Ulm ist mir neu. Nicht als Stadt, ich bin schon öfters da gewesen. Aber aus der Sicht des Marathonläufers kenne ich die Stadt und das angrenzende Neu-Ulm nicht. Ich habe schon zwei Versuche hinter mir, den 161,5m hohen Turm des Münsters zu besteigen. Beide Male wurde es mir verwehrt: „Oben ist es eisig, zu gefährlich.“ Der höchste Kirchturm der Welt wartet somit immer noch auf meine Erstbesteigung.
Entgegen dem ursprünglichen Plan komme ich mit dem Auto nach Ulm, denn die Bahnverbindung Salzburg – München wurde wegen der Flüchtlingsströme vorerst bis 4.10. eingestellt.
Angenehm viel Raum hat man bei der Startnummernabholung und der Marathonmesse am Stadtrand von Ulm. Die Settele-Spätzleparty geht ab 17h vorm Ulmer Münster über die Bühne, wo ich einmal mehr den lauffreudigen Dänen Klaus Egedesø treffe. Er ist unlängst seinen 200. Marathon gelaufen. Hannes ist auch wieder mit dabei, wir spazieren vom Hotel durch die sehenswerte Innenstadt. Er hat Freunde in Ulm (wo nicht?), sodass wir fast so etwas wie Familienanschluss haben und einen recht angenehmen Abend verbringen.
Windig und daher kühl ist es am Sonntag. Mit der Straßenbahn kommt man bis zum Donaustadion, den Rest geht man zu Fuß. Die LKW für die Kleiderbeutel sind in einer der Messehallen abgestellt, sodass man hier passiv aufwärmen kann.
Zu Beginn werden die Handbiker abgelassen, gefolgt von den Inline-Skatern. Der Sprecher Artur Schmidt hatte gestern den 70. Geburtstag und bekommt von den Startern ein Ständchen. Um 09h10 kommt die Sonne raus, gleichzeitig erfolgt das Startsignal für 5.000 Läufer und Läuferinnen, die allermeisten davon sind auf der Halbdistanz angemeldet.
Die ersten km laufen wir zwischen Bahndamm links und der Donau, die von Bäumen verdeckt wird. Wir haben zwar Gegenwind, die Bäume schützen uns aber etwas davor. Nach km 2 verlassen wir Baden-Württemberg, ab nun laufen wir in Bayern. Nicht jeder kann gleich laufen, wie er will, manchen stört‘s. Nach km4 wird es besser, hier sind dann auch die ersten Zuseher an der Strecke, die uns eifrig anfeuern. Die Strecke wird breiter, es geht über die Donau. Das alles bei herrlichem Herbstwetter, ideal zum Drachensteigen, viele Blätter haben sich bereits verfärbt.
Rechts geht es ab zwischen die zum Großteil abgeernteten Felder, die erste Wasserstelle mit viel Personal erwartet uns. Wir laufen am Waldrand entlang. Wegen der vielen Abzweigungen und Kurven ändert sich die Windsituation in kurzen Abständen. Zwischen Rückenwind, voll von vorne und Wind gar nicht wahrnehmbar, ist alles dabei.
Wir kommen in den Neu-Ulmer Stadtteil Pfuhl, viele Anwohner begrüßen uns mit Blasmusik. Einen km später sind wir wieder auf dem Land, dann bei km9 machen Golfer eine Pause und feuern uns an. Die erste vollwertige Labestelle bei km10 liegt am Donauufer. Schmal ist die Donau hier, 450 Stromkilometer Richtung Mündung in Linz sieht die ganz anders aus. Am gegenüber liegenden Donauufer landet ein Hubschrauber, den konnte man heute für Rundflüge buchen. Glück für die Fluggäste, bessere Sicht als heute hätte man sich gar nicht wünschen können.
Wir kommen wieder in bebautes Gebiet und haben nun am Horizont das Congress Centrum und den Turm des Münsters vor uns. Dort liegt unser Ziel, wir aber sind erst nach km11. Nun kommen in kurzen Abständen Live-Bands, „Farmer Sally“ trifft genau meinen Geschmack. Nach km13 laufen wir wieder über die Donau, raus aus Bayern. Hier herrscht erstmals Gegenverkehr, weitere werden folgen.
Die Stimmung ist prächtig, es folgen die ersten nennenswerten Höhenmeter. Viele sind es ohnehin nicht. Wir laufen an der katholischen St.-Georgskirche vorbei, laufen 2x nach links und dann die schattige Heimstraße runter. Rechts durchs Zundeltor, einem Durchbruch in der Stadtmauer, schon werden wir abermals verköstigt. Dabei unterhält uns der Sologitarrist Matthias Rapp. Ich würde gerne länger lauschen, aber die Zeit! Das Altstadtpflaster ist schön eben, kein Problem, darauf zu laufen.
So, das waren 2km in BaWü, nun wieder Bayern. Am Donauuferweg sind in großen Buchstaben die Namen weiterer Donauanrainerstädte aufgemalt und an welchem Strom-km sie liegen.
Ich als Linzer kann mich seit jeher an die Ulmer Schachteln erinnern. Das sind, bzw. waren, Zillen mit Aufbau, die Personen und Waren die Donau abwärts transportierten. Mittels solcher Ulmer Schachteln sind die Donauschwaben vom 17. – 19. Jhdt. ausgewandert, nach Österreich-Ungarn oder weiter nach Rumänien. Nicht zu vergessen: anlässlich der Türkenbelagerung von 1683 kamen 5.000 Soldaten mit Ulmer Schachteln nach Wien. Hin und wieder kommt auch heutzutage auf einer Nostalgiefahrt so eine Schachtel nach Österreich.
Abermals über die Donau, km15, Gegenverkehr, nun ist Hannes darunter. Capoeira-Tänzer zeigen uns, wie geschmeidig und kraftvoll sie sind. Dann folgt die erste Staffel-Wechselzone, eine üppige Labestelle und das prachtvoll bemalte Rathaus. Die Fassade wird schön von der Sonne angestrahlt. Die astronomische Uhr stammt aus dem 16. Jahrhundert, von den Fresken im Inneren sieht man im Vorbeilaufen nichts.
Es geht runter, an und über die Donau. Vor der Stadtpfarrkirche St. Johann Baptist kann man durch ein Spendentor laufen und € 3,- für den 125jährigen Turm des Ulmer Münsters spenden. Während im Jänner 1945 die Ulmer Innenstadt in Schutt und Asche lag, war das Münster beinahe unbeschädigt geblieben. „Ein paar Fensterscheiben waren kaputt, mehr nicht.“, konnte sich mein Vater erinnern, der damals in Ulm aus dem Lazarett entlassen worden war.
Am Neu-Ulmer Rathaus vorbei und bei km17 durch das Einkaufszentrum Glacis-Galerie. Im Café sitzen drei Männer und sehen uns zu, wieder im Freien werden wir bejubelt. Es sind auffallend viele Krankenwägen, Ärzte und Sanitäter im Dienst. Nicht, dass sie viel zu tun hätten, sie machen aber den Eindruck, jederzeit in Aktion treten zu können.
Bei km18 ist es Zeit für mein Powergel. Mit schönem Blick auf Ulm laufen wir einen km am Ufer, bevor wir nach km19 abermals die Donau überqueren. Der Weg am Ulmer Donauufer ist in zwei Laufrichtungen geteilt, ab und zu kommt uns einer entgegen. Um den Oberen Donauturm, weiter stadteinwärts. Wenig später begegnet mir der 3h15-Schrittmacher. Dieser ist an dieser Stelle 6km vor mir.
Am Donauschwabenufer, nach km20, zweigen die Halbmarathonis ab und verschwinden hinter der Stadtmauer. Zusätzlich zur Beschilderung machen uns mehrere Streckenposten auf die Abzweigung aufmerksam. Nach und nach laufen wir Marathonis nun unter jenen Brücken durch, über die wir vorhin drüber sind. Bei Halbmarathon begegnet mir einen halben Stock höher Dorfi, er läuft schon zurück. Kastanienbäume lassen ihre Kastanien fallen, die Ahornbäume die teilweise verfärbten Blätter. Es ist eine schöne Laufstrecke hier. Unmittelbar am Fluss laufend sehe ich heute die erste Ulmer Schachtel, wenig später bei der Wende bei km23 eine zweite. Diese ist motorisiert, das waren sie früher nicht.
Wieder zurück in die Stadt kommt der 4h15er Ballon an mir vorbei. Eine recht gefinkelte Streckenführung besonders in der Innenstadt, da haben bei der Planung sicher die Köpfe geraucht. Durch die Stadtmauer, durchs schiefe Metzgertor, wieder zum schön bemalten Rathaus, diesmal von unten kommend. Touristen, die gerade eine Stadtführung machen, applaudieren. Dann geht es rauf auf die Stadtmauer. Nun links unten die Donau und Blick auf Neu-Ulm, rechts Ulms Altstadt, das bei Prachtwetter. Wer will da noch auf der Chinesischen Mauer laufen?
Am Ende der Mauer, km26, gibt es wieder Verpflegung. Wir behalten die Richtung bei. Ein Sani-Motorrad mit Blaulicht fährt in meine Richtung. Wenig später kniet der Sani bei einem jungen Läufer, dem offenkundig ein Krampf im linken Bein zu schaffen macht.
Nun wieder weitgehend im Schatten laufen wir fast 3km in eine Richtung, rechts eine Bahntrasse, links die Donauauen, der Asphalt ist etwas wellig. Zweimal braust ein Zug vorbei, dann geht es links ab in die Donauaue, km30, und an einem Flusskraftwerk über die Donau. Der Versorgungsposten dort wird mehrheitlich von älteren Herrschaften betrieben, zu den Getränken gibt es Obstriegel, Bananen und Magnesium. Ich bin immer mehr begeistert von der Organisation des Ulm-Marathons.
Nach einem kurzen Gespräch geht es beschaulich an der Allee am Donaukanal entlang, die Sonne scheint durchs Laub der Bäume, glitzert im Donaukanal, was für eine friedliche Stimmung.
Nach km32 gibt es schon wieder Erfrischungen. Wir unterqueren eine Schnellstraße. Dank des Pflanzenwuchses bekommen wir davon aber nicht viel mit. Es geht auf das spätbarocke Kloster Wiblingen zu. Von außen kann man erahnen, wie prachtvoll es innen sein muss. Im Garten gibt es schon wieder Stärkung. Hier klatschen die Zuseher, dann laufen wir durch das Tor mittig rein in den Hof, km35, und rechts wieder raus. Nach einer nahezu kompletten Umrundung des Klosters geht es zurück Richtung Ziel.
Der VP an der Iller kann u.a. mit alkoholfreiem Radler aufwarten. Wir überqueren die Iller, dann rauf auf den Damm, einem Schotterweg, den Fluss entlang. Vor mir sehe ich jemanden in Lederhose laufen. Ich glaube, den kenne ich. Tatsächlich ist es Christoph, der Bergdoc aus Gmunden. Es läuft sich gar nicht schlecht mit der Lederhose, meint er. Er hat sie schon bei einem Halbmarathon getestet und für geeignet befunden.
Der steinige Weg ist eine kleine Herausforderung für meine untere Beinmuskulatur und die Knöchel, schließlich wird ein Waldweg daraus, das ist mir lieber. Erstmals seit dem Start blicke ich bei km38 auf die Uhr. Unter 4h30 sollte sich eigentlich wieder ausgehen.
Die Iller mündet in die Donau, am rechten Donauufer streben wir im Auwald Neu-Ulm zu. „Nicht in den Kanal springen“ steht an einer kleinen Brücke auf einem gelben Schild. Keine Angst, so warm ist es auch wieder nicht. Von weitem sieht man viele Läufer über die Donau laufen, sie gehören zum 10km-Lauf. Dann das Hinweisschild auf die letzte Labestelle und das 40km-Schild. Für mich alk-freies Radler bitte.
Unter der Adenauer-Brücke laufen wir Marathonis rechts, während die entgegenkommenden 10km-Läufer ihrerseits auch rechts abbiegen. Die Strecke führt uns durchs Memminger Tor, einem Teil des Festungswalls. Ganz schön dick dieser Festungswall. Schließlich zum letzten Mal über die Donau. Bei km41 an der mit Wein bewachsenen Lärmschutzwand zur Bahn treffe ich auf eine Amerikanerin, Marathon Maniac, steht auf ihrem Shirt.
Vor dem Ulmer Hauptbahnhof geht es durch eine Unterführung in die Innenstadt. Die Unterführung muss ganz neu sein, die Wände sind noch gar nicht beschmiert. Drüben rauf, einmal links abgebogen in die Glöcklerstraße. Es geht über ein Flüsschen, die Große Blau, und im Nu bin ich neben hunderten 10-km-Läufern. Die Marathonis haben links eine eigene Spur, die Zuseher stehen dicht gedrängt. Wir werden die Hirschstraße rauf angefeuert, zum Münsterplatz, den Turm des Münsters vor Augen, unter einer Fussgängerbrücke durch, ein Bogen nach rechts um die weiße Tourist-Info dann sehe ich die mitlaufende Zeit vor mir und weiß, mit unter 4h30 wird es knapp werden, sehr knapp sogar! Nach 4h29:58 bin ich im Ziel.
Mit den paar Marathonis laufen unzählige 10km-Läufer ein, die wie ich gerade noch über die Ziellinie kommen und mit dem nächsten Schritt stehen bleiben müssen. So knallvoll ist es hier.
Irgendwann haben wir unsere Finishermedaille, dann wird das Gedränge etwas weniger. Ich schnappe mir ein bieriges Getränk vom Gold Ochsen und hole mir meinen Kleiderbeutel.
Viele Firmen haben in der Innenstadt Zelte für ihre Mitarbeiter und Kunden und laden ein zum geselligen Beisammensein. Die Volksbank spendiert mir einen Apfel. Hansgrohe stellt hinterm Münster einen Dusch-LKW zur Verfügung, sodass ich frisch geduscht die Heimreise antreten kann. Mit mir viele schöne Eindrücke.
637 Marathonläuferinnen und -läufer kamen ins Ziel.
Startgeld Marathon € 40,- aufwärts, plus € 5,- für die Zeitnehmung - Labestellen mit Wasser, Iso, Cola, Obstriegel, Banane, Magnesium, Salz, alk-freien Radler - Fininishermedaille, die Gravur gegen Aufpreis - Urkundenausdruck und/oder download - eine sehr schöne, unglaublich abwechslungsreiche Strecke, kaum Höhenmeter - Mehr als 10.000 Finisher in den diversen Bewerben