Am ersten Juli-Wochenende erwartet uns das Pitztal. Als „Dach von Tirol“ wird es vermarktet, da sich am Ende dieses 40 Kilometer langen Tals der höchste Berg Tirols und zweithöchste Berg Österreichs befindet: die Wildspitze mit 3.770 m über dem Meer.
Von West nach Ost gesehen, verlaufen hier mehr oder weniger parallel das obere Inntal, welches zum Reschenpass führt, das Kaunertal, das Pitztal und das Ötztal. Der Beginn des Pitztals liegt bei Imst, mit dem Auto aus Deutschland von der A7 oder der A95 oder über die Inntalautobahn zu erreichen. Über Innsbruck gibt es auch gute Zugverbindungen nach Imst und von dort fahren häufig Busse ins hintere Pitztal.
Erste Anlaufstelle für Judith und mich ist Wenns, noch ziemlich am Beginn der Tals. Dort gibt es die Startunterlagen in der PitzPark-Anlage. Zur Startnummer mit Chip und Namensaufdruck erhalten wir ein schönes Laufhemd und einige Pröbchen von Sonnencreme und Duftspray mit dem für die Gegend typischen Zirbenholzgeruch. An der Startnummer hängt ein Gutschein für die Pasta-Party, die hier im Lokal am Samstagnachmittag stattfindet. Wer möchte, kann noch ein übersichtliches Infoblatt vom Laufweg mitnehmen.
Gestärkt fahren wir weiter hinauf und hinein ins obere Pitztal. Ich hatte ein preisgünstiges Hotel gesucht, dabei aber leider übersehen, dass unsere Unterkunft nicht am Programm der Pitztal Sommer Card teilnimmt. Ohne Karte entfallen leider auch die kostenlose Bergbahn- und Busbenutzung. Die Kurtaxe zahlen wir also wie sonst nur in Italien ohne ersichtliche Gegenleistung und natürlich in bar.
Am nächsten Morgen reicht es noch für ein kleines Frühstück, bevor wir in 10 Minuten am Startbereich in Mandarfen auf dem Parkplatz der Rifflseebahn sind. Der Start ist um 8:00 Uhr angesetzt und bei knapp 180 Marathonis muss man auch nicht allzu früh da sein. Startunterlagen für Nachzügler gäbe es hier noch im Tourismusbüro. Toiletten sind in ausreichender Zahl in der Seilbahnstation vorhanden und die Taschen mit Wechselkleidung kann man bis kurz vor dem Start abgeben. Der Shuttlebus, der Sportler heute hier hinauf gebracht hat, nimmt nachher unsere Sachen mit in den Zielbereich.
Wichtig ist es, den Wetterbericht gut zu studieren. Natürlich ist es auf 1.700 Metern eher frisch. Aber später, weiter unten, wird es noch richtig warm. Also nicht zu viel anziehen.
Wir sehen einige Bekannte aus Österreich, unter anderem die drei Günt(h)ers, und dann geht es schon los. Zum „Aufwärmen“ geht es erst mal weiter ins Tal hinein und somit bergauf, was man am Puls und der beginnenden Atemnot sehr schnell erkennt. Ich bilde mir ein, dass die hier bereits dünnere Luft den Körper besonders fordert.
An der Talstation der Gletscherbahn vorbei. Diese ist leider in Revision und fährt erst wieder ab Mitte Juli. Es wäre natürlich schön gewesen, mal die für den Marathon namensgebenden Gletscher zu sehen, bis auf 3.444 m kommt man hinauf. Die unterirdische Gletscherbahn wurde erst 1983 eröffnet und führte natürlich zu einem wirtschaftlichen Aufschwung im Tal, dessen Bewohner schon Anfang des 19. Jahrhunderts den Tourismus als Erwerbsquelle entdeckt hatten.
Wir erklimmen noch einige Höhenmeter Richtung Mittelberg. Vor uns liegen einige Dreitausender in den Wolken. Dann drehen wir nach links auf die hier beginnende Pitztaler Straße. Die ersten ca. 60 Höhenmeter, ein Viertel von den insgesamt 200 Metern bergauf haben wir hinter uns. Und von nun an geht es erst mal bergab.
Am Startgelände vorbei, der Startbogen ist schon flachgelegt. Wir laufen brav auf der rechten Straßenseite. Die Strecke ist nicht gesperrt, sodass gelegentlich Autos vorbei kommen. Wir mussten sogar unterschreiben, dass wir uns rechts halten. Ich schieße ein paar Bilder von einer flotten Läuferin. Ihr Begleiter im 100-MC-Singlet fragt, ob er auch auf dem Bild sei. Natürlich. Erst auf der Finisher-Liste sehe ich, dass es Michael Weber war, der Veranstalter des Neckarufer-Marathons. Ich habe ihn nicht erkannt, vermutlich, weil sein Lauf im März stattfindet, wenn man im Gegensatz zu heute dick vermummt unterwegs ist.
Das Pitztal verläuft in Nord-Süd-Richtung und wird auf beiden Seiten von hohen Bergen gesäumt, was die Zeit der Sonneneinstrahlung etwas verkürzt. Die Vegitationsphase ist nur vier Monate lang. Wir kommen nach Plangeroß, ein Dorf mit vielen Hotels und vielen Zuschauern an der Straße. So wird es bei jeder Siedlung weitergehen. Einheimische und Touristen feuern uns an. Und in den Weilern befinden sich auch die häufigen VP-Punkte.
Oft geht es auch durch Lawinenverbauungen, also quasi Tunnel. Die meisten sind sehr gut beleuchtet und eher kurz. Auf den schmalen Fußwegen, die in einigen Tunneln von Wasserabflussrinnen unterbrochen sind, droht Stolpergefahr. Aber im Moment ist automobiltechnisch nicht viel los, da kann man schön auf der Straße laufen.
Auf den nächsten 20 Kilometern geht es recht konstant 500 Höhenmeter hinab. So ziemlich jeden Kilometer taucht ein neuer Weiler an der Straße auf. In Piösmes - ein interessanter Name, der wohl auf eine vorrömische Siedlung zurückgeht - sehen wir links erst viele Ziegen und dann den Esel, von dem schon in früheren M4Y-Berichten über diese Veranstaltung die Rede war.
Eine Läuferin fotografiert wie ich einen schönen Wasserfall. Sie erzählt, dass wegen der geringen Niederschlagsmenge im vergangenen Jahr sämtliche Wasserfälle der Region ausgetrocknet waren. Später lese ich, dass das Pitztal eine der regenärmsten Regionen der Tiroler Alpen ist. Also perfekt für einen Bergurlaub im Sommer. Man sollte auf jeden Fall die Natur genießen. Da wir auf einer Teerstraße unterwegs sind, können wir gefahrlos den Blick schweifen lassen. Die meisten landwirtschaftlichen Höfe, die wir hier sehen, werden im Nebenerwerb betrieben. Viele Einheimische vermieten Zimmer oder pendeln zur Arbeit nach Imst.
In der Gemeinde St. Leonhard, genauer im Weiler Eggenstal, wurde bereits der Halbmarathon gestartet. Wir sind bei Km 15, und eben dort werde ich von einem Postbus ziemlich erschreckt, der auf einmal gefühlt haarscharf neben mir vorbeigleitet, obwohl ich das „Rechtslaufgebot“ peinlich genau beachtet habe. Ich fluche dem Busfahrer hinterher. Das wird ihn nicht stören, da er Kopfhörer trägt.
Am VP beim Hotel Alpenhof gibt es Bananen. Eine kleine Helferin hat dazu passend ihre Plüschbanane mitgebracht und wegen der noch kühlen Temperaturen fürsorglich in ein Mäntelchen gepackt.
Wir hören, wie sich zwei Marathonnovizen gegenseitig versichern, dass Ankommen wichtiger sei als die Zeit. Und dass man von den Mitläufern, die am Start wie wild losgespurtet sind, sicher noch ein paar einsammeln werde.
Die Vegetation ändert sich, das Tal wird schmaler und die Bäume stehen näher an der Straße. Der Kilometer 21 wird auf dem Straßenboden vermerkt wie jeder Kilometer, bei der Halbmarathon-Marke gibt es leider keine offizielle Zeitnahme. Judith und ich sind in 2:05 h unterwegs, was auf ein gutes Ergebnis hoffen lässt.
Die nächsten zwei Kilometer geht es steiler bergab, 60 Meter pro Kilometer. In Ritzenried sehen wir eine dreiköpfige Alpaka-Familie auf der anderen Seite der Ptize, so der Name des Bachs. Am Montag kommen wir nochmals vorbei und bemerken, dass am Hang gegenüber eine größere Herde grast. Es werden auch Wandertouren mit den Tieren angeboten. Jetzt muss mich erst mal anstrengen, bei Judiths Bergabtempo mitzuhalten.
Km 26, der erste von drei happigen Anstiegen steht an. Über einen Kilometer verteilt gleich 30 Meter hinauf. Oben empfängt und das Ortsschild „Schön“ und dann auch gleich ein schöner VP. Es gibt an den VPs immer Wasser, Iso, gelegentlich Bananen und Melonen, später auch Cola. Da es sich um eine „grüne“ Veranstaltung handelt, werden die Getränke in wiederverwendbaren Bechern gereicht, die man nach dem Gebrauch in Sammelkisten werfen soll. Die stehen etwas zu nah hinter den VPs, sodass einige Becher doch im Straßengraben landen.
Rechts geht es hinauf nach Jerzens. Und die Polizei schickt die Autofahrer auf diese längere Route Richtung Talende, sodass es ab hier fast keine Autos geben wird. Einer der beiden Läufer vor mir trägt seinen nackten Oberkörper zur Schau, der andere ein Hemd mit dem Rückenaufdruck „Falta mucho?“(„Ist es noch weit?“). Zwei Spanier, die ich nun locker einsammle. Vor Wenns der nächste fordernde Anstieg. Mir geht es gut und ich trotte zügig dahin. Vor mir sehe ich noch eine Läuferin und einen Läufer, mal sehen, wie sich das noch entwickelt. In Wenns, beim Startbogen des 11-km-Laufs, ist eine Party im Gange. Gestern fanden hier die Kinderläufe statt.
Wieder leicht bergab, aber die Beine wollen nun nicht mehr so mitgehen. Durchs frische Grün des Waldes laufen wir dahin. Ganz langsam ziehe ich noch an einigen Mitstreitern vorbei. Ist wohl ein super Tag für mich. Vor dem Zielort Arzl dann noch ein stärkeres Gefälle. Meine Oberschenkel glühen. Da wir nicht wie in früheren Jahren nach Imst müssen, werden wir bei Kilometer 36 noch auf eine große Runde geschickt. 1,5 km Begegungsstrecke. Ich treffe auf Gerhard Wally; der Österreicher mit den meisten Marathons wird heute unter vier Stunden bleiben. An der Kreuzung beim VP dann Marathonis aus drei Richtungen. Wir werden nach rechts geleitet, auf eine Runde um einen Fußballplatz, wo Mähroboter ihre Arbeit verrichten. Der Blick auf die Häuser im Tal Richtung Karres und Imst ist nett.
Dann vom VP ein Stück durch den Wald, danach sind wir in einer Villengegend. Viel Stimmung an der Strecke und einige Duschen aus dem Gartenschlauch. Wie erwartet ist es hier unten schon recht warm. Wenn es nur nicht dauernd auf und ab ginge! Ich überhole eine Dame, die schon seit geraumer Zeit vor mir läuft, jetzt aber ihr Tempo nicht mehr halten kann. Kilometer 40, ein welliger Waldweg. Das hätte es doch jetzt nicht mehr gebraucht! Ein knapper Kilometer, dann der schon bekannte VP an der Weggabelung. Ich gönne mir einen Becher Cola und verkünde, dass ich locker unter 4:20 h bleibe, was der freundliche Helfer mit der Bemerkung „Da würde ich mir jetzt aber nicht so viel Zeit lassen“ kommentiert. Wie bitte? Ich bin verwirrt und beschließe, mich anzustrengen.
An der Dorfstraße werde ich geradeaus geschickt. Wohin? Links am Haus vorbei auf einen Fußweg. Gleich danach sehe ich unten das Ziel, Spitzkehre und dann durch den Zielbogen. 4:18 h sind es geworden. Super.
Es gibt eine Holzmedaille und schon drückt mir eine Helferin ein Zielfoto in die Hand, auf dem ich strahlend und topfit aussehe. Das Ziel liegt neben der Gruabe Arena, einer Mehrzweckanlage mit Außenbühne. Drinnen könnte man duschen und sich massieren lassen. Ich warte noch auf Judith, die auch mit persönlicher Jahresbestzeit eintrifft.
Die spanischen Läufer kommen gleich mit ihren Begleiterinnen ins Ziel. Auf ihrer Spanischen Fahne sind die Medaillen aller Läufe abgebildet, an denen sie teilgenommen haben Einige davon habe ich auch. Auch in Deutschland waren sie schon in sportlicher Mission unterwegs.
Ein Marathon-Novize mit Fahne des Königreichs Saudi-Arabien kommt ins Ziel und wird von zwei Landsfrauen empfangen, die den 5,5-km-Lauf bestritten haben.
Eine Läuferin mit estnischen Fahne, die ich unterwegs überholt hatte, wird Dritte ihrer Altersklasse. Insgesamt waren TeilnehmerInnen aus 32 Nationen am Start.
Epilog
Judith und ich bleiben noch länger bei der Zielverpflegung. Wir fachsimpeln mit vielen Finishern und genießen Kuchen, Melonen, Weißbier und Cola. Erfreulich, dass auch die später Eintreffenden nicht leer ausgehen. Dann beginnt auf der Bühne die Marathon-Prämierung. Für die drei Erstplatzierten der Altersklassen gibt es jeweils eine schöne Tafel aus wohlriechendem Zirbenholz. Judith hat das Glück, eine zu bekommen, wie auch Gerhard Wally. Gratulation.
Die teilnahmestärksten Gruppen kommen aus Belgien und Ungarn und erhalten jeweils einen Präsentkorb. Dann wird der Hauptgewinn verlost, doch die ausgelobte Übernachtung in einem Wellness-Resort findet zunächst keinen Gewinner. Alle Aufgerufenen haben sich schon auf den Heimweg begeben. Dann wird tatsächlich meine Nummer gezogen. Ich gehe zur Bühne, wo mich der Moderator mit einem launigen Spruch empfängt: „Man muss nicht unbedingt schnell sein, man muss nur lange genug sitzen bleiben“.
Egal, Judith und ich kommen dieses Jahr noch mal ins Pitztal und dann fahre ich endlich mal hinauf auf den Gletscher zum Dach von Tirol.
Fazit:
Ein Marathon für sehr gute Zeiten mit vielen Bergab-Kilometern überwiegend auf Teerstraßen. Der Autoverkehr ist sehr gering, die Straße lässt viel Platz zum Überholen. Später ist die Straße faktisch autofrei. Die Helfer sind sehr motiviert und gut gelaunt. Zuschauer gibt es viele in den Weilern an der Strecke und oft auch Gartenschlauchduschen.
Wunderbar für einen Urlaub in den Bergen, aber Obacht: Nach diesem Lauf kann man sich für ein paar Tage nur unter Schmerzen bewegen. Wir mussten das Wandern am Montag ausfallen lassen. Die Oberschenkel zittern immer noch.
Siegerinnen Marathon
1. Raluca Apostol ROU 3:06:19,5
2. Alexandra Raich-Mader AUT 3:22:16,5
3. Franziska Kruppa GER 3:23:03,4
Sieger Marathon
1. Jonas Müller GER 2:29:52,6
2. Manuel Jakob GER 2:46:10,4
3. Steffen Schlegel GER 2:49:41,6
Finisher Marathon: 144
Insgesamt Teilnehmende: 546