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Laufberichte

Cracovia (Krakau) Maraton: Vor historischer Kulisse

18.05.14 Special Event
 


Wir Läufer belegen jetzt erst mal ganz schnöde eine breite Stadtautobahn. Einer Unterführung mit ohrenbetäubendem Gejohle folgt erneut eine der vielen Begegnungsstellen. Kurze Zeit später dann wieder eine nette Gegend. Wir sind in der Altstadt von Podgórze. Ein bisschen wellig ist die Laufstrecke hier. Eine blaue Stahlbrücke mit Straßenbahngleisen kommt mir bekannt vor:  Gibt es so was nicht auch in Dresden? Leider sieht man unterwegs (fast) keine Trambahnen, nur viele Gleise, da auch Krakau über ein sehr großes Netz verfügt. Die Strecke ist komplett vom öffentlichen und Individualverkehr abgetrennt. Hupende Autos hört man nicht, aber auf einmal Halleluja-Gesänge. Dehydriert? Ein rot gewandeter Damenchor singt schmissig kirchliche Lieder.

 

 

Links eine Baustelle, bei der ein renovierter Altbau in einen Neubau integriert wurde. Interessant, aber keine Chance, das irgendwie zu fotografieren. Wir legen noch ein paar Schlenker hin und erreichen bei km 17 die nächste Wendestelle.

Vor zwei Wochen dachte ich noch: Na, da kann man ja wunderbar abkürzen. Über die Weichsel, und schon bist du bei km 38. Dann wurde die Umrundung der 1949 gebauten Trabantenstadt Nowa Huta mitsamt des Stahlwerkes wegen einer Baustelle gestrichen und die Strecke in südlichere Industriegebiete verlegt. Und eine Woche vor dem Marathon noch mal ein polnischer Newsletter: Die Ausweichstrecke sei „zu gefährlich“. Dieses Jahr seien also zwei Runden zu laufen. Geplant war hier die Weichselüberquerung und auf der anderen Seite die Rückführung Richtung Wawel. Am Samstagabend auf der Pastaparty schließlich die finale Streckenänderung: Die „Trasa“ musste wegen des Hochwassers letztendlich auf der aktuellen Weichselseite bleiben. Da soll noch einer sagen, Marathonlaufen sei nicht aufregend. Immerhin wurde kein Orientierungslauf daraus!

Nowa Huta haben wir uns am Montag angesehen und festgestellt, dass die übliche  Laufstrecke Aleja Jana Pawła II wirklich komplett aufgerissen ist. Die alten Gebäude in Nowa Huta machen einen durchaus stalinistischen Eindruck. Nächstes Jahr kann man den Stadtteil, in dem 200.000 Menschen leben, wahrscheinlich wieder laufend erkunden.

Jetzt also zurück zu den Halleluja-Sängerinnen. Podgórze hat eine eher unrühmliche jüngere Vergangenheit: In den 1940er-Jahren wurde hier das Getto eingerichtet. Die aus dem Film „Schindlers Liste“ bekannte Fabrik liegt in der Nähe und ist heute Ziel vieler Besichtigungstouren. Das Zentrum ist sehr hübsch: Die neugotische St.-Josephs-Kirche schauen wir uns am Abend noch mal an, als sie stimmungsvoll illuminiert ist. Zum 20:00-Uhr-Gottestdienst ist die Kirche voll, viele Gläubige müssen stehen. Eine schöne, moderne Fußgängerbrücke (finanziert aus dem EU-Infrastrukturfonds) verbindet Podgórze mit Kazimierz, dem ehemaligen jüdischen Viertel mit vielen Synagogen: Hier locken inzwischen viele schöne Kneipen und Lokale nicht nur Touristen, sondern auch Einheimische an. Absolut empfehlenswert.

Mein Zwischenziel habe ich bald erreicht: Der führende Läufer Edwin Kirui, der in 2:15:17 finishen wird, überholt mich bis zur Abzweigung bei km 21 nicht!

Nun also die zweite Runde. Da es keinen Halbmarathon-Wettbewerb gibt, bleibt das Feld weiterhin dicht. Die Altstadt betreten wir erst wieder am Ende des Laufs. Die Verpflegungstellen sind immer noch voll ausgestattet. Die Anzahl der Tische muss man sehr positiv hervorheben, es gibt keine Staus, da in unendlich langen Reihen Wasser, Bananen, ISO, manchmal auch Schokolade und  Zuckerwürfel angeboten werden. Die Helfer/innen, ausgewiesen durch Hemden mit dem Aufdruck „Steward“, sind allesamt aus Schulen angeworben und haben viel Spaß an ihrem Job. Einmal erwische ich ein in Zucker gewälztes Bananenstück. Auch nicht schlecht. Vor der Schokolade möchte ich dagegen warnen: Sie verklebt den Mund. Selbstverständlich für einen Stadtmarathon dieser Größe sind auch die zahlreichen Toilettenhäuschen.

Als herausragendes Erlebnis der zweiten Runde entpuppt sich ein plötzlicher Regenschauer. Die  entsprechenden Pfützen im zusammengestückelten Straßenbelag veranlassen einige Wasserscheue zu tollkühnen Sprüngen. An einer Stelle werden wir professionell angefeuert. Der Sprecher ruft immer etwas von Monte Cassino in sein Mikrophon. Heute ist der 70. Jahrestag dieser Schlacht in Italien, an der sehr viele Polen heldenhaft teilnahmen. Vielleicht will er da Vergleiche zu unserem heldenhaften Lauf anstellen? Im nahen Park wird anscheinend eine Skulptur des polnischen Bären Woitek aufgestellt, der in Monte Cassino wichtige Kriegsdienste leistete (nähere Info im Danzig-Bericht).

Auf Regen folgt bekanntermaßen Sonne und so nehmen wir das Ganze als willkommene Erfrischung.

Ein Barfußläufer, der oft mit seiner polnischen Fahne bei Marathons unterwegs und auch auf M4Y hin und wieder zu sehen ist, hat diesmal einen Begleiter im Rollstuhl dabei.

 



Ich trödle so dahin, werde immer noch oft überholt und freue mich über zahlreiche Zuschauer mit Dackeln. Wenn die wüssten, dass sie hier das „Wappentier“ der Olympiade in München 1972 spazieren führen. Ein Hund muss sogar mitlaufen. Krakau veranstaltet übrigens auch einen traditionsreichen „Dackelmarsch“ (Marsz Jamników) - allerdings in gemächlicherem Tempo. Die Begegnungsstellen bieten mir die Möglichkeit, nach bekannten Gesichtern Ausschau zu halten.

Bei Kilometer 40 nach der Weichselbrücke schwenken wir an einer mit Zuschauern dicht besetzten Stelle unter lauten Disko-Klängen auf die Zielgerade ein. An der Uferpromenade geht es direkt Richtung Wawel. spürbar bergauf. Der Rynek liegt 20-30 Meter höher. Links das Gebäude des erzbischöflichen Priesterseminars. Kilometer 41 kommt irgendwie zu früh, was ja nicht schlecht ist. Rechts die romanische St.-Andreas-Kirche, daneben St. Peter und Paul. Der Laufweg ist gesäumt von Zuschauern. Viele davon feuern uns an oder genießen in den unzähligen Cafés den schönen Sonntagvormittag. Km 42, vor uns der Rynek. Die letzten 100 Meter auf dem Marktplatz Richtung Marienkirche. Zum x-ten Male überholt mich ein Läufer in gelb-weißer Hawaiihose und Baumwollhemdchen, mit dem ich mir über viele Kilometer ein Katz- und Mausrennen geliefert habe.

Nach 4:22:40 Stunden bin ich im Ziel. Na ja, da ist leistungsmäßig schon noch Luft nach oben. Dann diese schöne Medaille. Getränke und eine Zielverorgungstüte mit zwei Energieriegeln. Bonbons, Salzcrackern, Banane, Apfel, Tomatensaft, ISO. Massagen und Duschen gleich in der Nähe.

Judith empfängt mich mit den Worten: „Jetzt warte ich schon fast 45 Minuten“. Noch Fragen?

Dieses Jahr gab es eine phänomenale Steigerung um 21 Prozent auf  5377 Finisher, darunter 680 Frauen. Damit setzt Krakau sein rasantes Wachstum fort und der Veranstalter hat gezeigt, dass er das ohne Probleme stemmen kann. Deutschland ist nach meiner Zählung mit weniger als 30 Startern vertreten, darunter 5 Frauen. Da hat dieser Marathon in dieser schönen Stadt doch noch mehr Interesse verdient. Noch ein Tipp: Für die einzelnen Altersklassen (10-Jahres-Blöcke) gibt es auch Geldpreise. Der dritte Platz - den Judith knapp verpasste – bringt noch 125 € ein.

Der einzige Wermutstropfen war dieses Jahr sicher die Strecke, die für meinen Geschmack (auch in der Standardversion) zu viele langweilige Stellen aufweist. Wenn die 20 Kilometer nach Nowa Huta wieder gelaufen werden, ist es sicher interessanter. Wir müssen also wieder herkommen.

In Krakau könnte man noch ein paar Tage länger bleiben. Interessante Museen und Kirchen gibt es genug. Ausflüge bieten sich in die Hohe Tatra an, auch ein Salzbergwerk gibt es hier.

Zusammenfassung:

- Lohnendes touristisches Marathonziel (preisgünstig: Lauf 15-30€, Nachmeldung 40 € (am besten Euro überweisen, sonst sind horrende Gebühren der deutschen Banken zu zahlen). 0,5 l Bier im Lokal 2 €, Nudelgericht (Makaron) 4€)
- Zeitnahme mit Einwegchips in der Startnummer an mehreren Stellen
-  Konstant steigende Teilnehmerzahlen, zunehmend international (Ukraine, Großbritannien, Italien, Spanien).
- Gut organisiert: Alle wichtigen Informationen in Englisch, außerdem sprechen viele Polen gut Englisch.
- Drei Tage kostenlose Benutzung der öffentlichen Verkehrsmittel mit der Startnummer
-  Funktionsshirt und prall gefüllte Zielversorgungstüte
- Sehr gute Streckenverpflegung
- Keinerlei Störung durch Individualverkehr.
- Viele Zuschauer an Hotspots, leider sehr wenig musikalische Unterhaltung
- Diplom mit persönlichem Zielfoto im Preis enthalten

Ergebnisse Männer:
1.    Edwin Kirui (KEN) 2:15:17
2.    Taras Salo (UKR) 2:17:54
3.    Vasil Matviychuk (UKR) 2:19:34

Ergebnisse Frauen:
1.    Elizabeth Chemweno (KEN) 2:38:06
2.    Gladys Biwott (KEN) 2:41:04
3.    Magdalena Skarzynska (POL) 2:58:07

5377 Finisher

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