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Laufberichte

Hamburg gehört den Marathonis

29.04.07
Autor: Klaus Duwe

„Wir woll’n euch laufen seh’n“

 

„Was muss passieren, um die Hamburger noch einmal so in Feierlaune zu versetzen, wie an diesem Wochenende?“ frage ich einen Läufer kurz vor dem Ziel. „Der HSV muss Meister werden und gleichzeitig die Championsleague gewinnen“, antwortet er so spontan, als ob er sich darüber schon seine eigene Gedanken gemacht hätte. Das heißt, Ostern und Pfingsten fällt auf einen Tag, oder: wir haben heute in Hamburg eine Sternstunde erlebt, die sich nicht wiederholen wird.

 

Nicht der Marathon-Sonntag alleine, das ganze Wochenende ist für alle Beteiligten ein einmaliges Erlebnis. Gleich nach der Eröffnung am Freitagnachmittag ist die Messe gut besucht, sodass sich der Ansturm auf die Startunterlagen und die Schnäppchen schön verteilt und über alle Tage eine entspannte und stressfreie Atmosphäre spürbar ist.

 

Einzig das Wetter macht Sorge. Am Feitag und Samstag ist es sommerlich warm in der Stadt, 26 Grad zeigt örtlich das Thermometer. An der Alster geht es eher südländisch zu, man glaubt sich am Gardasee. „Trinken, trinken“, mahnen die Experten, „Körper kühlen nicht vergessen, und die Haut schützen“.

 

Ohne mich in die „Klimawandel“-Diskussion einmischen zu wollen, die Statistik des Hamburger Marathon sagt mir folgendes: 1987 hatte es beim Start bereits 11 Grad, im Tagesverlauf wurden 20 Grad erreicht, 1996 waren es sogar 14,7 und 26,5 Grad. Und in diesem Jahr sind alle Sorgen umsonst. Es kommt zum Temperatursturz und am Sonntag erreicht die Quecksilbersäule ideale 16 Grad - das aber bei strahlendem Sonnenschein.

 

Mit viel Glück habe ich wieder ein Zimmer im „Basler Hof“ ergattert. Das Hotel an der Esplanade ist besonders bei Geschäftsreisenden sehr gefragt, am Marathon-Wochenende gehört es fast ganz den Läuferinnen und Läufern. Die Lage macht es aus: in wenigen Minuten ist man zu Fuß auf der Messe und am Start und weiter ist es auch nicht zur Binnenalster und in die City. Dass man sich mit der hausinternen Pastaparty mit Nudel-, Salat- und Gemüsebuffet (Sonderlob für die herrliche Rote Grütze!) und dem Marathonfrühstück ab 5.30 Uhr ganz auf die Marathonis einstellt, macht das Quartier doppelt interessant.

 

In Hamburg wird ja von drei verschiedenen Plätzen aus gestartet. Die Elite und andere Schnelle starten in der Karolinenstraße, Bei den Kirchhöfen und auf dem Groch-Fock-Wall beginnt etwas zeitversetzt in verschiedenen Blocks für die Breitensportler und Hobbyläufer der Hamburg-Marathon. Egal wo du stehst, die Stimmung ist super. Zuschauer und Läufer werden mit letzten Informationen versorgt. So erfahren die Leute, dass Claudia Weber und Thomas Wenning am Start sind. Die Laufband-Weltrekordler haben jetzt wieder auf der Straße eine Bestleistung im Visier. An 16 aufeinander folgenden Tagen wollen sie in 16 Bundesländern jeweils einen Marathon laufen. Gestern sind sie auf der Originalstrecke des Bremer Marathons 42,195 Kilometer gelaufen, morgen ist Flensburg an der Reihe.

 

29.195 Aktive sind gemeldet, davon wollen 23.027 den Marathon laufen, 17.048 sind tatsächlich am Start. Nur zweimal (2002 und 2005) waren es etwas mehr. Die letzten Sekunden zählen wir gemeinsam rückwärts, dann fällt um 9.05 Uhr der Startschuss und los geht’s. Tausende Zuschauer bejubeln die Marathonis – unglaublich, wo doch noch von anderen Plätzen gestartet wird. Auf der Reeperbahn (km 2) haben dann alle einen gemeinsamen Weg.

 

Das Vergnügungsviertel präsentiert sich im Sonntagskleid und ohne Baustellen. Die Straße mit den vielen Bars, Striplokalen, Kinos und Spielhöllen ist so belebt, wie auch in besten Geschäftszeiten nicht. Die Menschen feiern, als seien die Kicker von  St. Paul von der Regional- gleich in die Bundesliga aufgestiegen. St. Pauli ist nicht jugendfrei, die Polizei hat darauf bestanden, dass die Ordnungskräfte mindestens 18 Jahre alt sind.

 

In der Holländischen Reihe (km 4) stehen kaum Zuschauer, die Straße ist so eng, sie wird von den Läuferinnen und Läufern gebraucht. Die Leute feiern an den Fenstern und auf den Balkons mit. Als ich bei Kilometer 5 in der Bernadottestraße das Gedränge an der ersten Getränkestelle hinter mir habe, muss ich den Kopf schütteln. Es ist unglaublich, was sich auf diesem Streckenabschnitt bisher abgespielt hat. Ich bin zum vierten Mal in Hamburg, keinen Marathon bin ich bisher öfters gelaufen – und das hat seine Gründe. Aber heute wird alles übertroffen.

 

Die Elbchaussee (km 8), eine der besten Adressen Hamburgs: herrschaftliche Villen, parkähnliche Gartenanlagen, Blick auf die Elbe. Ich wusste nicht, dass hier so viele Menschen wohnen. Und heute feiern alle mit. An der Verpflegungsstelle gibt es Bananen – das ist gut, denn wenn dir einmal der Magen knurrt, ist es zu spät. Gegenüber im Landhaus Scherrer stehen geschmorte Kalbsbäckchen auf Kohlrabi mit Kichererbsenpüree auf der Karte. Der Nobelschuppen hat allerdings sonntags geschlossen.

 

Gleich stehen die Menschen noch dichter, wie soll das bloß am Fischmarkt werden? Als wir das abschüssige Stück hinunter zur Elbe laufen, ist es so, wie wenn man in ein voll besetztes Stadion läuft. Rechts und links der Straße stehen die Menschen dicht gedrängt, auf Brücken und Wegen ist kein Platz mehr frei. „Wer hier ohne Gänsehaut durchkommt, ist ein ganz abgebrühter Hund“, stellt ein Hamburger fest, der seine Stadt so auch noch nicht erlebt hat. Die Stimmung ist unbeschreiblich. Einerseits wachsen einem Flügel, andererseits möchte man verweilen und genießen.

 

Rechts sehen wir die Speicherstadt. 1888 wurde dieser größte, zusammenhängende Lagerhauskomplex der Welt eröffnet. Zwar werden dort auch heute noch Kaffee, Tee, Kakao, Computer und Orientteppiche gelagert, aber viele Baugerüste und Kräne künden von Aufbruch und Veränderung. Die HafenCity entwickelt sich zum größten innerstädtischen Bauprojekt Europas.

 

Wir laufen auf den Hauptbahnhof (km 15) zu und tauchen ab in den dunklen, kühlen Tunnel. Draußen werden wir wieder von einer jubelnden Menschenmenge empfangen. Hunderte Kinderhände strecken sich den Läufern entgegen und wollen abgeklatscht werden.

 

Die Party geht an der Alster weiter, zuerst Ballindamm mit Blick auf den Rathausturm, dann Jungfernstieg. Mit Alster meint der Hamburger nicht den 53 km langen Elbezufluss, sondern den Alstersee. 1190 staute man die Alster, um eine Kornmühle zu betreiben. Für eine zweite Mühle wurde 1235 ein weiterer Damm errichtet. Durch eine falsche Berechnung wurde die Alster überschwemmt und der See entstand. Der Jungfernstieg ist nach der Umgestaltung mehr denn je Mittelpunkt und Treffpunkt für Jung und Alt, Einheimische und Gäste. Heute gehört er den Marathonis und ihren Fans, wie der Rest der Stadt um die 42 km lange Laufstrecke.

 

Ich bin ungefähr 18 Kilometer gelaufen, zur Esplanade, die bei km 40 erreicht wird, ist es nur ein Steinwurf. Dort fiebern die Zuschauer einem packenden Marathonfinale entgegen. Rogers Rop aus Kenia, Boston- und New-York-Gewinner, der für sein Land gerne bei den Weltmeisterschaften laufen möchte, liegt ganz knapp vor seinem Landsmann Wilfred Kigen, dem mehrfachen Gewinner des Frankfurter  Marathons. Er ist sich seines Sieges sicher und läuft dem Ziel entgegen. Plötzlich spürt er Wilfred neben sich, er will vorbei, will ihm den Sieg entreißen. Rogers zuckt förmlich zusammen, legt seine ganze Kraft in die letzten Schritte und gewinnt mit einer Sekunde Vorsprung in 2:07:32 Stunden.

 

Derweil trabe ich über die Kennedybrücke, die Außen- von Binnenalster trennt. Es ist Sommer, mit wenigen Ausnahmen sind Bäume und Sträucher längst verblüht. Auf dem Wasser tummeln sich zahllose Segelboote. Traumwetter nennt man das, wenn die Sonne strahlt und die Temperaturen dabei erträglich sind. Über den Wind freuen sich allerdings die Segler alleine.

 

Ich habe fest mit ihnen gerechnet und werde nicht enttäuscht: vor dem Haus 14 a sitzen wieder die drei Damen am schön gedeckten und mit Blumen geschmückten Frühstückstisch. Kaffee und Champagner lehne ich ab, aber zu einem Kirschkuchen mit Streusel lasse ich mich nur zu gerne überreden. Dem Beispiel der Damen folgen viele Anwohner und sind mir ihren Garten- und Balkonmöbeln an die Straße und auf die Grünflächen umgezogen. Normalerweise geht es hier etwas ruhiger zu und man kommt zum Durchatmen. Heute gönnen die Hamburger den Marathonis keine Pause.

„Vorwärts“, „super“, „das schafft ihr“, klingt es aus tausend Kehlen. Die Hymne des Tages aber ist: „Wir woll’n euch laufen seh’n“.

 

Bemerkenswert ist vielleicht noch, dass es in Hamburg keine vom Veranstalter organisierten Streckenfeste gibt. Außer drei NDR-Stationen sind alles spontane und private Aktionen der Anwohner. Dabei nutzen einige Vereine das große Fanaufkommen und bessern mit dem Verkauf von Getränken und Gegrilltem die Vereinskasse auf. Auch mancher Gastwirt hat den Zapfhahn nach draußen verlegt. Man hat allerdings schon den Eindruck, es sei von irgendeiner Stelle ein Wettbewerb ausgeschrieben, welcher Stadtteil die meisten Leute auf die Straße bringt.

 

Würde es nicht alle 5 Kilometer laut piepen, weil eine Zeitmatte überlaufen wird, man würde nicht merken, wie die Zeit vergeht. Schmerzen in den Beinen, in den Waden oder Knien? Ja, jetzt, wo ich daran denke. Gleich sind sie vorbei. „Klaus, du siehst gut aus“, behaupten die Mädels und ich strahle sie an. Fuhlsbüttler Straße (km 25), Überseering und Maienweg (km 31), immer das gleich Bild. Manchmal bleibt den Läuferinnen und Läufern nur eine schmale Gasse, durch die man fürchtet, nicht durchzukommen.

 

Als es in Alsterdorf auf die Alsterkrugchaussee (km 33) geht, gibt es noch einmal einen stürmischen Empfang, dann scheint es ruhiger zu werden. Aber es scheint nur so. Dudelsack-Klänge wecken Erinnerungen an den Jungfrau-Marathon, dem Laufevent in den Bergen. In Eppendorf (km 36, Tarpenbekstraße) beginnt praktisch die Zielgerade. Vorbei am Klosterstern geht es auf die Rothenbaumchaussee. In der Menschenkette am Straßenrand sind kaum Lücken zu erkennen.

 

Bei km 40 sind wir am über 100 Jahre alten Bahnhof Dammtor und an der letzten Verpflegungsstelle. Dass die hübschen Mädels von Red Bull bereits hier und nicht erst im Ziel ihren Zaubertrank ausschenken, ist eine gute Idee. Denn jetzt geht es auf den Gorch-Fock-Wall zu dem Streckenabschnitt, den kein Hamburg-Finisher vergisst. Die Straße steigt nämlich deutlich spürbar an. Viele Marathonis gehen, alle Aufmunterungen und Anfeuerungen helfen nicht. Es ist eng, im Zick-Zack überhole ich einen nach dem anderen. Dann wird die Straße breiter, wir kommen zum Startplatz und laufen beim Sievekingsplatz rechts in die Karolinenstraße und an der Gnadenkirche vorbei.

 

Unglaubliche laut ist es hier, die Menschen jubeln an der Straße und auf den auch noch nach 4 ½ Stunden voll besetzten Tribünen. Die modernen Glasfasaden der neuen Messehallen, die historischen Backsteinbauten und der Fernsehturm im Hintergrund sind Hamburgs neue Marathon-Arena. Der Zieleinlauf ist grandios und einmalig. Ich sehe nur glückliche Menschen.

 

Danke Hamburg, du bist spitze!

 

Jeder empfängt seine wohlverdiente Medaille. Wasserkübel stehen zur ersten Erfrischung bereit. Ohne Hektik und Stress geht es in die Verpflegungszone. Statt sich an zig Verpflegungsstellen in die Schlange zu stellen, bekommt man an einem zentralen Punkt gegen einen an der Startnummer angebrachten Bon einen gut bestückten Verpflegungsbeutel mit Obst, Riegel und Getränk. Gleich nebenan in der Messehalle gibt es dann das, wovon viele auf den letzten Kilometern träumten: Bier aus Erding, das sich offenbar zum internationalen Sport- und Kult-Getränk entwickelt.

 

Damit es stressfrei weitergeht, hat man sich für die Kleiderausgabe ein neues System ausgedacht. In der riesigen Messehalle sind in abgesperrten, langen und mit den Startnummern gekennzeichneten Korridoren die Kleiderbeutel deponiert. In den dazwischen liegenden Gängen kann man dann praktisch bis zu seinem Kleiderbeutel gehen, der einem ausgehändigt wird, ohne dass der arme Helfer lange hin und her rennen muss.

 

Streckenbeschreibung:

Flacher, teilweiser etwas welliger Rundkurs, sehr gut zu laufen.

 

Zeitnahme:

Champion-Chip, Zwischenzeiten alle 5 km, jeder Kilometer ist angezeigt. 

 

Rahmenprogramm:

Marathonmesse ab Freitagmittag mit Ausgabe der Startnummern.
Ökumenischer Gottesdienst am Samstag.

 

Weitere Veranstaltungen:

Rollis und Hand-Biker, Frühstückslauf, das Zehntel


Auszeichnung:

Medaille, Urkunde (auch Sofort-Urkunde)

 

Logistik:

Startgelände mit U-Bahn gut erreichbar. Kleiderabgabe teilweise in den Messehallen, teilweise bei speziellen Fahrzeugen. Entsprechende Hinweise beachten. 

 

Verpflegung:

alle 5 km Verpflegung und Getränke, ab 7,5 km zusätzlich alle 5 km Getränke. Wasser, Iso (Basica) und Bananen.  Verpflegungsbeutel im Zielbereich, Erdinger Freibier

 

Zuschauer:

700.000 machen eine Wahnsinns-Stimmung auf der Strecke und im Ziel

 

Informationen: Haspa Marathon Hamburg
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