Wieder einmal sind Judith und ich unterwegs, um den Sommer noch etwas zu verlängern. Der Marathon des Alpes-Maritimes, der auch als French Riviera Marathon vermarktet wird, findet am 10.11. statt und sechs Monate vorher kann ich einen erschwinglichen Flug von München nach Nizza ergattern. Mit dem Zug dauert die Strecke ca. 12 Stunden und eine Autofahrt ist mit 10 Stunden auch nicht für ein Marathonwochenende geeignet. Später werde ich sehen, dass die 900 km nach Paris mit dem TGV in unter sechs Stunden möglich sind, was aber einem Münchner auch nicht weiterhilft.
Wir kommen am Freitag spätabends an und erwischen eine der letzten Trams ins nahe gelegene Zentrum. Unser Hotel liegt, wie viele andere, zwischen Hauptbahnhof und der Promenade am Meer.
Samstags wird erst mal ausgeschlafen. Der Frühstückslauf kann uns nach der kurzen Nacht nicht wirklich locken. Nach einem Frühstück brechen wir auf zur Startnummernausgabe im Hafen Port Lympia, welcher hinter der Altstadt und dem Burghügel liegt. Der öffentliche Nahverkehr ist auch dank zweier neuer Straßenbahnlinien perfekt ausgebaut und sehr günstig, aber im Zentrum geht vieles auch zu Fuß. Mit 350.000 Einwohnern ist Nizza die fünftgrößte Stadt Frankreichs und Sitz der Präfektur des Départements Alpes-Maritimes. Seit Juli 2021 ist Nizza als „Winterurlaubsstadt an der Riviera“ Teil des UNESCO-Weltkulturerbes. Aufgrund einer langen Tradition als Tourismusort kann man hier auch viele schöne alte Hotels sehen und Englisch wird fast überall gesprochen. Die Lage am Fuß der Seealpen garantiert auch im Winter angenehme Temperaturen, wie wir das in den nächsten Tagen auch erleben werden. Und die Stadt bietet viele Einkaufsmöglichkeiten, Restaurants, Museen und Parks.
Am Fährhafen wurde eine Veranstaltungshalle errichtet, in der die Marathonmesse zu finden ist. Neu für uns ist, dass man kein ärztliches Attest für Frankreich mehr benötigt, sondern eine Selbstauskunft mit Fragen rund um die Gesundheit im Internet ausfüllen musste. Diese kann hier auch noch auf Papier nachgeholt werden. Die Startnummern halten wir schnell in den Händen und auch einen schönen Rucksack, der mit seinem Aufdruck „It‘s very NICE yes we CANNES“, bezogen auf den Start- und den Zielort, sicher noch oft eingesetzt werden kann. Ansonsten gibt es keine Beigaben. Das Laufhemd werden wir erst im Ziel erhalten, erklärt uns die Dame an der Rucksackausgabe. Am Ende der Halle hängt eine große Weltkarte, auf der man per Stecknadel seinen Wohnort markieren kann. Alle großen Städte in Europa sind vertreten, plus einigen Pins weltweit.
Auf der Messe gibt es allerlei Informationen von anderen europäischen Marathons und Stände von Ausstattern, darunter auch der Sponsor Kiprun. Am meisten interessieren wir uns für den Haribo-Stand. Seit dem Marseille-Marathon wissen wir, dass das Bonner Unternehmen nicht weit von hier eine Produktionsstätte unterhält. Auch der lokale Zugverbund ZOU ist vertreten. Dort gibt es auch Fahrpläne für die Züge zwischen Nizza und Cannes, die häufig und größtenteils entlang der Laufstrecke verkehren. Teilnehmende können sie während des gesamten Marathontags kostenlos nutzen, Begleitende können eine Tageskarte für 8 Euro erwerben, was ein sehr günstiger Preis ist. Alternativ wären auch Shuttlebusse buchbar, was sich morgen als die bessere Alternative herausstellen wird.
Als wir die Halle verlassen, wartet eine sehr lange Schlange auf Einlass. Da waren wir gerade noch rechtzeitig. Der Veranstalter hatte die „heißen Phasen“ auch in seiner Info angegeben. Es lohnt sich, die Schwachlastzeiten zu wählen. Zum Mittagessen wählen wir eine „formule“, ein Menü zum günstigen Preis, wie es in Frankreich oft auch am Wochenende angeboten wird. Danach schlendern wir noch ein bisschen durch die Stadt und gehen früh zu Bett.
Der Start soll um 8:00 Uhr erfolgen. Wir gehen um 7:00 Uhr los und treffen auf der zentralen Einkaufsstraße Avenue Jean Médecin Unmengen von Teilnehmenden. Um 7:08 Uhr ist Sonnenaufgang, also ist es schon recht hell. Die Taschenabgabe an LKWs auf dem Place Masséna geht relativ zügig vonstatten, dann weiter zu den Startblöcken auf dem Quai des États-Unis direkt auf der Promenade oberhalb der großen Bucht. Die Wege zu den Blöcken sind gut ausgeschildert. Dort gibt es ziemlich weit vorne und hinten eine größere Toilettenansammlung. Aber vielleicht reicht die Anzahl doch nicht aus, denn um 8:00 Uhr warten vor uns immer noch einige Aspiranten. Noch bevor sich unser -weiter hinten befindlicher- Block bewegt, sind wir dann aber doch fertig und starten mit eigenem Startschuss um 8:30 Uhr.
Die Strecke ist sehr einfach beschrieben: Von Nizza nach Cannes, fast immer an der Küste entlang, plus einem Schleifchen bei Kilometer 15.
Das Wetter ist fantastisch und schon fast zu warm. Die Sonne strahlt die großen Gebäude an der Promenade an. Gleich am Anfang das berühmte „Le Negresco“, ein 1912 eröffnetes Luxushotel im Stil der Belle Époque. Und viele Zuschauende am Laufweg. Rechts läuft ein Papi mit Tochter neben seiner Marathoni-Ehefrau her. Ganz schön fit, die beiden. Erst bei Kilometer drei verabschieden sie sich mit allerlei Küsschen. Da wirken die Polizisten mit ihren Maschinenpistolen schon ganz anders. Aber inzwischen wissen wir, dass es sehr freundliche und hilfsbereite Frauen und Männer sind.
Aktuell steht die Sonne im Rücken, also beste Sicht für uns. Bei Kilometer fünf kommen wir zum Flughafen, der quasi im Meer liegt. Zeitnahme. Auch die ersten Musikgruppen durften wir schon erleben. Oft auch mit Panama-Strohhut auf dem Kopf. Kurz vor der ersten Wasserstelle zwei WC-Häuschen. Ich zähle 12 Personen in der Schlange. Das wird dauern…
Hinter dem Flughafen überqueren wir den 114 km langen Fluss Var und verlassen Nissa, wie Nizza auf Okzitanisch heißt, einer in Südfrankreich und Katalonien noch gelegentlich gesprochenen Sprache. Wir kommen nach Cagnes-sur-Mer. Ein Blick zurück auf die hohen Gipfel der französischen Seealpen: Viel Schnee scheint dort noch nicht zu liegen. Wir sind auf der Promenade de l´Hippodrome. Für uns geht es an einem Pferdestandbild nach rechts auf eine Begegnungsstrecke. Ich sehe Judith, die mich schon wieder abgehängt hat. Vor mir ein Läufer mit dem Aufdruck „HC Gutes Pferd“ auf seinem Hemd. Passt doch gut zu der Rennbahn, an der es gerade entlang geht. Wobei er mir erklärt, dass er aus Ungarn kommt. Schön, dass auch die Nationalitätenflagge auf der Startnummer ist, wie auch der Name.
Kurze Zeit später ist die Pendelstrecke schon wieder vorbei. Wir laufen hier von Nizza bis Antibes an der Baie des Anges, also der Bucht der Engel. Wobei der Name vom Meerengel kommt, einer Haiart, die bis zu zwei Meter lang werden kann, am Meeresboden liegt und wie ein Rochen aussieht. Vielleicht doch keine gute Idee, nach dem Lauf ein Bad im Meer zu wagen?
Ein Schild mit der Aufschrift „RECORD SUR STRAVA PAS SUR TINDER – Rekord auf Strava und nicht auf Tinder“ wird hier hochgehalten. Vor uns ein riesiges geschwungenes Hochhaus, das „Marina Baie des Anges“ in Villeneuve-Loubet. 1971 gebaut, hat es sich nach einigen Kontroversen inzwischen zu einer beliebten Sehenswürdigkeit entwickelt. 1.300 Wohnungen sind in der Anlage untergebracht. Wir drehen hier eine Schleife mit dem ersten kleinen Anstieg über die Eisenbahn. Eine Sängerin gibt gerade ein Lied von Liza Minnelli zum besten. Eine Gruppe von Trommelspielern hört zu und löst sich anscheinend mit ihr ab. Und dann noch eine Gruppe, bei der Damen in Indianerkostümen zu sehen sind. Hier geht man anscheinend anders mit der „kulturellen Aneignung“ um. Mir gefällt es, dass die Hautfarbe anscheinend keine Rolle spielt.
Wir umrunden das Gebäudeende und kommen zum Hafen. In den zahlreichen Cafés und Restaurants sitzen viele Leute, genießen den Sonntagsbrunch und schauen uns gerne zu. Das ist schon ein mondänes Urlaubsflair. Am Ende der Anlage liegen der Haltepunkt der Bahn und das Ziel des 20-km-Laufs. Die 20-km-LäuferInnen werden aber erst ein Stück später umkehren und kommen uns ab jetzt auch entgegen. Platz ist genug auf Radweg und Straße. Rechts von uns die Bahntrasse und links der Kiesstrand. Nicht so einladend wirkt der auf mich. Aber ich weiß, dass ich mal kurz umdrehen muss, um viele schöne Fotos von der Bucht zu machen. Ich treffe auf Martin aus Großbritannien, der auch viele Marathonreisen unternimmt. Mal sehen, wer heute schneller ist.
Ganz weit vorne erhebt sich das Fort Carré aus dem 16. Jahrhundert. Es ist auch bekannt aus dem James-Bond-Film “Sag niemals nie”. Insgesamt vier schnurgerade Kilometer sind hier abzuspulen. Wobei es auch hier an Anfeuerung nicht mangelt. Kurz vor dem Fort dann ein leichter Anstieg und die Halbmarathonmarke. Hier befindet sich auch der Wechselpunkt für die Zweierstaffel. Sämtliche Staffelwechsel sind immer auf Plätzen neben der Laufstrecke gelegen. Da stört uns niemand. Eine große polnische Laufgruppe ist mit mir unterwegs und macht auch viele Fotos. Mit ihren Hemden in Nationalfarben übertreffen die Polinnen und Polen jetzt oft die zahlenmäßig unterlegenen TeilnehmerInnen aus Dänemark.
Dann sind wir schon am Hafen Port Vauban von Antibes. Große Jachten liegen hier vor Anker. Ein Riesenrad vor der Stadtmauer. Dann durch ein Tor hinein in die Altstadt. Wir erklimmen die Stadtmauer am Meer. Breit genug, um gut laufen zu können. Vor uns das bewaldete Cap d´Antibes. Zuvor aber wieder hinunter und dann an Sommerhotels und am Sandstrand vorbei.
Wir müssen ein Stück nach oben. Letzte wunderbare Blicke Richtung Nizza. Weiter geht es auf der Halbinsel. Links hinter den durch meist hohe Mauern vor Blicken geschützte Villen das Meer, rechts auch Mauern und Villen. Es geht weiter nach oben. Ein Blick auf das Satellitenbild macht deutlich: Hier gibt es viele sehr große Grundstücke mit teilweise riesigen Pools. Nicht umsonst gilt Cap d´Antibes als „die teuersten vier Quadratkilometer der Côte d´Azur“. Am Streckenrand steht ein Taucher mit einer großen Harpune und wartet darauf, queren zu können. Links der Eingang zum Luxushotel du Cap-Eden-Roc, 2018 zum besten Ferienhotel der Welt gewählt. Dann vor uns der Blick auf die nächste Bucht. Und immer wieder Zuschauer, Musik und vor allem auch viele Streckenposten. Die Querstraßen sind immer von Autos und LKWs blockiert.
Noch mal eine Kuppe und dann steil hinunter. Der Blick auf die Bucht ist phänomenal. Diese strahlende Sonne. Hier auch ein VP mit Energiegetränk. Dann wieder Wasser und Bananen. Später auch Schokolade, Kekse und Haribo. Alles recht gut organisiert und ohne Gedränge. Anfangs auch beidseitig. Wobei das Feld vor einer Stunde sicher noch dichter besetzt war. Man kann gut erkennen, wie sich die Straße zwischen kleinen Buchten und den bekannten Mauern dahin schlängelt. Ich bin sehr glücklich. Viele Strandbesucher feuern uns an.
Wir kommen nach Juan-les-Pins. Ein Strandort so richtig nach meinem Geschmack, wie ich das von den Italienurlauben in meiner Jugend kenne. Danach wieder zwei Kilometer zwischen Sandstrand und Bahn schnurgerade entlang. Wir kommen nach Golfe Juan, noch mal Hotels, auch einige ältere Gebäude. Ein Schild mit der unmissverständlichen Aufforderung „BOUGE TON CUL MAMAN TU VAS Y ARRIVER – Beweg deinen Hintern Mama, du wirst ankommen“ wird hier von Vater und Tochter hochgehalten. Und zum Abschluss ein ziemlich langer Anstieg. Oben wartet ein Rotkreuzzelt. Dort werden auch einige Beine massiert. Und prompt radeln zwei Sanitäter auch weiter. Wir sind oberhalb der Eisenbahn.
Ich lese laut vor: „Niemand hat die Absicht 100 Meilen zu laufen“. Christian und Sylvia kommen aus Deutschland. Und für Christian ist es der Saisonabschluss, wobei er eher ein Ultra-Läufer ist. Er meint, dass ich mit langen Ärmeln eher zu warm angezogen bin. Da hat er recht. Ich hatte mich zu Hause im Hemd vergriffen. Und dann überholen wir noch Sigi aus Österreich.
Ein Straßenschild zeigt den Ortsanfang von Cannes oder Cano, wie es auf Okzitanisch heißt. Wir sind immer noch etwas oberhalb, aber man kann links unten die Läuferschar auf Küstenebene sehen. Und dann auch gleich mit viel Trommelwirbel nach unten. Ich freue mich sehr, dass heute ein so großes Feld unterwegs ist. Da gibt es auch weiter hinten noch viel zu fotografieren.
Wir erreichen km 39. Jetzt packt mich noch der Ehrgeiz. Wir sind hier auf Pointe Croisette, einem Kap, das wir nun umrunden, um auf einen grünen Boulevard zu kommen. An der Bucht können wir die großen Hotels von Cannes schon sehen. Dernier Kilometre - der letzte Kilometer unter Kiefern und Palmen. Die Zuschauer werden immer mehr, der Korridor immer schmaler. Die letzten 200 Meter. Wahnsinn, was hier noch Leute stehen. Glücklich erreiche ich das Ziel. Leider habe ich die 5:10 h nicht mehr knacken können. Wie sehr man doch auch bei solchen Zeiten noch versucht, irgendwelche Schwellenwerte zu unterbieten.
Judith ist schon weiter gegangen. Hier nach dem Ziel werden nur Wasserflaschen angereicht, dann muss man ein Stück am Meer entlang gehen. Die Staffeln werden in einen eigenen Bereich aussortiert, dann die Marathonis, welche das VIP-Paket gebucht hatten. Es folgen die LKWs mit den Rucksäcken und dann bei den großen Yachten endlich die Medaillen. Schade, dass hier nicht mein Schiff liegt, dann hätte man es nicht so weit. Welches würde mir wohl gefallen? Auf der Esplanade de Pantiero direkt vor der Altstadt liegt der Nachzielbereich der Marathonis. Vorab noch das Marathon-Hemd in unterschiedlichen Farben für Damen und Herren. Dann mehrere Stände mit Getränken, Chips, Pastete, Käse, Obst, Haribos und Madeleines. Bier finde ich keines. Aber der Käse schmeckt mir sehr gut. In einem Zelt mit langer Schlange Massagemöglichkeiten. Die polnische Laufgruppe ist gut vorbereitet, hat eine Picknick-Decke dabei und viele kleine Sektflaschen.
Das Wetter ist so schön und warm, dass Judith und ich noch auf den Hügel über der Altstadt steigen. Wobei der Weg hinunter sich nicht so einfach gestaltet. In den Kneipen der Altstadt ist die Hölle los. Wir spazieren zum Bahnhof und treffen auf eine viele hundert Meter lange Schlange. Wie ich von einem Läuferpaar aus London höre, gab es wohl eine Betriebsstörung und Zugausfälle. Nach einer halben Stunde Wartezeit, in der wir nicht nennenswert vorankommen, entscheiden wir uns, zu viert im Taxi zurück zu fahren.
Wir bleiben noch zwei Nächte und machen schöne Spaziergänge am Meer auf dem Cap Ferrat und eine Wanderung in das viel besuchte Bergdorf Èze.
Der zweitgrößte Marathon in Frankreich bietet eine wunderschöne Strecke am Meer durch kleine Ortschaften und mit wunderbaren Ausblicken. Die Strecke ist komplett auto- und fahrradfrei. Viel Musik und auch viel Anfeuerung. Auf der zweiten Hälfte kommen einige Höhenmeter dazu. Die Organisation ist sehr gut, ebenso das Preis-Leistungs-Verhältnis. Die Infos gibt es auf Französisch und Englisch. Eine Übersetzung auf Deutsch wird angeboten.
Empfehlenswert ist, ein Bustransferticket dazu zu buchen, da die Regionalzüge auch durch die Begleitenden recht stark ausgelastet sind. Nizza und die Côte d‘Azur sind auf jeden Fall einen Besuch wert. Es gibt günstige Hotels und Restaurants aller Preisklassen.
Siegerinnen Marathon:
1 02:39:41 KORIR IRENE
2 02:44:46 CHEBET WINNIE
3 02:51:00 BORRIES GRUBER LILLI
Sieger Marathon:
1 02:13:30 KIPROP DICKSON
2 02:15:17 KIPCHUMBA RUGUT
3 02:17:38 KIMULWO MOSES
Finisher:
Marathon: 10.405
Duo-Marathon (2x 21 km): 940
Staffeln: 803
20 km: 2.219