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Laufberichte

ABGESAGT: ERINNERST DU DICH? (17)

 
Autor: Klaus Duwe

Die Vorzeichen waren längst klar, jetzt ist es Fakt: Der 30. HAJ Hannover Marathon kann und wird nicht wie geplant am 26.4.2020 stattfinden! Das Jubiläum des Laufspektakels soll jetzt am 18. April 2021 an den Start gehen. „Wir haben seit heute die Untersagungsverfügung der Region Hannover in den Händen“, erklärte Veranstalterin Stefanie Eichel am Montag: „Auch aus unserer Sicht ist die Entscheidung der Absage in jeder Hinsicht alternativlos. Wir unterstützen damit auch aus Überzeugung die Aktion des Bundesministeriums für Gesundheit #wirbleibenzuhause.

Die größte Stärke unseres Marathon, das Gemeinsame und Verbindende, ist in Zeiten des Coronavirus seine größte Schwäche: Das enge Miteinander.
Wir werden jetzt schnellstmöglich mit all unseren Partnern klären, welche Konsequenzen aus dieser Absage resultieren, die finalisierten Planungen ordnungsgemäß abschließen und uns dann mit aller Kraft dem neuen Termin im nächsten Jahr widmen.“

Das ist der Wortlaut einer Pressemitteilung zur Absage des HAJ Marathons Hannover 2020. Als "Ersatz" haben die Organisatoren um Steffi Eichel den #stayathomemarathon ins Leben gerufen, bei dem auch M4Y-Autor Mario Bartkowski (er kommt aus Hannoverr) teilgenommen. Bilder und Bericht sind in Vorbereitung. 

Hier gibt es einen nostalgischen Laufbericht aus 2007, an dem der ursprüngliche Streckenverlauf der ersten großen Runde durch Hannover beschrieben ist.

 

2007: Lauffestival

 

Ich will schnell die Startunterlagen abholen. So geht es aber nicht, denn es gibt schon jetzt viel zu sehen. Das Neue Rathaus, um das sich die ganze Veranstaltung abspielt, ist bereits ein echtes Highlight der niedersächsischen Landeshauptstadt. "Zehn Millionen Mark, Majestät - und alles bar bezahlt“, meldete bei der Einweihung am 20. Juni 1913 der Stadtdirektor Heinrich Tramm an Kaiser Wilhelm II. Das soll ihm heute mal einer nachmachen. Bis zur Aussichtsplattform der fast 100 Meter hohen Kuppel führt ein in Europa einzigartiger Aufzug. Bei klarer Sicht soll man bis in den Harz schauen können.

Um 1900 herum entstand auch der Maschpark, der das Rathaus umgibt. Er war der erste kommunale Park und ist für die Hannoveraner noch heute so was wie der Englische Garten für die Münchner. Nur ist er mit 10 ha bei weitem nicht so groß.
Hannover hat die größte Messe und das größte Messegelände der Welt. Auch das moderne WM-Stadion wäre eine Option. Aber der Marathon wird in einer Zeltstadt abgewickelt. Mancher mag sich wundern, die meisten werden aber hoffen, dass niemals jemand auf die Idee kommt, das zu ändern. Keine noch so perfekte, aber sterile Messehalle kann den Charme und die Atmosphäre vor der historischen Bau- und Naturkulisse ersetzen.

Am Samstagnachmittag werden hinter dem Rathaus am Maschteich die Kinder- und Jugendläufe ausgetragen. Ich finde das erwähnenswert, weil ich selten eine so engagiert und professionell organisierte Veranstaltung erlebt habe wie hier, wo man keineswegs die Kleinen mal so mitnimmt, um die Teilnehmerstatistik zu schönen.
Am Sonntag sind dann die „Großen“ dran.  Der Morgen ist kühl, oder auf den Punkt gebracht, es ist arschkalt. Jedenfalls kommt es einem nach dem April-Sommer so vor. Der Himmel ist hochnebelartig verhangen. Kein Mensch glaubt dem Wetterbericht, der 26 Grad vorhergesagt hat.

Die Skater gehen zuerst auf die Strecke, dann die Handbiker. Jetzt ist das Starterfeld frei für die Läuferinnen und Läufer der Königsdisziplin, dem Marathon. Pünktlich zu den Startvorbereitungen kommt auch die Sonne raus. Steffi Eichel, Chefin der nach ihr benannten Eventagentur und verantwortlich für die Organisation, schickt die Akteure auf die Strecke. Sie steht mit gemischten Gefühlen an der Strecke. Heute hat sie Geburtstag und wollte in ihren neuen Lebensabschnitt mit ihrem ersten Marathon beginnen. Wegen einer Verletzung wird jetzt nichts daraus. Aufgeschoben ist nicht aufgehoben …

 

 

Auf dem breiten Friedrichswall und der Lavesallee (benannt nach dem Architekten des Opernhauses) wird es trotz des großen Läuferfeldes nicht eng. Als die Strecke an der Waterloosäule eine scharfe Linkskurve macht, hat sich das Feld bereits verteilt. 1529 hat Herzog Erich I. Hannover mit dem Privileg ausgestattet, jährlich ein Schützenfest abzuhalten. Mittlerweile ist es mit 1 Mio Besuchern das größte Schützenfest der Welt. Was den Münchner ihr Wiesenbier, ist den Hannoveranern die Lütje Lage, die so alt ist, wie das Fest selbst. Darunter versteht man die Kunst, einen Korn und ein Bier aus zwei Gläsern in einer Hand gleichzeitig zu trinken. Da soll es beim Training schon zu mehr Ausfällen gekommen sein, als bei einem Marathon.

Nach zwei Kilometern sind wir in südlicher Richtung am Maschsee unterwegs, Hannovers beliebtes Naherholungsgebiet. Pläne für einen künstlichen See zur Eindämmung der regelmäßigen Überschwemmungen von Ihme und Leine nach der Schneeschmelze im Harz existierten schon lange. Erst in den 1930er Jahren wurden sie dann vom Arbeitsdienst realisiert. Der See ist 2,4 Kilometer lang und 180 bis 530 Meter breit.

Unter den schattigen Bäumen am Ufer verläuft ein Radweg, Ruder- und Segelclubs haben hier ihr Zuhause, Cafés und Restaurants rüsten sich für die Sonntagsgäste. 3 Kilometer ist die Genussstrecke auf der breiten Straße am See lang, dann geht es ins Grüne Richtung Döhren. Die folgenden Getreidefelder, frisch gemähte Wiesen und Kleingartensiedlungen passen so gar nicht in die Vorstellungen, die man landläufig von einem Citymarathon hat. Bisher lief man beim Marathon in Hannover ja zwei Runden auf einem Halbmarathonkurs. Die Möglichkeit einer großen Runde nutzen die Organisatoren jetzt, der „Kundschaft“ die ganze Vielfalt der niedersächsischen Landeshauptstadt zu präsentieren.

Die Kommentare der Läufer sind schon jetzt sehr positiv. Auch die Bevölkerung findet Freude an dem bunten Läufervolk. Jedenfalls zeigen schon auf den ersten Kilometern Trommler und zahlreiche Fangruppen ihre Begeisterung, auch hier im Grünen. Erst bei km 9, als wir auf die Hildesheimer Straße kommen, wird es wieder so richtig städtisch. Der gesamte Verkehr ist auf eine Straßenseite verlegt, die andere ist komplett den Läufern vorbehalten.

6 Kilometer geht es immer gerade aus. Langeweile? Nicht die Spur. Geschäfts- und Kneipenviertel wechseln sich ab, dann eine Grünanlage und Wohnhäuser in unterschiedlichen Baustilen. Dazwischen immer wieder begeistertes Publikum mit lautstarken Anfeuerungen. Als wir dann wieder in die City kommen, geht es am Aegidientorplatz und wenig später am Kröpcke richtig hoch her.

 

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10 Jahre später: Joes Bilder aus 2017

 

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Irgendwo dazwischen haben wir das Opernhaus passiert, 1852 erbaut nach Plänen von Georg Ludwig Friedrich Laves (Lavesallee, ihr erinnert euch?). Dann kommt der Hauptbahnhof, Stolz der Hannoveraner und der Deutschen Bahn. Seit einem Jahr verfügt er über eine unterirdische Einkaufmeile mit 20.000 qm Verkaufsfläche. Vor dem Bahnhof ist ein großes Reiterstandbild von Ernst August I., König von Hannover.

Wir sind in der Oststadt Richtung List unterwegs. In der Edenstraße treffen wir an der Verpflegungsstelle auf paradiesische Zustände. Es ist alles da, angeboten von superfreundlichen Helferinnen und Helfern. Vahrenwald-List ist der bevölkerungsreichste Bezirk von Hannover – über 65.000 Menschen leben hier. Typisch für den Stadtteil sind die Bürgerhäuser aus der Gründerzeit mit schönen Ornamenten an Fassaden und Balkonen sowie großen Grünflächen. Dazu gehört auch der Stadtwald Eilenriede. Hier am Biergarten am Lister Turm startete einst der Eilenriede Marathon.

Genau auf der Halbdistanz überqueren wir den Mittellandkanal. „Wie in New York“, meint einer beim Anblick der Brücke, auf der sich einige Zuschauer versammelt haben. Noch einmal geht es über die längste künstliche Wasserstraße in Deutschland (325 km), die Teil einer Verbindung zwischen Rhein und Oder ist. Plattenbauten made in Westgermany links, Schrebergärten rechts. Nach einer Schleife durch List, beklatscht und angefeuert von vielen Zuschauern, folgen wir dem Kanal auf einem Naturweg ungefähr 4 Kilometer.

Was werden die Kenianer zu diesem Streckenabschnitt sagen? Ist er schuld, wenn die erhoffte Bestzeit verfehlt wird? Oder die Hitze? Kaum ein Baum spendet hier einmal Schatten. Viele Marathonis sind schon am Gehen und Stöhnen. Darunter Martina, die Hamburger Deern, gegen ich nie eine Chance habe, heute aber Probleme hat. Oder „Schneggi“, sonst der große Zersäger und heute selbst unter den Opfern. Bin ich Hitzeläufer? Bis jetzt kann ich den Klagen nicht folgen. Mir geht es super, ich trinke ausreichend, kühle Kopf, Waden und Arme regelmäßig und genieße den Lauf am Wasser. Hoffentlich ändert keiner den Kurs, denn es ist eine sehr schöne Abwechslung zu den Abschnitten in der Stadt. Ich laufe mit den schwerbeladenen Schiffen um die Wette.

Links geht es jetzt in die Büttnerstraße, weg vom Kanal. Ein optisches Highlight ist die Ecke hier nicht. Fast scheint es, als wollten die vielen Leute hier an der mit bunten Fahnen geschmückten Verpflegungsstelle davon ablenken. Sie sind super drauf. Gleich sind wir in der Guts-Muths-Straße. Welcher Läufer kennt nicht den Zeitgenossen von Turnvater Jahn und Mitbegründer der Turnbewegung, wo doch der Rennsteiglauf seinen Namen trägt.

Hier auf der Asphaltpiste im schattenlosen Gewerbegebiet spüre ich jetzt auch die Wärme. Hoffentlich kommt nicht auch für mich noch der Einbruch. Beim großen Elektromarkt fällt mir jedenfalls schon einmal deren Werbespruch ein und ich überlege einen Moment, ob ich nicht doch blöd bin.

Nach dem Villenviertel in der Nienburger Straße kommt die Universität, zu der auch das  Welfenschloss gehört. Natürlich war es ursprünglich als Sitz der königlichen Familie geplant, aber die Annexion des Königreiches Hannover und die Entthronung der Welfen durch Preußen kam dem zuvor. Über 10 Jahre stand das Schloss leer, dann wurde es der Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Universität Hannover zur Nutzung zugeführt. Gebaut wurde es übrigens nach Plänen von Christian Heinrich Tramm, dem Vater des tüchtigen Stadtdirektors, von dem eingangs die Rede war. Vor dem Schloss ist eine imposante Bronzestatue mit dem Sachsenross zu sehen, das zum Landeswappen der Niedersachsen wurde.

Am Königsworther Platz biegen wir viel bejubelt in eine große Parkanlage ein. Eigentlich gehört der Georgengarten, durch den wir gerade laufen, auch dazu. Gemeint ist aber immer der Große Garten, der zu den bedeutendsten Barockgärten Europas zählt. Der Ursprung geht bis auf das Jahr 1638 zurück.

Die Kilometer durch die herrlichen Grünanlagen sind an diesem sonnigen Sonntag unbeschreiblich schön. Viele Spaziergänger sind unterwegs oder liegen auf dem Rasen, genießen die Sonne oder finden unter einem Baum ein schattiges Plätzchen. Auch an Aufmunterung für die verschwitzten  Marathonis mangelt es nicht.

Die Stadt hat uns wieder. Die letzten Kilometer geht es durch das Versicherungsviertel, dann in die Innenstadt. Links das Denkmal der Göttinger 7 macht nachdenklich. Die Göttinger Sieben waren eine Gruppe Göttinger Professoren, die 1837 gegen die Aufhebung der Verfassung im Königreich Hannover protestierten und deshalb entlassen und teilweise des Landes verwiesen wurden. Unter ihnen war Jacob Grimm, der uns dazu hinterließ: „Das Befugtsein gehört denen, die den Mut dazu haben.“

Das alte Rathaus kurz danach ist ein schönes Beispiel für die norddeutsche Backsteingotik. An ihm wurde fast das ganze 15. Jahrhundert gebaut. Heute ist noch das Standesamt darin untergebracht, ansonsten ist es ein Geschäftshaus.
Die Zuschauer stehen immer dichter. Rhythmisches Klatschen begleitet uns, auch der letzte Marschierer wird wieder zum Läufer. Anfeuerungs- und Aufmunterungsrufe mobilisieren letzte Kräfte. Dann die Zielgerade vor dem Rathaus. Die Stimmung erreicht ihren Höhepunkt, der Empfang der Finisher ist einfach großartig.

 

Auf Wiedersehen in Hannover am 18. April 2021

 

Informationen: ADAC Marathon Hannover
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