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Laufberichte

Gelungen, alle kommen wieder

10.06.07

Begeisternde Premiere - Kassel hat nun wieder einen Marathon - in dieser Art und in dieser Größe war es der erste.

 

Was jetzt häufig vergessen wird: es gab schon öfter Marathons in Kassel. Ein Verein hat lange Jahre pioniermäßig Marathons veranstaltet, mehrere Runden durch die Fuldaauen und Kleingärten („Ödlandmarathon“), hat dabei aber so wenig Unterstützung durch Stadt und Öffentlichkeit erfahren, dass die Veranstaltung vor geraumer Zeit einging.

 

Dann gab es den Marathon Club Kassel, der vor ungefähr zehn Jahren aktiv war und Sammelmarathons veranstaltete. Er hatte vier verschiedene Marathonstrecken im Programm, eine schöner als die andere, die häufiger abgelaufen wurden. Glücklich, wer dabei sein durfte, noch glücklicher, wer heute wieder dabei ist. Mit dem Marathon verhält es sich offensichtlich so wie in der Atomphysik: eine kritische Masse muss erstmal überschritten werden, sonst gibt es keine Kettenreaktion, sonst geht es nicht rund.

 

Und es ging rund in Kassel am 10.06.2007. Schon Monate vorher hat der bevorstehende Marathon die Läufer Kassels beflügelt und zu Extraaktivitäten hingerissen: es gab Vorbereitungsläufe, sogar auf der Originalstrecke, eine besondere Portion Begeisterung war überall zu spüren. Ich wohne in Kassel, und in der Zeit unmittelbar davor gab es keinen Smalltalk mehr ohne das Thema Marathon. Die Vorfreude und die Begeisterung waren groß, unter Läufern und unter Nichtläufern. Sogar unser Bäcker – er ist auch mitgelaufen – hatte einen Marathon aus Legemännchen für sein Schaufenster aufgebaut und ein Marathonbrot gebacken.

 

Die Streckenführung – das stand lange vorher fest – sollte sich nach verkehrstechnischen Gegebenheiten richten. Sie hatte nicht nur die Schokoladenseiten von Kassel dabei. Wir Läufer aus Kassel hatten schon gelästert über die manchmal optisch etwas unschöne Strecke. Herrgott, wie viele hässliche Eisenbahnbrücken gibt es doch in Kassel! Aber jetzt muss man sagen, sie hat hervorragend funktioniert.

 

Überhaupt hat alles hervorragend funktioniert. Da gibt es nichts zu meckern, da waren Profis  am Werk. Der Kopf des Marathons, Winfried Aufenanger („Aufi“), früher Bundesmarathontrainer und jetzt Polizeichef im Ruhestand, hatte alles perfekt im Griff. Die Helfer waren zum großen Teil selber Läufer; es gibt ja so viele davon in Kassel, weil wir hier so paradiesische Laufmöglichkeiten haben. Parks, Wälder, idyllische Mittelgebirgslandschaft ohne Ende, wer da nicht läuft, ist selber schuld. Und die Messehallen als Basisstation waren so richtig schön geräumig für den Massenansturm der ungefähr 6000 Läufer aller Disziplinen.

 

Bei solcher Organisation war der Start natürlich pünktlich.

 


Halbmarathonläufer starteten mit Marathonläufern gemeinsam, die einen hatten eine Runde vor sich, die anderen zwei. Dieses Konzept kann für die Zweirundenläufer problematisch werden: zu schnell in der ersten Runde, zu allein in der zweiten. Der Trend zum Halbmarathon war in Kassel deutlich.

 

Die große Überraschung kam schon bald nach dem Start: das Publikum war spitze, Zehntausende standen an der Strecke, steht heute in unserer Zeitung. Das hätte ich den Nordhessen nie zugetraut. Schon früh morgens waren sie zahlreich und gutgelaunt an den Straßen. Ganze Tische waren herausgeräumt worden, da wurde dann mit Zurufen und Applaus gefrühstückt.

 

Und das ging immer weiter so, manchmal mehr, manchmal weniger Leute an der Strecke, alle gut aufgelegt. Musik gab es manchmal, sogar eine Hymne für den Kassel Marathon, Sambagruppen und Cheerleader machten ihre Show. Es gab sehr oft Wasser, sowohl in Bechern als auch von oben aus Duschen von Feuerwehrwagen.

 

Das war auch nur gut so, denn schon bald wurde es ordentlich warm. Ich genoss es sehr, bei meinem Heimspiel so viele bekannte Gesichter zu
sehen: zahllose Sportsfreunde an den verschiedenen Verpflegungsstellen und als Streckenposten, Nachbarn, dazu als Überraschungsgäste unsere Briefträgerin, unseren Elektriker und unseren Fahrradhändler. Und nach ungefähr 15 km, in der hiesigen Kneipenmeile, musste ich erstaunt zweimal hinschauen: Hatte ich nicht den Sprecher mit dem Mikrofon, der fröhlich kommentierte und Durchhalteparolen ausgab, wenige Tage zuvor schon gesehen, als Leichenredner bei einer Trauerfeier? Da war er so gut gewesen, dass unsere Bekannten sagten, den will ich auch haben, wenn ich gestorben bin: eine Doppelbegabung, der Mann.

 

Ein Zuschauer trug ein Schild: „Ihr seit spitze“. Mit t. Ein anderer kommentierte lautstark den Fehler. „Gibt schlimmere Wörter“, grummelte der Träger. Als ich die Strecke lange noch nicht halb geschafft hatte, kamen Radfahrer, angetan mit Polizeitrikots, und es hieß: „Bitte etwas zur Seite, die Spitze kommt“. Und dann zogen sie auch vorbei, die schnellen Kenianer, allen voran der mit der Nummer 11, der schon vor dem Start, als ich die Favoriten in den Messehallen fotografierte, siegesbewusst in die Kamera geschaut hatte: Francis Kiprop, der mit der erstaunlichen Zeit von 2:16,48 siegen sollte. Erstaunlich deshalb, weil die Strecke nicht ganz flach ist, so etwas gibt es in Kassel nicht.

 

Die Strecke ging am Rathaus vorbei, wo eine Tribüne war, von der aus in der ersten Runde jeder Läufer mit Namen begrüßt wurde. Dann war bald der schattige Auedamm erreicht, links die Fulda, rechts die Karlsaue, wo die Vorbereitungen zur Documenta ihrem Ende zugehen. „Nur noch eine Kurve, dann hast du es geschafft“, meinte jemand zu mir am Ende der ersten Runde. Das würde aber noch eine sehr umfassende Kurve für mich werden. Aber ungefähr zweidrittel aller Läufer waren jetzt nach dem Halbmarathon im Ziel.

 

Die zweite Runde war dann nicht mehr ganz so schön, denn es wurde eine Brutzelrunde, und auf der Strecke selbst war nicht mehr so viel los. Das Publikum hat aber im Gegensatz zu manch einem Läufer durchgehalten. Nein, auf das Publikum lasse ich nichts kommen! Eine komplette Cheerleadergruppe zog ihr ganzes Programm nur für meine durchlaufende Wenigkeit ab! Da hab ich den Leuten häufig gesagt, dass sie ein ganz tolles Publikum seien, einer musste das ja mal sagen.

 

Manchmal überholte ich Läufer, die sich schon zu sehr verausgabt hatten, die schwitzen wie die Tiere und wanderten. 32 Grad waren es, und es gab nicht allzu viel Schatten.

 

Bald war meine Familie da und brachte mir Kaffee, ein Service, den man haben kann, wenn man fast neben der Strecke wohnt. Ich halte ja neben klarem Wasser und Milch Kaffee, Cola und Bier, letzteres schön kalt, für ideale Laufgetränke. Ja, ich weiß, das ist undogmatisch, tut aber trotzdem verdammt gut in den richtigen Momenten.

 

Ungefähr eine halbe Stunde vor Zielschluss zog ein Gewitter auf. Da war ich dann aber schon fast da. „Du schaffst es, du schaffst es“, sagten die Leute.  „Wenn ich nicht noch kurz vorher vom Blitz erschlagen werde!“

 

Im Ziel überreichte mir ein Kind meine Medaille. In den Messehallen war gerade noch die Siegerehrung und die Würdigung der Organisatoren und Helfer. „Aufi“ bekam ein Lob in Gedichtform zu hören, der Oberbürgermeister – er war auch gelaufen - war mit auf der Bühne, die männlichen Sieger standen ein wenig abseits und hantierten verlegen mit den roten Rosen, die man ihnen gegeben hatte und mit denen sie nicht so recht etwas anzufangen wussten. Irgendwie war große Erleichterung und Zufriedenheit zu spüren.

 

Ich konnte mich nur nicht lange aufhalten, denn ich musste zu den Sanitätern: eine Zecke. Da lauf ich nun immer in der Landschaft herum und meinen ersten Stadtmarathon seit Jahren, und ausgerechnet da befällt mich eine Zecke! Das muss wohl beim Abstellen meines Fahrrades passiert sein. Sie hatte sich auch noch nicht richtig festgebissen an meinem Fuß, der war ihr wohl zu unruhig gewesen. Die Zahl der Sanitäter beeindruckte mich, eine ganze Messehalle diente als Lazarett. „Wir haben den Platz gebraucht für die vielen Kreislaufprobleme“, sagt mir ein Arzt. Reglos lag auf einer Trage eine Frau am Tropf, völlig blass. Da kann man mal sehen, Marathon laufen kann auch ungesund sein. Wahrscheinlich braucht man gute Instinkte, so dass man sich gar nicht erst so überlastet.

 

Wie das war mit den Umkleiden und Duschen, kann ich nun nicht sagen, denn es gibt schöne Badeseen bei den Messehallen. Da konnte man den Heldenschweiß abspülen, den Körper wieder auf normale Betriebstemperatur bringen und die Beine zur Abwechslung mal anders bewegen. Ich schätze es sehr, wenn man gleich nach dem Lauf schwimmen kann. Übrigens ist der See links ganz kurz vorm Ziel ein FKK-See, für Läufer, die gerade keine Badesachen dabei haben.

 

Ungefähr 1400 Läufer hatten sich für den ganzen Marathon angemeldet, ins Ziel kamen davon ungefähr 1150.

 

Zusammengefasst: alles sehr gelungen. Alle mal wiederkommen!

 

Informationen: Kassel Marathon
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