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Laufberichte

Eviva Colonia

11.09.05

 „Kumm lass mer fiere“

 

Nur wenige deutsche Großstädte lassen sich mit dem Millionendorf am Rhein vergleichen. Eigentlich ist es auch nicht die Stadt, die mir irgendwie ans Herz gewachsen ist – es sind eher die Menschen die dort wohnen. Herzerfrischend offen bis hart an die Schamgrenze kann wohl nur rund um den Dom die Lebensart des kölsche Klüngel praktiziert werden.


Der Wahlspruch „Kumm lass mer fiere“ ist hier gelebte Normalität und lässt den Homo Colonius bei jeder sich bietenden Gelegenheit in ausufernde Geselligkeit verfallen.

 

Diese Begeisterung macht selbstverständlich auch vor Laufveranstaltungen nicht Halt. Egal, ob es sich dabei um den Kölner Nachtlauf, den Stadtlauf oder den Kölner Brückenlauf dreht, trotz ausgiebigster Behinderungen im Innenstadtverkehr stehen die Kölner an der Strecke, jubeln den Athleten zu und verpassen der gesamten Innenstadt die Atmosphäre einer gut laufenden Wohnzimmerparty.


Klar, dass die Kölsche sich den Marathon in ihrer Stadt nicht entgehen lassen.

 

In dichten Trauben stehen sie entlang der Straßen und Plätze, feiern die Läufer und  sich selbst. Dem Lebensgefühl entsprechend fließt dabei auch die eine oder andere Stange Kölsch in durstige Kehlen.


Erfahrene Köln-Marathonis wissen dabei zu berichten, dass man ob der bereitwillig aus der Fangemeinde angebotenen Biergläser durchaus bis zum Halbmarathon mehr als beschwipst sein könnte. Apropos Biergläser: Zum Startpaket eines jeden Teilnehmers gehört auch eine Kölschstange. Natürlich limitiert, mit einem fast karnevalistischen Motiv – designed von einem Kölner Künstler.

 

Der Weg zum Marathon beginnt dabei auf der „scheel Sick“. Damit ist der Teil Kölns gemeint, der halt nicht auf dem gleichen gesegneten Ufer liegt wie der Dom, sondern auf der gegenüber liegenden Seite. Auf der Seite, wo auch der Erzrivale Düsseldorf liegt.


Das Messegelände in Köln-Deutz ist dabei organisatorisches Rückgrat der Veranstaltung. Hier finden sich neben der Marathonmesse auch alle anderen Einrichtungen die bei einer derartigen Großveranstaltung als unverzichtbar gelten.

 

Unweit des logistischen Heerlagers liegt in der Mindener Straße das Startgelände. Wie bei anderen größeren Laufveranstaltungen wird auch in Köln in farbig codierten Blöcken mit jeweils 3 Minuten Abstand gestartet. In der Anfangszeit des Köln-Marathons wurde der Zutritt zu den  unterschiedlichen Blöcken streng kontrolliert. Zwischenzeitlich gilt auch hier das zweite rheinische Grundgesetz „Et es wie et es“.

 

Leider gefiel es dem Wettergott diesmal, Teilnehmer und Zuschauer mit ausgiebigem Regen zu erfreuen. Startete das Elitefeld noch im Trockenen, begann es während der nächsten Stunde immer stärker zu regnen bis ein lang anhaltender Platzregen auch die letzte Faser durchnäßt hatte.

 

Hinter dem Start folgt nach kurzer Zeit schon der Aufstieg zur Deutzer Brücke. Gleichzeitig mit dem Durchlaufen der Rechtskurve hoch zur Brücke schiebt sich die vom Dom beherrschte Skyline der Kölner Altstadt immer mehr ins Auge des Läufers. Hier auf der Brücke ist leider so kurz nach dem Start noch zu viel Gedränge, als dass man dieses Panorama mit Ruhe in sich aufnehmen kann. Wer den Anblick trotzdem genießen möchte, dem empfehle ich einen Start beim Kölner Brückenlauf 14 Tage nach dem Marathon.

 

Bereits beim Anstieg auf die Brücke höre ich den rythmischen, dumpfen Schlag einer großen Basstrommel, der einfach nicht näher kommen will. Erst bei Kilometer 2 schließe ich zu den Läufern der „Kölner Laktatfunken“ auf. Hier ist ein Grüppchen von etwa 12 Leuten in Funkenkostümen und rot eingefärbten Laufschuhen in gar nicht mal so langsamem Tempo unterwegs. Wie es sich für Funken gehört, werden dabei natürlich auch Trommeln diverser Größen mitgeschleift und fleißig gerührt.

 

Als die große Basstrommel langsam hinter mir leiser wird, begehe ich einen typischen Anfängerfehler. Inspiriert durch Sambabands, singende Zuschauer und klatschende Läufer rund um den Rudolfplatz achte ich nicht auf mein Tempo, sondern gebe mich einfach nur der rundum guten Stimmung hin. Zu spät bemerke ich, dass ich die letzten beiden Kilometer in knapp unter 9 Minuten gelaufen bin. Für mein geplantes Tempo von 6:00 min/km also 3 Minuten zu schnell. Hoffentlich geht das gut.

 

Nach dem Chlodwigplatz läßt der Regen kurz nach und wir laufen fast zwei Kilometer den Rhein aufwärts nach Bayenthal. Hier ist es etwas ruhiger und ich entschließe mich, bei Helmut anzurufen. Er, der die letzten Wochen das fast komplette Trainingspensum mit mir zusammen absolviert hat, feiert heute seinen fünfzigsten Geburtstag und wollte hier in Köln seinen ersten Marathon laufen. Leider hat er sich kurz zuvor eine Verletzung der Achillessehne zugezogen und darf nicht starten.


Ich gratuliere ihm und bitte ihn, am Telefon zu bleiben. Kurz erkläre ich den wildfremden Läufern um mich herum, welchen Pechvogel ich da am Telefon habe. Wie von selbst erklingt aus 15 bis 20 Läuferkehlen ein herzlich gesungenes „Happy birthday“.

 

Kurze Zeit später setzt der Regen wieder ein und wird immer stärker. Die Zuschauer und Musiker ziehen sich ohne große Stimmungseinbußen unter Brücken und Bäume zurück. Uns Läufern bleibt die Hoffnung, dass der Regen irgendwann einmal nachläßt.


Tatsächlich hört der Regen erst auf, als ich mich auf der ansonsten recht langweiligen Aaachener Straße in Richtung des Halbmarathons bewege.

Dafür ist in der Gegend des Friesenplatzes bei Kilometer 20 der Teufel los! Sambamusik, ein klatschendes und singendes Publikum, das den Läufern stellenweise nur eine Gasse von zwei Metern Breite läßt. Gänsehautfeeling pur. Hier ist er wieder, der kölsche Livestyle.

 

Weiter geht es durch das alte Arbeiterviertel Ehrenfeld. Auch hier hat so mancher die Lautsprecherboxen aus dem Wohnzimmer geholt und sie in Plastiktüten verpackt an den Straßenrand gestellt. Vereinzelt stehen kleine Gartentische am Straßenrand auf denen Platikbecher und Bananen auf Bedürftige warten.

 

Überhaupt, die Verpflegung läßt eigentlich kaum Wünsche offen. Insgesamt 11 Verpflegungsstationen sind über die Strecke verteilt. 12.000 Liter Apfelsaft, 20.000 Liter Wasser und 5.000 Liter Tee will man hier mit 400.000 Trinkbechern unters Volk bringen. Dazu kommen ab Kilometer 23 noch 60.000 Becher Cola.

 

Vorbei am Kölner Fernsehturm, der, wie auch sonst, „Colonius“ heißt, geht es über den Mediapark hinunter auf den Hansaring. Auf etwa 2 Kilometern begegnen sich die Läufer auf der vierspurigen Straße. Bei schönerem Wetter sollen die Zuschauer hier so dicht an dicht stehen, dass nur noch eine Gasse zum Durchlaufen bleibt.

 

Im karnevalistischen Urgestein von Köln-Nippes ist es erstaunlich ruhig. Xantner Straße, Blücher Straße. Nur vereinzelt stehen Kinder am Straßenrand, halten die Hände raus und wollen abgeklatscht werden. Dann geht es in die Neusser Straße. Kein Wunder, dass es vorher so ruhig war. Halb Nippes scheint sich hier versammelt zu haben und feiert, was das Zeug hält. Kneipen haben ihre Möbel nach außen gespuckt. Begleitet von Kölsche Musik fließt das Bier in Strömen. Immer wieder mal wird eine Kölschstange auffordernd in Richtung Läufer gehalten. Hier kann einem der Hammermann bei Kilometer 30 wahrlich gestohlen bleiben.

 

Über den Innenstadtring geht es über Ebertplatz und Friesenplatz zum Rudolfplatz. Die drei Plätze scheinen einen internen Wettstreit zu führen, wo die beste Stimmung ist. Gedanken an Aufgeben können hier einfach nicht aufkommen. Dies spiegelt sich auch in den Finisher-Zahlen. Von insgesamt 11.500 gestarteten Läufern kamen trotz widriger Witterungsbedingungen 10.900 ins Ziel.

 

Bei Kilometer 36 auf dem Sachsenring erwischt es mich dann unvermittelt. Ohne jede Ankündigung bekomme ich einen Krampf im Oberschenkel. Fassungslos stehe ich in gebückter Haltung auf der Laufstrecke und halte mir das Bein. Etwa 5 Meter von mir entfernt steht ein riesiger Eisenpfosten. Dort muß ich hin um mich zu dehnen und den Schmerzteufel aus meinem Bein zu vertreiben. Aber ich kann nicht, ich habe das Gefühl, jeden Augenblick umzufallen. In diesem Moment schiebt sich eine Hand unter meinen Arm. Eine Läuferin hat meine Situation erkannt und hilft mir bis zu diesem Pfosten. Dort bleibt sie bei mir, bis ich wieder alleine stehen kann. Tausend Dank schöne Frau. Ohne dich wäre der Marathon wohl hier für mich zu Ende gewesen.

 

Langsam laufe ich weiter, suche ein Tempo, das ich halbwegs schmerzfrei laufen kann. Gehen möchte ich nicht. Ohne jede Erfahrung mit Krämpfen und deren Beseitigung werden die folgenden Kilometer von schmerzhaften Erfahrungen geprägt.


Vom Chlodwigplatz aus geht es über Innenstadtstraßen in Richtung Dom. Die Straßen sind teilweise mit Kopfsteinpflaster belegt und verlangen einiges ab. Dankbar nehme ich die lautstarke Unterstützung von Zuschauern und Läufern an. Nach einigen scharfen Kurven laufe ich plötzlich unmittelbar auf das Domportal zu. Früher war hier das Marathonziel – heute muß ich noch fast zwei Kilometer zurücklegen.

 

Am Heumarkt wieder jubelnde Zuschauer für die jeder, aber auch jeder der Läufer ein Sieger ist. Von hier aus kann ich bereits die Rampe der Deutzer Brücke sehen, die rechts und links dicht von Zuschauern gesäumt ist. Am Aufstieg zur Brücke steht bei Kilometer 41 mein Lauffreund Edgar und hat wie bestellt für mich ein wunderschönes frisch gezapftes Kölsch in der Hand. Edelstes Manna! Mit einem einzigen tiefen Zug lasse ich das Bier in mich hineinlaufen. Beschwingt laufe ich die Brücke hinauf und auf der anderen Seite wieder hinunter. Am Ende der Mindener Straße wartet das Ziel auf mich.

Alles in allem ein perfekt durchorganisierter Lauf, begeleitet von einem Publikum, dass die Auszeichnung „Weltklasse“ verdient hat. Kölle – ich glaube, du siehst mich wieder.

 

Informationen: Generali Köln Marathon
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