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Laufberichte

Outdoor-Feeling im Land der Geysire und Vulkane

 

Eigentlich ist es vermessen und kommt einer Selbsttäuschung gleich, wenn man wie ich mit einem gröberen Knieschaden weiterhin ans Laufen denkt. Faktum ist, dass ich nicht einmal schmerzfrei gehen kann. Aber in langsamem Tempo habe inzwischen wieder zwei Marathons geschafft und vertraue diesmal ganz den Veranstaltern, dass die lange Öffnungszeit von 7 ½ Stunden auch eingehalten wird. Ein zusätzliches Motiv für mich ist der Umstand, dass ich in der Statistik beim Country Marathon Club wieder einen zusätzlichen Länderpunkt ergattern kann und so dann 72 anrechenbare Ziele verbuchen würde. 

 

Organisation, Anreise und Quartier

 

Wie heutzutage üblich, muss man sich auf der Veranstalterwebsite anmelden. Bei der Anmeldung Mitte August ist das Startgeld in der letzten zeitlichen Tranche mit umgerechnet 120 Euro relativ hoch.

Da ich Nachtflüge tunlichst vermeiden will – ich finde dabei keine ruhige Minute – erweist sich das Buchen der Flugverbindungen als umständlich. Ich entscheide mich für eine komfortable Lufthansa-Verbindung mit Zubringer von Wien aus (gesamte Flugzeit ca. 4 ½ Stunden) und buche einen Rückflug mit Iceland-Air nach München.  Im Stadtgebiet von Reykjavik finde ich nur Mittelklassehotels ab 150,-- Euro pro Nacht ohne Frühstück. Meine Wahl fällt auf das Fosshotel Raudara, vom Zentrum ca. 1,2 km entfernt.

Nach einem relativ ruhigem Flug am 22. August um die Mittagszeit – der Lufthansa-Kapitän verkündet zwei positive Nachrichten, als wir die Shetland-Inseln passieren: „Wir haben die Verspätung trotz Gegenwind von 200 km/h aufgeholt und die von der Flugwarnung angekündigten Turbulenzen sind schwächer als erwartet…“ –  landen wir um 13 Uhr in Keflavik, dem internationalen Flughafen von Reykjavik. Die Verschiebung zur MEZ beträgt minus 2 Stunden, bei uns ist es inzwischen schon 15 Uhr. Viel Betrieb herrscht nicht, doch bis das Gepäck auf dem Förderband eintrudelt, vergeht eine gute halbe Stunde. Der Transfer mit dem Flybus in die ca. 40 km entfernte Hauptstadt und einem weiteren Shuttle zum Hotel kostet umgerechnet ca. 30 Euro.  Ein Taxidienst würde an die 100 Euro verlangen. So bekomme ich einen Vorgeschmack auf die hohen Preise im „Land der Geysire und Gletscher“.

Zu sehen gibt es in Island genug, auch Tagesausflügler können allerhand auf eigene Faust unternehmen oder geführte Touren buchen. Die Palette reicht von einer ausgedehnten Stadtrundfahrt, individuellen Hop-on und Hop-off-Stopps, einem Gratis-Stadtwalk mit Guide, der vielfach empfohlenen Golden Circle Direct Tour zu den wichtigsten Sehenswürdigkeiten im Nachbereich von Reykjavik, über Gletscherwanderungen, Snowmobile-Fahrten bis hin zum fast schon obligaten Wale-Watching (leider bekommt man die Meeressäuger dabei aber selten zu Gesicht) und Polarlichter-Touren.

Bei der Tourismusinformation am Flughafen bekomme ich einen Stadtplan und die Broschüre  „Rund um Island“, die aktuelle Infos zum Land und zu Veranstaltungen enthält.  Island ist eine parlamentarische Demokratie, Mitglied der EFTA und der NATO. Während der großen Wirtschaftskrise 2008/2009 stand das Land nahe am Bankrott, den angestrebten EU-Beitritt hat man nicht durchgezogen. Die Insel hat eine Fläche von 103.125 km² (Österreich hat im Vergleich dazu 83.879 km²) und ca. 350.000 Einwohner, fast die Hälfte lebt in Reykjavik.  Bei einer Bevölkerungsdichte von 3,5 Einwohnern pro km² ist Island das am  dünnsten besiedelte Land Europas. In den letzten Jahren machten die Isländer im Hand- und Fußballsport dank ihrer Erfolge bei EM und WM Schlagzeilen. Der Tourismus boomt dank geschickter Vermarktung, Tausende zieht es zu Outdoor-Aktivtäten in den hohen Norden südlich des Polarkreises.

 

 

 

Abholung der Startunterlagen und Stadtspaziergang

 

Nach dem Einchecken im Hotel mache ich mich zu Fuß auf den Weg in die ca. 3 km entfernte Laugardalshöll Sports Hall, wo die Marathon Expo am ersten Tag von 15 bis 20 Uhr geöffnet ist. Zwar gibt es gute und schnelle Busverbindungen in Reykjavik, doch man muss in Cash abgezählt bezahlen, der Fahrer hat kein Wechselgeld und Kreditkarten werden nicht angenommen. Das steht so als Hinweis in Plakatgröße bei den Haltestellen zu lesen. Die speziell auf Touristen ausgerichteten Busdienste sind da viel flexibler, man kann jederzeit auch bargeldlos im Bus zahlen.

Es herrscht um 16 Uhr kein Andrang bei der Startnummernausgabe. Das rote Funktionsshirt dazu kann man vorher probieren, die gängigen Größen von XS bis XXL hängen auf Kleiderhacken.  Die Expo ist auch hier in der Sportshalle eine reine Verkaufsmesse, von den großen Marken sind Brooks und Adidas vertreten, auch Garmin hat einen Stand.

Im Startsackerl ist leider kein Bon für ein Nudelgericht oder dergleichen, dafür aber ein Gutschein für den Eintritt in eines von zahlreichen Schwimmbädern nach dem Lauf, deren Wasser wegen des starken Schwefelgehalts eine gewisse Heilwirkung verspricht. Ich nehme mir fest vor, nach dem Marathon das allernächste Bad nahe dem Zielbereich aufzusuchen.

Nach dem Besuch der Expo verbringe ich den restlichen Tag mit einem langen Spaziergang durch die Innenstadt, die von Touristen und Läufern mit Angehörigen förmlich geflutet wird. Rathaus, Parlament, Nationalmuseum liegen nahe beieinander. Am alten Hafen herrscht Hochbetrieb, die Walbeobachterboote fahren aus, eine Vorausbuchung ist obligat. Zwei Japanerinnen bitten mich um ein Handyfoto mit Blick aufs Meer – sie kichern zufrieden, die Frisuren haben im leichten Wind gehalten.

Das Wetter ist gut, es ist trocken, der Himmel nur leicht bewölkt, immer wieder kommt auch die Sonne durch die Wolkendecke. 14 Grad C wären am Marathontag eine ideale Temperatur. Das internationale Interesse an dieser Laufveranstaltung ist wirklich beachtlich, Hobbysportler aus aller Welt bummeln durch die Stadt. Selten habe ich so viele Asiaten gesehen. Der Supermarkt quillt über, fast alles ist doppelt so teuer wie bei uns in Mitteleuropa.

Der Marathon ist für die Stadt ein Jahresereignis, das ein paar Millionen isländische Kronen an Devisen einbringt und so ein dementsprechend hohes Ansehen genießt. Ich verspüre wieder jene Zufriedenheit, die ich seit Monaten vermisst habe, nämlich wieder dabei zu sein. Die Läuferinnen und Läufer, auch wenn man sie nicht beim Namen kennt, sind eine große Familie. Man hat ein gutes Gefühl, wenn man dazugehört. Jeder glaubt, den anderen zu kennen, sein Gesicht schon einmal gesehen zu haben.

Zufrieden mache ich mich auf den Weg ins Hotel. Island hat 21 Sonnenstunden am 21. Juni, gegen Ende August wird es um 22 Uhr schon dunkel, mit 17 Stunden ist der Tag aber um einiges länger als in Mitteleuropa.  Die Mitternachtssonne wird nach dem Marathon nicht am Himmel erstrahlen, ein Feuerwerk ist geplant.

 

Ausgedehntes Sightseeing auch am zweíten Tag

 

Auf dem Weg zur Busstation schaue ich bei der Hallgrimskirkja, dem größten evangelisch-lutherischen Kirchengebäude Islands, die auf einen Hügel in der Stadt Mitte des 19. Jahrhunderts erbaut wurde, vorbei. Ihr 74 ½ m hoher Turm prägt das gesamte Stadtbild Reykjaviks. Die aneinander gereihten Betonpfeiler in weiß sollen an die isländische Landschaft, konkret an Basaltkegel, erinnern. Im Innern der dreischiffigen Kirche herrscht bautechnische Gediegenheit mit Rückgriffen auf gotische Merkmale. Die Touristen setzen sich in Andacht hin, als ein Organist auf der größten Orgel Islands, 15 m hoch und 25 t schwer, zu spielen beginnt. Eine Französin in schickem Laufoutfit sinkt vor mir auf der Holzbank in sich zusammen und lauscht fast meditativ den Klängen. So treffen sich Blicke von Fremden, die in diesen Minuten ähnliche Empfindungen haben: alles ist vergänglich, aber lasst uns beim Sport das Leben genießen.

Ebenso berühmt wie die Hallgrimskirche ist die Statue von Leif Eriksson davor, der der Sage nach – wissenschaftlich ist dies nicht genau erwiesen – um ca. 1000 n.Chr., also bereits 500 Jahre vor Kolumbus, Amerika von Grönland aus entdeckt haben soll.

Ich spaziere zum alten Hafen und einige Kilometer am Sæbraut-Kai entlang nach Nordosten, wo morgen der Marathon nach ca. 10 km verlaufen wird. In Island glaubt man wie in Dänemark, Norwegen und Schweden an Trolle und Elfen. Aber vermutlich haben Touristen hier am steinigen Ufer einfach Steine aufeinandergelegt, größere unten und darüber kleine, die diese in der Mythologie beheimateten Zwerge und Fabelwesen verkörpern sollen.

Eine sehr beliebte Touristenattraktion an der Sæbraut ist der Sun Voyager von Jon Gunnar Arnason aus dem Jahr 1986, eine Aluminiumskulptur, die einem Wikingerschiff  ähnelt. Sie glänzt in der Sonne.  Für den drei Jahre später verstorbenen Künstler symbolisieren Schiffe die Sehnsucht der Menschen, Neues zu entdecken: „The sun ship gives us the promise of a primeval land“.

Ein weiteres beliebtes Fotomotiv ist die Partnerschaftsskulptur des US-amerikanischen Botschafters Charles E. Cobb, republikanischer Diplomat der Bush-Administration, die 1991 übergeben wurde und die tiefe Verbundenheit der USA mit Island dokumentieren soll. Der gelbe Leuchtturm bildet mein letztes Foto von der Kai-Promenade, den Spaziergänger und Radfahrer stark frequentieren.

Ich beschließe zur Blauen Lagune (Bláa Lónið) rauszufahren. Ein Gesamtpackage würde ca. 130 Euros kosten, doch leider bekäme ich erst ab 20 Uhr einen Einlasstermin, sagt die Dame am Flybus-Schalter. Das ist zu spät, aber ich nehme trotzdem den nächsten Ausflugsbus.

Der touristische Andrang dort ist riesig. Umliegend sieht man nur eine riesige, mit z.T. abgestorbenen Flechten überzogene Lavalandschaft, auf der man nicht gehen kann – die Steine sind zu spitz und zu groß. Dazwischen Salzwasserseen in der typisch blau-weißen Farbe, die von Kieselalgen herrührt. Man kann sich im Thermalbad selbst weitgehend frei bewegen, sogar an offenen Stellen fotografieren. Die Badegäste stehen im kaum hüfthohen Wasser und machen Selfies mit einem Cocktail in der Hand. Die Wassertemperatur beträgt zwischen 37 bis 42 °C, das Thermalwasser enthält Mineralsalze, Kieselerde und Algen. Der gesamte Badesee hat eine Fläche von etwa 5000 m².

Das Thermalbad ist genau genommen eine Art Überlauf des ca. 1 km entfernten  Geothermalkraftwerkes Svartsengi, wo 240° C heißes Meer- und Süßwasser aus 2000 m gepumpt und sowohl zur Stromerzeugung als auch zum Betrieb eines Fernwärmenetzes genutzt wird. Rund um die Therme befinden sich einige Kliniken, die Patienten mit Psoriasis unter Nutzung des Heilwassers behandeln.

Leider bekomme ich auch vor Ort kein Eintrittsticket, mit dem Baden wird es vor dem Marathon also nichts. So erkundige ich die nähere Umgebung in Richtung Grindavik auf einen 7 km langen geschotterten Fuß- und Radweg. Eine Gedenktafel zeigt, wie stolz die kleine Gemeinde auf den von Ingibjörg Lane 1957 gepflanzten Wald ist, der am Fuße eines ca. 270 m hohen Berges windgeschützt in den 60 Jahren gut gediehen ist. Sogar Tannen wachsen hier. Doch wenn man unsere üppigen Wälder mit der Kargheit Islands vergleicht, so möchte man nicht tauschen.

 

 

Mein Renntag

 

Das Frühstück im Hotel wird schon ab 6 Uhr angeboten, um 7 Uhr 30 mache ich mich auf den Weg zum Start. Für Spätangereiste werden im Rennbüro die Startnummern ausgegeben, nachmelden kann man sich offiziell aber nur mehr für den Fun-Run. Kurz vor Rennbeginn um 8 Uhr 40 für die Teilnehmer des Marathons und Halbmarathons  verkündet der Platzsprecher, dass bei allen Bewerben 14.000 Läuferinnen und Läufer aus rund 80 Ländern am Start seien.

Es gibt Pacemaker und Tafeln an den Korridorzugängen für bestimmte Zielzeiten, doch kontrolliert wird nicht.  Der Marathon ist 7 ½ Stunden geöffnet, daher werde ich heute nicht unter Druck stehen. Es ist schon komisch und leider auch frustrierend, wenn man wie ich derzeit mit einer 5:30 Stunden-Finisherzeit zufrieden sein muss. Dabei sein ist alles!

Auch in Reykjavik sind die Halbmarathonis in deutlicher Überzahl. Nach ca. drei Minuten steige ich ins Renngeschehen ein – allerdings mehr als Beobachter mit Kamera in der Hand als ein sich im Gewirr vorankämpfender Sportler. Dicht gedrängt geht es an der Sudurgata am Nationalmuseum und der Universität vorbei nach Süden, anschließend macht der Kurs einen Schwenk und führt durch Wohngebiet in nordwestliche Richtung. Zuschauer stehen vor ihren Häusern und beklatschen die Läuferinnen und Läufer. Ein leichter Regen überzieht das Land, als Folge davon strahlt ein schöner Regenbogen am Himmel über dem Meer.

Schon nach 4 km befindet sich die erste Labestelle. Es gibt Powerade, ein Hauptsponsor des Marathons, und Wasser, das aus Plastikwannen in Plastikbecher von Helfern geschöpft wird. Hygienisch mag das nicht sein, aber ökonomisch.

 

 

Ein Pärchen vom 100 MC Dänemark schließt auf. Zu gerne würde ich an ihnen dranbleiben, aber es reicht nur für kurze Zeit. Am Beginn der Lindabraut  steht eine Band und spielt auf. Keine Frage, die Menschen lieben den Marathon, die Begeisterung ist ansteckend. Süßigkeiten, Obst (das in Island nur in Glashäusern wächst und nie so reif wird wie bei uns), ja sogar (importierter) Sekt wird von Einheimischen den Läufern angeboten, vorausgesetzt, sie bleiben am Anfang eines Marathons überhaupt stehen.

Es geht weiter im Uhrzeigersinn nach Osten.  Ich blicke mich um, hinter mir bewegen sich nur noch Frauen und Männer, die in langsamem Tempo einen halben Marathon schaffen wollen. Nahe der Labestelle stehen Vertreter von Organisationen, die soziale Projekte unterstützen.

Eine Tafel weist die erst um 9 Uhr 35 startenden 10 km-Läufer darauf hin, nun nach rechts abzudrehen, bis ins Ziel sind es für sie nur mehr ca. 2 km. Speergitter trennen die Begegnungszone, die roten Startnummern der Halbmarathonis  sind fast unüberschaubar geworden, viele liegen inzwischen vor mir. Das dänische Pärchen allerdings nur 30 m, wir nicken uns zu.  Ein Viertel des Marathons ist geschafft.

Vorbei an dem futuristischen, 2011 neu eröffneten Opern- und Konzerthaus geht es entlang der Sæbraut nach Osten, nicht am Rad- und Spazierweg, den ich gestern abgegangen bin, sondern auf der gesperrten Straße, auf der sonst die Autos fahren. Mit zwei Kanadiern komme ich ins Gespräch, Lilian und Tim Stuart wollen unter 6 Stunden finishen. Zu unserer Rechten sind erhöht die inzwischen bei der 15 km-Wende stadteinwärts Laufenden zu sehen.

Vor mir läuft eine kleine Asiatin mit gelbem Sweater und rotem Sonnenhut. Ich nicke ihr zu, sie lächelt zurück. Einmal liegt sie knapp vorne, dann überhole ich sie wieder. Bald sind 15 km erreicht, ein sehr schneller Walker eilt an uns vorbei, es ist ein Ami, der seine Kollegen im selben blauen Rennshirt auf der anderen Straßenseite anfeuert. Ich bin von seinem Gehtempo beeindruckt und kann ihm nicht mehr folgen, als ich bei der Labe ein halbe Minute verliere.

 

 

Nach der Wende bei Kilometer 15 schaue ich mir die Nachkommenden an, so wenige sind es nicht, darunter auch einige Marathonis mit grüner Startnummern. Die Veranstalter bieten mit der langen Öffnungszeit allen eine sehr faire Chance, den Marathon zu finishen, auch reinen Gehern. Ich überhole knapp vor der Zeitnehmung bei 16,4 km eine junge Österreicherin, die mit Dialekt ins Handy reinspricht.

In  Rhinozeros-Verkleidung kommt als Nachzügler Frank zu unserer Rechten nach. Die Extra-Kostümierung dürfte zumindest 10 kg wiegen, eine tolle Leistung, die auch Anerkennung im Sinne des Tierschutzes „Save the Rhinos“ verdient.

Für die Marathonis kommt noch vor der 20 km-Marke eine Links-Abbiege-Anzeige, ein halbes Dutzend Läufer bewegen sich nun wie ich ansteigend  voran, der Kurs dreht bald darauf nach Osten. Eine Labe ist in Sicht, ein paar Zuschauer applaudieren. Vor und hinter mir ist das Feld stark gelichtet, ich versuche an den Vorderen dranzubleiben, das gelingt einigermaßen.  Es  wird deutlich, dass die zweite Hälfte des Marathons auf einer Strecke verläuft, die sozusagen in menschenleere Gebiete mit angelegten Parks führt. Man sieht, dass man sich um die Natur sehr bemüht. Ohne Rasenziegel würde hier kein Gras wachsen, doch es ist im August schon braun. Bei Temperaturen am Tag um 13 Grad C kommt das Wachstum nicht so richtig in Schwung. Alles Grün in den Gärten der Wohnhäuser und Siedlungen ist von Menschenhand gepflanzt. Wo wenig Wind ist und die Sonne hinkommt, ist die emsige Gartenpflege nicht umsonst.   

Endlich ist nach dem Stopp an der Labe die Halbdistanz geschafft. Tim Stuart kommt nach, seine Freundin Lilian ist uns beiden davongeeilt. Gemeinsam laufen wir inmitten einer Parklandschaft vorbei an der Laugardallsholl Arena. Radfahrer, Hundehalter und Walker sind auf dem Kurs anzutreffen, hinter uns ist das Feld abgerissen. Die Spaziergänger werden darauf hingewiesen: „Varud Götuhlaup!“ (Aufgepasst: Läufer!).

Die 25 km-Marke - Lilian ist zunächst davongeprescht, nun wartet sie wieder auf ihren Tim Stuart. Gemeinsam überqueren wir den Übergang für Fußgänger und Radfahrer über die Autobahn unter uns. 3:25 Stunden bisher für 25 Kilometer braucht man sonst nur bei schwierigen Bergmarathons mit vielen Höhenmetern, aber so ist es halt, wenn sich der Zenit der Leistungsfähigkeit nach unten verlagert hat.

Jetzt kommt es zu einer Begegnungszone, die zurückeilenden Kolleginnen und Kollegen haben hier schon 5 km Vorsprung auf uns. Ich bekomme sie dank der Nähe gut ins Bild, manche winken mir zu, sie haben die 30 km-Marke schon passiert. Blühende Disteln sind Merkmale einer intakten, unberührten Natur. Die beiden Kanadier fallen zurück, ich bin vor ihnen auf der roten Fußgänger- und Radfahrerbrücke Sorpa, die über die Flussmündung des Ellidaar  führt. In der Nähe befinden sich neue, exklusive Wohnblöcke am Wasser. Eine Gruppe von jungen Frauen steht an der Abzweigung und applaudiert. Am Ende der Schleife kommt es erneut zu einer Begegnungszone bei nur mehr sporadischem Läuferaufkommen. Frank, der in Rhino-Look für Schutz und Überleben der Tierart kämpft, dürfte die Nachhut bilden.

 

 

Der Marathonkurs verläuft wieder nach Westen in Richtung Stadt. Vor mir erblicke ich die zierlichen asiatischen Läuferinnen, die ich schon auf der Sæbraut zu Beginn des Marathons gesichtet habe.  Das „Rotkäppchen“ ist auch darunter. Ich sage „Hello“ zu der Läuferin und frage auf Englisch, ob sie keine Angst vor dem bösen Wolf habe. Ob in den Horten von Hongkong die  Betreuerinnen den Kindergartenkindern die deutschen Märchen der Gebrüder Grimm vorlesen? Offenbar nicht, denn sie versteht den Sinn der Frage nicht. So sage ich einfach, dass mir ihr roter Hut sehr gefällt. Das Kompliment kommt an. Von nun an laufen bzw. gehen wir zusammen in Richtung Ziel. Ich bin fasziniert, wie schnell und leichtfüßig Shuk Yin nach 38 km noch gehen kann. Ich schlage vor, dass wir zusammen finishen, sie stimmt zu. Es überholt uns noch eine andere Hongkong-Chinesin, die aus ihrer Reisegruppe kommt, wie sie erzählt.

Die 40 km-Anzeige befindet sich auf der  Skolavördustigur, jene Straße, die direkt zum Leif Eriksson Denkmal vor der Hallgrimskirche hinführt. Dann folgt nochmals eine kurze Richtungsänderung, Rotkäppchen packt der Ehrgeiz, sie sichtet eine andere Läuferin und will diese noch einholen. Wir liegen alle gleichauf, doch meine kleine Chinesin will davonspringen. Genau auf der Ziellinie hole ich sie wieder ein.

Bei Asiaten kann man das Alter schlecht schätzen, auf dem Foto sieht Shuk Yin aus wie eine junge Frau. Als ich am Nachmittag in der Badeanstalt die Ergebnisliste checke, staune ich mit offenem Mund: Nur sieben Jahre trennen uns, doch sie sieht aus wie 30 und ist zudem viel besser in Form als ich. Wenn ich in die Verlosung für Hongkong 2020 komme, dann treffen wir uns vielleicht.

Am Abend nach dem Marathon wird eine große Party gefeiert, bis in die Nacht tummeln sich viele Läuferinnen und Läufer sowie deren Angehörige auf der Flaniermeile in Islands Hauptstadt. Als das Feuerwerk beginnt, liege ich schon im Bett – mein Flughafen-Transfer ist für 4 Uhr 30 vorgesehen.

 

Was bleibt vom 41. Reykjavik Marathon?

 

Nach Island zu reisen lohnt sich allemal, denn man spürt schon bei der Ankunft Abenteuer-Feeling und Outdoor-Faszination. Wer nur in Reykjavik bleibt, bekommt vielleicht zu wenig von der Faszination der Insel mit ihren bekannten Gletschern, unaussprechlichen, Feuer und Asche speienden Vulkanen, den Island-Pferden und geheimnisvollen Orten mit mythologischer Bedeutung, mit. Aber Island ist teuer, weil fast alles importiert werden muss. Nur ist Geld nicht alles, Marathonsammler, die immer zahlreicher werden, wollen auch einmal am größten Marathon in Island teilnehmen. Neuerdings finden im Frühjahr und Herbst kleinere, privat organisierte Läufe statt, die beworben werden.

Die Organisation des Laufevents verdient das Prädikat „Sehr gut“, die Veranstalter-Website ist informativ, klar strukturiert und aktuell. Die Begeisterung bei den Einheimischen ist groß, wenngleich dies nur auf der ersten Marathonhälfte erkennbar war. Im hinteren Feld auf der zweiten Runde sind die Läufer eher unter sich geblieben. Die Versorgung an den Labestationen mit Wasser, Powerade, Bananen und vereinzelt auch Riegelstücken und Gels ist positiv hervorzuheben. Die wie Gold glänzende Medaille ist ein Sammlerstück, herzeigbar und der verdiente Abschluss jedes Finishers, der diesen Marathon mit vielen kleinen Steigungen erfolgreich gemeistert hat.

 

Reihung bei den Männern:

 

1. Arnar Petursson (ISL) – 02:23:08
2. Brian Petrocelli (USA) – 02:38:20
3. Drake Vidrine  (USA) – 02:44:4

 

Frauenwertung:

1. Barbara Novakova (CZE) – 03:00:40
2. Holmfridur J. Adalsteindottir (ISL) – 03:04:43
3. Lidya Orozco Medina (ESP) – 03:09:11

 

1169 Finisher beim Marathon
2606 beim Halbmarathon

 

 

Informationen: Reykjavík Marathon
Veranstalter-WebsiteOnlinewetterGoogle/Routenplaner

 
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