Wenige Tage vor unserem Flug nach Rom erfahre ich, dass die Piloten der Lufthansa streiken. Ich kann mich vor Lachen nicht halten – wir haben bei Easy-Jet gebucht. Als uns kurze Zeit später diese Fluggesellschaft mitteilt, dass in Rom die Fluglotsen streiken, lache ich nicht mehr…
Plan B muss her. Also schnell neu gebucht und nach einer angenehmen Busreise von Leipzig nach München, in der bayrischen Landeshauptstadt ins Bett gelegt und in Rom wieder aufgestanden. In der Zukunft nennt man das beamen, heutzutage CityNightLine. Wir haben noch im Zug geduscht, gefrühstückt, wurden von nettem Personal umsorgt und waren dann auch noch pünktlich. Glaubt mir, die Bahn ist besser als ihr Ruf!
Ich bin gemeinsam mit Andreas Gäbler unterwegs. Er hat die Unterkunft gebucht, ein Privatzimmer in Nähe der U-Bahnstation Ponte Lungo. Wir zahlen 35 Euro pro Person, ein Zimmer für diesen Preis muss man in Rom erst einmal finden. Und nach einem Stubendurchgang kann ich nur sagen: Gut gemacht, Andi!
Es geht inzwischen auf Samstagmittag zu, also Zeit die Startunterlagen zu holen. Die gibt es im Palazzo dei Congressi. Der ist für uns am besten mit der U-Bahn zu erreichen, Ausstieg Station EUR Fermi. Von da aus braucht man eigentlich nur noch in die Richtung zu gehen, aus der Leute mit dem roten Rucksack kommen…
Ich ahnte es schon, wir sind nicht die einzigen, die an diesem Marathon teilnehmen. Auf der linken Seite des Platzes heißt es anstellen. Schlappe 30 Minuten dauert es, dann stehen wir endlich an der Spitze der Schlange und dürfen in das Gebäude.
Andreas hat vergessen, seine Startnummer auszudrucken. Das kann er gleich an einem Stand am Eingang nachholen. Da muss er aber auch eine ganze Weile warten. Ich staune, wie viele es gibt, die sich nicht so gut vorbereitet haben wie ich…
Im Einbahnstraßensystem geht es durch den Palast. Zuerst gibt es die Startnummer (Ausweis und Gesundheitszeugnis nicht vergessen!). Dann kommt die Abteilung Geschenke. Die Veranstalter lassen sich nicht lumpen: Neben Kleinigkeiten freue ich mich über diesen wunderschönen roten Rucksack und ein nicht minder schönes T-Shirt. Da ist bei den nächsten Läufen angeben angesagt!
Es folgt die für mich momentan wichtigste Station, die Nudelparty. Ich stehe kurz vor dem Hungertod! Aber 15 – 20 Minuten muss ich noch durchhalten – so lang ist die Schlange, dann erst sind die italienischen Nudeln zum Greifen nah. Aber nicht nur Nudeln werden gereicht, das Angebot ist umfangreicher, ich habe die Qual der Wahl. 6 Euro kostet die Portion. Das habe ich sicher schon billiger gehabt. Aber wenn ich bedenke, das Personal trägt Fliege, wir essen an weiß gedeckten Tischdecken und genießen mediterrane Küche. Das hat schon was!
Zwischen den für den Lauf bzw. Magen wichtigen Stationen gibt es immer wieder Messestände. Im Angebot Schuhe, T-Shirts und all die Sachen, die Läufer so brauchen – oder auch nicht. Und Informationen über andere Läufe gibt es auch. Man sollte die Zeit für die Marathonmesse nicht zu kurz einplanen.
Auf der Rückfahrt machen wir noch einen Abstecher zum Kolosseum. Hier soll morgen ein Marathon stattfinden? Nichts deutet darauf hin, da wird es in der Nacht viel für die Heinzelmännchen zu tun geben…
In der Nacht habe ich einen Traum. Ich laufe Marathon. Und lerne dabei eine Frau kennen. Wie schön - eine Italienerin würde ich mir wünschen, denn eine Deutsche habe ich schon zu Hause. Wobei eins klar ist: Wenn die das hier liest, habe ich vielleicht kein zu Hause mehr…
Am Sonntagmorgen haben wir erst einmal ein anderes Problem. Wo steigt man nun eigentlich aus, um am besten zur Gepäckaufbewahrung zu kommen? Bernd Neumann hat in einem Laufbricht geschrieben: U-Bahnstation Circo Massimo. Ich denke, Station Colosseo ist günstiger und dort steigen wir auch aus und stellen fest: Andreas ist richtig ausgestiegen, ich bin falsch! Das Gepäck wird in LKWs abgegeben, die sind nummeriert und stehen in der Straße zwischen Kolosseum und Circo Massimo. Die Nummer richtet sich nach der angegebenen Bestzeit der Läufer und ist auch auf der Startnummer vermerkt. Wer eine niedrige Nummer hat, ist besser dran, wenn er am Kolosseum aussteigt. Ich Lusche mit meiner 13 wäre wohl am Circo Massimo besser gekommen. Aber genau betrachtet, ist es eigentlich egal. So groß sind die Entfernungen nicht.
Etwas Wichtiges und Schönes hätte ich fast vergessen: Mit der Startnummer haben wir den ganzen Tag freie Fahrt in den Öffentlichen Verkehrsmitteln. Wer sich einen Rom-Pass zulegt, der sollte das so organisieren, dass er nicht am Marathontag gültig ist.
Am Kolosseum wimmelt es vor Läufern. So muss einst der Andrang gewesen sein, als die Leute vor fast 2000 Jahren zu den Kultveranstaltungen in diese Arena gedrängt sind. Hätte mir auch gefallen. Bestimmt wäre ich damals einer der Senatoren gewesen. Von diesem Gedanken erzähle ich später auch meiner Frau, die übrigens den schönen Namen Anita trägt. Und wisst ihr was Anita sagt? Du und Senator? Dich hätten sie den Löwen zum Fraß vorgeworfen…
Es gibt keine überdachten Umkleidemöglichkeiten. Halb so schlimm, die meisten sind ohnehin in Laufkleidung angereist. Aber wer heute kein Regencape dabei hat, ist selbst schuld.
Auf der Startnummer ist der Block vermerkt, in dem jeder Aufstellung zu nehmen hat. Entlang der Via dei Fori Imperiali, zwischen Kolosseum und dem unübersehbaren Monument Vittorio Emanuele II. wird an kleinen Öffnungen zwischen den Absperrgittern der Einlass kontrolliert. Damit sich keiner in einen Block schleicht, der ihm auf Grund seiner angegeben Bestzeit gar nicht zusteht.
Ich bin wieder mal schlau. Kaum habe ich die 5-Stunden-Zeitläufer mit ihren Luftballons gesehen, hänge ich mich auch schon an sie dran. Sie müssen in den gleichen Block und ich gehe mal davon aus, dass sie wissen wo der sich befindet. Aber so blöd kann man sich gar nicht anstellen, dass man seinen Block verfehlt.
Dann stehe ich so da, die vielen Läufer um mich, im Hintergrund das Kolosseum. Ich bin bestimmt kein seelischer Weichling, aber das ist so ein Moment, in dem die Augen feucht werden. Ich glaube, an einem eindrucksvolleren Startort bin ich noch nie gestanden. Es war goldrichtig, mich für meinen 75. Marathon für Rom zu entscheiden!
8.50 Uhr soll der Start erfolgen. Diese Zeit ist schon vorbei, als es bei uns da hinten am Kolosseum erst einmal langsam losgeht. Gegen 9 Uhr überqueren wir die Startlinie und sind auch schon auf der Piazza Venezia. Eine Kapelle treibt uns an. Das ist richtig so. Denn, mein Gott: Wer rennt an so einer Fülle von einmaligen Geschichtszeugnissen vorbei, ohne sie zu genießen. Da muss man doch bescheuert sein. Oder Marathonläufer. Oder beides…
Die Kapelle, die bunte Läuferschar, das blütenweise Monument Vittorio Emanuele II. – ein Mangel an Fotomotiven besteht nicht. Aber wenn ich nicht aufpasse, verliere ich meine Italienerin. Fast hundert Meter ist sie schon vor mir. Damit ich sie nicht verliere, trägt sie einen Luftballon. Ja Freunde, es war wie in diesem Traum. Sie hat mich angesprochen und gefragt, wo ich her komme. Da musste ich erst mal überlegen. Bis es mir einfiel: Germany…
Mein Laufplan sah eigentlich so aus: Wenn die Veranstalter mir schon ein Zeitlimit von 7 Stunden einräumen, dann mach ich einen auf gemütlich, fotografiere in Ruhe und genieße Rom. Da wusste ich aber noch nicht, dass es hier 5-Stunden-Zeitläufer gibt. Wo gibt es die sonst…?
Es ist nicht übertrieben wenn ich schreibe, bis Kilometer 2 laufen wir förmlich durch die Weltgeschichte. Die Strecke führt entlang des Circus Maximus, wo einst das größte Veranstaltungsgebäude aller Zeiten stand. Läufer, die sich in Rom auskennen, haben hier bestimmt auch mal nach links geschaut. Ich nicht, so habe ich den Blick auf den Palatin zumindest während des Marathons verpasst.
Natürlich besteht die Strecke nicht nur aus Sehenswürdigkeiten. Irgendwo müssen ja in so einer großen Stadt auch die Leute wohnen. Aber fragt mich mal, wo in Rom die Ecken sind, auf die man bei einem Stadtmarathon gern verzichten würde? Die gibt es nicht!
Nach Kilometer 7 überqueren wir erstmals den Tiber. Es werden noch drei Überquerungen folgen. Ich stelle fest, dass ich heute äußerst gut drauf bin. Ich fotografiere, bleibe zurück und laufe spielend wieder zu Sabrina auf. Die Telefonnummern haben wir noch nicht ausgetauscht, aber sie hat mich schon nach meinem Namen gefragt. Ich wiederhole: Sie mich…
Kilometer 15. Der Blick über den Tiber fällt auf die Engelsburg. Mit 90 Euro Startgebühr ist der Rom-Marathon nicht gerade billig. Aber was man für das Geld zu sehen bekommt, ist im wahrsten Sinne des Wortes einmalig.
Und es wird noch beeindruckender. Nach Kilometer 17 eine Rechtskurve, der Blick fällt auf den Petersdom. Eine ganze Weile laufen wir auf ihn zu –Wahnsinn! Dann streifen wir kurz den Petersplatz, den Vatikan. Laufen vorbei an Polizisten mit Maschinenpistolen. Die Welt könnte so schön sein…
Am Olympiastadion bleibe ich wieder zurück, logisch: Fototermin. Als ich wieder auflaufe, ruft mir Sabrina schon von weitem zu: Bravo, bravo! Eh, wir sind hier etwa bei Kilometer 25! Mit so einer Begeisterung empfängt mich Anita nicht, wenn ich nach 42 Kilometern nachhause komme…
Wisst ihr überhaupt noch, wer 1960 in Rom Olympiasieger im Marathon wurde? Genau, der legendäre Abebe Bikila - Weltbestzeit in 2.15.16 Stunden. Solche Zeiten lief man damals barfuß…
Ich sollte vielleicht auch einige Worte über die Verpflegung verlieren. Das kann ich aber kurz machen. Wasser, Gatorade, Kekse, Bananen, Orangenstücke. Sind wir mal ehrlich, für einen Marathon dieser Größenordnung ist das Spitze!
Etwa bei Kilometer 38 erreichen wir wieder das Zentrum. Da ist höllisch was los. Der Läuferanhang und auch die gewöhnlichen Touristen machen Stimmung. Und nicht nur die. „Meine“ Zugläufer lassen immer wieder Sprüche los, heizen das Publikum an. Was sie rufen ist mir egal, ich versteh es nicht. Sie stimmen auch immer wieder Lieder an. Einer hört fast gar nicht mehr auf zu singen. Es ist Giovanni Crossi und der hat vielleicht eine Stimme! Darüber wundere ich mich natürlich nicht, die größten Tenöre sind nun mal Italiener…
Ich singe nicht mit, kenne keine italienischen Lieder. Aber selbst wenn ich sie kennen würde, mir fehlt langsam die Puste. Nicht nur zum Singen, auch zum Laufen. Ich kann zwar das Tempo halten, aber nach einem Fotostopp wieder auflaufen, das wird nichts mehr.
Ich habe die Wahl zwischen Chefredakteur Klaus und Sabrina. Klaus will Bilder, die Anzahl der Motive grenzt an Wahnsinn. Aber wenn ich fotografiere, dann ist Sabrina weg. Und so entscheide ich mich schweren Herzens gegen Klaus…
Ich würde euch gern schreiben, was es so in Richtung Ziel noch zu sehen gibt. Aber da empfehle ich euch die vielen bereits vorhandenen Berichte vom Marathon in Rom. Ich sehe nur noch eins: Straßenbelag, der übrigens nicht selten aus Kopfsteinpflaster besteht. Was es links und rechts zu sehen gibt, es interessiert mich nicht mehr. Was Frauen doch so aus Männern machen: Ohne Sabrina würde ich jetzt ganz gemütlich zum Ziel gehen.
Aber so ist auch gut mich. Kilometer 42. Sabrina nimmt meine Hand und gemeinsam laufen wir über den Zielstrich. Die Welt ist so schön! Und eins steht fest: Ohne Sabrina hätte ich die Zeit von 4.51 Stunden nicht geschafft. Der Marathon in Rom ist so schön, so gespickt voller Sehenswürdigkeit und Fotomotive –alleine hätte ich sieben Stunden gebraucht. Nur gut, dass dieser Marathon jedes Jahr stattfindet…
Sabrina und ich machen noch einige Fotos, dann trennen sich unsere Wege. Ich weiß ja nicht, was ihr erwartet habt. Anita hatte zwar gesagt, bringe was aus Rom mit, über Sabrina hätte sie sich aber wahrscheinlich nicht gefreut…
Ich gehe dann wieder Richtung Kolosseum, Richtung U-Bahn. Da haben inzwischen die LKWs Aufstellung genommen, in denen unsere Garderobe lagert. Und dann habe ich eine schlechte Nachricht: Es gibt keine Duschen! Ich habe aber auch eine gute Nachricht: Es geht auch ohne! Verschwitzte Klamotten am Straßenrand runter, was Neues drüber und ab in die U-Bahn.
Es ist ganz einfach: Wenn eine Veranstaltung begeistert, sieht man über Sachen hinweg, über die man sich woanders aufregen würde…
Und Rom begeistert!
Sieger Männer
1. Degefa Abebe Negewo Äthiopien 2:12:22
2. Achame Birhanu Addis Äthiopien 2:12:32
3. Chatbi Jamel Italien 2:14:04
Sieger Frauen
1. Tolwalk Meseret Äthiopien 2:30:25
2. Kiflealen Firke Äthiopien 2:31:01
3. Toniolo Deborah Italien 2:36:30
Finisher gesamt: 11486, davon 2257 Frauen