Die Otto-Beck-Straße ist eine wunderschöne, von riesigen alten Platanen gesäumte Allee. Danach die nächste Staffelwechselstelle, in der Goethestraße das Nationaltheater und dann geht es ins Zentrum. Ich hatte mir die Streckenpläne ja genau angesehen und nach einer Weile auch verstanden, was mir die vielen farbigen, durchgezogenen und gepunkteten Linien sagen wollten: Hier kommt eine 7 Kilometer lange Schleife zurück zum Fernmeldeturm, und zwar vor dem Abzweig nach Ludwigshafen – mittendrin im Lauf und nicht erst am Ende vor dem Ziel, wie ich zeitweise vermutete. Trotzdem bin ich von einigen Schlenkern etwas verwirrt.
In der Fressgasse, die wirklich so heißt, aber relativ wenige Lokale bietet, dafür eine Baustelle mit neun großen Kränen, finde ich meinen Orientierungssinn wieder: Hier muss also die Abzweigung zur zweiten Runde kommen. Wir müssen erst mal links abbiegen, auch wenn mich der Ruf „Marathon geradeaus“ vorübergehend stutzig macht. Nachdem ich aber neben mir noch Mitstreiter mit weißen Startnummern für den vollen Marathon sehe, laufe ich erst mal links und komme bald zum Start-/Zielbereich Wasserturm und einer markanten Trennung zwischen Halbmarathon und Marathon. Auch ohne die Halbmarathonis sind noch viele Läufer unterwegs. Es geht erneut über die Augusta-Anlage und dann links ab in den Luisenpark. Im größten Park Mannheims fand 1975 die Bundesgartenschau statt, daher wirkt das alles wie in einem botanischen Garten. Die 1,50 € für den Abendeintritt dürfen wir uns sparen.
Rechts sitzt ein afrikanischer Teilnehmer auf einem Stuhl und schaut uns zu. Sollte der nicht schon im Ziel sein? Später stellt sich heraus, dass die Topläufer an der kritischen Stelle nicht links abgebogen sind, sondern direkt nach Ludwigshafen geleitet wurden und deshalb am Schluss die 7-km-Schleife noch anhängen mussten. Warum diese Gruppe, wie in der Presseerklärung verlautbart, einen Kilometer zu viel gelaufen sein soll, bleibt mir ein Rätsel. Wegen des Missverständnisses über den Streckenverlauf wurden am Ende zwei Sieger gekürt: Werkuneh Seyoum Aboye aus Äthiopien als Schnellster und Christian Alles aus Schriesheim, der zwar eine deutlich langsamere Endzeit hatte, aber als Erster die „Original-Strecke“ gelaufen war.
In der Otto-Beck-Straße fällt mir jetzt auch der Zusammenfluss von uns Zweit-Rundlern und den langsameren Läufern auf, die gerade aus Neuostheim kommen.
Nochmal Wechselstelle, Goethestraße, Fressgasse. Die Abzweigung naht. Jetzt sehe ich auch zwei kleine, unscheinbare Schilder am Boden, die auf die Routenführung hinweisen. Ich weiß Bescheid und laufe geradeaus, auch wenn die „Ordner“ etwas verwirrt dreinschauen. Links kommen mir vereinzelt Läufer entgegen, auf einmal auch zwei Pacerinnen mit ihrem Tross, die sich wohl verlaufen hatten.
Mit der letzten Helligkeit erklimmen wir die Hochstraße über dem Handelshafen. Ein leichter, warmer Abendwind empfängt uns. Kein Autolärm dringt durch die Stille. Die letzten Straßenlampen schalten sich an. Es ist unbeschreiblich schön. Auf der Kurt-Schumacher-Brücke mit ihren imposanten Tragseilen überqueren wir den Rhein. Links leuchtet das weiße Kuppeldach eines riesigen Einkaufszentrums.
Wir bleiben noch einen Kilometer auf der Hochstraße. Die Trasse der Trambahn taucht links drei Stockwerke nach unten ab, um in einem dunklen Schlund zu verschwinden. Es folgt eine U-förmige Kurve, gesichert mit Matratzen - wahrscheinlich für die Inliner und Handbiker - und dann wird es richtig dunkle Nacht. Wir sind nun in Ludwigshafen, mit 165.560 Einwohnern zweitgrößte Stadt des Bundeslandes Rheinland-Pfalz und Sitz der Firma BASF. Ab hier gibt es eine fast durchgehende Begegnungsstrecke. Mal sehen, ob ich Judith irgendwo erkennen kann. Die Wasserstelle bei Kilometer 30,6 erwarte ich sehnsüchtig. Die letzten fünf Kilometer waren doch recht lang. Die Verpflegungsstellen sind sehr gut organisiert: Große Schilder weisen auf das Angebot hin: Bananen, Mineralwasser, Leitungswasser, Riegel und ab hier auch immer Isostar-Gel. Die Länge der Tische ist auf die Teilnehmerzahl abgestimmt, auch ein Toilettenhäuschen-Quartett findet man stets in der Nähe.
Am Berliner Platz die nächste Wechselstelle mit Moderation und Musik. In der Lisztstraße sind wir dann schon wieder in lockerer Bebauung. Vor einer Villa ein lustiges Grüppchen mit Blechblasinstrument. Die Standtruppe versorgt mich bestens, bevor ich den „Rückweg“ antrete. Einige junge Mädchen machen mir Komplimente, wobei sie mich siezen, das heitert auf. Im Sauseschritt werde ich von den 4:15-Pacern überholt. Jetzt schon? Ich muss wieder zulegen.
In der Mundheimer Straße gefällt es mir sehr gut: Eine neue Gestaltung mit indirekter Beleuchtung, nette Bäumchen und viele Leute vor den Lokalen. Meine gute Stimmung steigert sich mit jedem Meter: Es bietet sich ein wunderbarer Blick auf den hell erstrahlenden neuen Bahnhof, unter dem hindurch es auf den Berliner Platz geht. Viele Zuschauer. Der Sprecher wünscht eine gute Nacht. Ich fühle mich wie auf einer Flaniermeile in Italien und bin begeistert. Für solche Gefühle läuft man einen Marathon – wenn auch der Ordnung halber erwähnt werden muss, dass die Gegend tagsüber nicht ganz so faszinierend wirkt...
Es folgen wieder einige düstere Straßen, aufgelockert durch die hell erleuchtete von Joan Miró gestaltete Wand am Wilhelm-Hack-Museum. Vor dem Anstieg auf die Hochstraße gilt es noch mal Energie zu tanken. Auf der Brücke unzählige Öllämpchen, die uns den Weg weisen. Vereinzelt sind noch Zuschauer zu sehen und links auf der Gegengeraden der Besenwagentross. Die Jungs im Sanka haben ihr Radio ausgeschaltet. Hatten sie Probleme mit der GEMA? Auf der Brücke ein mobiler Fahrraddiskjockey von Radio Regenbogen. Das tut gut. Denn an musikalischer Untermalung mangelte es insgesamt schon ein bisschen. Einige Trommeleinlagen und private Aktionen lockern die Atmosphäre aber auf. Da ginge sicher noch mehr. Vielleicht findet sich fürs nächste Mal noch eine Feuerwehrkapelle oder eine Sambagruppe?
Am Ende der Brücke wartet die Mannheimer Innenstadt auf uns. Die Straßenbeleuchtung geht von einem warmen Gelbton in bläuliches Neonlicht über. Wahrscheinlich kommen wir im Dunkeln jetzt am Rathaus vorbei. Oft höre ich Anfeuerungen. Aus dem Streckenplan (viele rote Strichlein) weiß ich, dass noch eine Umrundung des Mannheimer Schlosses ansteht. Das liegt landschaftlich schön am Rhein. Irgendjemand hat dann eine Eisenbahnbrücke und später eine Autobrücke davor gestellt. Vom Zug aus ist das Schloss daher gut zu sehen. Im Innenhof werden wir abgelichtet und von der Fotografin angefeuert. Die Parkwege sind mit mobilen Lampen markiert. Noch zwei Straßenzüge und wir sind quasi auf der Zielgeraden. Ich überhole zwei Männer. Der Ältere zum Jüngeren (mit türkischem Akzent): „Du schaffst das schon, nur noch ein Kilometer und denk doch mal daran, wie du später deinen Enkeln erzählst, dass der Opa den Mannheim-Marathon gelaufen ist“.
Hier gibt es viele hell erleuchtete Geschäfte, Zuschauer dann in großer Zahl am Wasserturm. Ein großes Transparent über uns kündigt die letzten 400 Meter an. So etwas hätte ich mir an der Abzweigung nach Ludwigshafen gewünscht. Staffelmitglieder warten auf ihre jeweiligen Schlussläufer, um gemeinsam ins Ziel zu preschen. Rechts in den Cafés wird gefeiert. Schöne Lightshow. Im Ziel ist erst mal kein Vorankommen möglich. Hallo! Ich bräuchte dringend was zu trinken. Läufer und Zuschauer sind hier bunt gemischt. Ich schiebe mich durch. Rechts gibt es Medaillen. Die Helferin fragt mich, ob noch viele Läufer kommen. Eindeutiges Ja. Dann endlich Getränke in Hülle und Fülle, ich genehmige mir einige alkoholfreie Tannenzäpfle-Biere.
Wo ist Judith? Eigentlich hatte sie eine Zeit unter vier Stunden angepeilt, aber am Treffpunkt ist sie nicht zu sehen. Kurz bevor ich mich auf den Weg ins Hotel mache, höre ich den Zielsprecher: „Judith aus München, 4:44 Stunden.“ Wir gehen flugs zur Medaillenausgabe, wo sie eines der letzten Exemplare ergattert. Der dritte M4Y-Läufer Andreas trifft knapp nach ihr ein und geht leider leer aus, so wie die restlichen Finisher.
Aber wo war Judith? Im Gegensatz zu den führenden Äthiopiern ist sie die 7-km-Schleife in Mannheim zum vorgesehenen Zeitpunkt gelaufen. Wegen der schlechten Beschilderung am Gabelpunkt aber gleich nochmal im Pulk mit einigen langsamen Halbmarathonis. Wutausbrüche anderer Marathonläufer auf der Augusta-Anlage lassen schließlich Zweifel an der Beschilderung und der Streckenführung aufkommen. Die Ordnerinnen geben auf Nachfrage jedoch „grünes Licht“.
Erst beim erneuten Einlaufen in den Park und auf Judiths Bemerkung hin, sie komme hier schon zum zweiten Mal vorbei, bestätigten ihr die dortigen Offiziellen, dass sie wohl einmal zu oft abgebogen war und bereits 7 km zu viel auf dem „Tacho“ habe. Um eine Urkunde für ihren 54. Marathon zu erhalten, bleibt ihr nichts anderes übrig, als die Schleife zu vollenden, in der Fressgasse nach dem korrekten Weg Richtung Ludwigshafen zu fragen und im Endeffekt mit 49,2 km ihren ersten Ultra zu laufen. Wenn auch inoffiziell.
Betroffene können die Stellungnahme des Veranstalters und seine Reaktion auf die Kritikpunkte auf dessen Marathon-Webseite nachlesen. Ich bin nicht Betroffen und habe nichts zu meckern. Und Judith hat überlebt.
Nächstes Jahr wird einiges anders. Ich persönlich würde mich auf einen Streckenteil durch den Hafen freuen.
Fazit:
- Ein schöner Marathon, besonders der zweite Teil durch den Luisenpark und die Innenstädte von Mannheim und Ludwigshafen – emotional durch die ungewohnte Tageszeit
- Beeindruckende Stimmung „auf dem Land“ in Seckenheim
- Sehr gute Streckenverpflegung und Services. Im hinteren Drittel teilweise nur alle 5 Km.
- Zwei größere Anstiege zur Hochstraße, sonst relativ flacher Verlauf. Aufgrund schmaler, gewundener Wege wahrscheinlich für Bestzeiten nicht optimal.
- Durch den neuen Titelsponsor SAP Arena dürften sich im kommenden Jahr die Strecke und der Start-Zielbereich vermutlich ändern.
- Gute Starterbroschüre (bis auf die Streckenkarten vom Zentrum Mannheims)
- Moderate Startpreise für einen großen Stadtmarathon
- Tipp: Vorher informieren, wie man die Beleuchtung der Laufuhr aktiviert; ich hatte bei der Dunkelheit so meine Probleme...
- Viel Freude bei den Zuschauern rief mein rotes Kamera-Blinklicht am Kopf hervor.
Ergebnisse:
Männer
1. Aboye, Werkuneh Seyoum (ETH) 2:18:52/
Alles, Christian (GER/Schriesheim) 2:41:36
2. Biruk, Asrat Abebe (ETH) 2:24:38
3. Elanso, Tamrat Girma (ETH) 2:30:42
Frauen
1. Restle-Apel, Simret (GER/Kassel) 2:42:28
2. Lelei, Eunice Jelagat (KEN) 2:48:25
3. Tefera, Simegn Girma (ETH) 2:55:50
835 Finisher
Informationen: Dämmer Marathon