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Laufberichte

Wo bitte geht’s zum Gletscher?

03.07.06
Autor: Klaus Duwe

Berechtigte Frage, ...

 

.... wenn man in Mittelberg (1740 m) inmitten saftiger Bergwiesen in der Sonne steht und sich auf den Gletschermarathon freut. Eisen und Seile können wieder verstaut werden. Stattdessen ist ein Fernglas ganz praktisch. Denn der Pitztaler-Gletscher mit Tirols höchstem Berg, der Wildspitze (3.774 m) liegt gut 1000 Meter höher und einige Stunden Fußmarsch weiter.

 

Normalerweise (zurzeit finden Wartungsarbeiten statt) kommt man dort hin mit dem Pitzexpress, einer Art alpiner U-Bahn, die pro Stunde 1.600 Personen auf 2.840 Metern Höhe bringt. Mit der Pitz Panoramabahn geht es dann weiter auf 3.440 m zum praktisch ganzjährigen Skifahren. Eine weitere Bergbahn fährt zum Rifflsee, einem Familienskigebiet auf bis zu 2.800 Meter Höhe.

 

Im Sommer laden der Fuldaer-, Offenbacher-, St. Leonharder oder Cottbuser Höhenwanderweg und viele urige Berghütten zum Bergwandern ein. Auch Gletscher- und viele Klettertouren sind möglich.

 

Veranstaltungszentrum ist aber das 9.000 Einwohner-Städtchen Imst (828 m), verkehrsgünstig gelegen an der Autobahn A 12 nach München, Innsbruck und Salzburg und Arlberg und in die Schweiz. Schon zur Römerzeit bildete Imst einen wichtigen Verkehrsknoten an der alten Heerstraße Via Claudia Augusta, die den Norden Italiens mit dem süddeutschen Raum verband. Weil die Wasserversorgung einst auf öffentliche Brunnen beschränkt war, von denen man heute noch 35 sehen kann, nennt man Imst auch „Stadt der Brunnen“.

 


Im Sportzentrum kann man sich am Samstag die Startunterlagen holen, zu denen es eine schön handliche Sporttasche gibt. Auf weitere „Geschenke“ wie T-Shirt oder Pasta-Essen wird verzichtet. Dafür hält man die Startgebühren vergleichsweise niedrig: 25,00 bis 30,00 Euro sind fällig, Nachmelder zahlen etwas mehr. Freier Eintritt ins Schwimmbad in der Nähe ist allerdings mit drin. Von dort fahren am Sonntag um 7.00 Uhr die Busse ins Pitztal zum Start. Erstaunlich (oder auch nicht), wen man alles so trifft. Die ganz Schlimmen kommen gerade vom Alpin Marathon in Oberstaufen.

 

Das Wetter ist herrlich. Kaum ein Wölkchen trübt den Himmel und es ist noch angenehm kühl. Die ersten Busse fahren pünktlich, der letzte wartet auf eventuelle Nachzügler. Die Fahrt ins Pitztal ist wunderschön und vermittelt einen ersten Eindruck von der Strecke. Olaf, der auch nach 99 Marathons nichts dem Zufall überlässt, hat schon gestern eine Streckenbesichtung gemacht. Er warnt vor Überraschungen, womit er einige Steigungen meint. 

 

Um 8.00 Uhr sind wir in Mandarfen, einer kleinen Hotelsiedlung am Ende des Pitztales. Wir sind auf ungefähr 1700 Meter Höhe und die Morgensonne wirft lange Schatten. Es ist frisch und ich bin froh, dass ich meine Jacke mitgenommen habe. Die Zeit bis zum Start (9.30 Uhr) ist lang. Ein zweites Frühstück oder wenigstens ein Kaffee wäre nicht schlecht. Da der Veranstalter solches nicht anbietet, verteilen sich die Läuferinnen und Läufer in die umliegenden Hotels, manche machen sich auch gleich auf den Weg nach Mittelberg, das vielleicht 15 bequeme Gehminuten  entfernt liegt und von wo aus gestartet wird. Später fahren auch die Busse hoch.

 

Dort kommt dann auch die richtige Marathon-Atmosphäre auf. Hier oben hat die Sonne die Schatten bereits zurück gedrängt und es ist auch von dem Temperaturen sehr angenehm. Über Lautsprecher gibt es Informationen, Prominenz und Jubilare werden begrüßt. Unter ihnen Olaf Schmalfuß, der heute seinen 100. Marathon macht. Seine Frau Andrea (sie läuft natürlich wie fast immer auch mit) hat ihm ein Shirt geschenkt, wo auf der Rückseite alle Läufe aufgelistet sind. Dort kann jeder nachlesen, dass es Olaf keinesfalls mit 42 Kilometern gut sein lässt. Als sein größtes Rennen nennt er selbst den Spartathlon, wo 246 Kilometer in maximal 36 Stunden zurückgelegt werden müssen. „Olaf, dreh Dich mal um,“ hört er dann auch dauernd.

 

Während sich viele Läufer nach ihrem ersten Marathon der „Droge Laufen“ vollends hingeben, hat Olaf nach seiner Premiere 1992 in New York („eine Stammtischwette“) erst mal 11 Jahre gar nichts gemacht. Als er dann 2003 in Zürich erneute seine Laufschuhe schnürte, gab es dann allerdings kein Halten mehr und noch im gleichen Jahr waren der Rennsteig und Biel „fällig.“

 

Um 9.30 Uhr feuern Schützen aus einer alten Kanone den Startschuss ab. Los geht es für die ungefähr 160 Läuferinnen und Läufer über die Holzbrücke und dann auf die Teerstraße durchs Pitztal.

 

„Die Strasse kann für den Verkehr nicht vollständig gesperrt werden,“ sind alle Aktiven vom Veranstalter informiert und aufgefordert, rechts zu laufen und auf den Verkehr zu achten. Ich kann aber jetzt schon sagen, dass das „Problem“ glänzend gelöst wurde. Zunächst werden die wenige Fahrzeuge, die jetzt schon unterwegs sind, angehalten bis das Läuferfeld  durch ist. Im weiteren Verlauf kommt es für die Verkehrsteilnehmer immer wieder zu kurzen Stops, sie werden über die Veranstaltung informiert und gebeten, langsam zu fahren. Das machen auch alle konsequent und klaglos.

 

In Mandarfen (1682 m) lässt man sich das Lauf-Spektakel nicht entgehen. Viele Leute stehen an der Straße und verabschieden die Marathonis ins Tal. Das Pitztal ist unbeschreiblich schön hier. Rechts und links erheben sich die imposanten 3000er, von denen die Watzenspitze (3592 m), Verpeilspitze (3423 m) und Rafelewand (3353 m) und der Puitkogel (3343) und die Hohe Geige (3393 m) die höchsten sind.

 

Ich komme nach Weißwald, bin 4 Kilometer gelaufen, habe 22 Minuten gebraucht und bin fast Letzter. So schnell wird hier gelaufen. Viele rechnen sich aufgrund des Gefälles eine gute Zeit aus. Immerhin sind es bis Imst etwas mehr als 900 Höhenmeter. Ich gebe auch mehr Gas als sonst, weil ich bei den jetzt noch angenehmen Temperaturen ein paar Minuten gut machen will, ohne mich allerdings zu übernehmen.

 

Bei Kilometer 10 kommt die zweite Getränkestelle mit Iso und Wasser. Bis dahin habe ich kaum geschwitzt. Kurz vor Piömös (der ungewöhnliche Name geht auf eine unbekannte Bevölkerung in der Zeit vor den Römern zurück) überhole ich zwei Staffelläuferinnen, oder besser gesagt, ich will sie überholen. Die packt nämlich plötzlich der Ehrgeiz und sie wollen auf keinen Fall vor heimischem Publikum an der Wechselstelle hinter einem alten Mann herlaufen. Es versteht sich von selbst, dass ich mich nicht wehre und den Damen den Vortritt lasse.

 

Auch die nächsten Läuferinnen nehmen den Schwung und den Applaus mit und sprinten los, als wäre ihr Rennen nach 1.000 Metern zu Ende. Unbeeindruckt trabe ich mein Tempo und hole die Damen dann nach 5 Kilometern ein. Dazwischen habe ich noch die Büsche aufgesucht, die herrliche Kirche von 1778 in St. Leonhard (1366 m) fotografiert und in Innerwald an der Verpflegungsstelle kräftig zugelangt. Es macht einfach Spaß, dieser Sonntagmorgen ist ein ganz besonderes Geschenk. Ich genieße jede Minute.

 

Das Tal wird breiter, die Berge sind nicht mehr so hoch und die Hänge sind teilweise besiedelt. Auch die Pitze ist breiter, tiefer und lauter. Türkisfarben wälzt sich das klare Wasser über das steinige Bachbett. Es riecht nach frischem Heu.

 

Rechts steht ein kleines, altes Holzhaus. Es ist mir schon auf der Busfahrt aufgefallen, weil eine große Deutschlandfahne am Balkon hängt. Jetzt ist der Balkon besetzt. Zwei Männer mit nacktem Oberkörper und ganz gut beieinander sind beim Frühstück  Als sie mich mit meiner schwarz-rot-goldenen Kopfbedeckung sehen, stehen sie auf, klatschen rhythmisch und rufen laut: „Deutschland, Deutschland.“ Bin ich Klose, oder was?

 

Wir überqueren die Pitze und laufen weiter links dem Bach entlang. Rechts am hang sehen wir die kleine Ortschaft Zaunhof und an der kleinen Zufahrtstraße hat sich eine Familie postiert. Die Mutter schlägt die Trommel und gibt wie immer den Ton an. Viele Zuschauer sind natürlich nicht an der Strecke. Aber die, die gekommen sind, sind voll dabei, klatschen und feuern die Läuferinnen und Läufer an.

 

Als es in weiten Serpentinen hinunter nach Wiese (km 20) geht, wird das Gefälle erstmals ungemütlich. Es ist aber nur ein kurzes Stück, dann erreichen wir den Ort und die Verpflegungsstelle. Wir verlassen den Bereich der Gemeinde St. Leonhard. Es folgt eine weitere, etwas steilere Passage, bis wir Ritzenried erreichen. Ein „Doppelposten“ (Vater mit geschultertem Söhnchen) weist uns den Weg links am malerischen Örtchen vorbei. Nach einem weiteren Kilometer wechseln wir wieder über die Pitze.

 

Gleichzeitig ändert die Straße ihr Profil, es geht aufwärts zur Ortschaft Schön (km 24). Die ersten Schritte tun saumäßig weh, dann geht’s und gleich wird es angenehm, weil die bis dahin strapazierten Muskeln entlastet werden. Nach einem Kilometer ungefähr haben wir bereits die Verpflegungsstelle erreicht, dann geht es schon wieder abwärts. Zuvor genießen wir noch kurz die Darbietungen vom Tiroler Franz, der laut Werbeplakat schon etliche Fernsehauftritte hinter sich hat.

 

Links unten sehen wir jetzt Kienberg und rechts geht hinauf nach Jerzenz (1.100 m). Das 1.000 Einwohner-Dorf hat über 2.000 Gästebetten, denn das Gebiet um Hochzeiger (2.560 m) und Wildgrat (2.971) ist bei Schifahrern sehr beliebt.

 

Wieder nach einer Brücke kommt die nächste Steigung. Wieder ist sie nicht lang und wieder komme ich ganz gut damit zurecht. Mittlerweile überhole ich den einen oder anderen Schnellläufer von heute früh. Darunter ist auch die kleine Jo May aus Housten/Texas, die sich am längsten Anstieg hinauf nach Wenns (982 m) mächtig anstrengen muss. Hier wird bei km 27 die Zwischenzeit genommen. 

 

Ein Berg zieht ab hier seine Aufmerksamkeit auf sich. Es ist der Tschirgant. Mit 2.372 Metern ist er zwar nicht sonderlich hoch, aber die zur Mieminger Kette zählende Bergpyramide ist sehr markant und dominiert den Ausblick hinaus aus dem Pitztal.

 

Bei Kilometer 30,5 km kommt Bieracker, und ein paar Leute schöpfen aus einem Brunnen Wasser, um die Läuferinnen und Läufer zu erfrischen. Der Service wird gerne angenommen, denn mittlerweile ist es richtig heiß geworden und Schatten gibt es kaum. Unter die Anfeuerungsrufe mischen sich schon einmal mitleidige Bemerkungen. Nach einem neuerlichen Anstieg kommen wir nach Arzl (880 m – km 34), wo wir von einem gut gelaunten Sprecher namentlich begrüßt werden. Bei der Verpflegungsstelle (es gibt jetzt auch noch Cola und Traubenzucker) haben sich wieder etliche Leute versammelt, um uns anzufeuern.

 

Jetzt geht es hinunter Richtung Imst. Der Verkehr hat deutlich zugenommen, ohne dass jedoch dadurch zu Problemen kommen würde. Rechts ist ein Gewerbegebiet, wo unter anderem ein Installateur seinen Betrieb hat. Gleich neben der Straße hat er eine perfekte Duschanlage aufgebaut, alles natürlich vorschriftsmäßig und fachmännisch. Kein Tropfen Wasser kommt raus, wo er nicht soll.

 

Wir laufen über die Innbrücke und im Kreisverkehr Richtung Bahnhof Imst-Pitztal und auf der Imsterberg Straße in die Fabrikstraße. Wie der Name vermuten lässt, wir sind im Industriegebiet und laufen auf ebenem Weg und in der prallen Sonne einen weiten Bogen, um dann im Ortsteil Brennbichl über die Bigerbachbrücke Richtung Schwimmbad zu laufen.

 

Hier steigt die Straße wieder an und fordert von vielen die letzten Reserven. Die junge Staffelläuferin, die mich bei der letzten Abwärtspassage noch locker hat stehen lassen, ist längst zurück gefallen. Am Schwimmbad herrscht Hochbetrieb. Die Badegäste können nicht verstehen, dass man bei dem Wetter etwas anderes machen kann, als im kühlen Wasser zu liegen.

 

Kühles Wasser zur äußeren und inneren Anwendung gibt es dann auch für die Läuferinnen und Läufer an der letzten Getränkestelle, dazu Cola. Dann kommen die letzten zwei Kilometer, immer bergauf, bis rechts der große Zielbogen auftaucht und nach einem kurzen Stück endlich nach rechts zum Sportzentrum abgebogen werden kann. Es gibt kräftigen Applaus und die Glückwünsche der Freunde. Schön für mich.

 

Auf andere wartet niemand. Für sie gibt es keine Begrüßung, keine Gratulation - die Finisher stehen da wie bestellt und nicht abgeholt. Ganz verloren muss sich Lydia Knoblich vorkommen. Nach 5:05 Stunden kommt sie als Letzte ins Ziel. Hinter ihr der Besenwagen und der Sani, der sie mit Sirene ankündigt. Kein Mensch rührt sich. Alle sind bei der Siegerehrung, wo gerade irgendeine Altersklasse vom Halbmarathon an der Reihe ist. Das habe ich schon anders erlebt.

 

Die Verpflegung ist dann allerdings wieder vom Feinsten: Wasser, Iso, Cola, Bier, Kuchen und Bananen. Alles reichlich, nichts ist abgezählt, echt Klasse.

 

Streckenbeschreibung

Landschaftlich sehr schöner Punt-zu-Punkt-Kurs durch das Pitztal nach Imst. Meist abwärts (ca. 900 m), aber auch mit kleinen, nicht allzu langen Steigungen. Straße ist nicht verkehrsfrei, was allerdings zu keinerlei Problemen führte.

 

Zeitnahme

Champion-Chip

 

Andere Strecken

Halbmarathon

 

Verpflegung

Mind. Alle 5 Kilometer Getränke- und Verpflegungsstellen. Iso, Wasser, Cola, Bananen, Kekse und Traubenzucker. Zwischendurch auch private Getränkestellen und Abkühlungen

 

Auszeichnung

Urkunde aus dem Internet

 

Rahmenprogramm

Gibt es nicht

 

Fazit

Toller Lauf mit kleinen Schönheitsfehlern, die aber der Erstausrichtung zuzuschreiben sind. Ich bin sicher: beim zweiten Mal passt das. Den Termin dazu sollten die Organisatoren aber noch einmal überdenken. Eine Woche nach dem Tirol Speed Marathon ist nicht ideal und kostet beiden Veranstaltungen Teilnehmer. Wie wär’s mit September, ist doch eine tolle Zeit in den Bergen.

 

 

Informationen: Gletschermarathon Pitztal
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