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Laufberichte

50facher Triathlon in Monterrey: Das Interview

25.11.09

marathon4you: Noch einmal zum Wettkampf: Wir haben gelesen, dass Du nahe dran warst, bei der Hälfte aufzugeben. Warum konntest Du weiter machen?

Marcel: Mich hat die enorme Distanz nach drei Tagen einfach erschlagen! Man darf bei solchen Distanzen nie an morgen oder sogar an das Ende denken. Obwohl ich das weiß, habe ich   versucht mir vorzustellen, dass ich noch sieben weitere Tage diese Prozedere durchstehen muss. Das war zu viel. In diesem Augenblick stand ich den Tränen nahe, da ich mir es einfach nicht vorstellen konnte. Ich verzweifelt. Das Ganze auf fünf Tage zu begrenzen, war in dem Fall meine Rettung. Ich hatte nicht mehr diesen enormen Druck und von da an hat es auch wieder Spaß gemacht. Ich lebte, schwamm radelte und lief nur heute. Und dann wieder morgen. Step by Step!

marathon4you: Was ist in solchen Situationen wichtiger, die körperliche oder die mentale Fitness?

Marcel: Absolut die mentale Fitness! Körperliche Fitness ist zwar auch bedeutend, aber wenn mental nichts mehr funktioniert, dann bringt dich der fitteste Körper der Welt nicht vorwärts. Alles, worum es eigentlich geht, ist die mentale Fitness – im Beruf, im Alltag und in zwischenmenschlichen Beziehungen!

marathon4you: Wie machst Du das? Der Po ist wund, und doch setzt Du Dich aufs Rad. Die Beine schmerzen, aber Du läufst weiter. Mal ehrlich, nimmst du Medikamente, Schmerzmittel zum Beispiel?

Marcel: Ein wunder Po, Verlust der Zehennägel oder müde Beine sind Dinge, die ich im Voraus  einkalkuliert habe und die ich kenne. Von daher ist es bei solchen Wettkämpfen fast normal! Es sind auch Dinge, die bei guten hygienischen Zuständen medizinisch total ungefährlich sind. Wundstellen sind halt unangenehm, aber nicht mehr und ich weiß, dass eine Woche nach dem Wettkampf wieder alles verheilt ist. Bei den Beinen ist es ähnlich. Wir alle kennen das Gefühl in den Beinen, wenn wir mal den ganzen Tag unterwegs gewesen sind – auf Messebesuchen oder Freizeitparks usw. Die Beine schmerzen nicht,  sind halt müde. So war es bei mir auch immer während der letzten Kilometer – also auch ein Zustand, der medizinisch ungefährlich ist.

Anders sieht es bei orthopädischen Schäden aus. Ich bin davon verschont geblieben und hatte diesbezüglich überhaupt keine Probleme. Weder an der Achillessehne, den Gelenken oder am  Schienbein.  Wenn das der Fall gewesen wäre, dann hätte ich den Rekordversuch vermutlich nicht beenden können. Medikamente sind da keine Lösung und ich bin da ein absoluter Gegner, da die Nebenwirkungen wesentlich größer sein können als der vermeintliche kurzfristige Nutzen. Ich möchte nicht später die Rechnung für meinen Sport bezahlen müssen. Bei allen extremen Leistungen versuche ich den Körper so stark wie nur möglich zu schonen und ihm vor allen Dingen die nötige Regenerationszeit zu geben. Anderenfalls wären diese Leistungen auch nicht möglich.

Ich habe innerhalb eines Jahres jetzt drei gigantische Wettkämpfe (10facher Ironman, Europalauf und 10 Tage-Triathlon -  Anmerk. der Red.) bestritten – das wäre nie gegangen, wenn ich auch nur in geringester Weise körperlichen Raubbau betrieben hätte.

marathon4you: Hattest Du vor Ort moralische Unterstützung und war es hilfreich oder eher belastend, dass Deinen Rekordversuch zuhause tausende Sportfreunde im Internet verfolgten?

Marcel: Es ist beides! Auf der einen Seite erhöht eine öffentliche Präsenz den Druck, da viele Dinge kritisch beäugt werden. Daran musste ich mich gewöhnen. Ich kann es aber nachvollziehen, dass es vielen Leuten die Sprache verschlägt und ich finde es auch normal, dass derartige Leistungen für viele unnormal sind. Für mich ist es allerdings nicht unnormal, da ich in der Materie drin stecke und weiß, was ich tun muss, um diese Distanzen ohne körperlichen Raubbau zu beenden.

Der größte Teil der User ist für mich aber sehr unterstützend. Die Leute denken zwar, ich sei eine Maschine und vielleicht bin ich das auch während des Wettkampfes ein Stück, aber ich bin vor allem und in erster Linie ein ganz normaler Mensch und benötige auch die sozialen Bindungen, gerade in solchen Extremsituatione.  Jegliche Art von mentaler Unterstützung gibt mir dabei  sehr viel Energie. Zum Beispiel habe ich auch Sandra sehr viel zu verdanken. Ohne sie hätte ich es nie geschafft. Allein ihre Anwesenheit in der Nacht war für mich eine große Sicherheit. Gerade bei der Laufeinheit war ich nachts immer allein im Park unterwegs. Da war es sehr angenehm, im Zeitmeß- und Betreuerbereich Sandra alle zwei Kilometer zu sehen. Sonst ist man in der dunklen Nacht völlig alleine. Hinzu kamen dann noch nach drei, vier Tagen Halluzinationen. Das ist dann der Teil, wo man durch die Hölle muss. Ab und zu musste Sandra mich bei einer Laufrunde auf dem Rad begleiten und mir erklären, dass es sich nur um Halluzinationen handelt. „Du bist nur müde, mehr nicht!“ Ok, wenn das alles ist, dann ist ja alles im grünen Bereich!

marathon4you: Wie war es mit ärztlicher Betreuung?

Marcel: Wir hatten 24 Stunden eine Ärzteteam der Universität vor Ort. Vor und nach dem Wettkampf erfolgte jeden Tag eine Pflichtvorstellung beim Arzt. Es wurde der Flüssigkeithaushalt analysiert, Urinproben entnommen, Körpertemperatur festgestellt und weitere kurze Checks vollzogen. Erst wenn der Arzt sein OK gab, durften die Athleten am jeweiligen Tag starten. Am siebten Tag, wo es mit meiner Erkältung losging, konsultierte ich zudem die Ärzte und sie checkten, inwieweit die Erkältung mich beeinflusst und ob ich aus medizinischer Sicht mein Vorhaben weiter machen könne. Sie gaben mir immer grünes Licht. Ich selbst verspürte auch nur Verschleimungen der Atemwege und enormen Kräfteverlust , jedoch keine Beeinträchtigung der Atmung.

Was kann ein normaler Marathonläufer aus Deinen Erfahrungen  lernen?
Nicht nur ein Marathonläufer kann von den Erfahrungen lernen, sondern jeder der sich in einem Tiefpunkt befindet. Im Sport ist es ein Auf und Ab – genauso wie im alltäglichen Leben. Man muss nur einmal mehr aufstehen als man hinfällt bzw. sich durch die Tiefpunkte durchkämpfen. Irgendwann kann es nicht weiter bergabgehen und es geht wieder bergauf. Man muss „nur“ DURCHALTEN. Mehr habe ich in Mexiko auch nicht gemacht, auch wenn es mir noch so schlecht ging! Niemals aufgeben und die Herausforderung annehmen  und meistern.  Irgendwann hat man das Tal der Tränen bewältigt und das Leben ist wieder schön!

marathon4you: Wann sehen wir Dich wieder auf einer „normalen“ Laufstrecke, bei einem Marathon zum Beispiel?

Marcel: Ich erinnere mich gerne an die Zeit als Marathonsammler zurück. Ein Wochenendausflug verbunden mit Sport. Das hat mir sehr gut gefallen. Wenn Zeit ist, werde Ich das in naher Zukunft wieder öfters machen. Ich habe für mich, sportlich gesehen, alles erreicht, was ich erreichen konnte.

marathon4you: Ok, Marcel, dann noch einmal herzlichen Glückwunsch zum unglaublichen Rekord und alles Gute für Deine Zukunft.

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