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Laufberichte

Das Lahntal bei Nacht

05.07.13

Dies ist nun mein zweiter Nachtmarathon in Folge. Vor zwei Wochen bin ich noch die Nacht van West-Vlaanderen gelaufen und heute die Nacht von Marburg. Ein Blick in die Ergebnislisten der letzten Jahre verrät, dass es immer so um die 150 Finisher das Ziel erreichen, die letzten nahe der 6-Stunden-Marke.  Also auch ein Lauf für Senioren bzw. langsame Marathonsammler. Danke Marburg, danke Ultra-Sport-Club.

1985 wurde der Ultra Sport Club Marburg gegründet, zunächst als Sportteam Marburg. Weil sich immer mehr Ultraläufer anschlossen, benannte man sich entsprechend um. Einen Ultra über 50km gibt es jedes Jahr beim Lahntallauf im März. Heute gibt es „nur“ einen Halbmarathon, Marathon und Staffellauf für 4-er entlang der Lahn.

Wer es noch nicht weiß: Die Universitätsstadt Marburg an der Lahn liegt in der Mitte des Landkreises Marburg-Biedenkopf, etwa in der Mitte zwischen der Documenta-Stadt Kassel (seit neuestem Weltkulturerbe-Stadt mit dem Bergpark Wilhelmshöhe) und Frankfurt am Main. Für Dieter und mich bedeutet das 100km Anreise und 1 ½ Stunden Fahrtzeit.

Anmeldung, Startnummernausgabe, Kaffee und Kuchen, Duschen und Umkleiden befinden sich im Universitätsstadion an der Lahn. Hier ist auch das Ziel.

Gestartet wird rund 750m entfernt in der Oberstadt. Und damit bin ich auch bei der Stadt. Sie ist mit der Philipps-Universität, die 1527 von Philipp dem Großmütigen gegründet wurde, die älteste protestantische Universität der Welt. Wenn man nach Marburg kommt, fallen  gleich zwei Bauwerke besonders auf: Das auf dem Schlossberg liegende und die Altstadt überragende Schloss und die Türme der Elisabethkirche.

Heute gibt es ein Wiedersehen mit vielen bekannten Marathonis und Ultraläufern. So treffe ich im Stadion Friedrich Iffert, begleitet von seiner Frau Helga. Friedrich ist einer der Macher vom neuen Kasseler Citylauf und eine fleißige Seele beim Kassel Marathon. Er startet heute auch auf der Marathonstrecke. Der den Sammler geht stramm auf die 300 zu. Nur ein Stück weiter treffe ich Melanie und Steffen Kohler. Wir kennen uns seit Jahren vom Hunsrück Marathon her. Steffen hat sich inzwischen auf Ultra- und Mehrtagesläufe spezialisiert.

Dann ist da auch Andreas Grundmann. Er und sein Laufkamerad Carsten Koczor (mit habe ich in den letzten Wochen schon einige Marathon gefinisht), hat sich 5 Tage nach dem Gletscher-Marathon kurzfristig für einen Start entschieden.

Die Moderation übernimmt der allseits bekannte und beliebte Arthur Schmidt. Er spricht mich sofort auf meinen Nachtlauf in Flandern/Belgien vor 14 Tagen an und meinen Start auf den Seychellen. Er ist halt immer über alles informiert. 

Dann wird es langsam Zeit, sich auf den Weg in die Oberstadt zu machen, denn der knappe Kilometer über teilweise steile Pflasterwege gehört zu den beschwerlichsten Passagen der ganzen Veranstaltung. Es gibt aber auch einen kostenlosen Fahrstuhl von der Unterstadt zur Oberstadt.

Wir sind auf dem Marktplatz in der Oberstadt nicht nur von vielen Läufern, sondern auch von vielen historischen Gebäuden umgeben. Die Oberstadt ist ein Shopping- und Genuss-Paradies und man sagt, dass Marburg 1.000 Kneipen hat, die nicht nur von den weit über 20.000 Studenten aus aller Herren Länder gerne besucht werden. 

Es bleibt noch Zeit für einen Rundblick auf die alten Fachwerkhäuser und das historische Rathaus aus dem 16. Jh.. Im Haus Nr. 48 wohnte einmal Martin Luther wohnte und im Haus Nr. 35 die Gebrüder Grimm.

Der Gockel kräht vom Rathaus, was jedoch nicht das Startsignal ist. Zunächst hat Arthur Schmidt noch Oberbürgermeister Georg Vaupel am Mikrofon. Auch ich darf ein paar Worte sagen, dann gibt es noch etwas Werbung für Marathon4you (danke!) und los geht‘s. Von rekordverdächtigen 2076 gemeldeten Läuferinnen und Läufern sind ungefähr 1.600 am Start - rätselhafter „Schwund“.

Über das grobe Kopfsteinpflaster der Barfüßerstraße geht es jedoch nicht barfuß, das war früher so zur Zeit der Discalceaten. Im 16. Jh. wurde das Barfußgehen den Karmeliterinnen vorgeschrieben und später auch von den Bettelorden übernommen. Ich bin mal gespannt, wann der Papst als Franziskaner die Welt verblüfft weil er eine Messe barfuß hält. Heute tragen die meisten Barfüßer Sandalen und die Läufer spezielle Laufschuhe.

Wir kommen am Barfüßertor vorbei, in dessen Nähe die frühere Handelsstraße zwischen Köln und Leipzig verlief. Die Fachwerkhäuser hier stammen aus dem 16. und 17. Jh. und waren die Häuser der Kaufmannsfamilien. Am Haus Nr. 18 steht: Quo Vadis? Wohin ich gehe bzw. laufe? immer den anderen hinterher in die Nacht von Marburg.

Am Ende der Straße sind wir auf Lahnebene und laufen in einer Spitzkehre unterhalb der Oberstadt zur Alten Universität neben der Lahn. Das Feld hat sich jetzt gut auseinander gezogen. Wir sind auf der  Nordschleife, die nur einmal zu durchlaufen ist.

Den Botanischen Garten am Pilgrimstein können wir nur hinter den Häusern vermuten. Und auch von der Elisabethkirche sehen nur die Turmspitzen. Die Kirche ist die früheste rein gotische Kirche auf deutschem Boden. Sie wurde zu Ehren der Elisabeth von Thüringen erbaut. Als Tochter des ungarischen Königs Andreas II. und Gertrud von Andechs wurde sie schon als Neugeborene mit dem Landgrafen Hermann I. von Thüringen verlobt. Nach dessen Tod ging sie als arme Spitalschwester nach Marburg, um sich um Bedürftige zu kümmern. Nach ihrem Tod als 24jährige wurde sie vier Jahre später von Papst Gregor IX. heilig gesprochen. Ihr Grabmahl befindet sich in der Kirche.

Am Ende der Elisabethstraße erreichen wir den Wehrdaer Weg. „Wehr-da rennt“ ist keine Frage, sondern ein Volkslauf in Wehrda, der vor 3 Wochen stattfand. Aber für uns heißt es jetzt auf nach Wehrda, einem Stadtteil von Marburg, der in nördliche Richtung an der Lahn liegt. Dann die erste Wasserstation, sie wird fast überrannt.

Wir sind linksseitig der Lahn, überqueren den Fluss und erreichen so die Nordspitze der Laufstrecke. Gleich sind wir auf dem Lahnradweg, der uns jetzt auf der anderen Lahnseite in Richtung Marburg zurückführt. Die ersten 6km sind geschafft.

Es geht durch grüne Auenlandschaft. Nur einmal laufen wir mal kurz parallel zur stark befahrenen und lauten  B3, dann geht es wieder runter zur Lahn. Der sonst sehr stark frequentierte Lahntalradweg ist heute Abend fast leer und ruhig. An den Ufern der Lahn, die schon zum Teil in der Steinzeit besiedelt waren, ließen sich Römer, Alemannen und Franken nieder.

Im Bereich der Kleingärten gibt es wieder eine Versorgungsstation, die reichlich genutzt wird, denn es ist noch richtig heiß in der Sonne. Weiter geht es dem Fluss entlang  Richtung Stadt.  Hier am Lahnufer wird   kräftig gefeiert. Die (meist jungen) Leute applaudieren den (meist älteren) Läuferinnen und Läufern.

Durch ein Wasserschutztor und über einen schmalen Pflasterweg erreichen wir die Jugendherberge. Gleich daneben liegt das Universitätsstadion, wo wir später ins Ziel laufen. Wir biegen jetzt aber auf den Hirsefeldsteg ab. Kurz danach kommt die 1. Wechselstation für die Marathonstaffeln, an der sich eine große Menschenmenge versammelt. 

Hier ist die ca. 11km lange Nordrunde geschafft. Es folgt die etwas kürzere Südrunde, die die  Halbmarathonis einmal zu durchlaufen  und dann im Ziel sind. Die Marathonis laufen diese Runde drei Mal.

Kurz nach der Wechselstation wird es ruhig und die Läufer sind unter sich. Es folgt eine Auenlandschaft, die heute zur Picknickwiese umfunktioniert ist. Es wird gegrillt und gefeiert und ich kriege das erste Bier des Abends ab.

Auch das knapp 1.000 Seelendorf Gisselberg gehört zu Marburg. Traditionell gibt es hier für die Läufer ein üppiges Buffet. Es gibt alles, außer Bier. Das bekommt erst auf der zweiten Runde. Tradition hat auch die „Blutbank“-Gruppe, die uns kurz danach mit La-Ola feiert.

16km sind gelaufen und ich stelle fest, dass die Strecke durch die Lahnauen nicht nur eben ist, sondern  jede Menge Wellen, mal kurz, mal heftig und mal langgezogen aufweist. Die nächste Kraftanstrengung wartet schon mit dem Anstieg zur B3, auf der wir die Lahn überqueren. Nach einer herrlichen Traileinlage durch Wiesen kommen wir wieder auf Asphalt. Es geht über den ersten Planetenlehrpfad der Welt für Blinde und Sehende.

Die Südspange der B255 wird „unterlaufen“ und wir folgen weiter dem Lahnradweg, der jetzt parallel der B3 verläuft. Camping- und Minigolfplatz und das Aquamar Sport- und Freizeitbad liegen an der Strecke. Am Ende des Bades beginnt das Universitätsstadion. Schon von weitem ist die Stimme von Arthur Schmidt zu hören, der die Halbmarathonteilnehmer im Stadion begrüßt. Wie schon gesagt, der Moderator ist in Läuferkreisen äußerst beliebt. Was aber nur wenige wissen: In seinem „zweiten“ Leben betreut er 74 Strafgefangene der JVA Gießen im offenen Vollzug.

Auf in die nächsten Runden. 

Nachdem Marburg immer größer wurde, entstanden auch Stadtviertel außerhalb der Stadtmauern. Auf der anderen Seite der Lahn gab es bald die ersten Kleingärten. Um den Bürgern die weiten Wege über die Steinbrücken zu ersparen, wurde hölzerne Stege über die Lahn gebaut. Der Hirsefeldsteg ist so einer. Er wurde 1913 auf Privatinitiative errichtet. Er sollte schon mal abgerissen werden, aber durch den Bau des Universitätssportplatzes und später des Schwimmbades wurde er unentbehrlich. Vor ein paar Jahren wurde er erneuert.

Kurz hinter der Brücke ist immer noch eine Superstimmung, denn es warten noch viele Staffelläufer auf ihren Einsatz. Die Halbdistanz ist erreicht. Das Läuferfeld ist deutlich ausgedünnt. Bei km 25 komme ich auf das versprochene Bier zu sprechen. „Was willst Du? Weizen oder Pils,  mit oder ohne Alkohol? Oder  Schwarzbier?“. Das ist der Hammer!  Die Gisselberger sind super, dafür gibt es die Note eins plus.

Am Ortsrand von Cappel wartet eine kleine Zusatzschleife und langsam wird es dunkel. Der Veranstalter weist extra darauf hin, dass Läufer, die länger wie 4 Stunden unterwegs sein werden, eine Stirn- oder Taschenlampe mitnehmen sollen. Ich verzichte darauf, weil ich bisher immer gut ohne zurecht gekommen bin. 

Diesmal aber nicht. Auf dem Trail-Abschnitt hinter Cappel ist es stockdunkel. Ohne Carsten würde ich entweder heute noch umherirren oder ich hätte auf das Schlussfahrzeug warten müssen.

Kurz vorm Stadion werden wir mit einem Riesenapplaus auf die Tartanbahn geleitet. Eine dreiviertel Runde auf der Tartanbahn noch, dann ab durchs Ziel. Es ist geschafft.

Marathonsieger:
Männer:
1. Christian Smolka ASC Marburg Friedberg  2:53:22,0
2. Gregor Scharf  TV Hergershausen  2:57:18,5
3. Klaus Bräutigam Frechen   3:01:09,2

Frauen:
1. Simone Stöppler SSC Hanau-Rodenbach 3:18:52,2
2. Jasmin Hamel  LG Max    3:44:24,7
3. Uta-Viola Heiskel LLC-Marathon Regensburg 3:44:51,0

187 Finisher

 

Informationen: Nachtmarathon Marburg
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