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Laufberichte

Baroko Marathon CZ

08.09.12

Durch die locker stehenden Bäume sehe ich immer wieder einmal das pinkfarbene Shirt blitzen. Wurzeln, Kiefernzapfen, ich muss aufpassen, wo ich meine Füße hinsetze. Und immer wieder aufschauen, denn die Wegmarkierungen sind rot-weiße Absperrbänder, vorzugsweise auf Zweigen in eineinhalb m Höhe festgeknotet. Dann entlang eines Feldes, km13, bauschige Wolken ziehen am Himmel, rechts der Blick hinab in ein Flusstal, sehr malerisch. Stetiger Anstieg, nach km15 gibt es bei einem Bauernhof wieder eine Labestelle. Mutter mit zwei Töchtern, wie es scheint.

Mangels Sprachkenntnisse kommt kein Gespräch auf. Ist mir momentan auch nicht wichtig, ich fühle mich schon ziemlich ausgelaugt. Ich brauche Energie! Trinken und Flasche aufgefüllt, weiter. Hier ist man ziemlich weit oben, man sieht links und rechts runter. Das muss der Höhepunkt sein! Bei km17 mein PowerGel, wie fast immer in einem Marathon.

Kurz darauf überhole ich einen sehr langsamen Läufer. Ich frage mich, wie er es mit diesem Tempo schaffen konnte, so lange vor mir zu bleiben. Des Rätsels Lösung erfahre ich auf der Ergebnisliste: er ist als einziger bereits um 09h30 gestartet. Ich komme an einer Fabrik vorbei, scheint leer zu stehen.

Als ich aus dem Wald rauskomme, steht da ein Streckenposten in Signalweste. Er warnt die Autofahrer. Dann endlich, endlich wieder tadelloser Asphalt, mit Gefälle! Ich kann Tempo machen und fliege nahezu nach Manětín (dt.: Manetin) hinunter, wo ich wieder auftanken kann. Die imposante Kirche am Ortseingang ist hochgradig baufällig. Manetin wird als Barockperle Westböhmens bezeichnet, von der Laufstrecke aus ist das aber nicht zu erkennen. Auf einer ebenfalls baufälligen Brücke überquere ich den Manětínský Bach, der von Heiligenfiguren gesäumt ist. Nun führt die Strecke den Bach entlang, vorbei an der Beršův Mühle. Schließlich erreiche ich die halbe Distanz.

Km21 nach 2h32min; Doppelte rote Rufzeichen warnen vor dem kommenden Streckenverlauf, Absturzgefahr!! Für kurze Zeit wird die Strecke ein Single-Trail, bevor es wieder runter an den Bach geht. Mehrfach überquere ich die kommenden Kilometer den Bach, oftmals auf Brücken mit abenteuerlichen Spaltmaßen, teilweise Geländer nur auf einer Seite und immer wieder höchst wackelig. Ich habe mit dem unebenen Boden zu kämpfen.

Als ich von weitem die Labestelle bei km25 sehe, läuft die Dame in Pink gerade weg von dort. Mir steht ein 2km Anstieg bevor, daher fülle ich meine Flasche auf und vergönne mir ein Stück Banane, mit Salz. Die Coubův Mühle, ein Gasthaus, liegt am Fluss Střela, hier am Beginn des Anstiegs. Die Gäste kümmert es gar nicht, dass da ab und zu jemand mit einer Startnummer vorne drauf vorbeikommt. Über den Fluss und 2km relativ steil bergauf durch den Wald, oben geht es mir besser. Km27. Die Sonne scheint und ich genieße den Ausblick. Nun ein leichtes Gefälle an dessen Ende zwei junge Mädchen bei der Labestelle ausharren. Denen ist furchtbar laaangweilig!

Das Gefälle wird steiler und ich komme wieder ins Flusstal, mit Wochenendhäuschen.  Ein Minibagger arbeitet auf meiner Ideallinie, der Umweg den ich deswegen machen muss ist aber geringfügig.

Wieder doppelte Rufzeichen, diesmal führt der Weg ein Stück an einer Felswand entlang. Bei den nächsten Wochenendhäusern verscheucht eine Frau kläffende Hunde, die auf mich zulaufen. Überhaupt scheint hier in jedem Häuschen ein Hund zu wachen und alle bellen gleichzeitig. Die meisten zum Glück hinter einem Zaun.

Für 500m darf ich wieder auf eine richtige Straße, bevor es runter geht nach Mladotice. Das Fräulein an der Labe befüllt mir meine Flasche, während ich den Kuchen mit Wasser runter spüle.

Km31 und ich bin fast 4 Stunden unterwegs. Hier wird wieder an der Pipeline gearbeitet vermute ich. Für die Halbmarathonis war hier km10, die sind aber schon alle im Ziel. Ich gewinne wieder an Höhe, links gelb blühende Senffelder, rechts Wald, vor mir auf der Straße fordern die lockeren Steine meine ganze Aufmerksamkeit. Wieder quere ich eine asphaltierte Straße, wieder wird der Verkehr vom Sicherheitspersonal gewarnt.

Bei km33 ein 2km langer und flacher Anstieg. Eine schöne Strecke für ein Mountainbike, ich spüre aber jeden der scharfkantigen Steine durch die Sohle durch.
Sehr schmerzhaft, dabei sind meine Schuhe noch jung und haben gerade einmal 400km absolviert. Für hier sind sie aber gänzlich ungeeignet. Dennoch sehe ich zwei Läufer vor mir,  ich komme ihnen näher! Kurz bevor ich die Labe bei km35 erreiche, machen die beiden sich wieder auf den Weg.

Sehr zu meiner Freude wird die Bodenbeschaffenheit wieder erträglich. Es geht noch einen km bergauf. Den ersten der beiden erreiche ich knapp vor km36. Er scheint vorhin gesehen zu haben, dass ich mit meinem Shirt wohl kein Tscheche bin. Obwohl ich ihn mit „Ahoi“ begrüße sagt er „Sch…dreck“. „Wir sind fast fertig!“ „Ja, wenige Minuten!“ Wir wünschen uns „Alles Gute“ und ich bin weg.

Nach Žebnice runter wieder eine Labe, Technomusik dröhnt aus dem VW-Bus.

Km38 nach 5 Stunden; Startnr. 205 ist mit dem Imbiss bald fertig und läuft wieder los. Ich beeile mich etwas und habe ihn bald eingeholt. Auf Asphalt läuft es, bis mich drei Fotomotive bremsen. Vor allem, dass wir beklatscht werden ist mir seit dem Start nicht mehr passiert. Am Ortsende von Žebnice ist noch ein leichter Anstieg und dann bin ich bei ihm. Er heißt Michal. Er informiert mich, dass es nun keinen Anstieg mehr gibt, dass er hier zum zweiten mal läuft und dass der Streckenabschnitt auf tschechisch „Hölle“ heißt. Er erfährt von mir, dass Linz einen ultraflachen Marathon hat im April, einen tollen BergUltraMarathon Ende August und dass ich hier bisher noch nicht gelaufen bin.

Also runter in die Hölle auf der Forststraße. Wir unterhalten uns, als wir auf einen Läufer auflaufen. Der bewegt sich ziemlich unrund, Muskelprobleme stelle ich fest. Er bremst uns. Es dauert etwas, bis ich eine Stelle zum Überholen ausgekundschaftet habe. Ganz rechts außen überhole ich und laufe zügig weiter. Über einen Bach drüber, ein kurzer Anstieg und ich bin auf der Straße nach Plasy. Ab jetzt keine losen, spitzen Steine mehr, keine Wurzeln und keine schiefen Feldraine mehr! Einfach ebener Boden.

Die Labe bei km39 beanspruche ich nur ganz kurz. Die Fußgängerbrücke über den Fluss Střela schwingt gewaltig als ich darüber laufe. Mountainbiker begegnen mir und nicken mir freundlich zu.

Dann schließt sich der Kreis. Die letzte Holzbrücke war auch die erste, noch 2km. Hier lagern einige junge Mädchen und johlen und klatschen als ich ankomme. Ich muss lachen. Kurz vor dem Zielgelände treffe ich auf Mike und Hannes. Hannes filmt, Mike macht die Welle. Ich habe es schon befürchtet, es geht nicht direkt ins Ziel, sondern erst noch eine  Runde auf der großen Wiese! Als ich die Runde beginne, ruft mir Mike nach: „Da kommt einer!“

Es ist Michal, wie ich nach ein paar hundert Metern feststelle. Wir laufen nebeneinander und überholen 300m vor dem Ziel noch zwei Teilnehmer. Auf der Zielgeraden aber hängt er mich ab und ist 8sec vor mir im Ziel.  

Hannes filmt, Mike knipst und im Nu bekomme ich eine Erinnerungsmedaille umgehängt. Ich gratuliere Michal, er mir auch.

Ich bin im Ziel. Nach 5h 20min 40sec  Die Zeit von Mike:  3h 27min 09sec  Damit ist er 9. und genau eine halbe Stunde hinter dem Sieger. Hannes serviert mir Würstel und Bier.

Man kann sich massieren lassen, Duschen suchen wir vergeblich. Die Musik kann sich hören lassen: Led Zeppelin, Aerosmith, Red Hot Chili Peppers…

Wir sitzen in der Wiese und tauschen unsere Erfahrungen aus. Hannes ist nicht weit gelaufen, hat dafür aber viele Leute kennengelernt. Monika ist den Halbmarathon trotz 1km extra, schlechtem Geläuf und 340 Höhenmetern in fast genau 2 Stunden gelaufen und damit ganz weit vorne in der Ergebnisliste.      

                                                       
Dann kommt Chin-te Huang ins Ziel. Kurz darauf bekommt er sein Diplom ausgehändigt als am weitesten angereister Läufer. Viel weiter geht es kaum: Chin-te Huang ist aus Taiwan.  Letztlich schafften es 99 Marathonis ins Ziel.
Zum abschließenden geselligen Beisammensein mit erstklassiger Küche, niedrigen Preisen und deutschsprachigem Personal können wir guten Gewissens gleich beim Kloster Plasy das Restaurant „Rudolf II“ empfehlen. Rudolf II war bis 1611 König von Böhmen, Kaiser des Heiligen Römischen Reiches,  König von Ungarn und Erzherzog von Österreich (1576–1608).

Noch mehr Geschichtliches: Anno 1145 erhielten 9 Zisterzienser aus Oberfranken den fürstlichen Hof in Plasy (dt.: Plaß) als Kloster. Dazu noch ein paar Dörfer. Gestiftet von Vladislav II und seiner Frau Gertrud von Babenberg. 200 Jahre später herrschte dieses Zisterzienserkloster bereits über 50 Dörfer und war das geistliche und wirtschaftliche Zentrum im Rakonitzer Bergland. Wie es sich für ein Zisterzienserkloster gehörte, wurde es an einem Fluss gegründet, der Střela (dt.: Schnella). Die Mönche bauten  im Mittelalter einen Kanal, der durch das Klostergelände führte. Damit konnte man ein Sägewerk und eine Mühle antreiben.

Der tschechische Theologe Jan Hus beanstandete die römisch-katholische Kirche ob ihrer Sittenlosigkeit und war auch gegen den Ablasshandel: Vergebung der Sünden gegen Bezahlung. Er wurde zum Konstanzer Konzil geladen und nach Verhören aufgefordert, seine Lehre zu widerrufen. Was er nicht tat. Im Sommer 1415 wurde er, trotz Zusage des freien Geleits, hingerichtet und samt seiner Schriften verbrannt.

In den folgenden Hussitenkriegen wurde das Kloster von Plasy 1421 niedergebrannt.

Das Eigentum des Klosters umfasste hundert Jahre später nur mehr sechs Dörfer. Am 8. November 1620 unterlagen die böhmischen Stände in der Schlacht am Weißen Berg bei Prag der katholischen Liga. Das Kloster erhielt in Folge viele ehemalige Besitztümer zurück und konnte die Klostergebäude neu aufbauen, barock. 

1785 wurde das Kloster aufgehoben (Reform von Kaiser Josef II), der große Besitz ging an den Religionsfond. 1826 kaufte der österreichische Außenminister Fürst Metternich die Herrschaft Plasy. Das ehemalige Kloster wurde zu einem Schloss mit englischem Landschaftspark.

Nach Ende des Zweiten Weltkriegs wurde das Fürstenhaus Metternich enteignet.
Während der kommunistischen Herrschaft verfiel das Baudenkmal. Der barocke Keller wurde 1960 bei Errichtung eines Bunkers zerstört.

Mit der Instandsetzung der Klostergebäude wurde 1993 begonnen. Vieles kann heute besichtigt und benutzt werden, vorausgesetzt, man ist zwischen 10h und 16h da. Im Kloster soll ein Zentrum für Architekturgeschichte eingerichtet werden, in der ehemaligen Klosterbrauerei soll ein Museum entstehen. In der Klosterkirche befinden  sich eine Orgel aus dem Jahre 1688, holzgeschnitzte Altäre und ein Reliquienschrein des Heiligen Antonius. Wer noch nicht verheiratet ist – hier kann man heiraten, 20km nördlich von Pilsen.

Innen ist schon vieles renoviert, das riesige Dach ist funkelnagelneu, die Fassade wartet noch auf ihre Instandsetzung. 

Im Startgeld von 20,- EURO inklusive Zeitnehmung gab es u.a.:

Ein schwarzes Baumwollshirt mit Wappen/Logo,

eine abwechslungsreiche, kurzweilige Strecke, selten eben, fast nur über Wiesen, Felder und durch Wälder.

Schatten in den Tälern, auf den Höhen sonnig und angenehm windig.

Wohlfühltemperatur den ganzen Tag.

Genug Občerstvení (=Versorgungsstellen) mit Wasser, Iso, Bananen, Apfelstücken, Salz und Schokolade

700 Höhenmeter

Zeitnehmung: Massenstart mit Lichtschranken im „Cíl“.

 

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