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Laufberichte

Schlaflos in Marburg

03.07.09
Autor: Joe Kelbel

Wie gesagt, Dreh-und Angelpunkt ist das Universitätsstadion: Startnumernausgabe,  Umkleide und Duschen. Man lässt einfach seine Klamotten dort (keine Aufsicht) und hat sie dann gleich, wenn man ins Ziel kommt. Von dort geht man gemeinsam zum Start auf den Marktplatz.

Es dauert zwar nur etwa 10 Minuten, aber es geht steil hoch. Es ist unheimlich schwül-heiß, der Schweiß rinnt, und oben am Marktplatz  wabert der prämarathonale Gestank.

Interview mit Sven Fischer, dem Biathleten. Ein Polizeiauto verirrt sich in der Menge, bleibt stecken und bereichert die brütend-warmen Brühe. Die Rathausuhr schlägt 19 Uhr, der Rathausgockel aber  klemmt atemlos den Bürzel ein und bleibt unsichbar. Sven gibt den Startschuß und die studentischen Halbmarathonis rasen wie bekloppt im Affenzahn abwärts.

Ein guter Reporter ist immer erreichbar. So kann ich bei km 4 den Notarzt rufen, als der erste Läufer zusammenbricht. Die Luft im engen Lahntal ist wie im Kuhstall, immer mehr Halbleichen brechen zusammen oder kübeln am Wegrand. Es sieht aus wie auf dem Rückzug nach El Alamain. Alle 4 km gibt es Wasser, Iso, Cola. Schwerstarbeit der Helfer. Danke! Ohne Euch hätten wir nicht überlebt.

Die Stunden vergehen, die Nacht bricht ein. Glühwürmchen schwabbeln neben der Laufstrecke. Grillende Studenten mit warmen Bier feuern uns an. Ein Waschbär rennt erschrocken den Baum hoch.  Die dunkelsten Stellen werden mit Leuchtstäbchen markiert, Verpflegungsstellen romantisch mit Kerzenlicht. Doch ich empfehle ausdrücklich eine Stirnlampe. Es ist eklig nass-warm, auch für normale Menschen.

Zieleinlauf in Stadion, ewig lange Ehrenrunde. Stundenlang sitzen wir dann im Stadion: Gaby, die Siegerin von Eschollbrücken, Frank der AK-Dritte von heute, und Henne und Achim natürlich. Michel, der berühmte Franzose mit seiner Goldkrone erzählt von seinem Chicagomarathon, als ihn Barack Obama begrüßt und er ihn nicht erkennt. Nun steht in den Zeitungen: „Who is the black beside Michel?“

Wieder vergehen die Stunden und ich halte es wie Horst Preisler (“ich lasse mich einfach treiben!“) und setze die gesparten Hotelkosten in den 300 Kneipen Marburgs um.

Mit meinem Biel-Finisher Shirt (Biel? Kann man das auch pur trinken?), bin ich deplaziert, doch Alkohol verbindet. Als ich mir  Bruce Springsteen wünsche, riskiere ich nach 24 Jahren mal wieder 14 chirugische Eingriffe, doch es geht gut. Als ich meine berühmte Windmühle einsetze, ist es wie 1985: The Boss Is Back!

– Da tritt Jesus auf mich zu. Es ist der berühmte Freak „Jesus von Marburg“. Nach obligatorischem Foto höre ich die Story von dem Schlucker Christian, dem Kofferträger, dessen „Gönnerin“ im nach seiner Ermordung in den 70ern das bronzene Denkmal oberhalb des Marktplatzes stiftete.

„Alles ganz normale Menschen eben“ denke ich, auch als ich „Bobby“ kennenlerne. Er ist Professor aus Jena, liebt seine thüringische Elisabeth und fertigt Stickereien an.

Das Futter quillt ihm aus den Jacketärmeln als er mir  Geschichten über Kaiser Friedrich II erzählt :  Zwei Kinder soll er der Elisabeth gemacht haben, die Tochter hat den Brunnen auf dem Marktplatz gestiftet, den mit dem Drachentöter Georg, der Sohn war Heinrich VII

„ AHA! Denke ich mir, der Drachentöter ist ja wohl in jeder Marathonstadt zu finden!“ Die Bronzeinschrift beweist es. „ Ach was, das ist doch gar nix! Der Kaiser Friedrich II hat doch ganz Europa durchgedingst, mehr als 100 Kinder waren es!“  Alle seine Kinder hat er in den Kerker gebracht. Der Leser will ja informiert sein , und so  mache ich mir im Laufe der Stunden 22 Seiten Notizen! Das reicht für 100 Marathonberichte bei m4y :

Daß alle Kirchenglocken jedes Jahr am ersten Mai läuten, weil da der Kaiser Friedrich in Marburg einmarschierte. Daß nach des Kaisers Tod 30 Jahre lang ein Engländer (Richard v. Cornewall) das römisch-deutsche Reich regierte, weil der Friedrich ja alle seine Nachkommen  inhafiert hatte. Daß August der Starke auch ganz Europa dingste und sogar 365 Kinder hatte, soviel wie das Jahr Tage! Und von Napoleon, meinen Lieblings-Ultraläufer. Ja, seitenweise Geschichten über ganz normale Leute.

Als der Morgen graut, mache ich einen Stadtrundgang, belege mit Fotos die Stories, die die Nacht mir gab, gehe zu den Ausgrabungen des mittelalterlichen Friedhofs an der Elisabethenkiche und nehme dann den ersten Zug nach Süden.

Eine ganz normale Nacht eben.

Ergebnisse:
Männer:
1. Hakim Ouahioune, 2:34:57
2. Philipp Müller 2:54:45
3. Mario Reichelt, 2:59:36
Frauen:
1. Antje Krause, 3:26:10
2. Karin Meuser, 3:27:20
3. Petra Neumann, 3:37:00

 

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Informationen: Nachtmarathon Marburg
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