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Laufberichte

ABGESAGT: ERINNERST DU DICH? (30)

 
Autor: Klaus Duwe

"Aufgrund der aktuellen Situation hat das Organisationskomitee des LGT Alpin Marathons in Rücksprache mit der Liechtensteiner Regierung und dem Hauptsponsor, der LGT Bank AG, entschieden, den 21. LGT Alpin Marathon vom 06.06.2020 abzusagen. Die Organisatoren bedauern diesen Entscheid, stehen aber vollumfänglich hinter den offiziellen Vorgaben und Richtlinien der Behörden und stellen die Gesundheit aller Beteiligten an erster Stelle." 

Mittlerweile schon erwartungsgemäß wird der LGT Alpin-Marathon in Liechtenstein abgesagt. Es ist der erste Bergmarathon in der Saison und deshalb für alle, die sich diesbezüglich im Laufe des Jahres noch schwerere Aufgaben vorgenommen haben, fast Pflicht. Genauso wie für Läuferinnen und Läufer, die noch keine oder wenig Bergerfahrung haben.

Ich erinnere mich an meine erste Teilnahme am Alpin Marathon in Liechtenstein.

 

2006: „Do got noch mäh“

 

Als mein Nachbar mich mit dem großen Koffer sieht, will er gleich wieder wissen, wohin die Reise geht. „Nach Liechtenstein,“ antworte ich wahrheitsgemäß. Sein Gesicht solltet Ihr gesehen haben. Seine Mundwinkel verziehen sich zu einem vielwissenden Lächeln. Offen ist für ihn nur, ob ich auswandere oder nur mein Geld vor den Roten in Sicherheit bringe. Mit Laufen bringt er meine Reise nicht in Verbindung.

Die Anfahrt ist, wenn man einmal an Stuttgart vorbei ist, überhaupt kein Problem. A 7 Richtung Kempten, A 96 Richtung Lindau, Bregenz und dann Richtung Chur. Leider ist zweimal Maut fällig, denn die Österreicher und die Schweizer halten die Hand auf. Das Geld für die Schweizer Vignette ist gut angelegt, denn mit dem LGT Alpin in Liechtenstein beginnt die Berglaufsaison, die ihre Höhepunkte eindeutig in der Schweiz hat. Ich nenne da nur Graubünden, Zermatt, Davos und Jungfrau Marathon.

Der Liechtensteiner Alpin-Marathon wird in Bendern gestartet und hat sein Ziel in Malbun. Dort habe ich im Alpenhotel Vögeli mein Quartier. Das sollte sich noch in mehrfacher Hinsicht als großer Vorteil erweisen. Zunächst hole ich in Bendern bei der Firma Ospelt (Kenner wissen: „Malbuner“ = gute Wurst und guter Schinken) meine Startunterlagen und fahre dann hoch nach Malbun. Bei der Gelegenheit bekomme ich gleich einen Vorgeschmack auf den Lauf morgen. In lang gezogenen Serpentinen zieht sich die Straße über Triesenberg und Steg dahin.

 

 

Malbun (1600 m) ist ein Hochtal mit Almen und Hotels, Gasthöfen und Chalets. Im Winter soll hier mächtig die Post abgehen. Im Sommer geht es ruhiger zu, obwohl es ein herrliches Wandergebiet ist. Das Alpenhotel liegt gleich am Ortseingang gegenüber dem Parkplatz, wo das Festzelt aufgebaut ist und der Zieleinlauf ist. Hier fährt morgen in der  Früh auch der Bus zum Startplatz ab.

 

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Am Abend gibt es ein Buffet mit Nudeln, verschiedenen Soßen, Salaten und Obst. Nicht nur die anwesenden Läufer greifen da gerne zu. Es schmeckt vorzüglich und ist auch nicht teurer als ein vergleichbares Angebot in Hamburg oder Saarbrücken. Es gibt kaum etwas Schöneres, als ein Frühsommer auf der Alm. Hier blühen Blumen, die es bei uns entweder überhaupt nicht gibt, oder schon längst verblüht sind. Ich freue mich auf den Lauf und habe, wie so oft, nur einen leichten Schlaf.

Auch ohne Wecker bin ich um 5:00 Uhr wach. Ich kann am Morgen keine Hektik gebrauchen und lasse mir Zeit. Um 6:00 Uhr gibt es Frühstück, die Seniorchefin geht von Tisch zu Tisch, begrüßt jeden Gast, wünscht viel Glück und einen guten Lauf. „Schönes Wetter habt Ihr heute“, verspricht sie uns. Gleichzeitig verschweigt sie nicht: „Aber es wird streng.“

 

 

 

Der fast voll besetzte Bus fährt auf die Minute pünktlich um 7:00 Uhr ab und nimmt unterwegs noch zwei, drei Läufer auf. Nach einer halben Stunde sind wir auf dem Startgelände. Wer mit dem PKW anreist, wird auf den großen Parkplatz der Firma Ospelt eingewiesen. In der Kantine ist für alle ein Frühstück mit Kaffee und Gipferli gerichtet. Sportgetränke und Massagen gibt es sowieso.

 

 

Auf dem Startgelände unterhält Röbi die Leute mit Informationen und Small-Talk, und wenn er einen der Spitzenläufer beim Warmlaufen zu fassen kriegt, sind sie gerne sein Gesprächspartner. Sie schätzen Röbi als Kenner der Laufszene und als Marathon-Kollegen. Caroline Reiber ist da und trägt noch immer die Mütze, mit der ich sie vor drei Jahren bei meinem ersten Jungfrau Marathon kennen gelernt habe. Und Markus Kellenberger ist auch wieder am Start, der beliebte Vaduzer Pfarrer*, der immer für einen Spitzenplatz gut ist.  Nur der eigentliche Favorit Karl Jöhl lässt sich nicht blicken. Er ist zu weit raus gelaufen und kommt erst unmittelbar vor dem Start zurück.

 

*2011 in den Bergen tödlich verunglückt

 

 

9:00 Uhr - Countdown und Startschuss, los geht das Abenteuer LGT Alpin Marathon. 10 Kilometer gibt es zum Einlaufen, immer flach, meist am Rhein entlang. Fast fühle ich mich heimisch, wo ich doch meine Regenerationsläufe bevorzugt auch am Rhein absolviere. Statt der Schwarzwaldberge habe ich hier allerdings einen herrlichen Blick auf die umliegenden, schneebedeckten Schweizer Berge, unter ihnen der dominante Säntis.

Die Temperaturen sind mit 15 Grad ideal. Bis es hier im Tal wärmer wird, sind wir auf der Höhe. An der Baustelle des neuen Rheintalstadions biegen wir links ab und erreichen gleich Vaduz, den Hauptort es Fürstentums. Vor uns sehen wir schon das Schloss, das von hier aus wegen der vielen Baugerüste und Kräne zurzeit kein so schönes Fotomotiv abgibt. Ein kurzes Stück geht es durch die Stadt, wo sich überraschend viele Menschen an der Straße postiert haben, um den Marathonis vor dem jetzt erst beginnenden Berglauf Mut zu machen. „Hopp, hopp, hopp“, rufen sie, oder „heja, heja“ und einer meint: „Do got noch mäh.“

 

 

Bevor wir den Schlosswald erreichen, geht es einigermaßen moderat bergauf, immer in Richtung des Roten Hauses, das das älteste Gebäude des Fürstentums sein soll. Rechts hinter der dicken Steinmauer wächst ein guter Wein. Es wird steiler und wir erreichen das Schloss (km 12). Immer, wenn mich ein Helfer oder Zuschauer beim Fotografieren sieht, wird mir angeboten, ein Bild von mir zu machen. Einer rennt ein ganzen Stück voraus, um mich ja im Laufschritt auf den Chip zu bannen.

 

 

Nicht nur die herrliche Landschaft und die Anstrengung vertreiben die Zeit, ich lerne tolle Menschen kennen. Mario zum Beispiel, laut Trikot-Aufdruck kommt er aus Italien. Er überrascht mich mit der Frage in sehr gutem Deutsch: „Warst Du letzte Woche nicht in Immenstadt?“ Natürlich war ich, aber woher weiß der das? „Ich erkenne Dich an Deinem Shirt,“ klärt er mich auf. Dann muss ich ihm erklären, was Marathon4you.de ist. Er läuft heute seinen 21. Marathon – in diesem Jahr!

Oder Trudy, sie kommt hier aus Triesenberg und macht ihren ersten Bergmarathon. Natürlich hat sie sich auf der Originalstrecke vorbereitet. Betreut wird sie von vielen Bekannten, die unterwegs immer wieder irgendwo auftauchen, schon von weitem nach ihr rufen, Getränke und Essen bereithalten und sie anfeuern. Trudy erklärt mir die Umgebung und plötzlich haben die vielen herrlichen Berge Namen, die ich aber unmöglich behalten kann.  Sie erzählt mir auch von dem Riesenglück, das wir dieses Jahr mit dem Lauf haben. Letzte Woche noch gab es in Malbun eine geschlossene Schneedecke.

 

 

Es geht fast immer bergauf, mal steil mal weniger steil. Flache Abschnitte sind die Ausnahme. Wiesen und Waldstücke wechseln sich ab, kommen wir an einer Behausung vorbei, stehen die Leute an der Straße, feuern uns an und meist halten sie auch Getränke bereit. Trudy kennt hier alle, sie wird gefeiert und angespornt.

Samina (km 15) und Silum (km 20) sind unsere nächsten Stationen. An der Verpflegungsstelle ist wieder an alles gedacht: verschiedene isotonische Getränke, Wasser, Cola, Riegel, Bananen, Brot, Magnesium und was weiß ich. Voller Begeisterung kommen uns die Jungen und Mädels mit den Getränken entgegen gelaufen. Die Freundlichkeit und die Herzlichkeit unter den Helfern und bei der Bevölkerung ist sprichwörtlich.

Gut gestärkt  erreichen wir den bis dahin höchsten Punkt, die Silumer Höhe, 1539 m. Gleich darauf ist die Halbdistanz erreicht und es geht auf einem schmalen Pfad abwärts zum Kurhaus Sücka. Schon von weitem höre ich das Rufen: „Trudy, Trudy, hier sind wir.“ Sie kann nicht widerstehen und setzt zu einem halsbrecherischen Abwärtslauf an.

 

 

Bei Kilometer 24 sind wir oberhalb des Saminasees. Der Blick auf die Berge, auf den darunter liegenden, türkisfarbenen See, die saftig grünen Wiesen mit den Almhütten und das Geläut von zig Kuhglocken erzeugen eine einmalige Atmosphäre.

Kurz vor Kilometer 25 wird die Zwischenzeit genommen. 3 ¾ Stunden hat man Zeit bis hier hin, wer das nicht schafft, kann aus dem Rennen genommen werden. Die Verpflegung ist genauso üppig wie davor. Mario greift wie ich kräftig zu, während sich Trudy wieder an ihren privaten Köstlichkeiten erfreut. Überall vor den Hütten und auf den Wiesen sitzen Leute und feuern uns an. Niemals ist eine Aufmunterung wohltuender, weil sie Dir persönlich gilt. Mario lässt sich etwas zurückfallen und bald verliere ich ihn aus den Augen.

 

 

Es folgen ungefähr sieben Kilometer, wo sich Anstiege und Abwärtspassagen abwechseln. Links fallen die Bergwiesen steil ab, hin und wieder kreuzt ein kleiner Bach unseren Weg. Wenn mir der Anstieg zu lang oder zu steil ist, schalte ich um auf energiesparendes Gehen. Hinter der Alp Güschgle (km 30) ist es sowieso vorbei mit der Rennerei. Der bis dahin ganz ordentliche Fahrweg geht in einen Bergpfad über, der immer schmaler und immer steiler aufwärts zum Sass Fürkle führt. Hier präsentiert uns der frühe Bergsommer noch einmal seine ganze Blütenpracht. Alphornklänge sind zu hören und nach der nächsten Biegung sehen wir die Künstlerin mit ihrem Rieseninstrument.

Kurz vor dem Scheitelpunkt bei Kilometer 34 wird der Weg breiter und weniger steil und dann ist er erreicht, Sass Fürkle, der mit 1785 Metern höchste Punkt der Strecke. Trudy, die das letzte Stück von einer Freundin begleitet wird, stürzt sich ins Tal.

 

 

Bis zur Malbuner Friedenskapelle (km 37) geht es jetzt abwärts. Wir sind praktisch im Ziel. Röbi kündigt über Lautsprecher die Finisher an und vor dem Festzelt geht es zu wie bei einem Volksfest. Aber längst nicht alle halten sich dort unten auf. Viele sind herauf gekommen,  beklatschen die Läuferinnen und Läufer und feuern sie an. Sie wissen, dass den Marathonis hier viel abverlangt wird,  denn statt 50 Meter ins Ziel geht es auf den 5 Kilometer langen Panoramaweg rund um Malbun. Der ist zwar sehr schön, aber für jemanden, der 37 Kilometer und 1800 Höhenmeter hinter sich hat, nicht der Hit. Als erprobter Marathoni weiß man aber, dass ein Marathon 42 Kilometer hat und macht sich weiters keine Gedanken.

 

 

Während des ganzen Laufes auf dem Panoramaweg bin ich bestens über die Vorkommnisse im Ziel informiert. Der Laufsprecher ist nämlich auf einem Hochkran so platziert, dass er im ganzen Tal zu hören ist. Und als mich Röbi, der oben auf der Terrasse des Alpenhotels mit seinem Fernglas nach den Finishern Ausschau hält, erkennt, werde ich mit großen Worten begrüßt. Klatschend und jubelnd beglückwünschen mich unerwartet viele Menschen. Ich bin schon vor größerer Kulisse ins Marathonziel gelaufen, aber nie war der Empfang herzlicher.

 

 

Gleich gibt es noch zwei Spezialitäten, die nur der Alpin in Liechtenstein zu bieten hat: eine kleine Figur von Swarovski und Pommes-frites, frisch gemacht und schön gesalzen. Und nicht abgezählt im Tütchen, sondern am Buffet zum Selberholen. Klasse. Zu Trinken natürlich Kola, Wasser, Iso….

„Sind die Duschen warm?“ frage ich, weil man von mir das immer wissen will. „Ja, natürlich, geh ruhig runter,“ sagt mit einer, der es wissen muss. Weil ich aber mein Zimmer heute noch nutzen kann, so lange ich will, lege Ich mich lieber in die Badewanne und schwimme anschließend ein paar Runden im Hallenbad. Praktisch ist, dass sich auf der Terrasse das Massage-Team niedergelassen hat. Ausnahmsweise möchte ich heute darauf nicht verzichten.

 

Auf Wiedersehen in Liechtenstein 2021!

 

Bildgalerie aus 2019

(Klaus Sobirey)

 

 

Informationen: LGT Alpin Marathon Liechtenstein
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