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Laufberichte

Rheinsteig-Erlebnislauf: Auf Du u. Du mit Ihro Majestät

20.04.11

Das Knie hat gehalten, es geht ihm am Dienstag zumindest nicht schlechter als am Freitag. Da juckt es dem Läufer doch schon wieder gewaltig in den Beinen und das sensationelle Wetter tut sein übriges.

Also wird kurzerhand noch ein Tag Urlaub geopfert und ans Ziel der sechsten Etappe, Rüdesheim/Assmannshausen, gefahren. Heidi und Ronald Nickel nehmen Jochen und mich freundlicherweise von dort aus mit und kurz vor dem Start um 8.30 Uhr sind wir nahe der Loreley und laufen zum Besucherzentrum/Freilichtbühne.

Dort geruhen uns nach dem Genuß des „Dreiburgenblicks“ (die Burgen Katz, Maus und Rheinfels auf der anderen Rheinseite) Majestät gnädigst persönlich zu empfangen. Majestät haben langes, güldenes Haar und tragen einen Megakamm mit sich herum. Klarer Fall: Die Loreley höchstpersönlich. Diese leistet man sich nämlich, ähnlich einer Weinkönigin, zur Ankurbelung des Tourismus’. Nach dem Fahnenappell (offiziell und dauerhaft wird das Banner der Aktion „benni & co.“ künftig vor dem Freilichtmuseum wehen) geht es endlich wirklich los. Und das Beste: Majestät hatten unter dem Kleid sonderbares Schuhwerk getragen, in dem die nunmehr Zivilistin Angelika uns nach der Zeremonie bis nach Kaub („Nach Hessen laufe ich aber nicht!“) begleiteten wird.

Mit ihr betreten wir dann den Loreleyfelsen. Dort saß ihre Vorgängerin, die sagenumwobene Blondine, und riß die Schiffer in diesem gefährlichen Rheinabschnitt ins Verderben. Hier kann man sich aus dem Automaten für einen Euro das Lied („Ich weiß nicht, was soll es bedeuten...“) und Gedichte vortragen lassen. Einen steinernen Thron hat man ihr hier gebaut und der eine oder andere nimmt schon mal Platz, völlig erschöpft von den bisher zurückgelegten mörderischen ca. 1,5 km.

Nach verschiedenen Aufs und Abs erklimmen wir den sog. Lennig und haben einen sagenhaften Blick auf das Taubenwerth (Rheininsel). Dahinter liegt Oberwesel mit seiner roten Kirche in der Sonne, welche die älteste bildliche Darstellung von Koblenz birgt, ein ganz besonderer Schatz. Zum ersten Mal erkenne ich auch die weitestgehend erhaltene Stadtmauer und hoffe, daß man diese auf den Bildern erkennen kann (man kann).

In das Urbachtal klettert der Steig durch verwilderte Weinberge über Felsen und Treppen zum Bach, um letztlich die „Alte Burg“ anzusteuern. Tolle, urwüchsige Wege, häufig mit mehr als nur Trailcharakter, lassen uns ins Schwärmen kommen. Hier liegen ausnahmsweise mal nur Steinreste, denn die 1359 erbaute Burg wurde schon kurze Zeit später wieder zerstört. Durch Niederwald und Büsche ersteigen wir die Felsen am Roßstein. Sehr schön sehen wir die Schönburg über Oberwesel.

In der Dörscheider Heide kommen wir zum Gasthof Fetz, wo man uns eine hochwillkommene Überraschung bietet: Als Spende, sozusagen „für lau“, erwartet uns eine Kiste gut gekühltes Erdinger bleifrei und verschiedene andere Getränke, die zu diesem Zeitpunkt schon wichtig sind. Der Planet brennt absolut sommerlich und die heutigen offiziellen 47,6 km mit 1.418 Höhenmetern erfordern einen hohen Flüssigkeitsnachschub. Natürlich haben alle ihre Trinkrucksäcke dabei, aber das mitgeführte, am Rücken gut gewärmte Wasser ist eher weniger lecker. Auf dem folgenden Abstieg werden noch die zahmen Alpakas geknipst und da sich diese zu spucken weigern, wird weitergezogen.

Eine ganz tolle Idee hatte ein Winzer, der in einer Art Heiligenschrein 0,2l-Fläschchen seines Weines gegen 2,50 € zur Sofortverkostung bereitstellt. Gläschen sind auch dabei. Ein solches Schmankerl können wir natürlich nicht links liegen lassen, und so geht es beschwingt weiter auf dem Höhenrücken weiter. Deutschland ist schön!

Das nächste Panorama präsentiert uns Kaub mit seiner Burg Gutenfels und der berühmten Zollburg Pfalzgrafenstein, die seit 1326 wie ein Bollwerk im Rhein ruht. An der Treppe zum Stadteingang steht der Leitbergsturm, der zum Schutz der Dörscheider Pforte erbaut wurde und seit dem Mittelalter bewohnt ist (heute Privatbesitz). Berühmt ist Kaub als Blücher-Stadt: Am Jahreswechsel 1813/14 während der Befreiungskriege setzte der preußische Feldmarschall Gebhard Leberecht von Blücher an der Burg mit 60.000 Soldaten, 20.000 Pferden und 200 Geschützen über den Rhein, um die Truppen Napoléon Bonapartes zu verfolgen und die Franzmänner mal wieder nach Hause zu schicken. Dahin schicken wir auch Loreley Angelika, die unter Beifall verspricht, im kommenden Jahr auch ohne Loreley-Ehren wieder mitlaufen zu wollen.

Vorbei an der Burg Gutenfels und dem Dicken Turm geht es wieder steil hinauf, die Pfalzgrafenstein wird ein letztes Mal gegrüßt und die nächsten km werden wir den Rhein nicht wiedersehen. In Serpentinen führt uns der Weg später ins Niedertal, durch das sich die rheinland-pfälzisch/hessische Landesgrenze („Willkommen im Rheingau!“) zieht. Eine nette Einrichtung ist ein Informationsstand und sogar ein Gästebuch, in das wir uns natürlich eintragen. Den Grenzvogt (den gibt’s wirklich!) wird’s freuen.

Oberhalb Lorchhausens erfreuen wir uns an einem herrlichen schmiedeeisernen Pavillon, den ein örtlicher Schmied gestiftet hat. Mit dem pharadäischen Käfig scheint’s allerdings nicht so zu funktionieren, jedenfalls wird bei Gewitter dringend geraten, mindestens 10 Meter Abstand zu halten.

Nach Durchquerung des „Tors zum Rheingau“ sehen wir bald das Bacharacher Werth, die Wirbellay und Burg Stahlheck. Und natürlich Weinberge ohne Ende, deren Reben bereits gut ausgetrieben haben. Das sensationelle Wetter der letzten Tage hat der Vegetation einen mächtigen Schub gegeben. Welch ein Unterschied: Heute laufen wir hier bei rund 25° unter stahlblauem Himmel, im letzten Jahr quälten uns noch heftige Graupelschauer mit böigem, eiskaltem Wind.

Unterhalb des sog. Nollig wird der Rheinsteig zum Panoramaweg. Das Gelände um die Ruine Nollig herum gehört in Hessen zu den Lebensräumen mit der höchsten Artenvielfalt. Insbesondere finden sich hier Tiere und Pflanzen, die man sonst nur aus dem südlichen Europa kennt. Von der Burgruine führen rund 150 Meter über Schiefer, der in der Sonne glitzert. Hinab nach Lorch geht es durch einen mittelalterlichen Hohlweg und weiter über die Wisperbrücke auf einen Parkplatz, auf dem uns Benjamin, Heidis und Ronalds Sohn, mit einer mobilen Verpflegungsstelle aus dem Kofferraum erfreut. Wir danken es ihm, indem wir jede Menge Chaos verbreiten und verschlingen, was nur geht.

Nach der Verpflegung wird am Friedhof angehalten. Glücklicherweise müssen wir  niemanden spontan entsorgen, nur die leeren Wasserblasen werden hier wieder aufgefüllt. Wieder auf der Höhe, erschreckt den Naturfreund auf der gegenüberliegenden Seite eine riesige Wunde: Neben der Burg Sooneck besteht ein riesiger Steinbruch, in dem Quarzit gewonnen wird. Klar, das Zeug muß ja irgendwo herkommen, wenn es gebraucht wird, aber hier beleidigt das Loch nicht nur mein Auge schon sehr.

Zwischen Kaub und Lorch gab es übrigens mal einen „Freistaat Flaschenhals“, auf den schon am Infostand an der Landesgrenze hingewiesen wird. Das hat den aus heutiger Sicht wirklich grotesken Hintergrund, daß anläßlich der Besetzung des Rheinlands zur Absteckung der amerikanischen und französischen Zone jeweils 30 km betragende Radien um Koblenz bzw. Mainz geschlagen wurden. Beide Kreise trafen sich jedoch nicht genau und ließen einen schmalen Zwischenraum frei, der zwischen 1919-1923 eben diesen sonderbaren Freistaat ermöglichte.

Schleife für Schleife schrauben wir uns wieder nach oben und dort angekommen, ist Trechtingshausen mit seiner weitläufigen Burganlage Reichenstein eine Augenweide. Ob es irgendwo anders noch eine solche Burgendichte wie hier am Rhein gibt? Auf felsigem Pfad gibt es seit neuestem endlich eine Seilsicherung, die den teilweise kriminell nach unten gehenden Trail sichert. Klettern ist phasenweise angesagt. Als besondere Spontaneinlage wird nach ca. 42 km an der virtuellen Marathonmarke Spalier gestanden und die Ultranovizen werden geehrt.

Bald haben uns die Weinberge wieder und durch die Assmannshäuser Lage „Höllenberg“ zieht es uns wieder, jetzt aber für heute letztmalig, unwiderstehlich zum Ziel nach Assmannshausen ins Tal. Das „WWW“ bekommt hier als Weinwanderweg eine völlig neue Bedeutung. Herrliche 48,6 km und rund 1.420 Höhenmeter haben wir heute in phantastischer Landschaft überwunden und genossen. Ultralaufen at its best!

 


 
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