23.961 Läuferinnen und Läufer (so viele Voranmeldungen werden bis Samstag registriert) können sich nicht täuschen: der Vienna City Marathon wirkt wie ein Magnet. Auch international, denn 4.500 Aktive verteilen sich auf 87 Nationen, 1.605 sind Deutsche, sie stellen wieder das stärkste Ausländerkontingent. Dementsprechend prägen Laufschuhträger mit bunten Finisher-Shirts aus aller Welt das Bild um den Stephansdom an diesem Wochenende mit. Nach einer Statistik der Veranstalter bringt jeder zweite Läufer eine Begleitperson mit. So kommen 40.000 Übernachtungen zusammen. Ingesamt bringen die Marathonis 15 Mio. Euros in die Stadt.
Da Wien in diesem Jahr anlässlich des 250. Mozart-Geburtstags noch mehr als sonst von in- und ausländischen Gästen besucht wird, werden Zimmer besonders in der Innenstadt schon mal rar. Ich quartiere mich im Mercure am Westbahnhof ein. Mit der U-Bahn gleich gegenüber bin ich in 7 Minuten am Stephansplatz und von dort in etwa der gleichen Zeit auf der Messe und am Sonntag am Start. Zudem profitiere ich vom sagenhaften Frühstücks-Buffet, für das die Häuser dieser Hotelgruppe bekannt sind.
Die Marathonmesse „Wien aktiv“ wird im Austria Center Vienna abgehalten. Auf der Fahrt dorthin spricht mich Victor an. Er kommt aus Rumänien und spricht nur ein paar Brocken deutsch und englisch. Damit kommt er aber in der ganzen Welt rum. Er zieht ein kleines Fotoalbum aus der Tasche und zeigt mir Bilder aus Las Vegas, von den Niagara Fällen, aus Rom und vielen anderen Städten, wo er schon Marathon gelaufen ist.
Die führenden Ausrüster sind auf der Messe mit eigenen Ständen vertreten, dazu kommen Händler, Getränkehersteller und Veranstalter.
Zwei Dinge fallen mir auf: es werden durchweg aktuelle Sortimente angeboten, Restposten bilden die Ausnahme; viele Aussteller geben kostenlose Proben ab und sind dabei nicht geizig. Bei den Startunterlagen ist auch noch ein Gutschein für das „Goody-Bag“ vom Sponsor „PLUS“, in dem weitere Getränke und Warenproben enthalten sind.
Eine Besonderheit bildet das Medical Center, dem die Sportärztin Dagmar Rabensteiner vorsteht. Sie fungiert beim Wien Marathon gleichzeitig als Rennärztin. Man hätte dafür niemanden Besseres finden können. Dagmar Rabensteiner ist selbst Marathonläuferin und hält bis heute den österreichischen Rekord über diese Distanz.
Aus dem Hochleistungssport hat sie sich zwischenzeitlich zurückgezogen und nimmt an den Läufen seither mehr als Genussläuferin teil. Dabei kommen dann aber immer noch Zeiten von unter 3 Stunden für den Marathon raus. Als ihr größtes Lauferlebnis nennt sie mir den Comrades-Marathon (89 km) in Südafrika, den sie im letzten Jahr in gut 7 Stunden gefinisht hat. Dann wird sie wieder zur Arbeit gerufen, denn sie ist mit 10 weiteren Ärzten hier auf der Messe, um bei den interessierten Läuferinnen und Läufern kostenlos einen Gesundheits-Check mit Belastungs-EKG, Ultraschall und Laboruntersuchung durchzuführen und um gegebenenfalls von einem Start morgen abzuraten.
Eine Veranstaltung der kurzen Wege ist Wien nicht. Dafür eine der besonderen Attraktionen. Statt der obligatorischen Nudeln am Vortag des Laufes gibt es einen Kaiserschmarrn. Und der wird nicht in irgendeiner Halle oder einem Partyzelt serviert, sondern im Festsaal des Rathauses, wo sonst prunkvolle Bälle stattfinden. Begleitet wird das Ganze von Live-Musik, natürlich von Mozart. Dazu gibt es Gewinnspiele, den Wetterbericht und ein paar Promis. Österreichs Laufstar Susi Pumper, die alle Landesrekorde von einer Meile bis zum Halbmarathon hält, ist da. Sie will morgen ihren ersten Marathon laufen und dabei gleich den österreichischen Rekord von Dagmar Rabensteiner brechen.
Am Sonntagmorgen treffe ich sie wieder. An ihrer Seite der Südtiroler Gerd Frick (hat letztes Jahr den Montafon-Arlberg-Marathon gewonnen), der mit ihr laufen will. Nervös? „Nein, ich freue mich nur,“ sagt sie und huscht hin und her.
Die Reichsbrücke über die Donau und die Donauinsel vor den Hochhäusern der UNO-City ist das Startgelände. „Fast wie in New-York,“ vergleicht ein Weitgereister. Das Wetter ist ideal: etwas kühl, kleine Wolkenlücken, laut Vorhersage sollen es maximal um die 17 Grad werden und es soll trocken bleiben.
Die Kleiderbeutel werden in LKW's deponiert und der Sprecher fordert die Läuferinnen und Läufer auf, die markierten Startblöcke einzunehmen. Grete Laska, Vize-Bürgermeisterin und Stadträtin für Sport, spricht Grußworte und dann geht es los. Unter dem Riesenjubel der Aktiven und der vielen Zuschauern setzt sich das Läuferfeld in Richtung Praterstern in Bewegung, wo es nach ungefähr 2,5 Kilometern links auf die Hauptallee geht. Hier stehen die Menschen dicht gedrängt und feuern uns an. Vor uns sehen wir das 1896/97 errichtete Riesenrad mit den 30 Gondeln, das man 1916 wieder abreißen wollte. Aus Geldmangel ist es dazu nicht gekommen, und so dreht sich das fast 65 Meter hohe Rad noch heute und ist eines der Wahrzeichen der österreichischen Hauptstadt.
Das dichte Läuferfeld verteilt sich auch auf die Rad- und Wanderwege rechts und links der Hauptallee durch den Prater, der 1766 für die Bevölkerung geöffnet wurde. Als es nach knapp 5 Kilometer rechts in die Stadionallee und einen Kilometer weiter in die Schüttelstraße geht, ist das Schlimmste überstanden und jeder findet seinen Laufrhythmus. Tausende Menschen rechts und links der Straße sorgen für eine phantastische Stimmung. Sie werden mit Live-Reportagen von der Strecke und fetziger Musik unterhalten.
Einen besonderen Applaus bekommt Dietmar Mücke, weil er als Pumuckl heute auf die Laufschuhe verzichtet und barfuss unterwegs ist. Keine Chance für mich, das im Bild festzuhalten, im Nu hat ihn das Läuferfeld verschluckt. Nur seine rote Mähne sehe ich noch kurze Zeit.
Wir laufen links über den Donaukanal und am Schwedenplatz noch einmal links auf den Franz-Josefs-Kai und kommen so auf den Stuben-Ring. Links sehen wir das riesige Gebäude, in dem das Wirtschaftsministerium unterbracht ist und werden kurz darauf am Schubertring (ca. km 11) erstmals mit Klassischer Musik empfangen. Wir kommen zur Oper und sehen jenen historischen Teil, der vom ursprünglichen Bau von 1869 erhalten geblieben ist.
Dann laufen wir links in die Operngasse und kommen so auf die Linke Wienzeile. Vereinzelt feuern uns ein paar Fans an, ansonsten ist es ruhig auf diesem Streckenabschnitt. An der Verpflegungsstelle bei Kilometer 15 gibt es zu Wasser und Powerade jetzt auch Bananen. Gleich kommt einer der Höhepunkte der Strecke: Schloss Schönbrunn (km 16,5) der Sommersitz von Kaiserin Maria Theresia. Über 6 Millionen Menschen kommen jedes Jahr hier her, um das Schloss und den Park zu besichtigen. 190 der insgesamt 1.441 Räume des Schlosses sind als Wohnungen an Privatpersonen vermietet.
Richtig laut wird es wieder auf der Mariahilfer Straße, eine der großen Wiener Einkaufsstraßen. Hier haben die Kauf- und Warenhäuser ihre Filialen, dazwischen sind viele Cafés und Restaurants. Eine weitere Einkaufstraße in Wien ist die Kärntner Straße, die vom Stephansplatz aus geht. Dort sind mehr die Nobel-Geschäfte und Juweliere zu finden.
Wir laufen weiter durch die Mariahilfer Straße, kommen am Westbahnhof und am Museums-Quartier vorbei zum Burgring, wo es für die „Halben“ rechts ins Ziel auf den Heldenplatz geht. Dort herrscht eine Riesenstimmung und Hochspannung, denn jeden Moment wird der Marathonsieger erwartet.
Nach der Zeitnahme für die Halbdistanz stehen weitere Sehenswürdigkeiten auf dem Programm. Zuerst kommt das 1874 – 1883 als Sitz des Reichsrates erbaute Parlamentsgebäude mit der Statue Pallas Athene, der griechischen Göttin der Weisheit. Gleich darauf folgt rechts das Burgtheater, dessen Geschichte auf das Jahr 1741 zurück geht, als Kaiserin MariaTheresia dem Theaterunternehmer Selliers ein leer stehendes Ballhaus neben der Hofburg zur Verpachtung an Schauspielertruppen überließ. 1888 wurde das heutige Theaterhaus von Gottfried Semper und Karl Hasenauer eröffnet.
Links geht es in die Hohenstaufengasse, die bald in die Liechtensteinstraße (km 22) übergeht, wo mir zwischen den Stadthäusern die Fassade eines alten, halb verfallenen Geschäftshauses auffällt. Auch auf diesem Streckenabschnitt geht es relativ ruhig zu. Zuschauer verlieren sich nur vereinzelt am Straßenrand. Erst als wir rechts in die Alserbachstraße einbiegen, will uns eine Trommlergruppe Beine machen.
Wir überqueren den Donaukanal über die Friedensbrücke (km 24) und kommen auf die Obere und später auf die Untere Donaustraße. Auf der anderen Seite des Donaukanals sehen wir den markanten Ziegelbau der 1848 errichteten Roßauer-Kaserne mit den zinnengekrönten Ecktürmen, die einst bis zu 4.000 Soldaten und an die 400 Pferden Unterkunft bot.
Bei km 27 sind wir wieder auf der Schüttelstraße, die wir später ein drittes Mal durchlaufen. Aus der Gegenrichtung kommen die Läuferinnen und Läufer, die hier ungefähr 11 Kilometer vor mir liegen. Auf der Stecke herrscht Hochbetrieb und die vielen Zuschauer werden live und übers Radio bestens unterhalten. „Es lebe der Sport“ wird gerade gespielt. Irgendwo hier hören wir aus den Lautsprechern, dass Susi Pumper mit neuer österreichischer Rekordzeit im Ziel ist. Die Zuschauer jubeln, dabei interessiert sie es überhaupt nicht, dass ihr Liebling mit dem 4. Platz knapp das Stockerl verpasst hat.
Bei Kilometer 30 sind wir wieder im Prater, queren die Hauptallee, haben beim Ernst-Happel-Stadion einen Wendepunkt und laufen anschließend gut zwei Kilometer auf der Hauptallee bis zum 1781 bis 1783 erbauten Lusthaus. Viele Feste wurden hier gefeiert, unter anderem das große kaiserliche Fest zum ersten Jahrestag der Völkerschlacht bei Leipzig. Heute sind ein Café und ein Restaurant darin untergebracht.
Wir umrunden das Lusthaus und laufen auf gleichem Weg zurück. Auf diesem Streckenabschnitt soll Mozart mit seinen genialen Kompositionen den Läuferinnen und Läufer Beine und den Vienna-City-Marathon zum Klassik-Marathon machen. Aus zahlreichen Lautsprechern ertönt seine Musik. Das Laufen ist in Wien ja wirklich ein Genuss. Dass Wien und Klassische Musik zusammen gehören, will auch keiner bestreiten. Aber muss man Laufen und Klassische Musik unbedingt zusammen bringen? „Ich kann es nicht mehr hören,“ „Blöd, dass ich meinen MP3-Player nicht dabei hab,“ sind zwei aufgeschnappte, nicht repräsentative Kommentare. Ich selber bin auch nicht unglücklich, als ich bei km 37 nach einem kurzen Anstieg wieder in der Schüttelstraße bin. Wenn schon Mozart, dann „Rock me, Amadeus“, wenigstens beim Laufen. Oder Beethoven – „Roll over Beethoven.“
Tatsächlich kommen uns jetzt auf der Schüttelstraße noch Läufer, ca 10 Kilometer zurück liegend, entgegen. Kaputt oder unglücklich sehen sie nicht aus. Sie haben Spaß an ihrem Sport. Die Trommler-Gruppe bearbeitet unermüdlich ihre Instrumente. Wir queren wieder den Donaukanal und kommen in die Radetzkystraße (km 39), wo uns viele Menschen jubelnd erwarten. Bei Kilometer 40 ist noch einmal eine Verpflegungsstelle eingerichtet. Zwei Becher Cola kipp ich mir rein, so viel Zeit habe ich. Dann kommen wir wieder auf den Parkring.
Die letzten Kilometer werden jetzt auch noch sonnig. Bei Kilometer 41 die Cola-Zone mit Duschmöglichkeit. Die Zuschauer stehen rechts und links geschlossen Spalier und lärmen. Bis zum Ziel ist es jetzt ein einziger Triumphlauf. Rechts geht es durch das Burgtor, die Menschen klatschen und jubeln, die Tribüne ist auch nach über 4 Stunden noch voll besetzt. Die Stimmung und die Kulisse auf dem Heldenplatz vor der Hofburg sind phantastisch, unvergleichbar, einmalig. Ich bleibe stehen, schaue, genieße und staune.
Gleich gibt es für alle Finisher die Medaille, eine Folie zum Umhängen und Getränke. Jeder bekommt eine Tüte mit weiteren Getränken und Obst. Dann kommt man raus auf die Grünanlage, wo ein richtiges Volksfest veranstaltet wird. In verschiedenen Zelten gibt es alles, wonach einem nach einem langen Lauf zu Mute ist.
Die vom Militär eingerichteten Duschen werden gut angenommen. Ich höre keine Klagen, kann sein, dass sie warm sind. Ich hole meine Klamotten ab und setze mich auf dem Maria-Theresia-Platz ins Gras. Hierher, zwischen die beiden Hofmuseen und dem großen Denkmal der Kaiserin haben sich die Läuferinnen und Läufer zurückgezogen, die es nicht so laut mögen. Unter ihnen ist auch Victor, der Rumäne. Er gibt mir ganz traurig zu verstehen, dass er von allen Marathonläufen Bilder hat, von Wien aber bisher noch keines. Als ich ein paar Bilder von ihm mache und ihm verspreche, sie ihm zu schicken, ist er glücklich. So einfach geht das.
Punkt-zu-Punkt-Kurs, Rund- und Wendepunkt-Kurs, alles in einem. Flach, keine nennenswerten Anstiege.
Marathonmesse „Wien Aktiv“ im Austria Center Vienna, dort gibt es auch die Startunterlagen.
Halbmarathon, 10 Km-Lauf und Kinderrennen
Medaille, Urkunde
Start- und Zielgelände mit der U-Bahn gut erreichbar.
Wasser und Powerade, ab km 15 Bananen.
250.000 sollen an der Strecke gewesen sein.