es gibt verschiedene, nach den angestrebten Zielzeiten eingeteilte Bereiche, von „Sub 3 Stunden“ bis „5 Stunden plus“, aber das sind bloß Empfehlungen ohne Kontrollen. Wir (die Teilnehmer aus unserer Gruppe) verteilen uns nun nach eigenem gusto und wünschen uns Glück. Ich gehe mit meiner angepeilten Zeit von etwa 5 Stunden nach hinten.
Und dann - es ist immer noch dunkel - geht es los. Es läuft flott und flüssig, obwohl ich von ganz hinten starte, überquere ich bereits nach ca. 90 Sekunden ab dem Startschuss die Startlinie (1.500 Läufer sind eben doch eine überschaubare Menge). Wir laufen zunächst am Wasser längs, nach wenigen Hundert Metern biegen wir dann nach links ab, und kurz darauf nochmal halbrechts. Bald sind wir wieder in Sichtweite des Meeres. Es geht durch schöne Straßen mit netten Holzhäusern. Es dämmert und nun wird es zügig hell; der Himmel ist bewölkt, angenehm zum Laufen.
Die Strecke ist überraschend wellig, und das bleibt für einige Kilometer so. Es geht stetig nach Norden und allmählich wird die Gegend weniger idyllisch, sondern nüchterner. Nach etwa 9 Kilometern verlassen wir die Halbinsel und biegen mit einer U-Kurve in Richtung Harbour-Bridge und Stadtzentrum. Nun wird es richtig unromantisch, wir landen auf dem Motorway Nr. 1 und bewegen uns auf dieser breiten Zufahrtstraße in einer eher industriell wirkenden Gegend vorwärts; immerhin haben wir aber nach links rüber immer wieder einen ganz guten Blick auf die weiten Wasserflächen und den Hafen. Die Strecke ist nun nicht mehr wellig.
Nach etwa 14 Kilometern wird es spannend: Es geht hoch auf die im Mai 1959 nach 4 Jahren Bauzeit eröffnete, etwas über einen Kilometer lange Harbour Bridge. Von den acht Spuren sind zwei für die Läufer reserviert. Der Anstieg und das Gefälle sind zwar nicht so heftig wie etwa auf der Köhlbrandbrücke im Hamburger Hafen, aber auch schon ganz ordentlich; sie hat eine lichte Höhe von 43 Metern. Verkehrstechnisch ist diese Brücke von enormer Bedeutung: Vor ihrer Eröffnung gelangte man von den nördlichen Stadtteilen aus zum Hafen nur mit Fähren oder (auf Straßen) mit einem Umweg von 40 Kilometern über die westlichen Stadtteile.
Die Ausblicke zum Hafen, über das Wasser und zu den Stränden sind nun spektakulär. Insbesondere haben wir die enorm vielen Segelboote in den Yachthäfen im Blick; jetzt verstehe ich den Namen „City of sails“. Wiederholt halte ich an, um Fotos zu machen, da ist mir der Zeitverlust vollkommen egal. Mitten auf der Brücke werden wir von einer Gruppe gelbgewandeter Trommler begrüßt; bisher war eher wenig los in Sachen Zuschaueraufmerksamkeit, kein Wunder bei der frühen Startzeit.
Dann ist der „Gipfel“ der Brücke erreicht und es geht wieder bergab. Es macht Spaß, es „rollen“ zu lassen. Nach etwa 19 Kilometern erreichen wir wieder das „Festland“ und es geht durch den schickeren Teil des Hafens (u. a. mit der dekorativen Fischhalle) in Richtung Stadtzentrum. Wir laufen auf den Victoria Park mit dem Zielbereich und nach gut 20 Kilometern trennen sich die Wege von Marathonis und Halbmarathonis: Die „Halben“ biegen nur noch kurz zweimal rechts ab und dürfen gleich im Victoria Park feiern, während wir „Vollen“ uns auf den langen Weg der zweiten Hälfte machen. Bald kommt unsere Halbmarathonmarke; mit 2:19 Stunden liege ich gut in meiner Zeitplanung.
Es geht weiter stets in östlicher Richtung zum Wendepunkt bei etwa 31 Kilometern, zunächst durch das Stadtzentrum, dann durch weniger idyllische Hafenbereiche. Die Strecke ist nun durchgehend flach. Nach etwa 25 Kilometern verlassen wir den Hafenbereich und gelangen über ein etwa 2 Kilometer langes Brückensystem über die Hobson Bay hinweg in einige schön am Meer gelegene, offensichtlich sehr gut situierte Stadtteile. Die Straße führt durchweg direkt am Meer entlang, entsprechend schön sind die Ausblicke. Allerdings werde ich immer wieder abgelenkt durch die vielen anderen (schnelleren) Läufer, die mir nun auf der Wendepunktstrecke entgegenkommen, und unter denen sich auch einige aus meiner Reisegruppe befinden. Tatsächlich kommt mir bald unser pfeilschneller Reiseleiter Günter entgegen, der einige Kilometer vor mir liegt und trotzdem (oder deshalb) die Muße hat, mich mit aufmunternden Worten zu fotografieren.
Die Aufmunterung kann ich gebrauchen, weil ich gerade schwächele; die Wolkendecke ist aufgerissen, die Sonne kommt durch, es wird immer wärmer. Ich werde allmählich müde, und überhaupt … Und so begegne ich auf den nächsten Kilometern so manchen mir entgegenkommenden Marathonis aus unserer Gruppe, mit denen ich teilweise aufmunternde Grüße austausche. Die Strecke ist nun wirklich schön. Es geht entlang der Okahu Bay, zu Füßen des Michael Savage Memorial Parks (für den ersten Ministerpräsidenten Neuseelands, der von der Labour Partei gestellt wurde), von dessen Gipfel aus man einen prächtigen Blick hat (dort waren wir am Tag zuvor bei unserer Stadtrundfahrt), dann weiter durch die Mission Bay, Kohimaruma, dann nach St. Heliers an der gleichnamigen Bucht. Ein Aquarium, kleine Werften, Yachthäfen, immer wieder Strände mit nett anmutender Gastronomie – hier lässt es gut leben!
Dann bei ca. 31 Kilometern im Stadtteil St. Heliers endlich der Wendepunkt, markiert durch zwei riesige aufgeblasene Kunststofffiguren. Ich habe auf den letzten Kilometern ziemlich Federn bzw. Zeit gelassen. Für ein paar Kilometer fällt mir das Laufen nun wieder etwas leichter, aber es sind ja zurück auf der Wendepunktstrecke noch 11 Kilometer bis zum Ziel.
Nach gut 35 Kilometern verlässt mich immer mehr die Lust am Laufen. Wir sind wieder in der unwirtlichen Hafengegend, die Sonne brät, ich bin müde. Ich lege immer wieder Gehphasen ein und werde nun von vielen anderen (die langsam, aber stetig laufen) überholt. Ich mag nicht mehr. Kurz nach Kilometer 40 klopft mir jemand beim Überholen freundlich auf die Schulter: „Come on man, run with me!“. Ich schaue nach links, ein sympathischer Kiwi (so nennen sich die Neuseeländer gerne selbst), irgendwie in den Vierzigern, „Matt“ steht auf seiner Startnummer. So eine nette Animation kann ich nicht zurückweisen, ich kriege noch mal einen Schub. Und so laufen wir gemeinsam die letzten 2 Kilometer und unterhalten uns über den heutigen Lauf und über dies und das.
Noch einmal links abbiegen und bald darauf rechts in den Victoria Park, dann liegt das Ziel vor uns. Wir laufen ein, bei mir stehen 5:06 Stunden auf der Uhr. So bin ich doch noch einigermaßen in meinem Zeitplan geblieben, trotz der Schwächelei zwischendurch. Ich verabschiede mich von Matt und danke ihm sehr für seine bei mir geleistete Aufbauarbeit. Im Ziel gibt es zunächst Wasser, Iso und Bananen. Dann die Medaillen: Sie sind groß, schwer und quadratisch.
Erfreulicherweise haben die Veranstalter unterschiedliche Medaillen für die verschiedenen Distanzen geschaffen, die für den Marathon ist teilweise gelb und haben ein gelbes Halsband (beim Halbmarathon und beim 12 Km-Lauf gibt es Entsprechendes in blau bzw. grün). Hinter dem Zielbereich treffe ich im Park einige aus der Reisegruppe, die allgemeine Freude ist groß. Der Park ist voll mit Läufern und deren Begleitern, die Stimmung ist ausgelassen. Ich hole meinen Kleiderbeutel, ziehe mich um, und dann gehen wir zu einem speziellen Zelt im Park, in dem es Bier gibt; das tut gut. Noch ein entspannender Fußweg zum Hotel, dann eine ausgiebige Dusche und noch ein Bier. Erholung. Und abends gehen wir natürlich feiern.
Der Auckland Marathon ist eine angenehm entspannte Sache. Das Tempo ist eher moderat; 2017 war man mit einer Zeit bis etwa 3:57 Stunden im vorderen Drittel (Frauen und Männer gemeinsam gerechnet), die erste Hälfte reichte bis zu einer Zeit von etwa 4:18 Stunden. Meine Zeit reichte für Platz 1231 unter 1564 Finishern. Für langsamere Läufer sollte der Zielschluss nach erst 7 Stunden mental beruhigend wirken, da gibt es wohl kaum Stress mit dem Besenwagen. Das Publikum war (wohl auch wegen des frühen Starts) nicht allzu zahlreich, aber diejenigen, die da waren, waren nett, ich habe allerlei Anfeuerung erfahren. Und die Strecke ist überwiegend schön und durchaus abwechslungsreich, mit der Harbour Bridge als Zwischen-Highlight. Wer mal in Ozeanien einen Marathon laufen möchte (und dies in eine schöne Rundreise einbauen kann), ist in Auckland gut aufgehoben.