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Laufberichte

Im Tal der Grünen Fee

 

Die Naturarena ist das Resultat hartnäckiger Erosion durch Wasser und Eis über 200 Millionen Jahre, ganz unten im Talkessel sprudelt eine Quelle, die „fontaine froide“, deren Wasser das ganze Jahr über konstant 4 Grad kalt ist. Über fast 4 Kilometer kann man oben entlang der Kante laufen, über etwa die Hälfte verläuft die Laufstrecke. Aber die Show geht noch weiter. Über die weitläufigen Wiesenflächen der Hochebene wird uns eine grandiose Aussicht über das Schweizer Mittelland hinüber zu den Alpen geboten. Mont Blanc, Matterhorn und Eiger liegen vor uns, alles Orte, wo Trailrunner weitere Träume wahr machen können.

Sehr abwechslungsreich führt der Weg hinunter ins Tal. Immer wieder führen uns die Wegweiser direkt durch meterhohe blühende Wiesen, wo man nur noch den niedergetretenen Gräsern der Vorläufer folgen kann oder Ausschau nach einem Fähnchen halten muss, um die Fährte im Blick zu behalten. An kritischen Stellen sind aber Helfer postiert, ich werde heute mehrmals zurückgepfiffen. Manchmal sind auch längere Abschnitte über Schotterwege und kurze Asphaltstücke dabei. Hier kann man viel Zeit gutmachen, der 13 Kilometer lange Bergab-Teil ist meist problemlos in höherem Lauftempo zu bewältigen.

Nach 3:40 Stunden Laufzeit erreichen Jan und ich die erste und auch wichtigste Cut-Off-Stelle in „Carrière de Môtiers“. 27 Kilometer sind hier absolviert. Alle Trailer müssen diesen Punkt bis 12:15 Uhr passiert haben, für die regulären 7:15-Uhr-Starter also nach genau 5 Stunden. Wer später ankommt, wird automatisch auf die Marathonstrecke umgeleitet und dort gewertet. Hier findet noch kein Ausschluss des Läufers statt. Das Zeitlimit müsste aber normalerweise für alle problemlos zu schaffen sein.

Neben Trail und Marathon kommen hier auch alle Teilnehmer der anderen Strecken durch, dementsprechend viel ist an der Station los. Viele Zuschauer haben sich eingefunden und eine Gruppe sorgt mit Guggenmusik für Unterhaltung.


Aussichtspunkt Chasseron


Wenig später erfolgt dann auch die richtige Streckentrennung, für die Trailer geht es nach links weiter, vorerst noch zaghaft aufwärts. Hier überholt uns bereits der Führende der zwei Stunden später gestarteten Läufer. Der Franzose Alexandre Rognon hat die Armada der Schweizer Meisterschaftsläufer hinter sich gelassen, erst mit einigem Abstand folgen die Schweizer Asse mit Cédric Mariethoz, Urs Jenzer, Adrian Brennwald u.v.m.

Der Aufstieg wird immer steiler und der Wald wird dichter und verdunkelt sich, es geht über schmale Treppen an moosbewachsenen Felswänden und kaskadierenden Wasserfällen vorbei. Wir befinden uns jetzt in der Poëta-Raisse-Schlucht, viele halten sie für die schönste Klamm des Jura. Die Bied hat sich hier einen eindrucksvollen Weg durch die Felsen gegraben, bevor sie in die Areuse fließt. Nach einem Aufenthalt von Jean-Jacques Rousseau 1874 in Môtiers wurde die Schlucht offiziell eingeweiht und seitdem werden Brücken und Treppen von einem Verein gepflegt und immer wieder gerichtet nach Unwetterschäden.
Durch dichtes Geäst kann man aufregende Blicke tief in die Schlucht werfen. Sehr mystisch zieht sich der Aufstieg dahin, wird steiler und enger. Wir müssen auch immer Platz machen für die Meisterschaftsläufer, die uns jetzt vermehrt überholen. Mir gefällt das, ist eine tolle Sache und sorgt für Belebung. Zudem ist es für mich immer faszinierend, wie sie leichtfüßig aufsteigen und würde es ihnen gerne nachmachen können.

Als wir die Schlucht verlassen, hat die Sonne die Herrschaft übernommen und es ist sehr warm geworden unter einem strahlend blauen Himmel. Die VPs sind aber gut verteilt, so können wir uns bald wieder an einer Almhütte verpflegen und keiner muss verdursten. Am Eingang werden unsere Zeitmess-Chips gescannt, damit hier keiner auf dumme Gedanken kommt. Das wiederholt sich noch mehrmals auf der Strecke und kann auch in der Live-Trail-Auswertung á la UTMB am PC verfolgt werden.

An einem kleinen Skilift vorbei geht es weiter über grüne Wiesen hinauf zum Chasseron auf eine Höhe von 1600 m. Es ist damit einer der höchsten Gipfel des Juras. Das Gipfelkreuz, das eigentlich eher wie ein Dreieck aussieht, zieht mich magisch an. Aber uns bleiben die letzten Meter erspart, so werde ich wieder einmal zurückbeordert von einer aufmerksamen Helferin. Etwas unterhalb führt unsere Route bis an ein Bergrestaurant, wovor unsere nächste Verpflegungsstelle (Km 40) aufgebaut ist. Die fröhlichen Helferinnen haben sich hier wirklich was einfallen lassen. Im Südsee-Look ist die Station dekoriert und es werden dazu auch sehr viele Südfrüchte angeboten.

Die Übersicht über den Neuenburger See und das Schweizer Mittelland ist traumhaft. Dazu noch eine Rundsicht auf die Savoyer, die Walliser und die Berner Alpen, die ihre Spitzen aber etwas in den Wolken verstecken. Wahnsinn, ein toller Ort, ich würde hier gerne einige Zeit verbleiben und eine Rast einlegen, aber das nächste Zeitlimit verhindert das.

Nach den entspannenden Gipfeleindrücken geht es sehr schnell wieder zur Tagesordnung über, der 4 km lange Abstieg vom Chasseron steht an. Anfangs führt der Trampelpfad noch über dichtbewachsene Wiesen, aber bald geht er fast in freien Fall über. Ich gehe es lieber etwas vorsichtiger an, Jan ist bergab für mich nicht zu halten und bald nicht mehr in Sichtweite. Im Wald sind die ausgewaschenen und steinigen Pfade vom Gewitterregen in der Nacht noch sehr rutschig, nach einem Absitzer mit blutigem Ellenbogen werde ich noch vorsichtiger. Der Abstieg ist sicherlich das härteste Kriterium des Trail de l’Absinthe. Ich bin froh, hier meine Stöcke dabei zu haben, ansonsten würde man sie nicht unbedingt benötigen, meine ich.

Nach 7:36 Stunden Laufzeit erreiche ich den Verpflegungsposten La Côte-aux-Fées bei Km 48. Das bedeutet im Klartext: ich wäre jetzt raus ohne unseren Frühstart! Um 14:30 Uhr werden hier alle ausgeschlossen, die das Zeitlimit von 7:15 h überschreiten. Somit haben wir heute früh alles richtig gemacht, für die restliche Strecke über 27 km bleiben mir jetzt über 6 Stunden Zeit. Da müsste schon Schlimmes passieren …

Nach einer etwas längeren Pause verlasse ich das kleine Bauerndorf, das nur noch knapp zwei Kilometer Luftlinie von der französischen Grenze entfernt liegt. Über eine kleine Landstraße geht es vorerst weiter, die Asphaltabschnitte sind aber immer nur kurz. Bald schlagen wir uns wieder mitten durch die ungespurten Jurahochweiden. Bis zum nächsten VP bei Km 58 geht es wellig weiter, dabei gibt es noch eine mehrere Kilometer lange Bergab-Passage mit mäßiger Neigung und einen etwas kürzeren, dafür aber steileren Abschnitt auf einem schönen Single-Trail durch den Wald zu absolvieren. Ich stecke gerade in einem Tief. Meine Muskeln sind hart und Zeit habe ich genug. Also gehe ich den letzten Pfad, der genau am Versorgungswagen endet, nur noch im Wandertempo an.


Talkessel Saint-Sulpice


Nach der VP geht es weiter bergab – nicht mehr körperlich für mich, eine kleine Erholungspause hat mir spürbar gut getan – kleine Straßen und Wege führen über drei Kilometer in den Talkessel von Saint-Sulpice. Wir halten uns hier nicht lange auf, sondern steigen sofort wieder in die Höhen des Neuenburger Juras. 400 Meter über den Häusern umkreisen wir den fast vollständig abgeschlossenen Talkessel. Dabei gibt es immer wieder wunderschöne Ausblicke hinunter durch die dichte Bewaldung zu erspähen.

Wechselnd geht es weiter, mal auf kleinen Straßen über offene Hochflächen, mal wieder auf Trails im Wald. Der Höhenzug führt direkt Richtung Couvet. Längere Steigungen und Gefälle sind dabei nicht mehr zu bewältigen. Die letzten 5 km werden in Kilometerabständen runtergezählt, über die gesamte Strecke geschah dies in Fünferschritten. Bei Km 71 ist nochmal eine lustige Versorgungsstation errichtet, die ich jetzt bei hohen Temperaturen dringend nötig habe. Die kleine Urlaubsinsel ist bestens bestückt. Die letzte Getränkeaufnahme liegt bereits über zwei Stunden für mich zurück und meine Flasche ist leer.

Direkt im Anschluss geht es in den Wald und den Abhang hinunter. Der Abstieg ist noch einmal ein echter Kracher: Steil, steinig und ruppig.

Am Ortsrand von Couvet werden wir sicher über die Straße geleitet, mit leichtem Gefälle geht es durch den Ort. Anwohner haben nochmal eine private Wasserstelle bereitgestellt. Dann liegt mir das Sportzentrum zu Füßen, die letzten 400 Meter führen um die Halle und über den Rasenplatz ins Ziel. Zwei Punkte für den UTMB darf ich mir nach 74,2 km und 3130 Höhenmeter auf der Live-Trail-Auswertung gut schreiben.

Ich bin begeistert vom Schweizer Jura, der Rundkurs ist wunderschön in die traumhafte Landschaft mit den Highlights Creux du Van, Poëta-Raisse und Chasseron integriert und dazu perfekt organisiert. Das Zeitlimit ist für langsamere Läufer recht anspruchsvoll, aber mit der Möglichkeit des Frühstarts jetzt gut zu meistern.

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Informationen: Swiss Canyon Trail
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