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Laufberichte

Klassiker und Vorreiter

 

Nur wenige Meter von meiner Haustür entfernt ist der Waldrand. Dort hinauf und in Richtung Norden geht es über die Randen Hügel, Ausläufer der Jurakette, nahtlos in den Schwarzwald hinein. Also, fast nahtlos, denn es gibt dort eine fürs Auge fast nicht wahrnehmbare Linie, eine, welche in Karten, Dokumenten und vor allem in unseren Köpfen vorkommt. Landesgrenze wird sie genannt. Der Fauna und Flora ist sie ziemlich egal.

Als Kind hat man mir erzählt, dass der Nikolaus zusammen mit Esel und Knecht Ruprecht im dunklen Schwarzwald wohne und alle unartigen Kinder dorthin mitnehme, wo sie Karotten schälen müssen, bis sie vielleicht und hoffentlich im Jahr darauf wieder zu ihren Familien gebracht werden.  Der Schwarzwald schien ein Ort zu sein, an welchem ein pädagogischer Tiefflieger, Kindsentführer und Sklavenhalter unbehelligt seinem Treiben nachgehen konnte.

Ich war schon in der ersten Klasse und mokierte mich über die Kleinen, welche die Mär vom Nikolaus noch glaubten, als der Schwarzwald mit seinen dunklen Wäldern die Kulisse für einen ganz anderen Überraschungsangriff war. 1968 wurde ein Volkslauf ausgeschrieben, an welchem auch Frauen teilnehmen durften. An und für sich keine Aufsehen erregende Tatsache, wären nur ein paar Kilometer Strecke vorgesehen gewesen. Es war aber ein Lauf über die Marathondistanz. In der Meldung an den Verband ging diese aus heutiger Sicht selbstverständliche Kombination von Frau und Marathon irgendwie vergessen. So kam es, dass nicht eine Weltstadt Vorreiter einer neuen Selbstverständlichkeit wurde, sondern das kleine Städtchen Bräunlingen im dunklen Schwarzwald.

49 Jahre später fahre ich am Sonntagmorgen am nördlichsten Punkt der Schweiz über die Grenze, um an der fünfzigsten Austragung dieses Kultlaufs teilzunehmen. Damals war er die einzige solche Veranstaltung auf weiter Flur, heute gibt es am gleichen Tag zahlreiche andere Marathons, die ihm Teilnehmer abwerben. Von Trail bis flach und schnell ist alles dabei. Wer sich weder für das eine oder das andere entscheiden kann, fährt am besten nach Bräunlingen.  Nur 20% Asphalt und  gut 300 Höhenmeter, der Startkilometer durch eine  gepflegte Altstadt, danach Wiesen, Felder und Wald, das tönt doch nach einer perfekten Kombination.

Der Parkplatz ist gleich bei der Sporthalle, wo eine kostenlose Übernachtungsmöglichkeit angeboten wurde. Von hier bis zur Stadthalle und der Ausgabe der Startunterlagen sind es auch nur wenige Meter. Die Startnummer halte ich flugs in Händen; die machen das nicht das erste Mal.

 

 

Der in Träumen immer wieder auftretende Schockmoment, dass mir ein Teil der Ausrüstung für einen Lauf fehlt, kann in Bräunlingen nicht Tatsache werden, sofern es sich bei dem betreffenden Teil um Socken handelt. Wie schon bei meiner Premiere vor neun Jahren, darf ich als Erinnerungsgeschenk ein Paar Laufsocken in Markenqualität entgegennehmen. Als Jubiläumsgeschenk gibt es zusätzlich noch ein Glas Honig.

Das Wetter zeigt sich noch von seiner unfreundlichen Seite und so ziehe ich mich für ein paar trockene, ruhige Momente ins Auto zurück. Rechtzeitig zum Start hin hat Petrus ein Einsehen und macht auf festlich.

Mit einem Riesenwumms wird gestartet. Am Ende des Feldes gehe ich den heutigen Lauftag gemächlich an.

Die Karawane zieht in nördliche Richtung zum Flecken Bruggen, seit bald 80 Jahren ein Stadtteil von Bräunlingen in Alleinlage. Der Knick in der Strecke nach Westen hin ist der Beginn der zahlreichen weiteren Richtungsänderungen. Die Kompassnadel dreht erst wieder nach fast 25 Kilometern in die Gegenrichtung.

Mit der ersten sanften Steigung nähern wir uns nach fünf Kilometern dem Wald, an dessen Rand es erstmals etwas zu trinken gibt. Es geht weiter dem Waldrand entlang, bevor wir kurz vor Hubertshofen darin verschwinden.

Was bringt Leute (außer einem Marathon) dazu, sich in diese Gegend zu verirren? Dazu braucht es keinen Marketing-Neusprech. Die Website des Orts macht keine vollmundigen Versprechungen, sie benennt einfach überzeugende Fakten:  „Die ruhige Lage am Schwarzwaldrand und zahlreiche Wanderwege mit Ausblick über die Baarlandschaft locken viele Liebhaber der Natur nach Hubertshofen.“

Seit dem Start – wie üblich am Schluss des Feldes – nutzen Gerhard und ich die Zeit, uns wieder auf den neusten Stand zu bringen; es ist schon wieder Monate her, seit wir miteinander am Laufen waren.

 

 

Der nächste Verpflegungsposten signalisiert, dass bereits 10 Kilometer hinter uns liegen. Noch zwei, dann kommt die Streckenweiche. Für die Läufer über die halbe Distanz geht es von da direkt nach Unterbränd. Von ihnen sind sechs im Jagdrennen mit mir erfolgreich. Obwohl erste eine halbe Stunde nach uns auf die Strecke geschickt, zieht die Spitze des Halbmarathonfeldes an mir vorbei.

Auf der langen Strecke geht es fast 25 weitere Kilometer durch den wunderschönen Wald. Die verschiedenen Farben, das saftige Grün der Moose, das dunkle der Tannen, das helle Braun der schon verdorrten Farnwedel und die Palette von Gelbtönen der Laubbäume dazwischen kommen dann besonders gut zur Geltung, als sich die Sonne für eine Weile gegenüber der Bewölkung vollends durchsetzt.

Ich treffe auf einen anderen langjährigen Lauffreund und wir nutzen die Zeit, uns wieder einmal auszutauschen. Wir sind unser eigenes Forum, im Wald statt im Internet, unterhalten uns über unsere spät entdeckten Gendefekte, ihre Folgen und den Umgang damit in Verbindung mit einem Sportprogramm, welches nicht repräsentativ für unsere Altersgruppen ist. Als solche Exoten passt man nicht unbedingt in das Standard-Behandlungsprozedere der Ärzte. Protein-S-Mangel, Thrombose, Antikoagulation, Typ-1-Diabetes, Insulin, Senkung des Blutzuckerspiegels auf ein normales Maß durch Laufen sind unsere Themen.

 

 

Wir sind so ins Gespräch vertieft, dass uns die Fahrradbegleitung nicht gerade auffällt, die seit einer Weile neben uns herfährt.  Doch dann entdecken wir das Schild, das ihn nicht als irgendeine Begleitung ausweist: der Notarzt fährt neben uns her. Trotz unserer Gespräche lässt er uns weiterlaufen, das spricht doch für unser frisches Aussehen…

Mittlerweile habe ich schon zwei Marathonnovizen getroffen. Wer nicht zwingend Halli Galli braucht, um über die Runden zu kommen, ist für ein solches Vorhaben am Schwarzwald Marathon am richtigen Ort.

Nach 18 Kilometern verlassen wir bei Oberbränd für ein kurzes Stück den Wald, können verpflegen und erstmals ein paar der angesammelten Höhenmeter vernichten. Wie lautet die Beschreibung der Gegend auf der Website von Unterbränd, Gemeinde Eisenbach? „Prädikat  ‚Luftkurort‘, 550 Einwohner, Höhenlage 860 - 1.056 Meter ü. NN, 110 Betten, lang gestreckte Siedlung in reizvoller landschaftlicher Lage, sonnenreich, Alpensicht,  großes angrenzendes Waldgebiet (Klosterwald), ehemalige Köhler- und Uhrmachergemeinde.“ Das mit den Betten kann ich nicht überprüfen, der Rest trifft aber zu.

Nach der Halbzeit laufe ich alleine – mehr oder weniger. Das Teilnehmerfeld hat eine Größe, welche läuferische Einsiedelei erlaubt, und doch sind immer andere Mitstreiter im Blickfeld. Perfekt, um sich unbewusst ziehen zu lassen und gleichzeitig seinen Gedanken nachzuhängen.

Inmitten dieser wunderschönen Natur ist innerliche Entschleunigung angesagt. Ehrlich gesagt, der Gedanke, hier beim Nikolaus Karotten zu schälen und den Esel zu kraulen, finde ich sehr einladend. Es gelingt mir aber auch so, den Kopf freizuhalten und die Gedanken ruhen zu lassen.

Den nächsten Verpflegungsposten sehne ich herbei, denn ich habe bisher zu wenig getrunken. Und da erlebe ich die einzige Enttäuschung des Tages. Die Cola ist bereits alle. Das gibt Abzüge in der C-Wertung, die teilweise dadurch ausgeglichen werden können, dass nebst Bananen auch Laugenstangen im Angebot sind.  Und auch zu erwähnen: In der Heimat des Nikolaus hält man sich noch an die Gepflogenheiten und tischt nicht schon im Oktober – oder wie in den Supermärkten bereits im September – Lebkuchen auf…

 

 

Fünf weiter ruhige Kilometer durch den Wald, dann kommt die Ortschaft Unterbränd, wo Zuschauer und ein Verpflegungsposten nochmals Treibstoff für die letzten sieben Kilometer liefern. Es stehen noch drei Becher Cola auf dem Tisch, volle Flaschen sind keine mehr da. Da werden sich einige später Vorbeikommende ärgern.

Ausgangs Unterbränd erwartet uns wieder Wald. An einer lichten Stelle gibt er rechterhand den Blick frei auf den Kirnbergsee, dann umgibt er uns wieder links und rechts bis zu dem Moment, wo wir aufs offene Feld kommen und in der Ferne Bräunlingen sehen.  Es sind nun keine vier Kilometer bis zum Ziel. Wer jetzt nochmals Gummi geben will, wird durch den Unterrund unterstützt. Die Strecke endet wie sie begonnen hat, auf Asphalt.

Kurz vor dem Kilometerschild 39 gibt es nochmals einen Verpflegungsposten, diesmal  mit genügend Cola. Hier treffe ich auf eine weitere Novizin und laufe mit ihr die restlichen Kilometer. Hut ab vor der Leistung und der guten Einteilung der Kräfte. Man könnte meinen, dahinter stehe jahrelange Marathon-Erfahrung. Typisch Frau eben, die können das besser als die Herren. Ich frage mich, wo die Verbandsoberen hingeguckt haben, als sie es als unverantwortlich sahen, Damen zum Start eines Marathons zuzulassen.

 

 

Mit der Jubiläumsmedaille um den Hals hole ich in der Stadthalle gleich noch die Urkunde ab und mache mich auf den Weg zum Parkplatz. Obwohl ein zusätzliches Heizaggregat in der Sporthalle heiße Duschen auch für die Spätankömmlinge sichert, mache ich mich direkt auf den Heimweg, der für einmal kürzer ist als die eben gelaufene Strecke.

Area 51 ist immer noch in Nevada, aber im viel einfacher zu erreichenden Bräunlingen startet am 17./18. Oktober 2018 die Aera 51.

 

 

Hier noch einige Bild-Impressionen von Klaus und Margot Duwe.

Einen interessanten Beitrag zur Geschichte des Schwarzwald Marathons hat unser Chef übrigens bereits im letzten Jahr verfasst.

Hier könnt ihr ihn nachlesen 

 

 

Samstag

 

 

 

Sonntag

 

 


 

Marathonsieger

 

Männer

1 Ziganke, Jens (GER)     SV Reichenau     02:31:28     
2 Schallner, Nils (GER) 02:32:05
3 Müller, Kay-Uwe (GER) TSG Schwäbisch Hall     02:37:47

Frauen

1 Doll, Stefanie (GER)     SV Kirchzarten     02:54:59     
2 Hajek, Branka (GER)     LA 2 Ludwigsburg 03:17:34     
3 Gallasch, Katja (GER) Endorphinos Überlingen 03:32:41

517 Finisher

 

Informationen: Schwarzwald-Marathon
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