Um das Jahr 1898 betrieb eine Frau Hauptmann Wendland in Burgsteinfurt ein Pensionat für höhere Töchter. Eine gewissen Amely Trant, sowie weitere acht junge Damen aus der sogenannten guten Gesellschaft waren dort „Zöglinge“.
Emma Cordes war Amely´s Busenfreundin, ihr Vater hatte eine florierendes Zigarrengeschäft in Bünde. Und Emma hatte einen Bruder, der Wilhelm hieß. Wilhelm war häufig Gast im Burgsteinfurter Mädchenpensionat - vordergründig, um seine Schwester Emma zu besuchen.
Eines Wintertages „verstieg“ man sich zu einer ganz und gar übermütigen Lustbarkeit: einer Schneeballschlacht. Die Bälle flogen hin und her, helles Juchzen, Kreischen und Kichern der Mädchen. Da traf es die kleine Amely.Genau aufs Auge. Es tat sehr weh. Die Tränen kullerten über ihre Wangen. Hilflos stand der Werfer ihr gegenüber, der stattliche Wilhelm aus Bünde. Da sagte er zu ihr: „Weine nicht mehr, ich heirate dich auch später.“
Die Hochzeit fand am 29.Januar 1908 statt.
Der Steinfurtmarathon ist von A wie Anmeldung bis Z wie Ziel traditionell perfekt organisiert, die Geschichten findet man am Rande der Laufstrecke.
Das Haus des Mädchenpensionats steht, wenn man am Start steht, in Laufrichtung rechts, hinter dem Schloß vor der Kirche . Linker Hand ist die Niedermühle, die auf der diesjährigen Finishermedaille abgebildet ist. Weiter unten am Flüßchen Aa ist das Blaufärberhaus.
Blau-und Schönfärber war schon damals eine schlechte Bezeichnug. Man machte einen großen Bogen um die Färber und insgeheim ein Kreuzzeichen. Wie Stulpenhandschuhe saß die blaue Farbe auf Händen und Unterarmen, so echt, wie die Stoffe, die sie zu färben hatten.
„Westfälischer Blaudruck“ so hießen die Stoffe, die aus Leinen und Nessel hergestellt wurden. Die blaue Farbe wurde aus dem Kraut Waid hergestellt, einem Kreuzblütler, der in Thüringen angebaut wurde. Im 17 Jahrhundert wurde es durch das Indigo abgelöst. Sogar die Vorfahren der Brauereifamilie Rolinck, des Hauptsponsors, waren laut Gewerbesteuerrolle von 1867 Blaufärber. Heute gehört die Brauerei Rolinck zu Krombacher.
Vor uns rechts, dort wo die Zielverpflegung sein wird ist das Steinfurter Bagno. Ein „Lustgarten“, vom Grafen Bentheim-Steinfurt 1765 begründet. Um 1800 war dies der berühmteste Garten Westfalens und an den Wochenenden brechend voll. Doch 1806 annektierte Napoleon die Grafschaft Steinfurt und degradierte den Grafen. Der Graf reiste nach Paris, um bei Napoleon persönlich vorzusprechen. Die Verhandlungen liefen 11 Jahre, ergebnislos. Erst 1817 reiste der Graf zurück nach Burgsteinfurt und starb im gleichen Jahr.
Die Idee, beim Marathon Zug-bzw. Bremsläufer einzusetzten wurde in Steinfurt geboren. Dienstältester, amtierender Zugläufer Deutschlands ist Kalle Nadirk, der dieser Aufgabe hier zum 23. Mal nachkommt. Er wird im Startbereich von Funk und Fernsehen bedrängt. Jens Vieler, der Deutschlandläufer (2006) und Initiator der „TorTour de Ruhr“ ist ebenfalls unter den zahlreichen Zugläufern zu finden. Christoph Thünemann startet zum 27ten Mal in Steinfurt. Und noch eine Besonderheit liefert die Starterliste: die fünf Brüder Schulz, die nicht nur das gleiche Hobby, sondern auch die gleiche Leistungsfähigkeit haben. Pater Tobias, der Spendensammler trainiert für die 100 km in Biel.
Es sind etwa 400 Marathonläufer und etwa 500 Duo-Marathonläufer gemeldet. Beim Duo-Marathon teilen sich zwei Läufer die Strecke, dadurch werden auch auf der zweiten Runde noch genügend Läufer unterwegs sein. Prominenter Duo-Läufer ist der Sänger und Entertainer Mickie Krause, den man von Malle kennt.
Der Rundkurs verbindet beide Steinfurter Stadtteile Burgsteinfurt und Borghorst. Start (13:30 Uhr) und Ziel (5,5 Std) ist das Wasserschloß in Burgsteinfurt. Nach dem Startschuss geht es sogleich auf die Landstraße Richtung Borghorst, das Läuferfeld ist aufgelockert, nur um die Zugläufer bilden sich dicke Trauben, sodaß ich einige Meter brauche um den 3:45 Tross zu überholen. Die Laufstrecke hat einige Steigungen, da ist es nur ein schwacher Trost, dass man die erklommenen Meter auch wieder hinunter laufen kann. Das war dann auch ein kurzes Gastspiel vor dem 3:45-Tross.
Deutlich erkennbar ist die preussische Siedlungsstruktur von Borghorst, die aus langestreckten Zeilen von Giebelhäusern besteht. Als Steinfurt 1813 zu Preussen kam, setzte sich diese Bauart hier durch. Etwa ab 1850, im Zuge der Industralisierung ersetzten Textilfabriken die alten Hauswebereien. Es entstanden Arbeitersiedlungen mit ihren regelmäßigen Straßen. Das Einfamilienhaus mit Garten bestimmt noch heute das Stadtbild. Vor den Gärten bilden sich Partygruppen, die mit Getränken des Hauptsponsors uns lautstart einheizen. Auf großen Tafeln können wir im Vorbeilaufen die Bundesligaergebnisse verfolgen.
Über Jahrhunderte prägte das „Damenstift“ die Stadt Borghorst. Es war ein „freiweltlich-adliges Fräulein-Stift“, welches Otto I im Jahre 968 urkundlich begründete. Die angehörigen Damen kamen ausschließlich aus adeligen Häusern. Das mag auch der Grund gewesen sein, warum das Kloster unabhängig vom Bischof von Münster blieb, und die Damen eigenes Vermögen besitzen und heiraten durften. Borghorst mit seinem Damenstift war so wichtig, dass gleich drei Kaiser, Otto I, Otto II und Otto III die Urkunden für den Bau der Kirche unterschrieben.
Alle 5 km gibt es Verpflegungspunkte. Sehr angenehm ist, daß die Tische auf einer Länge von etwa 200 Metern angeordnet sind, sodaß man mehrmals ohne Gedränge zugreifen kann. Eine weitere schöne Organisationsidee ist der Shuttlebus, der vom Start-Zielbereich die Zuschauer nach Borghorst und zurück transportiert.
Der Ortsname Dumte bezeichnet das dumpfige, feuchte Gebiet um die Steinfurter Aa. Die Aa mündet in die Vechte, diese in die Zwarte Water, diese in die Issel, dem östlichen Teil des Rheindeltas. Wenn nur nicht der ständige Gestank der landwirtschaftlichen Nebenprodukte des Münsterlandes die Läufernase quälen würde, dann würde ich auch schneller laufen können. So zieht der 4 Std Tross lautstark an mir vorbei.
Auf der weiteren Laufstrecke sieht man Ortshinweisschilder mit eigenartigen Namen: Schulze Raestrup, Schulze Spenneberg, Schulze Nünning, Schulze Temming.Es sind sogenannte Wortstätten. Das Stift übereignete gegen eine Grundsteuer (Wortgeld) Ländereien an Neubürger. Wortstätten sind eine westfälische Sonderheit in der Geschichte der mittelalterlichen Stadtgründungen.
Ich überhole Clemens Gerdes. Vor 6 Monaten wog er noch 156 kg, heute läuft er mit 85 kg seinen ersten Marathon. Er wird in 4:28 finishen.
Es geht durch den Vorort Friedenau wieder nach Burgsteinfurt. Oben genannter Graf Ludwig zu Bentheim und Steinfurt ließ 1791 acht Häuser für acht Familien errichten, die in Bremen von einem Ausreiseagenten übers Ohr gehauen worden waren und ihre Ausreise nach Amerika nicht antreten konnten.
In der Fußgängerzone sitzen die Zuschauer gemütlich an den Kaffeetischen und schauen uns ungläubig nach. Mit der zweiten Runde beginnt der Kampf und dominieren die Schmerzen. Meine OP habe ich aufgeschoben, nicht aufgehoben. Erst kurz vor dem Ziel höre ich den 4:15 Tross hinter mir, der mich dann punktgenau ins Ziel treibt.
Die Zug- und Bremsläufer machen Maßarbeit: alle 15 Minuten ziehen die Zugläufer pünktlich ihre Schützlinge ins Ziel. Lediglich 7 Läufer kommen nach dem offiziellen Frühlingsbeginn (18:32) ins Ziel. Gute Arbeit gemacht!
MARATHONSIEGER
Männer
1 Szymandera, Pawel 1M35 1973 POL TS Opatrunki 2:38:06
2 Schulz, Robert 1M40 1966 GER Die Unbestechlichen 2:45:03
3 Gottheil, Ralf 1MHK 1981 GER LG Coesfeld 2:47:29
Frauen
1 Kulgemeyer, Christin 1W30 1978 GER TV Georgsmarienhütte 3:00:46
2 Rosenhövel, Annhild 1W35 1971 GER TuS Uentrop 3:29:55
3 Tank, Regina 1W50 1959 GER Dortmund 3:36:00
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