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Laufberichte

Grand Raid Dentelles Ventoux: Trailrun in der Provence

16.05.09

Mit Sabine genieße ich nun die Aussicht. Hier auf dem Gipfel ist viel los, bei diesem Wetter sind auch etliche mit Rennräder unterwegs. Die Neigung auf der Straße beträgt oft über 12% und der Aufstieg ist für viele Radsportler eine Herausforderung. Die Überwindung des Mont Ventoux gehört bei der “Tour de France“ zu den großen Momenten. Unvergesslich bleibt das tragische Ende des Olympiasieger Tom Simpson, der am 13. Juli 1967 am Südhang, einen Kilometer vor dem Gipfel vor Erschöpfung zusammenbrach und starb. Ihm zu Ehren gibt es hier ein Denkmal, zu dem viele pilgern.

Der Verpflegungspunkt bei Kilometer 38 ist erreicht. Nach acht Stunden habe ich den höchsten Punkt hinter mir und beginne mit dem Abstieg. Es geht jetzt auf der steileren Seite wieder herunter. Zuerst laufen wir auf der Teerstraße bergab. Hier kommen uns jede Menge Ferraris entgegen. Sie fliegen wenige Meter an mir vorbei. Ich zähle 30 Stück und der Ferraristrom reißt nicht ab. Der Krach ist ohrenbetäubend und die Beschleunigung aus den Kurven atemberaubend. Hier wurden schon viele Bergrennen ausgetragen. Auch der Formel 1 Zirkus kämpfte hier in den Siebzigern fünf Mal um den Bergsieg. Die Durchschnittsgeschwindigkeit des Siegers betrug unglaubliche 142 km/h

Jetzt verlassen wir die Straße und laufen über endlose Geröllpisten am steilen Abhang entlang.  Hier muss man absolut schwindelfrei sein, sonst kommt man nicht weit. Ich bin wieder langsam, halte an um ein Foto zu machen. Dabei bekomme ich einen Eindruck wie steil das hier ist. Es ist besser langsam weiter zu gehen und sich auf den Weg zu konzentrieren. An Laufen ist nicht zu denken, der Untergrund aus Geröll und der Abhang sind eine Herausforderung,  die mir viel abverlangen.

Der lange und schwierige  Abstieg ist beendet, es geht wieder leicht bergauf. Die Hitze ist nun unerträglich geworden. Als sei das nicht schon hart genug, jagt man uns jetzt über eine Strecke mit abgeschnittenem Geäst. Es sind übereinander liegende Tannen die etwa alle ein bis zwei Meter klein geschnitten wurden. Ich fluche vor mich hin und trotte über die Äste.

Danach geht es auf einem Feldweg weiter. Ich laufe wieder und überhole alle die, die mich bergab überholt habe. Die Hitze ist so schlimm, dass hier außer mir keiner mehr läuft. Die meisten gehen und hoffen auf die nächste Verpflegungsstelle.

Dann ist sie erreicht, Trinkblase auffüllen, Mütze nass machen und weiter geht es. Jetzt geht es ständig steil bergauf und wieder steil berg hinunter. Die Hitze macht mir mehr und mehr zu schaffen. Ich tue mich jetzt mit einem deutsch sprechenden Franzosen zusammen und wir
lenken uns gegenseitig ab.

Wir kommen an einen wunderschönen Flusslauf entlang. Dort kühlen wir uns ab und folgen der Strecke über eine kleine Brücke auf einer Teerstraße. In praller Sonne schleppen wir uns bis zu einem Gehöft. Dort hält uns der Besitzer an und redet mit meinem Französischen Partner, während ich langsam weitergehe.

Wir sind falsch gelaufen, ich kann es nicht begreifen und würde am liebsten meinen Rucksack auf den Boden schmeißen und drauf springen. Aber es nützt ja nichts, wir gehen wieder zurück bis zur letzten Banderole. Wir sind falsch abgebogen, der Weg geht geradewegs das Gebüsch hoch. Später erfahre ich. dass wir nicht die einzigen waren, denen das passiert ist.

Die Wege jetzt sind zwar immer wieder steil aber gut zu passieren. Dafür kämpfe ich mit der Hitze. Mein Wasser ist 30°C heiß und ich bekomme es nicht mehr herunter. Ich schließe mich nun einem Belgier an. Zu zweit leidet es sich besser. Irgendwann verlieren wir uns aus den Augen und der Franzose ist wieder da. Das hilft, die Strecke hier kennt keinen Schatten und führt immer wieder an Hängen mit Weinreben entlang. Dann kommt eine Versorgungsstelle, die kurzerhand wegen der widrigen Bedingungen eingerichtet wurde. Hier gibt es Cola und Wasser. Bis zur nächsten regulären Versorgungsstelle sind es nur 2 Kilometer.  Dort will ich das Wasser meiner Trinkblase wechseln.

Als ich den Punkt erreiche gibt es nur noch wenig Wasser. Alles ist aufgebraucht worden. Ein Helfer bittet mich. doch zu warten bis sie wieder welches bekommen würden. Da ich aber nicht weiß, wie lange das dauert gehe ich weiter.

Der Weg führt abermals auf und ab und ist weiter der Sonne zugewandt. Ich treffe wieder auf den Belgier, der jetzt sehr langsam unterwegs ist. Irgendwann wird der Durst unerträglich und ich nippe an dem Schlauch meines Trinkrucksackes. Das Wasser scheint zu kochen. Dummerweise habe ich beim letzten auffüllen Buffer hineingetan. Jetzt bekomme ich das Zeug nicht mehr herunter. Mir wird schlecht, der Kreislauf macht mir zu schaffen. Deshalb beschließe ich. eine Pause einzulegen, mich hinzusetzen und langsam von dem warmen Wasser zu trinken.

Doch ich finde hier keine geeignete Stelle um mich nieder zu lassen. Der Weg ist links und rechts zugewachsen und bietet keine Möglichkeit zum Pausieren. Dann finde ich einen Stein auf den ich mich setzen kann, doch schon nach einer Minute bemerke ich, dass es hier nur so von Ameisen wimmelt. Also gehe ich weiter bis ich Musik höre. Die Rettung, dass ist die Verpflegungsstelle bei Kilometer 73. Ich habe nur noch wenige 100 Meter als ich mich dann doch übergeben muss.

Ich schleppe mich bis  zur Verpflegungsstelle, dort setze ich mich auf einen Stuhl und werde von den Helfern bedient. Nach wenigen Minuten geht es mir wieder besser. Ich verweile hier zirka eine halbe Stunde und mache mich wieder auf den Weg.

Mein Zeitpolster ist geschmolzen, aber meine Laune ist wieder deutlich besser. Jetzt geht es durch ein Waldstück und die Bäume spenden Schatten. Die Zeit läuft gnadenlos weiter, es kommt mir so vor,  als würde ich überhaupt nicht mehr vorankommen. 

An der Verpflegungsstelle bei Kilometer 80 wartet Sabine auf mich. Sie sitzt in einem Biergarten neben der Strecke. Ich gehe zu ihr und lasse mich für einige Minuten nieder. Ich esse Weißbrot und trinke Cola dazu. Mein Zeitpolster ist jetzt auf anderthalb Stunden zusammen geschrumpft. Am Check Point muss ich eine Gepäckkontrolle über mich ergehen lassen. Sie wollen die Trillerpfeife, die Überlebensdecke und die Regenjacke sehen. Alles kein Problem und im Prinzip ja auch richtig.

Danach, so gegen 21:30 Uhr, verabschiede ich mich von Sabine, werfe meine Stirnlampe an und gehe auf die letzten zwanzig Kilometer. Nach etwa einer halben Stunde überholt mich der Belgier wieder. Danach höre ich. wie sich zwei auf Englisch unterhalten.

Sie holen mich ein und ich komme mit den beiden in Gespräch. Es sind Andre Hall und Fernando Verones, zwei Amerikaner die in Stuttgart leben. Andre spricht hervorragend deutsch. Wir schließen uns jetzt zusammen und unterhalten uns über Gott und die Welt. Da ich überhaupt keine Ahnung habe, bei welchem Kilometer wir uns gerade befinden lasse, ich die beiden schätzen. Fernando glaubt, es sei so etwa Kilometer 92.

Jetzt kommt ein steiler Anstieg, es muss wohl der Anstieg zum Dentelles sein, dem letzten Berg vor dem Ziel. Nach einer halben Stunde setze ich mich kurz und beruhige meinen Puls. Ich lasse die Amerikaner ziehen. Fünf Minuten später bin ich wieder voll da. Noch vor dem Gipfel habe ich die Amerikaner wieder eingeholt. Jetzt laufe ich wieder mit Andre und Fernando zusammen, wir erkennen eine Station. Andre fragt mich, ob das das Ziel sein. Ich verneine, es ist die letzte Verpflegungsstelle bei Kilometer 91.

Ich höre von Fernando ein lautes: „No, no, no“ Er kann es nicht glauben. Es ist aber so, anderthalb Stunden nach seiner 92 Kilometer-Schätzung  haben wir Kilometer 91 erreicht
Wir sind jetzt 21 Stunden unterwegs und bewegen uns nun Richtung  Ziel. Die letzten Kilometer sind nicht mehr schwer und wir kommen nach 22 Stunden und 25 Minuten vor der Halle in Gigondas an.

Der Zieleinlauf ist absolut unspektakulär. Es sind nur eine Handvoll Läufer und eine weiter Handvoll Helfer vor Ort. Unserer Stimmung tut das aber keinen Abbruch. Wir bekommen ein Finishershirt, eine Medaille und die Urkunde.

Fazit
Ein toller Trailrun, der in Deutschland leider zu wenig bekannt ist. Die Organisation ist perfekt  und an Freundlichkeit kaum zu überbieten. Einziges Manko, es gibt an keiner Verpflegungsstelle etwas Warmes zu Essen. Eine Nudelsuppe oder eine Brühe haben mir gefehlt.


 

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