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Laufberichte

GP BERN: Bern schlägt Berlin

13.05.12

Durch die Herrengasse geht es auf den Münsterplatz. Mit dem Gerüst am Turm und bei diesem Wetter wirkt dieses Weltkulturerbe, die größte und wichtigste spätmittelalterliche Kirche der Schweiz, unscheinbar. Die Läufer, schon wieder am Einbiegen auf die Münstergasse und in die Gegenrichtung, haben tendenziell die Blicke auch eher auf den Boden als auf die Turmspitze in hundert Meter Höhe gerichtet. Sie tun gut daran, denn das nasse Kopfsteinpflaster fordert in diesen Kurven sonst seinen Tribut.

Beim "Zytglogge" biege ich wieder in die Kramgasse ein, welche für mich zu Beginn des GP eine Begegnungsstrecke erster Sahne war. Das Gefälle verleitet mich zu zügigem Rollen. Zu forsch, wie ich feststellen muss. Beim vierzehnten Kilometerschild büße ich dafür, dass ich bei dieser kühlen, nassen Witterung mit dem Fotografieren und dem damit verbundenen ständigen Stoppen und Anlaufen zu unbeschwert war. Ein Ziehen in der Achillessehne lenkt mich ab, ich laufe unsauber und ernte dadurch ein kräftiges Zwicken im linken Wadenansatz. Ausgerechnet für den Schlussaufstieg, den Aargauerstalden hoch, ist es mir nicht mehr möglich vorfuß zu laufen.

Gut, dann mache ich beim vierten Verpflegungsposten mal gemütlich und quäle mich den Berg hoch. Ich hätte genügend Puste in der Lunge und ausreichend Kraft in den Beinen, um diese Höhenmeter schwungvoll zu meistern. Dumm nur, dass ich mit dem linken Bein wie auf rohen Eiern gehen muss. Trost ist es keiner, dass andere zwar unverletzt sind, sich aber mit der Grundkondition schwertun.

Für den letzten Kilometer bleibt mir noch mehr als eine halbe Stunde bis Zielschluss. Notfalls könnte ich den also auch auf einem Bein oder auf allen Vieren hinter mich bringen. Ablenkung bieten eine weitere Musikformation und noch eine von zwei zusätzlich zu den Verpflegungsposten eingerichteten Wasserstellen.

René läuft rückwärts und versucht als Zeitläufer für 1:30 möglichst viele Teilnehmer, die bis hier dranbleiben konnten, innerhalb des Limits ins Ziel zu ziehen. Da ich nach ihm gestartet bin, werde ich meine eigene Richtzeit auch erreichen können.

Nachdem dies geschafft ist, kann ich die Ankunft der Nachfolgenden auf mich wirken lassen. Von unbändigem Jubel zu stiller Freude ist alles spürbar, die ganze Palette von Freudentänzen  bis zu einem ebenso aussagekräftigen Zusammenkneifen der Augen ist vertreten. Ich freue mich zu sehen, was das Laufen und das Erreichen des Zielbanners, welches stellvertretend für ein übergeordnetes Ziel steht, an Emotionen auslösen könen. Sicher, ich sehe auch enttäuschte Gesichter. Hat es mit der angestrebten Zeit nicht geklappt oder was ist sonst schief gelaufen? So wenig ich die Antwort kenne, so sehr steht fest, dass alle, die hier mittun können, sich über die ihnen geschenkte Gesundheit und die Selbstdisziplin freuen dürfen, welche ihnen die Zielankunft erlaubt haben.

Beim Gang zur Zielverpflegung, bestehend aus Banane und einer Trinkflasche mit Iso, gibt es zwei Kanäle. Einer ist für diejenigen, die bei der Anmeldung eine Zuzahlung geleistet haben und nun dafür die schmucke Finishermedaille entgegennehmen dürfen. „Was?“, höre ich rufen, „die Medaille ist in Berlin aber in der Anmeldegebühr dabei!“ Stimmt, dafür ist die Gebühr einiges höher und es gibt nicht ein Teilnehmergeschenk, dessen Ladenpreis bereits diesen Betrag übersteigt. Auch die Fahrt mit dem ÖV ist  in Berlin nicht inbegriffen und für die Anreise mit der Bahn gibt es keine Ermäßigung. Also noch ein paar Punkte mehr für den Berner Sieg?

Nein, ich lasse mich nicht auf das Niveau herab, in welchem dem Nachbarn mit der Kavallerie gedroht wird, umgekehrt postuliert wird, es hätten sich zu viele Bürger aus dem Nachbarland niedergelassen. Nein, ich genieße jeden gut organisierten Lauf, ob in Bern, Berlin oder irgendwo in der Provinz, bei welchem ich mich rundum wohlfühle. Dazu freue ich mich, jeweils Lauffreunde aus verschiedenen Ländern und Regionen kennenzulernen und wiederzusehen. Ich will ja nicht mich selbst schlagen…

 

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