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Laufberichte

Pisa Marathon: Tra Arte, Storia e Natura

15.12.19 Special Event
 

Als Mitglied beim Club Supermarathon Italia ist man als „straniero“ geradezu verpflichtet, sich gelegentlich auch bei einem Lauf in Italien einzufinden. Nach meiner Teilnahme am „grande spectacolo“ mit viel nationalem Pathos in Reggio Emilia letzten Sonntag ist nun Pisa meine zweite Destination, um mein Sammlerkontingent im heurigen Jahr um einen Städtepunkt zu erhöhen.

Ich war vor mehr als einem Jahrzehnt als Ausflügler in der heute ca. 90.000 Einwohner zählenden Stadt in der Toskana, in die alljährlich Hundertausende Besucher strömen, nur um ihn einmal zu sehen: den Schiefen Turm zu Pisa.

Die Stadt kenne ich also ein wenig, den Marathon dort, der heuer bereits zum 21. Male stattfinden  wird, bin ich noch nie gelaufen. Die Anmeldung über die auch in Englisch geführte Website geht rasch vor. Mitglieder des Club Supermarathon Italia erhalten übrigens bei vielen nationalen Marathons deutliche Ermäßigungen, wenn man sich rechtzeitig anmeldet.

 

Sightseeing am Samstag

 

Die von meinem Hotel wohl gut 2 km Fußweg entfernte Expo im Universitätssportzentrum an der Via Federico Chiarugi öffnet heute ab 10 Uhr. Ich habe nicht nur ausreichend Zeit für das Frühstück, sondern auch um auf Umwegen durch die Stadt zu spazieren. Von der Piazza Emanuele II, benannt nach dem König von Sardinien-Piemont und an der Spitze der italienischen Einigungsbewegung Risorgimento stehend ab 1861 auch von Italien, schlendere ich auf dem um diese Tageszeit noch nicht belebten, aber vorweihnachtlich mit Lichterketten geschmückten Corso Italia zum Arno rauf.  

Von der Piazza XX Septembre – am 20. September 1870 wurde Rom von Truppen des neugegründeten italienischen Staats eingenommen und der Kirchenstaat hörte auf zu existieren – betrete ich die von Touristen am Wege zum Torre pendente zumeist frequentierte Ponte Di Mezzo, die den nördlichen mit dem südlichen Teil von Pisa verbindet. Von hier aus bekommt man tagsüber einen weiten und herrlichen Blick über die Stadt und den Verlauf des Flusses.

 

 

Überrascht bin ich über die braunen Wassermassen, die momentan der in den nördlichen Apenninen entspringende, nur 241 km lange Fluss Arno mit sich führt, dessen tiefes Bett von einer beidseitig des Lungarno meterhohen Kaimauer, die durch aufgetürmte Sandsäcke zusätzlich abgesichert ist, auf Hochwassergefahr verweist. Treibholz hat sich in den Auffangrechen unter der Brücke verfangen. Aber in Italien ist ja im Winter Regen angesagt, wenngleich dieser in der Toskana vielleicht geringer ausfällt als an der Adria.

Von der Piazza Garibaldi führen mehrere Wege vorbei an zahlreichen  weiteren Sehenswürdigkeiten, u.a. an den Elitehochschulen wie die Scuola Normale Superiore und die Scuola Superiore Sant’Anna. Pisa beherbergt an die 40.000 Studenten,  das ist fast die Hälfte der Einwohner. Ich folge dem Wegweiser zum Botanischen Museum mit Garten der Uni Pisa, von dort sind es bis zur Piazza del Duome und dei Miracoli nur mehr einige Hundert Meter. Inzwischen hat sich ein Touristenstrom gebildet, obwohl es erst 11 Uhr vormittags ist. Ich schaue auf die Fußbekleidung, Sportschuhe trägt heute fast schon jeder Ausflügler – aber als ich in einer kleinen Gruppe die Slowakin Eva Seidlova im Gespräch mit männlichen Kollegen erblicke, bin ich fast erleichtert. Auch andere suchen noch vor der Expo die Gebäude um das Wahrzeichen von Pisa auf. Zum Beispiel Eva, Jg. 1948, über 400 Marathons und Ultras, dazu immer noch sauschnell mit Laufzeiten um die 4 h.

Ich nehme mir die Zeit und knipse die drei markanten Bauwerke an der Piazza dei Miracole („Platz der Wunder“, eine Bezeichnung, die auf den Dichter D’Annunzio zurückgeht) von allen Seiten. Im Mittelpunkt steht für alle Besucher eindeutig der berühmte 58 m hohe, um 4 Grad/Meter geneigte Schiefe Turm von Pisa, der auf das Jahr 1173 zurückgeht und bald nach Baubeginn eine Schieflage wegen des weichen Untergrundes bekam. Die Bauarbeiten wurden wegen Unterbrechungen erst 1372 vollendet. 1980 wurde der Turm wegen Einsturzgefahr gesperrt und nach Sanierungsarbeiten erst 2001 wieder geöffnet. Der Einlass zum Ticketpreis von 18 Euro ist auf 500 Menschen pro Tag begrenzt, maximal 30 Personen werden alle 35 bis 40 Minuten eingelassen und können die insgesamt 294 Stufen hinaufgehen. Der Physiker Galileo Galilei  soll  im 16. Jh. die Schieflage des Turms für seine Fallexperimente – der freie Fall ist eine konstant beschleunigte Bewegung mit der Beschleunigung a = 9,81 m/s2, unabhängig von ihrer Gewichtskraft fallen alle Körper gleich schnell – genutzt haben.

Die beiden anderen Bauwerke sind aber nicht minder bedeutend: der aus Carrara-Marmor errichtete Dom Santa Maria Assunta von Pisa galt jahrhundertelang als monumentalster Bau der christlichen Geschichte und ist neben dem in Florenz die zweitwichtigste Kirche in der Toskana. Das 54 m hohe Baptisterium des Doms von Pisa aus dem 12. Jahrhundert ist ebenfalls ein imposantes Gebäude neben der Kathedrale.

 

 

Morgen wird hier an der Piazza del Duome der Zieleinlauf des Marathons sein, während der Startbereich, zu dem ich mich nun aufmache, ein paar Hundert Meter weiter westlich an der Via Pisano sein wird. Heute sind hier viele Verkaufsbuden offen, die am Vorplatz allerlei Krimskrams an die Touristen anbieten.

Es ist schon nach 14 Uhr, als ich mich am Stadtplan nach dem direkten Weg zur Expo orientiere. Beim Carrefour-Parkplatz stoße ich auf eine Gruppe Italiener, die einen Einheimischen nach dem Weg fragen – flugs schließe ich mich ihnen an und bald sind wir dort. Schnell händigt man mir die Startnummer aus. Im Startsackerl ist auch ein weißer Championchip, der elektronisch nur für diesen Lauf geeicht ist. Das inkludierte Langarmshirt darf ich vorher probieren.

 

Mein Renntag

 

Der Spazierweg zum Start, den ich gestern schon erkundet habe, dauert keine 15 Minuten. Die ersten Stimmungsbilder für den Fotografen bekomme ich wieder – wo sonst – auf der Ponte di Mezzo. Die aufgehende, aber auch hier in Italien in der kalten Jahreszeit tief stehende  Sonne wirft lange Schatten. Die in warmen Pastelltönen von Gelb über Braun bis zu zartem rot gestrichenen Fassaden, die aus der Nähe leider sehr verfallen aussehen und auch sind, werden sich erst heute gegen Mittag bei einem anderen Lichteinfall an der Wasseroberfläche des Arno reflektieren.

Bei der Porta Nuova stehen die Pacemaker gestaffelt von 3 bis 5 Stunden, an ihren bunten Ballons gut erkennbar. Im eigentlichen Startbereich an der Piazza Daniele Manin herrscht dichtes Gedränge, die Ordner sind überfordert, jeder stellt sich rein, wie es ihm passt. Startblöcke gibt es keine, zumindest nicht ersichtliche. Dann geht es los.  Wir laufen nach Süden in Richtung des Arno. Ein Läufer dreht sich um und sagt, dass er sich auf den Bericht freue. Es ist Volker Vogt aus Cotbus, den ich in den vergangenen Jahren schon mehrmals bei Marathons getroffen habe. Der Kurs dreht nahe dem Arno nach Osten, wir laufen flussaufwärts an der Ponte della Citadella und der Ponte di Mezzo vorbei. Nach wenigen Kilometern hat mich die 5 h-Pacer-Gruppe überholt.  Es geht nun über die Ponte della Fortezza auf die andere Flussseite, umringt von einer Abordnung von Weihnachtsmännern, die einige Kameraden mit Handicap im Rollstuhl schieben. Die Strecke führt vorbei an der Dornenkirche, die ich ja gestern fotografiert habe.

 

 

Der Marathonkurs verläuft durch das Stadtviertel San Antonio an der im romanischen Stil erbauten Chiesa San Paolo a Ripa d'Arno vorbei. In meinem läuferischen Umfeld ist auch Francesco, der den gesamten Marathon im Eiltempo walken will. Die Labe nach 5 km ist gut bestückt, mein Wunschgetränk ist warmer Tee, den es mit Keksen, Obststücken, Iso und Wasser ausreichend gibt. Die erste Versorgungsstation werden wir gegen Ende des Marathons am Wege in die Stadt zurück nochmals frequentieren.

Seit dem Start vor mittlerweile 38 Minuten sind meine zwei Kontrahenten, die Italiener Vito Piero (auch Mitglied im Club Super Marathon Italia und mit mehr als 1300 Marathons einer der ganz großen Sammler),  Dauerwalker Francesco und eine Läuferin mit Hund zurückgefallen.

Der Marathonkurs führt aus der Stadt hinaus, ich versuche den Ansturm der Weihnachtsmännerabordnung zu entfliehen. Der Spuk ist bei der letzten Abbiegung für die Kurzdistanz 14 km vorbei. Sie drehen ab und kehren zum Ausgangspunkt zurück, während Francesco versucht, Vito Piero und mir davonzueilen. Man stelle sich vor, er walkt den Kilometer unter 8 Minuten. Da er bei den Laben nie stehenbleibt, müssen wir ihm immer wieder nacheilen. Das kostet Kraft und mein linkes Knie macht sich wieder bemerkbar.

Bei San Pietro a Grado müssen wir die Superstrada Firenze-Pisa-Livorno überqueren. Ich lasse mich zurückfallen, Francesco ist in seinem Element. Gleich nach der Labe bei Kilometer 10 befindet sich zu unserer Rechten die gleichnamige romanische Wallfahrtskirche. Der Hl. Petrus soll hier am Wege nach Rom zum ersten Mal italienischen Boden betreten haben.

 

 

Es dauert, bis ich wieder an meine Kontrahenten aufschließen kann. Erst bei der Abzweigung der Halbmarathonläufer nach ca. 12.5 km gelingt dies. Diese machen sich auf den Rückweg, für uns geht es nach Südwesten zum Meer weiter. Die noch ziemlich grünen, von Kanälen und Tümpeln durchzogene Landschaft zum Winterbeginn hier in der Toskana zeigt wieder einmal auf, wie klimatisch begünstigt die Menschen hier leben. Und wie schön man es als Marathontourist hat, wenn man in der Welt herumkommt.

Nun geht es leicht ansteigend durch ein größeres Pinienwaldgebiet. Zwei Radfahrer brausen uns entgegen. Im Sommer mag es hier sehr angenehm kühl sein, heute merkt man den Temperaturunterschied zur offenen Landstraße. Mein Vorsprung schmilzt, die kleine Gruppe mit Francesco, Vito Piero und Elisabetta nähert sich unaufhaltsam. Sie schnappen mich, obwohl ich ein paar schnellere Laufeinheiten einlege. Das Mar Tirreno riecht man schon, vorbei an einer Miltärbase kommen wir zur Küstenstraße. Während wir Nachzügler nach Süden laufen, kommen uns auf der 3 km langen Begegnungsstrecke zur unserer Rechten alle entgegen, die inzwischen voranliegen.

 

 

Ich lasse die Truppe um Francesco ziehen und konzentriere mich auf die Kollegen aus der anderen Richtung. Die Pacemakergruppe 4:00 zischt vorbei, Eva Seidlova folgt im Pulk gleicht darauf. Ich sehe einige Läufer, die mir beim Start auch physiognomisch aufgefallen sind – einer mit einem Lockenkopf wie der längst verstorbene französische Schauspieler Michele Piccoli, dessen oberes Haupthaar irgendwann ganz verschwunden war und den lieben Kollegen Volker aus Cottbus. Seine Aufmunterung „Halt durch!“ nehme ich als zusätzlichen Stimulus an und versuche wieder etwas Gas zu geben. Von den Österreichern erblicke ich nur Peter, selbst Marathonveranstalter in Oberwart und einer der Ersten bei uns, die die Hundert geschafft haben.

Bei Kilometer 20 befindet sich wieder die nächste Versorgungsstation, ein kurzer Stopp ist angebracht. Noch immer herrscht Gegenverkehr, wenn dieser auch immer ausgedünnter wird. Die 5 h-Pacer winken rüber, sie liegen gut 2 km vor mir. Endlich kommt die Wende bei Kilometer 22. Die hinter mir Nachkommenden sind spärlich, unter ihnen Marco, der Haudegen, der bei vielen Rennen anzutreffen ist.

 

 

Nun heißt die Devise, hier in Marina di Pisa entlang von herrlichen Seebädern mit klingenden Namen wie Meloria oder Alberto Boden gut zu machen. Es ist erst 12 Uhr mittags, Ausflügler aus Pisa sowie Einheimische spazieren uns am Gehsteig entgegen, man sitzt auf Bänken in der Sonne. Sonnenschein, milde Temperaturen sowie einzelne Sandstrände geschützt durch massiv aufgetürmte Felsbrocken gegen hohe Wellen vom Meer machen den Marathon auf diesem Abschnitt zu einem echten Erlebnis. Ja, richtig Urlaubsstimmung kommt bei mir auf.  Und ich kann gleich drei Läufer ein- und überholen, obgleich mich die „totgeglaubte“ Elisabetta bei Kilometer 25 wieder schnappt.  

Die Marathonstrecke führt nach dem Kilometerpunkt 29 vom Meer weg, es geht nach Osten entlang des Lungarno Gabriele D'Annunzio wieder zum Ausgangspunkt zurück.  Den Fluss Arno sieht man zu unserer Linken nur an gewissen Stellen, zahlreiche, den Winter über eingelagerte Segelboote in nur zum Teil eingezäunten Arealen stellen Millionenwerte dar. Die Straße ist zu diesem Zeitpunkt in entgegenkommender Richtung stadtauswärts wieder für den Verkehr freigegeben. Nach der Versorgungsstelle bei Kilometer 35 mache ich erneut etwas Boden gut, aber die erhoffte 5:30 Stunden-Finisherzeit wird sich kaum mehr ausgehen. Bei Kilometer 30 kommt die Ortstafel von Pisa in Sicht, 3 km sind zwar nicht mehr weit, aber ich brauche fast noch eine halbe Stunde bis ins Ziel.

Nach der Labe beim Kilometerpunkt 40 treffe ich auf zwei Italiener. Einer deutet mir an, ich möge an ihnen vorbeilaufen.  Schlau wie sie nun mal sind, haben sie einen Tempomacher gesucht, dem sie nachtaumeln können. Auf der Ponte della Citadella erwachen sie wieder und setzen zum Überholen an. Bis zur 41 km-Tafel lasse ich sie voran, dann setze ich mich ein zweites Mal ab. Der restliche Kilometer verläuft wie tlw. heute am Beginn des Marathons entlang dem Lugarno Ranieri Simonelli und dann nach einer kurzen Halbschleife auf der Via Roma direkt ins Ziel an der Piazza del Duomo.

 

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Mein Fazit

 

Es lohnt sich allemal, den Marathon in Pisa vielleicht zum Jahresabschluss als letztes Rennen zu bestreiten. Die Veranstaltung ist vorbildlich organisiert, die Website gut aufbereitet und auf Anfragen bekommt man rasch eine Antwort. Das Preis-/Leistungsverhältnis ist wie bei fast allen Marathons in Italien auch in Pisa bestens – man bekommt mehr für sein Geld als anderswo. Alleine schon das schicke  Langarmshirt hat seinen Wert.  Die Strecke selbst „tra arte, storia e natura“ ist flach, schnell und auch schön. Verpflegungsmuffel können sicher sein, an den Versorgungsstationen das Passende zu bekommen, in der Ziellabe wurden sogar Gelpäckchen zum Mitnehmen ausgegeben. Die Medaille wird jedes Jahr neu gestaltet.

Bereits einen Tag nach dem Marathon kann man sich für die 22. Auflage anmelden.

 

Siegerliste Männer:

1. Jilali Jamali (MAR) – 02:22:48
2. Joash Kipruto Koech (KEN) – 02:24:37
3. Roberto Graziotto (ITA) – 02:26:25

 

Ranking bei den Frauen:

1. Nikolina Sustic (CRO) – 02:40:20
2. Annemari Kiekara (FIN) – 02:41:20
3. Petra Pastorova (CZE) – 02:45:34

 

1363 Finisher (1113 Männer, 250 Frauen)

 

 


 
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