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Laufberichte

Zum Glücklichsein gehört ein Stück Pflaumenkuchen

20.03.04

Wo der Sturm freie Bahn hat

 

Ein Schuss am Schloss. 14 Uhr. Samstagmittag. Start für den Marathon. Knapp 1000 Läufer . nehmen die Beine in die Hand. Ich starte aus der letzten Reihe. Dann überholt mich keiner - wenn ich erst mal langsam anfang'. Ganz piano. Richtung Hollich. Oben an der Mühle pfeift der Wind. Seitlich von hinten. Das ist okay. Ich bin Windexperte - und Radfahrer. Jeden Morgen reite ich mit meinen Drahtesel ins Büro. Und abends zurück. Macht 40 Kilometer am Tag. Plus 60 bis 80 am Samstag. Ich fahr' durch alle Jahreszeiten. Mit dem Wind werd' ich schon fertig. Denk' ich. Und mit dem Regen auch.

 

Unten am Fleigenweg die erste Verpflegungsstation. Ich halte, dehne, trinke, esse 'was. Ich weiß: Nur wenn ich regelmäßig Pausen mache, kann ich die 42 Meter schaffen. Ich bin seit Silvester 2805 Kilometer geradelt. Und drei Mal gelaufen. Alles in allem nur rund 50 Kilometer. Ich habe meine Muskulatur nicht für einen Lauf-Marathon gestählt. Nur für einen Rad-Marathon. Trotzdem' lauf ich mit. Gegen alle Trainingslehre.

 

Auf den ersten Kilometern fühl' ich mich gut. Doch schon nach 12.000 Metern packen mich Zweifel. Mitten in der Ödnis von Dumte. Wo der Sturm freie Bahn hat. Wo der Regen ins Gesicht schlägt. Hier mach' ich den ersten Fehler: Ich zieh' das Tempo an. Um aufzuschließen. Ich ver- berge mich hinter dem starken Rücken eines anderen, eines schnelleren Läufers. Ich will Energie sparen, im Windschatten laufen. Der Mann vor mir hat ein breites Kreuz. Der hält was ab. Ich bleib' ihm auf den Fersen. Kilometer für Kilometer. Obwohl er doch viel zu schnell ist.

 

Für diesen Fehler muss ich bezahlen: Ich habe mich an einen schnellen Typen mit breitem Kreuz gehängt, um mich vor dem Sturm zu schützen, und nach 21 Kilometern, kurz vorm Burgsteinfurter Schloss, würd' ich am liebsten die Brocken hinwerfen. Ich kann nicht mehr. Jeder Schritt ist eine Qual. Die Beine schreien: „Hör auf! Sei vernünftig!"

 

Ich will aber nicht vernünftig sein. Ich laufe weiter. Warum? Die Frage hämmert in meinem Kopf. Warum? - Darum: 40-Stunden-Woche, mein Fußballverein, der zu oft verliert, die tausend Gewohnheiten des Alltags - das kann nicht alles gewesen sein. Für dies eine Leben. Wenn ich 150 Jahre eher das Licht der Welt erblickt hätte, wäre ich über den großen Teich gesegelt und hätte einen Kontinent durchstreift.


Immerhin: Seit zweieinhalb Stunden gibt's den Kontinent Steinfurt-Marathon. Wie lange noch? In meinen Schuhen steht das Wasser. Ich bin völlig durchnässt. Der Nacken tut fürchterlich weh. Weil ich ihn verkrampft habe. Weil ich in diesem Sturm dauernd den Kopf eingezogen habe. „Hör auf!", schreien meine Beine.

 

Ich laufe weiter. Der Weg ist das Ziel. Ich suche mir Fixpunkte am Rand. Die Gaststätte Beckers Jan. Oder den nächsten Bauernhof links. Und in der Borghorster Innenstadt schaue ich in die Geschäfte. Das lenkt ab. Nach 28 Kilometern überhole ich einen knapp 70-Jährigen. „Jetzt wird's hart", raunt er. Wir lächeln uns an.

 

Knapp 200 Meter weiter steht ein vielleicht zehnjähriger Junge mit Pudelmütze. Mitten auf der Straße. Im strömenden Regen. Er sieht mich mit großen Augen an. Er will meine Hand. Ich geb' sie ihm. „Du schaffst es ganz bestimmt", sagt er. Ich bin gerührt und laufe weiter und denke: „Du hast recht. Ich werd' Dich nicht enttäuschen. Ich werd' es schaffen. Ich weiß nur noch nicht wie." Kilometer 30. In Borghorst. Eine Frau steht auf dem Bürgersteig, hält ein Pappschild hoch und präsentiert mir die Bundesliga-Ergebnisse. Der Regen kümmert sie nicht. Ich halte an. Bayern nur 3:3. Super! Das Ergebnis ist so super wie die Hunderte Helfer und Zaungäste, die bei diesem Wetter ausharren, die uns immer wieder anfeuern. Sogar die Polizisten, auf den Kreuzungen, im Regen, klatschen in die Hände, machen uns Mut.

 

An der Dumter Wegekapelle geht's geradeaus weiter. Eine Blonde mit Baseballkappe und Walkmann-Stöpsel im Ohr biegt aber halbrechts ab. Nach hundert Metern bemerkt sie ihren Irrtum - und flucht in den Wind.

Mitten in Dumte packt sie mich. Die Blonde. Ich kann nicht hinterher. Ich hab' kapituliert. Vor dem Sturm. Ich gehe nur noch. Spazierschritt. Wie der schiefe Turm von Pisa. Den Kopf voraus. Mit steifem Nacken. Von hier nach Hause sind's noch drei Kilometer. Ich bin drauf und dran, aufzugeben. „Hör auf!", schreien die Beine.

Nein! Ich will diese Abenteuerreise zu Ende bringen.

 

Die letzten Kilometer werden die längsten meines bisherigen Lebens. Dieser Sturm-Marathon ist ein großer Kontinent. Ein Gebirge, dessen höchster Gipfel irgendwo über den Wolken schwebt. Es wird dunkel, als ich die Leerer Straße in Burgsteinfurt erreiche. Die letzte große Gerade vor dem Ziel. Jetzt weht der Sturm von hinten. Ich breite die Arme aus. Damit ich ein großes Segel bin. Ich laufe. Ich gehe. Immer im Wechsel. Ich denke an meine Frau. Die liegt sicher längst auf dem heimischen Sofa. Sie ist knapp eine Stunde schneller als ich. Auf 42 Kilometer.


Ich bin spät dran! Von hinten kommt der Besenwagen. Der Lumpensammler. „Soll ich Dich mit- nehmen?", fragt der Mann am Steuer. Über diesen Witz muss ich wirklich lachen. 1500 Meter vor dem Ziel. Würd' ich jetzt aufgeben, würd' ich mich in 20 Jahren noch ärgern. Nichts da! Weiter geht's! Bis zum Ziel. Ich mache schnell noch ein paar Übungen im Kopfrechnen. Das lenkt ab. Zwölf mal zwölf mal drei mal zwei. Das geht noch flott. Ich bin noch recht fit. Zumindest ober- halb meiner schreienden Beine.

 

Im Ziel zeigt die Uhr vier Stunden 46 Minuten an. Ich fass' es nicht. Eine Minute schneller als bei meinem ersten Steinfurter Marathon vor einem Jahr, als der Wind ruhig und die Sonne warm war. Irgend jemand hängt mir eine Medaille um. Dann geht's zu einem Lkw, das Finisher-T-Shirt holen. Meine Größe ist längst vergriffen. Macht nichts. Eine Nummer kleiner ist auch okay. Fünf Meter weiter gibt mir ein Helfer zwei Stückchen Pflaumen- kuchen. „Hat Mutter selbst gebacken. Bei Coppenrath & Wiese", sagt er. Ich schließ' die Augen - und genieße. Ich bin glücklich. Unglaublich glücklich. Mit meinem Pflaumenkuchen im Regen.

 

Streckenbeschreibung:

Strecke ist 100% asphaltiert und ist ein Kurs über 21,1 Kilometer, den die Läufer zweimal zu absolvieren haben. Die Runde hat insgesamt 64 Höhenmeter und ist durch den DLV nach AIMS vermessen.

 

Weitere Disziplinen:

Skaten und Walken, jeweils Halbmarathon

 

Auszeichnung:

Medaille und Urkunde

 

Logistik:

Die Startnummern werden am Samstag 9:00 Uhr bis 12:30 Uhr im Organisationsbüro in den Technischen Schulen des Kreises Steinfurt in der Liedekerker Straße in Burgsteinfurt ausge- geben. Von dort sind es nur 200 m bis zum Start. Parkplätze sind ausreichend vorhanden. Kleiderbeutel können deponiert werden.

 

Informationen: Steinfurter Marathonlauf
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