Recht abenteuerlich sind die Geschichten der Frauen, bis sie offiziell an einem Marathonlauf teilnehmen durften. Die Story von Katherine Switzer die sich 1967 als Mann verkleidet in den Boston Marathon geschmuggelt hat, kennt mittlerweile fast ein jeder. Aber es gab noch andere kuriose Episoden. Beim Isle of Wight-Marathon 1964 wurde von Dale Greig die erste Weltbestzeit einer Frau mit 3:27:45 aufgestellt. Trotz Startverbot für Frauen erlaubte man ihr die Teilnahme, sie musste jedoch 5 Minuten vor dem Feld starten und wurde ständig von Sanitätern begleitet.
1967 organisierte der Sportmediziner Dr. Ernst von Aaken in Waldniel heimlich einen Marathon, zu dem er zwei Frauen starten ließ. Er wollte dadurch den Beweis erbringen, dass Frauen auch für Langstrecken geeignet sind. 30 Meter hinter dem Feld durften sie starten und Anni Pede-Erdkamp konnte schon eine beachtliche Zeiten von 3:07:26 erzielen.
Vielleicht war das Organisationskomitee des Schwarzwald Marathons auch von diesem Ergebnis beeinflusst, als man ein Jahr später beschloss, zur Premiere 1968 auch die Frauen mit ins Boot zu nehmen. Auf alle Fälle hat man sich damit den Titel „Ältester Frauen-Marathon der Welt“ gesichert. In Boston durften die Frauen dann offiziell ab 1972 mitlaufen, das Internationale Olympischen Komitee gab die Freigabe für die Frauen erst viele Jahre später beim olympischen Marathon 1984 in Los Angeles.
Heutzutage sind die Mädels da schon wesentlich emanzipierter und auch selbstbewusster und man riskiert schon mal eine kesse Lippe. Am Mittwochabend meldete sich beim OK-Chef Klaus Banka noch eine Läuferin aus Äthiopien, die heute gleich drei Mal zuschlagen will. Beim Gewinn der Frauenwertung, beim Frauen-Uralt-Streckenrekord aus den Siebzigern von 2:45 und dazu möchte sie noch den Männern das Fürchten lernen und als insgesamt Erste(r) ins Ziel laufen. Na bravo. Ach ja, dafür gäbe es dann auch richtig Kohle, 1.500 Euro für alle drei Erfolge.
Natürlich muss sie da aber erst einmal unseren Marco Diehl schlagen. Viele werden ihn kennen, er ist ja auch einer von uns …verrückten Vielläufern, aber natürlich auf unglaublich hohem Niveau. Sozusagen der Usain Bolt der Vielläufer. Seine Endzeiten liegen meistens zwischen 2:30 – 2:45. Heute ist sein 12. Einsatz in diesem Jahr und insgesamt hat er schon 120 Marathons absolviert, erzählt er mir. Aber ein kleines Problemchen am Bein hat er auch und weiß noch nicht, ob er auf Sieg laufen kann. Oh, weh, hoffentlich bekommen wir Männer da heute nicht einen auf unser Ego.
Die kleine Gedrungene in der zweiten Reihe passt zwar farblich, aber sonst irgendwie nicht in mein Schema, hat nicht unbedingt was von einer Gazelle. „Lass dich davon nicht täuschen“ meint Marco. Kurz darauf wird sie vom OK-Chef in die erste Reihe beordert. Also doch. Tilahun Tefera heißt die Gute und ist mit 28 Lenzen im besten Marathonalter.
Seit 45 Jahren wird die 42-Kilometer-Schleife nun durch den Naturpark Südschwarzwald gezogen. In den Anfangsjahren konnte man teilweise über 2.000 Marathonstarter vermelden, heute sind noch 20 % davon auf der Königsdisziplin übrig. Trotzdem kann man noch über 2.000 Starter vorweisen, sie entfallen jetzt auf Halbmarathon, 10 km-, Schüler- und Bambini-Lauf. Auf Wunsch vieler dürfen heuer erstmals die Marathonis separat starten. Um 9:30 Uhr fällt für uns der Hammer, die gut 1.000 auf dem Halben sind eine halbe Stunde später dran.
Noch kurz Stimmung und los geht’s auf die Piste.
Auf den ersten Metern durch die historische Altstadt stehen zahlreiche Zuschauer und spenden uns Beifall. Selbst der Pfarrer samt seiner Ministranten steht am Portal der Stadtkirche „Unsere Liebe Frau vom Berge Karmel“ und feuert uns an. Die ersten drei Kilometer bis Bruggen führen vollkommen eben auf Teerstraßen dahin. Dann geht’s links ab und man kann schon mit dem Auge die Aufwärtstendenz des Weges erkennen.
Die erste Verpflegungsstelle mit Bananen, Wasser, Iso und warmen Tee erreichen wir nach 5 km an einem Waldrand. Herbstlich frisch ist es heute und tief hängen die Wolken, so bevorzugen die meisten das Warmgetränk. Am Samstag bei den Läufen über die kürzeren Distanzen herrschte noch Traumwetter mit viel Sonne. In den Tannenzweigen hängt eine erste Fanbotschaft: „Sabine I like you“.
Es dauert noch etwas bis wir erstmals richtig Waldgebiet erreichen. Nach 7 km ist es dann soweit, wir tauchen ein in den nebeldurchzogenen Black Forrest. Neben mir radelt der Notarzt. Ich habe auch tatsächlich gerade ein Problem: Meine Linse ist getrübt. Bei dem Übel kann er mir aber nicht weiter helfen. Das Objektiv meines Fotoapparates ist von innen beschlagen. Das nasskalte Klima behagt der sonst wasserdichten Kamera überhaupt nicht. Lösen kann man das Problem, laut Herstellerangabe, indem man den Akku raus nimmt und bei geöffneter Klappe, einige Minuten durchlüftet, damit sich das Innere der Umgebungstemperatur anpasst. Kann aber auch bis zu 2 Stunden dauern, das wäre dann ärgerlich, dann bekommt ihr von ersten Hälfte keine Bilder zu sehen.
Ok, ich werde es mal versuchen. Es klappt tatsächlich, nach 15 Minuten mit offener Klappe kann ich wieder klare Bilder schießen, die Kondensation hat sich aufgelöst. Da der Nebel im Wald aber immer zäher wird, muss ich das Spiel noch zweimal wiederholen.
Immer wieder sind Blätter an die Bäume gepinnt: „Sabine I like you“. Sie hat wirklichen einen glühenden Verehrer.
Eine kleine Fankurve leitet uns nach 11 km auf eine Rennstrecke. Mir kommt der frisch geteerte, spiegelglatte Abschnitt einer Teerstraße wie die „grüne Hölle“ am Nürburgring vor. Vermutlich werde ich hier bereits von den ersten, schnellen Halbmarathonläufern überholt, so brettern manche vorbei. Nach einem Kilometer hat die Raserei ihr Ende und wir biegen wieder ein in den dichten Wald auf die „Lange Planie“. Die großen Wege durch den Naturpark sind tatsächlich meistens beschildert und mit Straßennamen versehen. Die Kilometer-Beschilderung ist auch vorbildlich, jeder Kilometer ist gekennzeichnet.
An der Abbiegung trennen sich Marathon und Halbmarathon, bei km 35 werden die Strecken wieder vereinigt. Einige Zuschauer haben sich hier versammelt und sorgen für Beifall. Einer kann eine tolle Trophäensammlung auf einem antiken, mit Kuhglocken bestückten Holzski aufweisen. Auf die Schnelle kann ich Medaillen vom Swiss Alpine, Jungfrau und Freiburg Marathon ausmachen.
Sabine ist wohl nur auf der Halbmarathonstrecke unterwegs, die Schilder gehen ab.
In Oberbränd (km 17) erreichen wir die 4. Verpflegungsstelle, wie alle bestückt mit Wasser, Iso, Tee, Bananen und Brot. Nur kurz verlassen wir den Wald und überqueren die geteerte Waldstraße. Gut, dass hier Polizei stationiert ist und uns sicher hinüber geleitet, die Nebelsuppe ist hier gerade besonders zäh und dicht. Wir sind auch mit 1.000 m ü. NN. am höchsten Punkt des Kurses.
Als besonderer Service ist mitten im Wald bei km 21 eine große Zeitmessung aufgebaut, hier kann jeder überprüfen, ob die Marschrichtung stimmt. Sanft geschwungen führt die Strecke ab km 3 bis km 22 immer kontinuierlich aufwärts, dann dreht sich das Spiel. Am Ende der Saison läuft es bei mir nicht mehr so richtig rund und so spüre ich den Aufstieg schon deutlich in den Beinen. Immerhin summieren sich die Höhenmeter schon bis zur Hälfte auf über 400.
Am 5. Verpflegungsposten (km 24) wird es heller, endlich lichtet sich der Himmel und es spitzt schon mal die Sonne kurz durch. Auf der Seemannsallee wird exakt bei km 25, fast am hintersten Punkt des Rundkurses, per Matte die Anwesenheit kontrolliert. Komme ja keiner auf eine dumme Idee.
Eine lange Gerade führt uns nach Unterbränd (km 34) für ein kurzes Stück aus dem Wald heraus. Die einzige Band des heutigen Tages macht gerade Pause. Na gut, ich mach trotzdem ein Foto, für uns paar Kasper, die hier in größeren Abständen durchkommen, können sie natürlich nicht pausenlos durchspielen. Oh, Sabine ist back, oder vielmehr ihr Verehrer, Freund oder Freundin. Auf einem Güllewagen ist der mittlerweile berühmteste Daumen der Welt befestigt.
Wir verschwinden nach Ortsdurchquerung wieder im Forst. Angenehm abwärts, am Kirnbergsee vorbei, führen auch die letzten Waldkilometer. „Hop Hop Hop weiter so“, ist die letzte kreative Wortschöpfung von Sabine’s Daumenstrecker. Hoffentlich werden die Blätter auch wieder entfernt, nicht dass es Beschwerden beim Veranstalter gibt. Bei km 38 sind wir durch, das war’s mit Wald für heute. Über 31 km hat sich unser Waldlauf hingezogen. Einen Kilometer weiter in Waldhausen erreichen wir die letzte VP-Stelle. Für die Schlussoffensive steht noch Cola zur Verfügung und auch das Wetter spielt noch mit und spendiert uns einige Sonnenstrahlen.
Ich bin heute spät dran, so hat sich ein Großteil der Zuschauer schon vom Zieleinlauf entfernt und in die angrenzende Stadthalle zu den Siegerehrungen zurückgezogen. Macht nix, mir hat’s trotzdem super gefallen, bin halt mittlerweile lieber in der Natur als in Städten unterwegs. Und genau für diese Spezies ist der Lauf wahrscheinlich auch gedacht.
Wie ging das Geschlechter-Duell aus? Marco Diehl legte einen souveränen Start-Ziel-Sieg in 2:41:23 hin und hat damit die Männerehre souverän gerettet, wie auch noch ein paar weitere. Tilahun Tefera lief zwar die ersten Kilometer mit der Herrenspitze, lag dann aber nach 6 km bereits eine Minute zurück, und konnte nicht mehr den Anschluss finden. Die Äthiopierin überquerte die Ziellinie nach 2:56:05 und konnte „nur“ den Sieg in der Frauenkonkurrenz landen, allerdings auch ohne den angekündigten neuen Streckenrekord. So schnell wie sie eingeflogen ist, ist sie auch wieder verschwunden. Vielleicht war es ihr zu kühl bei uns.
Marathonsieger
Männer
1 Diehl, Marco DVAG-Marathon-Team 02:41:23
2 Angst, Wolfgang Marquardt Team 02:43:35
3 Dörr, Hans-Jörg TV Hatzenbühl 02:44:29
Frauen
1 Tefera, Tilahun (ETH) 02:56:05
2 Hebding, Marion TV Rheinau 1893 Mannheim 03:12:18
3 Geiger, Diana SC Münstertal 03:21:48
387 Finisher