Schon 24 Jahre ist es her, seitdem ich das letzte Mal in Hamburg Marathon lief. Irgendwie hatte es sich nicht mehr ergeben. Da es mich in letzter Zeit häufig beruflich nach Hamburg verschlug und auf jeder Dienstreise mindestens eine Runde um die Außenalster (7,5 km) zum Pflichtprogramm gehörte, war irgendwann klar: hier muss ich wieder an die Startlinie.
Mal schauen, was sich verändert hat seit 2001. Noch immer ist das Zentrum des Marathons das „Hamburg Congress- und Messezentrum“ am „Telemichel“, dem strahlendweißen Hamburger Fernsehturm. Wir sind am Samstagvormittag schon früh am Messegelände und werde Zeuge des Zieleinlaufes des „Hamburger Zehntels“, einem Kinder- und Jugendlauf. In mehreren Klassen starten hier über 10.000 Kinder und Jugendliche auf einen Rundkurs von 4,2195 km. Viele haben zum Ende noch Körner übrig und fliegen förmlich ins Ziel.
Wir machen uns auf zur Marathon-Expo und plaudern kurz mit Klaus, dem Chefredakteur von M4YOU. Er wird morgen Bilder vom Streckenrand machen, so dass wir diese tolle Veranstaltung perfekt einfangen können. Dann geht es durch ein rotes Tor, welches an das Hamburger Wappen erinnert, zur Startnummernausgabe. Das geht recht flott, auch weil der Check-In digital unterstützt wird. Ca. 15.000 Läufer sind gemeldet, womit das Teilnehmer-Limit schon frühzeitig erreicht wurde. Letztlich begrenzt die Aufstellfläche die Anzahl der Teilnehmer. 2026 wird man durch eine Verlegung des am gleichen Tag stattfindenden Halbmarathons (mehr als 10.000 Teilnehmer) mehr Platz schaffen. Auf der Strecke jedenfalls wäre Raum für mehr Läufer.
Nach der Startnummer nehme ich noch den roten Starterbeutel in Empfang und wir schlendern durch die Ausstellung. Kurz schaue ich bei Martin Grünung, Chefredakteur bei Runners World vorbei. Seit fast 30 Jahren bin ich dort Abonnent und lese gerne die Printausgabe als Ergänzung zu den ausführlichen Laufberichten auf M4YOU. Ein Schuhhersteller ermöglicht beim Schuhkauf den Testen auf Laufbändern. Eigentlich bräuchte ich auch wieder welche… aber leider nicht meine Marke. So lassen ich es bei dem Kauf von einigen Energieriegeln bewenden und wir verlassen die Messe.
Am nächsten Morgen kommen wir auf dem Weg zum Startgelände bei den Halbmarathonis vorbei. Der Halbmarathon wird eine Stunde vor dem Marathon gestartet und wir können schon mal ein wenig Rennatmosphäre erleben. Der Fotograf macht sich startklar, die Startzeit ist erreicht und … es passiert nichts. Grund ist die noch nicht erfolgte Streckenfreigabe. Sicherheit geht vor. Renndirektor Frank Thaleiser kommuniziert parallel per Funkgerät und Smartphone. Dann das erlösende Zeichen: erst machen sich einige Handbiker auf den Weg, dann das große Starterfeld.
Für mich wird es Zeit, zu den Messehallen zu gehen und meinen Startbeutel abzugeben. Es scheint, als wäre der ganze Hallenboden mit roten Beuteln bedeckt. Weiter geht es zum Startgelände, ich muss gemäß meiner Zielzeit recht weit hinten zum Block L (von A-N). Wir haben schönes Wetter, es soll mit 17 Grad angenehm warm werden bei strahlender Sonne.
Lothar spricht mich an, es könne doch nicht mein Ernst sein, den ganzen Marathon mit dem Smartphone in der Hand zu laufen. Und ob Lothar, ich kläre ihn über meine Rolle als Laufreporter auf und mache ein Beweisfoto von ihm. Dann ertönt der Startschuss und meine Sorge, dass ich aufgrund meines hinteren Startblocks lange warten muss, erweist sich als unbegründet. Schon nach 15 Minuten bin ich an der Startlinie, dort begrüße ich noch Achim. Er ist wie ich ein Marathonverrückter, vor 8 Tagen haben wir noch den Ostermarathon in Berlin absolviert.
Dann geht es los…
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(Klaus Duwe)
Nach wenigen hundert Meter verlassen wir den Messebereich und wenden uns für sechs Kilometern nach Westen. Rechter Hand sehen wir ein Schild „DOM“, auf dem dahinter liegenden großen freien Platz befindet sich aber keine Kirche, sondern nur eine große Freifläche. Hier war bis vor wenigen Tagen noch der Hamburger Frühlings-DOM, ein großes Volksfest. Der Name rührt von einer Zufluchtsmöglichkeit im Hamburger Mariendom, welche man schon vor über 600 Jahren den Gauklern und Händlern ermöglichte.
Die Mitläufer nehmen voller Endorphine („Schon ein Kilometer geschafft“) davon keine Kenntnis, ebenso wenig vom Millerntor, dem nach dem ehemaligen Stadttor benannten Fußballstadion des FC St. Pauli. Wir sind nun im gleichnamigen Stadtteil angekommen, erfahren, dass wir bei 30 Km/h „grüne Welle“ haben. Aber so schnell ist heute nicht mal die Spitze, obwohl mit sensationellen 2:03:46 ein neuer Streckenrekord erlaufen wurde. Hamburg ist mit seiner flachen Strecke für gute Zeiten prädestiniert, erst recht bei einem 1a-Marathonwetter wie heute.
Wer an St. Pauli denkt, dem fällt neben dem Fußballverein die Reeperbahn und das gleichnamige Amüsierviertel ein. Dabei bedeutet Reeperbahn eigentlich harte Arbeit, nämlich die Herstellung von Schiffsseilen (Reep) auf langen Bahnen. Um 10 Uhr morgens ist auf der Reeperbahn nicht mehr viel oder noch nichts los und wie bemühen uns, an Klapsmühlen und Eros-Centern vorbeilaufend, in den Marathon-Trott zu kommen. Die Pacemaker für 4:45 (im Angebot sind welche von 3:00 bis 5:00) überholen mich, ich habe den Ostermarathon noch in den Beinen und lasse es langsam angehen.
Am Eingang zum Stadtbezirk Altona erwartet uns Michel, der fröhlicher Franzose, der, früher selbst Marathonläufer, nun im Kostüm mit den französischen Nationalfarben die Läufer anfeuert. Bald darauf linkerhand ein prachtvoller Bau im Renaissance-Stil, das Altonaer Rathaus, ursprünglich ein Bahnhofsgebäude. Aus hohen Gründerzeithäusern werden wir mit Musik und Beifall empfangen. Wir sind nun in Ottensen, ein Kiezviertel, welches mit schönen Cafés und Läden zum Verweilen einlädt.
Das wäre heute keine gute Idee, verweilen dürfen wir aber kurz an der ersten Verpflegungsstelle bei km 5. Die Verpflegungsstellen sind alle fünf Kilometer (dazwischen zusätzliche Wasserstellen) eingerichtet, hier sind Wasser, Energy Drinks und Obst zu bekommen. Nicht mehr weit und wir drehen in Gegenrichtung. Auf der Elbchaussee, einem Villenviertel auf einem Hochufer an der Elbe mit Blick auf den Hafen, geht es zurück Richtung Stadt. Auch die klassizistischen Gebäude auf der schnurgeraden Palmaille beeindrucken. Der Name rührt übrigens von einer Ballspielbahn her, erbaut vor fast 400 Jahren. Damit befinden wir uns quasi auf einem Sportplatz, passt also, auch wenn heute niemand mit Ball unterwegs ist.
Nächste Station Landungsbrücken, hier legen die Fahrgastschiffe, überwiegend zu Hafenrundfahrten, ab. Dort befindet sich auch der Eingang zum alten Elbtunnel, einem Fußgängertunnel unter der Elbe, mittels Lastenaufzüge auch für Autos nutzbar, sofern nicht wie aktuell wegen Instandsetzung außer Betrieb. Die zwei Röhren sind ungefähr je 400 Meter lang und wer knapp 50 Runden dreht, hätte einen Marathon absolviert. Das wird wohl 2026 wieder möglich sein, beim Elbtunnel-Marathon. Ich bin aber froh, die frische Luft einzuatmen und die Sonne zu spüren.
Wir werden von der Hochbahn begleitet, eigentlich eine U-Bahn, die hier übertage auf stählernen Stelzen fährt. Aber so prägnant, dass sie namensgebend für die Hamburger Verkehrsgesellschaft ist. Mit der U-Bahn scheinen viele Zuschauer gekommen sein, denn hier ist richtig Stimmung. An der Elbe liegt auch die Speicherstadt, die wir nur streifen. Prägend ist die Elbphilharmonie, der futuristische Musiktempel, auf einem alten Speicherhaus aufgebaut. Nach knapp 12 Kilometern freue ich mich über die Anfeuerung meiner Frau. Weit geht es über Brücken, welche Fleets (schiffbare Seitenkanäle der Elbe) überqueren, entlang des Speicherstadt.
Mittlerweile ist es am Streckenrand etwas ruhiger geworden, da kommt die Drumband gerade recht, es wird nicht die einzige bleiben. Vorbei am alten Zollhafen und durch einen Tunnel kommen wir zur Binnenalster. Dieses ist ein großes, fast rechteckiges Becken als Verbreiterung der Alster, einem Nebenfluss der Elbe, in feinster Innenstadtlage. Hier liegt auch der Jungfernstieg mit seinen Alsterarkaden, dessen Name vom Sonntagsspaziergang bürgerlicher Familien mit ihren unverheirateten Töchtern rührt. Diese Straße war zudem die erste asphaltierte Straße Deutschlands, noch heute ist hier eine Baustelle… am neuen Jungfernstieg gleich hinter der nächsten Kurve wurde sogar erst am Tag zuvor der Straßenbelag für den Marathon hergerichtet.
Das vornehme Hotel „Vier Jahreszeiten“ und die große Fontäne auf der Binnenalster sind die nächsten Impressionen bevor wir auf der Kennedybrücke die Alster überqueren. Linkerhand breitet sich die große Außenalster aus, eine seeförmige Verbreiterung des Flusses. Zudem ein beliebtes Läuferparadies. Heute folgen wir dem Seeufer zunächst ca. 3 Kilometer auf der südlichen und östlichen Seite. Gleich zu Beginn das weiße Hotel Atlantlic, bekannt vor allem durch seinen Dauergast Udo Lindenberg.
Vom breiten Bouelvard „An der Alster“ mit seinen vielen hohen Hotel- und Bürogebäuden abbiegend folgen wir der Außenalster noch ein wenig auf der idyllischen Wohnstraße „Schöne Aussicht“. Zu beneiden sind die Bewohner der Villen, die den Blick auf Gewässer und Silhouette der Hamburger Altstadt und Telemichel genießen können.
Wir verlassen die Alster und nach meiner Erinnerung müssten wir jetzt durch langweilige breite Straßen laufen. Stattdessen erreichen die grüne Wohnstadt Winterhude mit vielen Alleen, hier ist Halbzeit. Nicht mehr weit und der Hamburger Stadtpark liegt vor uns, den wir auf dem Südring halb umrunden. Die Bewohner der angrenzenden Siedlungen habe es sich an der Straße gemütlich eingerichtet, Bänke und Tische aufgestellt, genießen Sekt und Wein, oder kleine Snacks, und schauen dem Treiben zu. Andere wiederum haben sich mit Sack und Pack, Camping-Stühlen und Tische in den Stadtpark aufgemacht, der Duft von Grillwürsten liegt in der Luft. Ich bin von der veränderten Streckenführung gegenüber meinen Teilnahmen vor über 20 Jahren begeistert.
Dann wird es wieder etwas städtischer und auch lauter in Barmbek, die Hamburger Punk- und Hardrock-Band KNUP sorgt für Stimmung an der Strecke bei Km 25. Gerade als ich ankomme, ist die Band mit ihrem Repertoire durch und beginnt wieder von vorn, auch ein Marathon. Auf den nächsten 2 Kilometern durchlaufen wir – wie früher – eine etwas eintönige Bürostadt, gleich mehrere Drumbands lenken uns glücklicherweise ab.
„Jetzt bei km 28 habe ich mir einen Drink verdient“, denkt sich ein Mitläufer und bittet die an einem runden Tisch versammelten Anwohner um ein nicht alkoholfreies Kaltgetränk, welches ihm bereitwillig in einem Pappbecher gereicht wird. Allgemeine Heiterkeit, ein Foto von dem Exoten muss auch her. Wieder an der Alster geht es weiter am Familienbad Ohlsdorf vorbei, hier bei km 30 sind wir am nördlichen Wendepunkt angelangt.
Auf der anderen Alsterseite geht es nun Richtung Süden, das Soundorchester Pinneberg bläst uns den Marsch. Was nun kommt, habe ich noch nirgendwo bei einem Marathon erlebt. Viele Einwohner des folgenden schönen Wohn- und Villenviertels haben es sich an der Straße bequem gemacht, im Schatten unter Partyzelten oder an weiß gedeckten Tischen. Mir wird mit Longdrinks zugeprostet, wenn ich wollte, hätte ich sicher auch etwas abbekommen, ausreichend Pappbecher stehen bereit. Und alle feuern uns unermüdlich an, mit Musik oder im Chearleader-Stil. Dies hilft über die aufkommende Müdigkeit bei km 33 weg.
Ich erinnere mich an einige langweilige Kilometer, die jetzt folgen. Aber nichts da, stattdessen führt uns die Strecke durch grüne Viertel entlang der Alster, deren Flussarme wir immer mal wieder überqueren. Wasser gibt es nicht nur von unten, sondern auch von oben. Denn einige Anwohner stehen mit Wasserschläuchen bereit, um uns abzukühlen. Zwar sind es nur 17 Grad, aber die Sonne steht seit Stunden am wolkenlosen Himmel. Der Musikzug Langenhorn spielt auf und dann erreichen wir bei Km 35 Eppendorf.
Eppendorf habe ich in bester Erinnerung und ich hoffe, es hat sich nichts verändert. Hier tobte immer der Bär und so ist es auch heute, obwohl ich sehr viel später dran bin als zuvor. Eine Gruppe junger Leute schreit uns förmlich weiter, wieder eine Drumband und bei km 37 ein großer Pulk, der „Thomas“ ruft. Mein Name ist leicht von der Startnummer abzulesen. Ich mache mir einen Spaß, und schreie zurück: „Das geht lauter, da geht noch was“. Die Gruppe gerät förmlich in Ekstase und als ich noch lauter brülle „Und jetzt hochspringen“ und das auch gleich vormache, können viel nicht mehr an sich halten und brechen vor Lachen zusammen.
Schon fast unnötig zu erwähnen, dass wir bald erneut auf grünen Alleen an klassizistischen Wohnhäusern und an feinen Villengegenden vorbeikommen. Hamburg hat in dieser Richtung wirklich viel zu bieten. Wir sind zurück an der Außenalster, die KRAFT Runners, eine spontane Laufbewegung, erweisen uns die Ehre. Auf meiner Alsterrunde bin ich ihnen oft begegnet, manchmal machen mehr als 100 Läufer mit. Im Grunde eine moderne Form des Lauftreffs, wobei der Spaß mindestens so wichtig wie der Sport ist. Eine Läuferin im gelben Shirt überholt mich, und als ich sie fotografiere, zeigt sie auf ihren Rücken. „Lauftreff Oma am Start“ steht da, ja - Laufen hält jung.
Bei Km 39 macht uns ein Diskjockey Beine, bevor wir in die Rothenbaumchaussee abbiegen. Bald danach feuert mich meine Frau am Stand eines bekannten Herstellers von alkoholfreiem Weißbier an, der den letzten Kilometer einläutet. Über den Gorch-Fock-Wall, Teil des historischen Wallrings und vorbei an einem imposanten Gebäude im Stil der Neorenaissance, dem Landgericht, geht es zurück an den Ausgangspunkt. Eingangs der Zielgerade erwartet uns „König Frank“, ein Läufer im Kostüm eines Königs, dem ich schon öfter in Berlin begegnet bin.
Der Telemichel kommt in Sicht und bald darauf der rote Zielteppich. Vom Ziel ist es nicht weiter bis zur Ausgabe der Medaillen, diese sind wirklich Schmuckstücke in metallischer Eleganz, sogar farblich unterlegt. Eine der schönsten Medaillen in meiner Sammlung.
Auch das After-Race-Buffet in der nahen Versorgungshalle hebt sich ab und ist im Vergleich zu anderen Stadtmarathons üppig. In der Nachbarhalle können wir unseren Startbeutel abholen und in festen Duschkabinen duschen.
Schon im Ziel beschließe ich, nicht wieder 24 Jahre bis zur nächsten Teilnahme verstreichen zu lassen. Denn der Hamburg-Marathon hat deutlich gewonnen und zeigt uns für noch günstige 95€ in der ersten Preisstufe die schönen Seiten einer Großstadt. Und das Publikum ist alles andere als hanseatisch zurückhaltend.